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«Plötzlich ist etwas da, und man weiss nicht, woher es kam»

Mit «Eiger» kommt Ende Januar eine aussergewöhnliche Oper auf die Oltner Stadttheater-Bühne. Die Musik dazu hat der renommierte Schweizer Komponist Fabian Müller geschrieben. Wir haben ihn gefragt: Wie reift eine Oper heran?
18. Januar 2022
Text: Yann Schlegel, Fotografie: zVg
Quelle: Suzanne Schwiertz / zVg

Eine schwarze Wand. Eis. Dünne Luft. Der kalte Schatten des Berges. Todesangst. Geröll. Schwindelerregende Höhen. Wie klingt all dies in der Sprache der Musik? Der Schweizer Komponist Fabian Müller (57) hat mit seiner Oper «Eiger» eine Antwort darauf gesucht und gefunden.

Quelle: Hanzheng Yen / zVg

Die Faszination für den furchterregenden Berg in den Berner Alpen ist ungebrochen gross, der Bergsport zum Massenphänomen herangewachsen. Noch vor einem Jahrhundert galt die Nordwand als unbezwingbar – heute klettern die Spitzenalpinisten um die Wette, wer schneller oben ist. Die Oper «Eiger» aber geht zurück zu den wahren Pionieren. Zu einem der ersten Versuche, den Berg an der senkrecht hochführenden Wand zu bändigen. Angelehnt an die wahre Geschichte, erzählt die Oper, wie 1936 vier junge Draufgänger (zwei Deutsche und zwei Österreicher) versuchen, den 4000 Meter hohen Berg zu bezwingen, und dabei den Tod finden.

Tim Krohn, der Autor von «Eiger», schreibt über das Stück: «Die radikale Natur des Bergs, die kein Erbarmen kennt, die über den Grössenwahn des kleinen Menschen spottet und ihn doch zuletzt umarmt und in sich aufnimmt, bildet die eine Ebene der Oper. Der Berggang der vier Männer ist die andere – sie stemmen sich gegen Witterung und Bergwand.»

Das Kletterdrama feierte als Produktion des Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) im Dezember in Biel Premiere und erntete exzellente Kritiken: «… ein echter Knüller», «… das Publikum reagiert euphorisch». Bevor «Eiger» Ende Januar auf die Oltner Bühne kommt, haben wir beim Komponisten Fabian Müller nachgefragt, wie es dazu kam, dass er die Eigernordwand als Oper verewigte.

Sie suchen gerne Abgeschiedenheit und Losgelöstsein von jeglichen Verpflichtungen, um in die Arbeit einzutauchen. Wo haben Sie die Musik für die Oper «Eiger» komponiert?

Komponierende haben so ihre Rituale, wie sie sich in die richtige Stimmung für diese Arbeit bringen können. Man muss auch klar unterscheiden zwischen den eigentlichen «Einfällen», aus denen dann ein Werk entstehen kann, also der Initialzündung, und der darauffolgenden Knochenarbeit, bis ein Werk in Notenform vorliegt. Für den Beginn brauche ich eine stille Umgebung, die nichts von mir will, sodass der Prozess durch nichts abgelenkt werden kann. Ich habe meine Rückzugsorte hauptsächlich in den Bergen. Auch war ich viele Sommer in Schweden, immer am gleichen Ort am Siljansee, und später dann in St. Gerold im Grossen Walsertal. Mit dem Älterwerden gelingt es mir jedoch auch immer besser daheim. Bei der Oper war speziell, dass ich bereits 2004 eine symphonische Skizze «Eiger» für die Interlakner Musikfestwochen schrieb. Diese hatte ich damals tatsächlich am Fuss des Eigers in Grindelwald komponiert. Und aus dieser Musik habe ich die Oper nun weiterentwickelt.

Quelle: Suzanne Schwiertz / zVg

Welche Beziehung haben Sie selbst zur Jungfrau-Region und der imposanten Eigernordwand?

Verwandte meiner Familie haben ein Ferienhaus in Grindelwald. Und wir konnten da jedes Jahr Ski- und Wanderferien machen. So bin ich seit meiner Kindheit mit diesem Ort sehr verbunden. Die Bergwelt rund um Grindelwald ist für mich bis heute eine wichtige Inspirationsquelle. Geschichten rund ums Klettern, vor allem aus der Pionierzeit, faszinieren mich sehr, jedoch nur als Leser. Ich bin ein begeisterter Wanderer, aber nicht schwindelfrei.

«Eiger» in Olten

Erstaufführung im Stadttheater Olten am Freitag, 28. Januar 2022, um 19:30 Uhr. Im Anschluss an die Vorstellung findet eine Podiumsdiskussion mit dem Komponisten Fabian Müller statt. Tickets online erhältlich.

War Ihre Zuneigung für die Berge auch der Grund, weshalb Sie für dieses Projekt zugesagt haben?

