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Ukraine will besetzte Gebiete zurückerobern, mysteriöse Hepatitis-Fälle – und eine Fleder­maus macht auf dicke Hose

Das Nachrichtenbriefing informiert dich zu den Geschehnissen in der Welt – dank grosszügiger Unterstützung des Onlinemagazins Republik.
12. Mai 2022
Von Reto Aschwanden, Ronja Beck, Theresa Hein und Cinzia Venafro; Grafik: Roger Lehner

Dieses Nachrichtenbriefing wurde uns von der Republik zur Verfügung gestellt. Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.

Ukraine: Die aktuelle Lage

Das Kriegsgeschehen: Seit mehr als zwei Monaten wird die im Südosten der Ukraine gelegene Hafenstadt Mariupol belagert. Mittlerweile konnten alle Zivilistinnen aus dem lokalen Stahlwerk evakuiert werden, wo sie Sicherheit gesucht hatten. Doch noch immer harren dort Hunderte von ukrainischen Kämpfern in den Bunkern aus. Die russischen Streitkräfte beschiessen das Werk wieder intensiv. Das im Stahlwerk verschanzte Asow-Regiment hat diese Woche erstmals Fotos aus dem Industriekomplex öffentlich gemacht; sie zeigen zahlreiche schwer verwundete und ausgemergelte Soldaten. Die Bilder lassen sich jedoch nicht unabhängig verifizieren. Die ukrainische Vize­regierungs­chefin Iryna Wereschtschuk verhandelt mit der russischen Seite inzwischen über einen Tausch: Kiew kann die Soldaten aus dem Stahlwerk evakuieren und lässt dafür gefangene russische Soldaten frei. Das russische Militär fordert aber nach wie vor eine Kapitulation.

Bei den Kämpfen um Mariupol seien tausende Menschen getötet worden, sagte diese Woche Matilda Bogner, die Uno-Menschenrechts­beauftragte in der Ukraine. 4000 Todesfälle seien dokumentiert, die tatsächliche Zahl dürfte aber deutlich höher sein. Bogner berichtet zudem von zahlreichen Menschenrechts­verletzungen in der Stadt.

Im Süden der Ukraine wurde die Hafenstadt Odessa am Montag – dem wichtigsten russischen Feiertag – so schwer beschossen wie noch nie seit Beginn des russischen Angriffskriegs. In Cherson im Osten des Landes drohen die russischen Besatzer derweil mit einer Annexion. Es ist unklar, ob es sich dabei um einen konkreten Plan handelt oder um leere Drohungen, die Kiew unter Druck setzen sollen.

In der Gegend um Charkiw, der zweitgrössten Stadt der Ukraine im Osten des Landes, verzeichnet die ukrainische Armee derweil Geländegewinne. Mehrere Ortschaften konnten zurückerobert werden. Die russische Armee wiederum hat den Angriff im Donbass gemäss ukrainischen Angaben verstärkt und dabei Boden gutgemacht.

Nicht nur in der Ukraine, auch im russischen Grenzgebiet kam es diese Woche erneut zu Explosionen. Laut russischen Angaben soll die Ukraine die Regionen Belgorod und Kursk angegriffen haben, eine Person sei getötet worden.

Bereits mehr als eine Million Menschen seien aus der Ukraine nach Russland deportiert worden, sagt die Menschen­rechts­beauftragte des ukrainischen Parlaments. Das US-Pentagon nennt keine Zahlen, bestätigt aber, ebenfalls entsprechende Hinweise erhalten zu haben. Der russische Generaloberst Michail Misinzew soll gemäss einer russischen Nachrichten­agentur die Unterstützung von internationalen Organisationen gefordert haben, um Zivilisten aus ost­ukrainischen Orten zu evakuieren.

Einem neuen Bericht der NGO Human Rights Watch zufolge haben sowohl die russische als auch die ukrainische Armee in den vergangenen Monaten Streumunition eingesetzt. Die Organisation spricht von Hunderten Einsätzen seit Beginn der russischen Invasion. Mehrere hundert Zivilistinnen seien dadurch ums Leben gekommen. Weder Russland noch die Ukraine haben ein 2010 in Kraft getretenes internationales Abkommen unterzeichnet, das Einsatz, Handel und Lagerung der geächteten Munition verbietet.

