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«Schatten ist absolut entscheidend»

Der Leser-Input «Baumpflanzungen in der Fussgängerzone» führte zum Kolt-Treffen vom 30. Juni, wo wir gemeinsam mit Experten nach Antworten auf den öffentlichen Ruf nach vermehrter Begrünung gesucht haben. Einer der wichtigsten Aspekte in der Diskussion ist die zunehmende Hitze im urbanen Raum. In Fribourg erforscht Professor Marc Vonlanthen genau solche städtischen Hitzeinseln und entwickelt Technologien, um ihnen entgegenzuwirken. Wir fuhren in die Universitätsstadt, um zu erfahren, wie auch unsere Stadt von seiner Forschung profitieren könnte.
3. September 2021
Text: Fabio Lüdi, Fotografie: Timo Orubolo

Marc Vonlanthen, die Schweizer Städte werden heisser – können wir die nicht einfach alle komplett weiss anmalen, um sie abzukühlen?

Das würde tatsächlich etwas bringen, ein Teil der Hitze würde so zurück in die Atmosphäre geworfen. In Sion hat man hellere Materialien für Bodenbeläge entwickelt, um das zu überprüfen. Dieser Effekt ist bereits messbar bei Flächen, die nur leicht heller sind als andere. Das ist aber nicht überall einfach so machbar.  

Welche Massnahmen haben sich denn bisher bewährt im Kampf gegen Hitzeinseln?

Schatten ist absolut entscheidend. Projekte wie die bunten Regenschirme in Olten – hier in Fribourg wurde etwas Ähnliches vorgeschlagen – können etwas bringen, wenn es den ganzen Tag lang heiss ist. Grünflächen sind ebenfalls sehr wichtig. Aber Grün allein reicht nicht, die Qualität zählt. Eine Wiese mit nur wenige Zentimeter tiefem Erdreich bringt wenig.  

Warum? Solange da immerhin eine Wiese ist …  

Wichtig ist, dass der Boden Wasser aufnehmen kann, dass das Wasser also im Boden bleibt. So kann es verdunsten und die Umgebung abkühlen. Pflastersteine statt Asphalt machen bereits einen Unterschied, weil sie wasserdurchlässiger sind. Auch ein Kiesboden mit Erde darunter ist beispielsweise besser als eine herkömmlich asphaltierte Fläche. Aber für die Stadt ist das natürlich aufwändiger im Unterhalt.  

Professor Vonlanthen in Fribourg vor dem Bahnhof und dem danebenstehenden Pavillon “DEMO-MI2”

Städte haben oft das Problem, dass der Untergrund verbaut ist, etwa mit Rohren und Leitungen. Bepflanzungen, die einen kühlenden Effekt haben, können dort nicht umgesetzt werden.  

Man muss realistisch sein: Nicht überall kann etwas gemacht werden. In Fribourg haben wir die Stadt anhand der Temperatur kartografiert und ein Temperaturmodell entwickelt, das die Hitzesituation bis ins Jahr 2050 simuliert. Dabei haben wir festgestellt, dass hitzemindernde Massnahmen als zusammenhängendes Netz entwickelt werden müssen. Es reicht nicht, nur an einem Ort möglichst viele Bäume zu pflanzen.  

Welche Massnahmen eignen sich dafür?

Wenn sich ein Ort nicht für Bäume eignet, kann beispielsweise mit Wasser gearbeitet werden. Es gibt Städte, die kleine Wasserkanäle auf den Strassen angelegt haben. Ein Problem in der Schweiz ist sowieso, dass das Regenwasser generell schnellstmöglich in den Untergrund geleitet wird. Das ist einfach blöd. Wir sollten versuchen, an der Oberfläche etwas aus dem Regenwasser zu machen. Denn in Fribourg haben wir errechnet, dass der klimawandelgetriebene Temperaturanstieg in der Stadt fast doppelt so schnell passiert wie im Durchschnitt auf der Erdoberfläche, also ungefähr 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt statt 0,1.  

Eine Zwischenfrage: Warum interessiert die Hitze in den Städten – scheinbar – plötzlich? Auf einmal gebrauchen alle den Ausdruck «Hitzeinsel» völlig selbstverständlich.

Hitzeinseln sind an sich kein neues Phänomen. Bereits in den 1980er-Jahren wurden an der Uni Fribourg Artikel dazu verfasst. Aber der Klimawandel hat die Auswirkungen von Hitze verstärkt. Seit etwa 2010 sehen wir einen klaren Unterschied zu vorher, seither ist es ein öffentliches Thema. Sensibilisiert hatte zudem bereits der Rekordsommer 2004. Damals sind Menschen in der Schweiz gestorben – vor allem in den Städten.  

Sie haben einen Klima-Pavillon mitentwickelt, mit dem Sie Technologien zur Abkühlung von Strassen erforschen (siehe unten). Lassen sich die Ergebnisse aus einer nur 36 Quadratmeter grossen Testfläche einfach so heraufskalieren?

