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«Offensichtlich gibt’s Personen und Netzwerke, die verdammt viel in den Händen halten»

In einer Kleinstadt kennt man sich. Die Wege sind kurz, Beziehungen wichtig. Fluch oder Segen? Wohl beides, konstatiert Matthias Tschopp im Gespräch, in welchem er seine Gedanken zu seinem Input sortiert.
18. Februar 2021
Text: Yann Schlegel
Der «Filz»-Input war der Anlass für dieses Gespräch.

Für Kolt ist dieses Format ein Novum und zugleich ein kleines Experiment. Der lockere Austausch mit Input-Geber Matthias Tschopp ist ein Versuch, den nicht einfach greifbaren Input auszudifferenzieren und uns ihm anzunähern. Wir holen somit die Gedanken der Abonnentinnen direkt ab und übergeben sie der weiteren Diskussion.

Und wenn wir schon beim Thema Transparenz sind: Auch Matthias Tschopp und ich sind per du und kennen uns aus Jugendjahren. Damals kreuzten sich unsere Wege in der Pfadi Froburg. Das liegt bald zwei Jahrzehnte zurück. In der Zwischenzeit hat Matthias Tschopp gemeinsam mit Tobi Vega den Oltner Velo-Lieferdienst Collectors aufgebaut. Der Oltner ist gelernter Forstwart und Baumpfleger und mit seiner Firma Wurzelwärch auch noch auf seinem angestammten Beruf tätig. Wir haben uns in der Collectors-Zentrale zum Gespräch getroffen.

Vor welchem Hintergrund hast du diesen Input gestellt?

Der Gedanke kam daher, dass ich den Eindruck erhielt, dass nicht alle Entscheide vorwiegend demokratisch getroffen werden. Wohlverstanden: Ich glaube, das ist überall so und ein Stück weit normal. Aber offensichtlich gibt’s in Olten Personen und Netzwerke, die verdammt viel in den Händen halten. Ein gewählter Stadtrat hat viel in den Händen, das wissen alle. Andere Figuren im Hintergrund haben viel Macht, aber es liegt nicht offen und sie sind nicht demokratisch gewählt. Gleichzeitig frage ich mich: Ist dieser Filz per se etwas Schlechtes? Das Wort an sich ist ja negativ konnotiert. Aber ich habe für mich realisiert, dass du durch ein Beziehungsnetzwerk viel erreichen kannst und «Vitamin B» dazu gehört. Dies ist mir auch beim Aufbau von Collectors bewusst geworden. Darum bin ich sehr gespalten und frage mich, wo muss man von einem «Filz» sprechen, wo von einem Beziehungsnetzwerk im positiven Sinn?

Du hast die Frage negativ konnotiert gestellt. Was macht den Filz in diesem Sinne aus?

Da geht’s für mich in erster Linie um die fehlende Transparenz. Darum, dass mächtige Personen die Fäden im Hintergrund ziehen. Es gibt viele Menschen, die in unglaublich vielen verschiedenen Gremien sitzen. Sie bringen jeweils Interessenbindungen aus anderen Gremien mit. So wird vieles nicht auf neutralem Boden entschieden.

Wenn’s um Filz geht, spielt das Geld oft auch eine Rolle.

Das kann man nicht ausblenden. Wobei ich mich mehr dafür interessiere, wo in den Lokalstrukturen einer Kleinstadt die Entscheidungen getroffen werden. Passiert dies im Gemeinderatssaal und im Stadtrat, oder auf einer ganz anderen Bühne? Das ist nicht als Suggestivfrage gemeint. Ich habe wirklich keine Antwort darauf und kanns nicht einschätzen.

Wo würdest du konkret mehr Transparenz wünschen und wo bist du misstrauisch?

Beispiele könnte ich nur «off the record» nennen. Ich will nicht verurteilen, dass Menschen in ihrem engeren Umfeld füreinander sorgen, weil ich dies selbst nachfühle. Vielmehr möchte ich verstehen: Wie kann man den Trieb, den der Mensch von Natur aus hat, in Entscheidungsstrukturen einbinden …

… und bändigen?

Nein, viel eher: wie kann man ihn konstruktiv nutzen? Ich denke dabei an das Modell der Soziokratie oder andere Organisationsmodelle mit flachen Hierarchien. Manchmal habe ich das Gefühl, im Stadthaus, wo die Menschen arbeiten, werde fast mehr entschieden als in der Politik.

Du würdest begrüssen, dass die Politik mehr Kontrolle hat?