Die Reaktionen: Der Angriffskrieg führte diese Woche zu einer historischen Meldung, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kaum gefallen dürfte: Der Nachbarstaat Finnland will der Nato beitreten, und zwar «unverzüglich», wie Präsident Sauli Niinistö und Regierungs­chefin Sanna Marin bekannt gaben. Das Parlament wird in wenigen Tagen über das Beitritts­gesuch entscheiden. Finnland würde damit seine militärische Neutralität aufgeben. Ein Entscheid, der auch in Schweden in den kommenden Tagen erwartet wird.

Der Kreml hat «militärische und politische Konsequenzen» angedroht, sollten die beiden Länder ihre Pläne wahr machen. Ob diese Drohungen konkrete Folgen haben, bleibt vorerst offen. Gemäss Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betrachtet Russland den nahenden Beitritt «eindeutig» als Bedrohung, der Anlass für eine «symmetrische Antwort» gebe. Konkreter wurde Peskow nicht. Die Nato-Mitglieds­staaten könnten Ende Juni über das finnische Beitritts­gesuch entscheiden.

Ebenfalls im Juni könnte die EU-Kommission entscheiden, ob die Ukraine offiziell EU-Beitritts­kandidatin werden soll. Das meldete Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen. Die dafür benötigten Unterlagen hat die Ukraine in Rekordzeit erstellt und eingereicht. Votiert die Kommission dafür, können die Verhandlungen zum EU-Beitritt starten. Es könnte jedoch Jahre dauern, bis ein definitiver Entscheid fällt.

Zudem plant die EU-Kommission, im Rahmen eines neuen Sanktions­pakets einen Importstopp für russisches Öl zu verhängen. Doch Ungarn lehnt das ab. Die vorgesehene Ausnahme­regelung geht der Regierung in Budapest nicht weit genug. Der ungarische Aussen­minister Péter Szijjártó forderte Entschädigungen in Milliardenhöhe, damit Ungarn den Entwurf durchwinke. Während die Verhandlungen in der EU andauern, haben die G-7-Staaten diese Woche einem Ölembargo zugestimmt.

Neben dem russischen Öl stand auch das russische Gas diese Woche im Fokus: Die Ukraine hat den Transit durch die russisch besetzte Region Luhansk abrupt gestoppt. Der ukrainische Gasnetz­betreiber macht Störungen durch die russischen Besatzer dafür verantwortlich. Das Gas soll nun über einen anderen Knotenpunkt nach Europa fliessen. Auswirkungen auf die europäische Energie­versorgung soll der Stopp bisher kaum gehabt haben. Ebenfalls diese Woche haben sich die EU-Länder darauf geeinigt, eine Mindestmenge an Gasreserven bis 2026 gesetzlich vorzuschreiben. Das Gesetz könnte diesen Winter in Kraft treten.

Wladimir Putin gibt derweil unbeirrt den Furchtlosen. An der Militärparade auf dem Roten Platz zum Jahrestag des Sieges über Nazi­deutschland befeuerte er am Montag Verschwörungs­theorien und bezeichnete den Angriff auf die Ukraine als Reaktion auf eine zuvor geplante «Invasion» der Nato. Befürchtungen, wonach Putin an der Parade eine General­mobilmachung erklären könnte, bestätigten sich aber nicht.

In einem Gespräch mit französischen Studenten machte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski derweil erneut seinen Standpunkt klar: Der Krieg würde erst enden, wenn die von Russland besetzten Gebiete zurückerobert sind.

Philippinen: Der Marcos-Clan kehrt zurück an die Macht

Darum geht es: Ferdinand Marcos Jr. wird neuer Präsident der Philippinen. Bei den Wahlen, die am Montagabend zu Ende gingen, holte er mehr als doppelt so viele Stimmen wie seine Konkurrentin, die bisherige Vize­präsidentin Leni Robredo. Neue Vizepräsidentin wird Sara Duterte-Carpio, die Tochter des abtretenden Machthabers Rodrigo Duterte.