Die Oper hat eine längere Entstehungsgeschichte. Schon 2004, als ich die symphonische Skizze schrieb, hatte ich Pläne für eine Oper über die berühmte Tragödie um Toni Kurz. Nach gescheiterten ersten Versuchen konnte ich Tim Krohn gewinnen, das Libretto zu schreiben. Ich habe dann – begeistert von Tims Libretto – einfach mal angefangen. Damals war noch kein Auftrag in Sicht. Erst als ich schon fortgeschritten war mit der Kompositionsarbeit, erzählte ich Dieter Kägi und Kaspar Zehnder (Anm. d. Red.: dem Intendanten und dem Chefdirigenten) davon. Ihr Interesse, dieses Projekt zu realisieren, gab mir einen grossen Schub, und so durfte ich das Werk nun im Auftrag des TOBS 2020 fertigstellen.

Wie darf man sich den Prozess vorstellen, durch den die Musik für «Eiger» zu Papier kam?

Ganz allgemein ist der innere Prozess beim Komponieren schwer zu beschreiben. Wie Schriftsteller in Sprache denken, denken wir in Musik. Woher die «Einfälle» kommen, und warum sie einfach plötzlich da sind, bleibt auch für einen selbst ein Geheimnis. Wenn es passiert, sind das ganz blitzartig kurze Momente. Plötzlich ist etwas da, und man weiss nicht, woher es kam. In der Natur zu sein, und gerade in so einer grandiosen Bergwelt wie rund um Grindelwald, ist für mich sehr unterstützend, dass dies passiert.

Von aussen betrachtet ist Komponieren gänzlich unspektakulär. Ich sitze stundenlang am Klavier, wahrscheinlich die meiste Zeit ins Leere starrend, machmal summe ich etwas, machmal probiere ich etwas aus am Klavier, dann kritzle ich aufs Papier. Meine Ausrüstung beim Komponieren ist ganz altmodisch Papier, Bleistift, Gummi und ein Klavier. Für die Herstellung des Notenmaterials bin ich dann aber sehr froh um den Computer.

Quelle: Suzanne Schwiertz / zVg

Wir Journalisten sind manchmal von Schreibblockaden geplagt. Kennen Sie dies als Komponist auch und wie überwinden Sie diese?

Zum Glück bin ich mehr oder weniger davon verschont geblieben. Ich musste aber lernen, sehr darauf zu achten, dass ich nicht unter Zeitdruck komme. Passierte das dennoch mal, konnte sich schon auch Verzweiflung einstellen, dass ich es nicht schaffe. Zu kurzfristige Aufträge nehme ich heute nicht mehr an. Für ein Werk wie diese Oper beispielsweise müssten schon zwei Jahre bis zur Uraufführung vorhanden sein.

Sie beschreiben oft, wie Sie im intuitiven Zustand Ihre Ideen schöpfen. Wie können Sie diesem freien Lauf geben, wenn Sie sich an der Handlung einer Oper orientieren müssen?

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, einen Handlungsstrang in Musik umzusetzen. Jeder Moment ist grenzenlos. Deshalb fühle ich mich in keinem Moment eingeschränkt in meiner Freiheit. Im Gegenteil, eine Handlung ist sogar eher eine willkommene Unterstützung, die manchmal fast erschlagende Freiheit der Möglichkeiten etwas zu kanalisieren. Kommt einem am Schluss alles folgerichtig vor, so ist das ein wunderbares Gefühl. Man meint, oder bildet sich zumindest ein, man hätte in dieser unendlichen Freiheit einen guten Weg gefunden.

Die Produktion «Eiger» wird mit Lob überhäuft. Was hat das vollendete Werk bei Ihnen als Betrachter ausgelöst?

Bei der Uraufführung gehen einem tausend Sachen durch den Kopf. Ich freue mich nun mit etwas mehr Distanz auf die Premiere in Solothurn. Ich durfte den Entstehungsprozess weitgehend miterleben und es war für mich sehr spannend und lehrreich, wie die vielen Puzzlesteine – die Musik ist ja nur einer davon – immer mehr zu einem Ganzen verschmelzen. Zu erleben, wie alle Beteiligten ihr Talent mit ganzer Kraft einbringen und so Musik und Text lebendig werden, war sehr berührend. Kaspar Zehnder hat ein grosses Gespür für meine Musik. Es ist nicht das erste Werk von mir, das er dirigiert. Die Sänger und Sängerinnen sind grandios und leisten Ausserordentliches, und das Zusammentreffen mit Barbara-David Brüesch (Regie), Alain Rappaport (Bühnenbild) und Sabine Blickenstorfer (Kostüme) ist einfach ein Glücksfall. Dass die Oper bei Publikum und Presse so gut ankommt, belohnt nun auch den Mut von Dieter Kägi, die Uraufführung dieser Oper zu wagen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


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