Ich möchte als Citoyen Transparenz darüber haben, wo was entschieden wird. Vielleicht ist’s ja gut, wie es ist. Aber mir fehlt ein Verständnis dafür, wo die Entscheidungen getroffen werden. Deshalb fand ich es spannend, als die Parlamentssitzungen neuerdings auf Youtube übertragen wurden. Auch wenn sie sonst öffentlich sind, kam es mir vor, als ob sie hinter verschlossenen Türen stattfinden würden. Eine aktive, gelebte Transparenz würde ich mir auch anderswo wünschen.

Wie glaubst du, könnten die städtischen Prozesse transparenter werden?

Durch Collectors habe ich gemerkt, dass runde Tische mit Menschen aus verschiedenen Gremien sehr spannend sind. Vor allem wenn das Gespräch an einem öffentlichen Ort stattfindet. Dies bedingt aber, dass die Menschen am Tisch bereit sind, offen zu sprechen.

Wenn du auf dein Wirken schaust, wo kann es klemmen?

Aus meiner Sicht scheitert es häufig an Berührungsängsten. Entweder man traut sich nicht oder hat Hemmungen, offen zu reden. Für mich wars ein persönlicher Fortschritt, auf Menschen zuzugehen und sie mit einem Gedanken oder einer Idee anzuhauen. Ich komme mit meinem Leben und meinen Visionen so viel besser voran.

Aufeinander zugehen könnte also helfen, die untergründigen Verbandelungen zu entflechten?

Ich glaube ja. Der Filz kann nur dann existieren, wenn abgeschlossene Gruppen existieren. Wenn Netzwerke sich öffnen, wird auch mehr Transparenz eingefordert. Je mehr eine Gruppe unter sich bleibt, desto eher kann sich ein Filz entwickeln, weil niemand mitbekommt, was abgeht, was die Absichten sind.

Warst du persönlich mit Filz konfrontiert?

Es ist mehr ein Grundgefühl, das ich habe. Manchmal weisst du nicht, auf wen du zugehen musst, um etwas zu erreichen. Es ist nicht der Stadtrat und auch nicht das Parlament, sondern in den Zwischenwelten. Darauf fusst mein Gefühl, da werde viel entschieden. Aber wie gesagt, ich finde es selbst extrem schwierig, zwischen positiven und negativen Aspekten von Netzwerken zu differenzieren.

Bei welchem Anliegen bist du im luftleeren Raum hängen geblieben?

Am stärksten erlebe ich dies, wenn es um Immobilien geht. Dadurch, dass ich im Vorstand der LeONa («Lebendige Oltner Nachbarschaft», Verein, der eine Wohnbaugenossenschaft schaffen möchte, Anm. d. Red.) und bei der Rosengasse AG im Verwaltungsrat bin, habe ich in die Immobilienwelt hineingesehen, zu der ich vorher überhaupt keinen Draht hatte. Vorher war mir das nicht bewusst: In dieser Welt geht es um wahnsinnig viel Geld und Macht. Und: Die meisten Menschen teilen sonst demokratische Grundwerte, aber im Immobilienbereich läufts anders. Da reden Menschen hinter verschlossenen Türen und Otto Normalbürger kann nichts tun.

Wo war die LeONa involviert?

Vor rund vier Jahren stellte die Stadt den Masterplan zu Olten Südwest vor. Auch Bachmann junior, der Besitzer des Areals, war anwesend. Wir haben ihn mit den Ideen der LeONa konfrontiert und gefragt, ob er Bereitschaft zeigen würde, einer Wohnbaugenossenschaft Raum zu bieten. Er hat dies relativ vehement abgelehnt. Auch mit Menschen der Stadtverwaltung waren wir in Kontakt. Ich habe da realisiert: Einer Person, die im Zürcher Oberland wohnt, gehört ein Drittel des Oltner Baulands. Da können alle Politiker noch so lange diskutieren und Entscheide treffen. Eine Person, die nichts mit Olten am Hut hat, hat viel mehr Macht als alle Politiker zusammen. Und wenn die Stadt Olten Südwest auf einen konstruktiven Weg bringen will, müssen selbst die Politikerinnen, welche die Demokratie vertreten, sich in diese «Nebelwelt» begeben. Damit meine ich den intransparenten Rahmen. Verhandlungen wie jene zur Unterführung Hammer finden in einer verschlossenen Kammer statt – das Resultat erscheint dann in der Zeitung. Was vorher geschieht, das wird einem deutlich mitgeteilt: «Das geht dich nichts an.» Oder: «Wir müssen aus strategischen Gründen Stillschweigen wahren.»


Wo würdest du dir mehr Transparenz wünschen?

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