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Von bezwungenen Jurahügeln, Sandalen, Hexen und gefallenen Königen

Entdeckungsreisen rund um den Hauenstein, was die neuste Piazza an der Dünnern mit einem kleinen Oltner Wunder zu tun hat und: Frühlingsgefühle im Biswind. Das neue Lokalrauschen.
11. März 2022
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Ferienzeit. Mama im Zug mit ihren zwei Töchterchen auf Exkursion.

Lautsprecherdurchsage: «Nächster Halt: Olten»

«Sind wir schon da?», fragt die ältere Tochter, vielleicht 5-jährig.

«Nein, das ist Olten, wir müssen doppelt so weit fahren», sagt Mama.

«Was ist Olten?»

«Ein Ort. Eine Schweizer Stadt.»

«Was macht man in Olten?»

«Das Gleiche wie in Basel, hier wohnen und leben Menschen.»

Das Mädchen schaut mit grossen Augen in die blendende Morgensonne, welche die Sicht auf die Jurahügel bricht, als der Zug aus dem Hauenstein-Basistunnel rauscht.

Seit gut 100 Jahren verbindet die acht Kilometer lange Röhre das Baselbiet mit dem Mittelland. Der Tunnelbau am Hauenstein hatte schon zuvor Pioniercharakter: Kurz nachdem die Centralbahngesellschaft zur Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden war, vollendete sie am Hauenstein ihr erstes grosses Bauwerk: Der alte Hauenstein-Tunnel, der ins Homburgertal nach Läufelfingen führte, war entstanden. Olten als Kilometer null erhielt mit dieser Verbindung den ersten zentralen Baustein auf dem Weg zum Eisenbahnknotenpunkt.

Auf die Frage, was man in Olten macht, hätte die Mutter auch antworten können: «In Olten steigt man um.»

Was vor der Bahn war, dem widmet sich das Reisemagazin Transhelvetica in seinem neuen Buch «Zeitreisen». Im 2021 publizierten Buch erzählen die Historiker Benedikt Meyer, Marius Kindlimann und Beat Damian auf einer Reise von der Urgeschichte bis in die Moderne kleine Geschichten und verknüpfen sie mit Orten in der ganzen Schweiz. Vom Dinosaurier am Monte San Giorgio über das von Karl dem Grossen gegründete Kloster am äussersten Zipfel der Schweiz bis zu den Wurzeln von Roger Federer ist alles drin. Und eben auch der Hauenstein.

Der gehauene Stein

Bevor die Tunnels gebaut waren, führte die Achse nach Basel viele Jahrhunderte lang über den Berg – über die beiden Hauenstein-Pässe. Da oben durch die grünen Jurahügel, wohin der Blick des Mädchens schweift, als der Zug im Oltner Bahnhof einrollt.

Das war schon in der Antike so, zur Zeit des römischen Reichs. Der untere Hauenstein verband Trimbach mit Läufelfingen. Der Weg über den oberen Hauenstein führte von Oensingen durch die Klus nach Langenbruck und rüber ins Waldenburgertal und von dort bis an den Rhein.

Der Hauenstein erschloss die helvetischen Zentren Aventicum, Vindonissa und Augusta Raurica. Auf ihren langen Reisen konnten die Römer keine Abkürzungen durch Tunnels nehmen. Ihr deshalb wichtigstes Utensil: die Sandalen. Sie ermöglichten den Römern lange und trotzdem – für die damaligen Komfortstandards – beschwerdefreie Reisen.

Aber zurück an den Hauenstein: Wie aus dem kurzen Kapitel im Buch «Zeitreisen» hervorgeht, hatte Cäsar während des Gallien-Feldzugs im grossen Stil Strassen anlegen lassen. Für die «viae militares», die strassenartigen Hohlwege, schlugen die Römer im steinigen Grund ein Strassenbett, das sie mit Sand und Kies kofferten und mit Pflastersteinen deckten. Von diesem aufwendigen Bauprozedere leitet sich der Name «Hauenstein» ab.