Der Pavillon ist natürlich nur ein Prototyp. Er soll Antworten liefern auf Probleme, auf die die Raumplanung immer wieder stösst: Man möchte etwas gegen die Hitze in der Stadt unternehmen, wird dabei aber beispielsweise vom Denkmalschutz eingeschränkt – obwohl der politische Wille eigentlich da wäre. Mit dem Pavillon erforschen wir nicht-invasive Massnahmen zur Abkühlung der Stadt. Bei Temperaturmessungen haben wir teils massive Unterschiede festgestellt: Ausserhalb des Pavillons war es an einem Sommertag schon mal 30, 35 Grad heiss, im Pavillon haben wir dann knapp 20 Grad gemessen.  

Wie sähe eine Adaption des Pavillonprojekts auf eine richtige Strasse in der Stadt aus?  

Denkbar wären etwa begrünte temporäre Bauten, die nach dem Sommer wieder abgebaut werden. In jeder Stadt gibt es ausserdem einen Haufen Infrastruktur, der nicht genutzt wird, Haltestellendächer etwa. Viele Menschen verbringen viel Zeit an Haltestellen, trotzdem sind sie nicht begrünt. Die Infrastruktur wäre bereits da, es müsste nicht extra noch etwas gebaut werden. Ein anderes Beispiel sind Geländer. Es gibt auch die Idee, Kabel über die Strassen zu spannen und daran entlang Pflanzen wachsen zu lassen.  

Reichen solche oberflächlichen Anpassungen, um die Städte nachhaltig abzukühlen?

Wir müssen anfangen, geeignetere Materialien zu verbauen. Nach unseren Simulationen – und im Rahmen der Unsicherheiten – könnten wir mit den richtigen Materialien die Temperatur im Jahr 2050 fast auf dem heutigen Stand halten – zumindest in Fribourg. Dieses Szenario setzt eine massive Begrünung und eine allgemeine Durchlässigkeit des Bodens voraus und hat daher seine eigenen Grenzen. Aber Holz ist beispielsweise viel besser als Stein, weil es viel weniger Hitze speichert. Beton und Stein speichern tagsüber thermische Energie; sobald die Lufttemperatur unter die Temperatur des Materials fällt, also in der Nacht, geben sie sie wieder ab – das führt zu mehr und mehr Tropennächten.  

Jean Tinguely hat den Brunnen 1984 auf der Schützenmatte in Freiburg gebaut. Seither gehört der Brunnen zum Stadtbild. Es ist das dritte Wasserspiel, das der Künstler auf einem öffentlichen Platz erstellt hat, nach dem Fasnachtsbrunnen in Basel und dem Strawinskibrunnen in Paris.

Ist das der Grund, warum Städte heisser sind als das Land?

Ja, den grössten Einfluss haben die verbauten Materialien. Dazu herrscht in Städten schlicht mehr Betrieb: Maschinen, Verbrennungsmotoren, Klimaanlagen – das alles produziert Hitze. Generell hat es auch weniger Grünflächen. Die Geometrie der Stadt spielt ebenfalls eine Rolle: Strassen sollten beispielsweise parallel zu den stärksten Windströmen gebaut werden. So kann der Wind durch die Stadt ziehen und die Hitze wegfegen.  

Mehr Grün, mehr Wasser, mehr Durchzug: Die Erkenntnisse, die Ihr Forschungszweig postuliert, scheinen seit Jahren die gleichen zu sein. Geht es für Sie nur noch darum, die richtigen Stakeholder von geeigneten Massnahmen zu überzeugen?  

Das ist leider die ganze Geschichte des Klimawandels: Seit 30, 40 Jahren ist klar, was getan werden müsste – aber es wird einfach nicht gemacht. In meinem Forschungszweig gibt es, glaube ich, tatsächlich nicht mehr viel Neues zu entdecken. Einige der Technologien, die wir einsetzten, werden vom Prinzip her bereits seit 2000 Jahren verwendet; die wassergefüllten Keramikbehälter etwa. Was wir aber noch tun können, ist, konkret zu messen, welche Temperaturunterschiede mit welchen Massnahmen wir erreichen können. Je genauer wir argumentieren können, desto einfacher können wir überzeugen. Wir sind dem Klimawandel nicht schutzlos ausgeliefert, mit den richtigen Massnahmen erreichen wir etwas. Aber all das entbindet uns natürlich nicht davon, unsere Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. 

Der 36 Quadratmeter grosse Pavillon «DEMO-MI2» (mobiler Demonstrator zur mikroklimatischen sommerlichen Folgenminderung im Strassenbereich) vereint verschiedene Technologien zur Kühlung der Umgebung: Pflanzen auf dem Dach und an den Seitenwänden, ein Wasserzerstäubungssystem, das bei Temperaturen ab 30 Grad Celsius Wassernebel versprüht, Phasenwechselmaterial, das beim Sichverflüssigen thermische Energie aus der Umgebung entzieht, und mit Wasser gefüllte Keramikkörper, die sich durch Verdunstung abkühlen. Mit dem Pavillon soll erforscht werden, wie Umgebungen abgekühlt werden können, ohne invasiv in die Bausubstanz einzugreifen.  

Marc Vonlanthen (41) ist Physiker und Professor an der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg. Er erforscht Hitzeinseln in Städten und entwickelt Technologien, um ihnen entgegenzuwirken. Vonlanthen ist Präsident des Vorstands von Pro Natura Freiburg und Mitglied der SP. 


Spürst du die zunehmende Hitze in der Stadt? Und falls ja, wo in Olten empfindest du sie am stärksten?

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