Warum das wichtig ist: Mit Ferdinand Marcos kehrt der Marcos-Clan zurück an die Macht. Ferdinand, seit seiner Jugend unter dem Spitznamen «Bongbong» bekannt, ist der Sohn des Diktators Ferdinand Marcos Sr. Dieser hatte das Land jahrzehntelang ausgeplündert und floh nach einem Volksaufstand 1986 ins Exil nach Hawaii. «Bongbong» erzielte besonders viele Stimmen bei jungen Philippinerinnen, die erst nach dem Sturz seines Vater geboren wurden. In einer aufwendig inszenierten Social-Media-Kampagne verbreiteten bezahlte Influencer und Trolle Fake News und attackierten politische Gegner, während Marcos Jr. bei seinen Auftritten die Einheit des Landes beschwor. Bei den Wahlen selbst wurden Beobachtern zufolge tausende Bürgerinnen an der Wahl gehindert. Zudem hätten Stimmenzähl­maschinen teilweise nicht funktioniert.

Was als Nächstes geschieht: Weil Marcos Jr. enge Verbindungen zu China pflegt, gehen Beobachter davon aus, dass die wirtschaftliche Zusammen­arbeit zwischen den Philippinen und China weiter intensiviert wird. Am Dienstag kam es bei Protesten gegen den neuen Präsidenten zu Zusammen­stössen zwischen Demonstranten und Sicherheits­kräften.

Sri Lanka: Regierungschef tritt zurück, Proteste eskalieren

Darum geht es: Minister­präsident Mahinda Rajapaksa ist nach wochenlangen Protesten zurückgetreten. Er schickte sein Rücktritts­schreiben an seinen jüngeren Bruder, den Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. In der Hauptstadt Colombo kam es danach zu gewaltsamen Protesten, die Regierung bot Soldaten gegen Demonstrantinnen auf. Anhänger der Regierung gingen mit Knüppeln und Eisenstangen auf Protestierende vor dem Regierungs­sitz los. Am Montag eskalierten die Proteste, es gab sieben Tote und 250 Verletzte. Zudem wurden Dutzende Häuser in Brand gesteckt, die Politikern der Partei des Präsidenten gehörten. Das Verteidigungs­ministerium erteilte einen Schiessbefehl gegen Leute, die Besitz beschädigen oder Leben in Gefahr bringen.

Warum das wichtig ist: Sri Lanka befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Das Land steht am Rande des Bankrotts und zahlt seine ausländischen Kredite nicht mehr zurück. Es fehlen Medikamente, aber auch Devisen, um Treibstoff zu kaufen. So kommt es bereits seit Februar zu langen Schlangen vor den Tankstellen und zu täglichen Strom­unterbrüchen.

Was als Nächstes geschieht: Die Vereinten Nationen zeigen sich «zutiefst beunruhigt» über die Eskalation in Sri Lanka und die Aushöhlung der Menschenrechte, verursacht durch «tiefere politische und systemische Ursachen». Derzeit gilt im Land eine Ausgangs­sperre. Der zurückgetretene Minister­präsident Mahinda Rajapaksa ist auf einen Marinestützpunkt geflohen. Das Parlament wird nun einen Nachfolger bestimmen.

Hepatitis-Fälle bei Kindern: Viele offene Fragen

Darum geht es: Seit Anfang April sind 348 Kinder in 20 Ländern weltweit wahrscheinlich an Hepatitis erkrankt. Diese Zahlen gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese Woche bekannt. Die meisten Fälle verzeichnen bisher Gross­britannien und die USA, wo inzwischen mehrere erkrankte Kinder verstorben sind.

Warum das wichtig ist: Die plötzlich auftretenden Cluster haben die WHO sowie Gesundheits­ämter verschiedener Länder in Alarm­bereitschaft versetzt. Denn die Ursache ist noch völlig unklar. Eine Erkrankung an Hepatitis, also einer Leber­entzündung, erfolgt in aller Regel durch die Hepatitis-Viren A bis E. Nicht so bei den nun erkrankten Kindern: Gemäss WHO war keines mit diesen Viren infiziert. Zudem waren die meisten Kinder vor ihrer Hepatitis-Erkrankung gesund – auch das ist untypisch. Als möglicher Auslöser werden zurzeit vor allem Adenoviren untersucht. Diese verursachen bei Kindern normalerweise Atemwegs- oder Magen-Darm-Erkrankungen und können bei Kindern mit unterdrücktem Immunsystem auch zu einer Leber­entzündung führen. 70 Prozent der erkrankten Kinder sollen positiv auf Adenoviren getestet worden sein. Auch eine Co-Infektion mit Sars-CoV-2 wird von der WHO als mögliche Ursache unter die Lupe genommen.

Was als Nächstes geschieht: Adenoviren sind in Gross­britannien gerade wieder stark verbreitet. Britische Daten sollen deshalb zeigen, ob tatsächlich ein Kausal­zusammenhang mit den Hepatitis-Fällen besteht. Labor­untersuchungen hätten die Hypothese bisher nicht gestützt, sagte Philippa Easterbrook vom globalen Hepatitis-Programm der WHO an einer Pressekonferenz. Antikörper­tests sollen zudem zeigen, ob sich mehr erkrankte Kinder als bisher bekannt zuvor mit Sars-CoV-2 infiziert hatten.

Zum Schluss: Ich glaub, meine Fledermaus surrt!

Wer gern am Wochenende nachts durch die Gassen streift, kennt den Tipp: Willst du nicht angepöbelt werden, pluster dich auf, schau böse, geh breitbeinig. Mach einen auf gefährlich – auch wenn du in einem Hand­gemenge natürlich nicht die geringste Chance hättest. Diese Methode, um sich Feinde vom Hals zu halten, nennt man in der Tierwelt Bates’sche Mimikry. Eine Fledermaus-Art mit dem herzigen Namen Grosses Mausohr hat diese Taktik für sich perfektioniert, wie italienische Forscher in einer Studie zeigen. Um nicht von Eulen gefressen zu werden, surren die Tiere wie Hornissen. Weil die Vögel nicht gestochen werden wollen, bleiben sie fern. Dass Säugetiere Insekten imitieren, und das auch noch akustisch, soll in der Tierwelt eine Premiere sein. Ob es auch hilft, nächtens auf dem Heimweg mit tiefer Stimme rumzubrüllen, oder ob das Angreifer nicht eher noch zum Anpöbeln verleiten könnte, beantwortet die Studie leider nicht.

Was sonst noch wichtig war

Die Top-Storys

Streit um Selbstbestimmung Das Thema Abtreibung wurde in der US-Politik nicht immer so kontrovers diskutiert wie heute. Was Ronald Reagan damit zu tun hat und wie sich Jane Roe, das Gesicht der Abtreibungs­befürworter, selbst zur Gegnerin wandelte, erklärt die «New York Times» in zwei Archivfolgen des Podcasts «The Daily».

Mein Nachbar, der Feind Wie ist es eigentlich, wenn man Tür an Tür mit feindlichen Soldaten wohnt? In einer Siedlung im Kiewer Vorort Irpin wurde dieses Szenario Realität. Nun erzählten die Bewohnerinnen einem «Spiegel»-Reporter vom Besatzungs­alltag zwischen kleinen Gesten der Menschlichkeit und Gewalt­exessen. (Paywall)

Der Heimwerkerkönig exposed Mit lustigen Heimwerker­videos auf Youtube hat sich der deutsche Fynn Kliemann einen Namen gemacht. Inzwischen ist der Unternehmer auch wohltätig unterwegs: Während der Pandemie liess er Masken produzieren. Eine Recherche des «ZDF Magazin Royale» stellt dieses vorgeblich soziale Engagement nun infrage. Zahlreiche Unterlagen sollen zeigen, das Fynn Kliemann nicht der selbstlose Wohltäter ist, den er vorgibt zu sein.


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