Kurz vor der Passhöhe in Langenbruck ist heute noch ein solcher Hohlweg zu sehen. Allerdings sei nach neuer Forschung unklar, ob dieser aus der Römerzeit stammt. Die römischen Truppen sollen aber über diesen Pass gekommen sein, als im Jahr 275 in Augusta Raurica bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten.

Gut möglich, dass die Römer auf dem Weg in den Norden in Ollodunum – dem damaligen Olten Rast machten. Die Aarestadt ist in den römischen Geschichtsquellen zwar mit keinem Wort erwähnt, aber mit Grabungsfunden ist längst nachgewiesen, dass eine bedeutende Siedlung zur Römerzeit bestand.

Metzinas Worte

«Mehr Plätze zum Verweilen, für Menschen statt für Autos» – das wünschen sich unsere Leserinnen und bis heute lautet so der meistbefürwortete Input in unserer nicht repräsentativen Kolt-Abstimmung. Am Fusse der Mühlegasse unterhalb der Altstadt hat Olten eine neu gestaltete Piazza erhalten. Eigentlich war da vorhin schon viel Freiraum. Doch das Beispiel zeigt, wie einfach städtebauliche Räume sich aufwerten lassen: Ein paar Sitzbänke und Bäume auf der gepflasterten, leichtabfallenden Treppe – schon bietet sich eine völlig andere Aufenthaltsqualität.

Der Stadtrat hat dem aufgewerteten Platz den Namen einer Oltnerin gegeben, die Ende des 14. Jahrhunderts in einem Hexenprozess freigesprochen wurde: Metzina Wächter.

Als 1383 Berner und Solothurner Truppen vor der Stadt standen, soll der Graf Berchtold von Kyburg – damaliger Herrscher über die Stadt – Metzina Wächter gerufen haben. Sie soll auf seine Bitte hin an die Zinne der Ringmauer gestanden sein und ein paar Worte gesprochen haben. Ein Unwetter brach aus – die Belagerer sahen sich zum Abzug gezwungen.

Solothurn verdächtigte Metzina Wächter daraufhin der Hexerei und klagte sie an. Dank der Fürsprache einiger einflussreicher Solothurner Frauen wurde sie aber nicht verurteilt. Sie musste jedoch «Urfehde» schwören – ein Versprechen, nie wieder einen Schadenzauber auszusprechen.

«Von dem grossen Regen, der zu Olten mit Zauberie gemacht ward»: die einzige bildnerische Darstellung in der Berner Diebold-Schilling-Chronik von 1478-1483

Biswind und die alljährliche Frage zum Hockeyklub

Im Städtlein kündigt sich derweil sachte, aber unverkennbar der Frühling an. Das ist dann, wenn sich die halbe Stadt wieder einmal fragt, ob es nun denn dem Eishockeyklub dieses Jahr zum Titel reicht oder ob das Warten nach bald drei Jahrzehnten weitergeht. Und dann, wenn draussen wieder Leben einkehrt.

Neues kommt, Altes kommt zurück. In Olten Südwest baut Karls Kühne Gassenschau seine Bühne wieder auf. Im Kleinholz ist mit der Minigolfanlage fast schon ein Denkmal verschwunden. Pumptrack, so heisst hier die Zukunft. Eine hügelige, kurvige Bahn für Velos und sonst allem, was auf zwei Rädern rollt. Ein kleiner Vergnügungspark.

Selbst auf der ewig «verbotenen Wiese» direkt unter dem Koltbüro regte sich in diesen Tagen was. Dieser kleine grüne Fleck neben der Badi, den die Stadt jahrelang eingezäunt gelassen hatte, erfuhr kürzlich wahrhaftiges Leben. Zwei Menschen spielten das nordländische Spiel Kubb. Da stand ein hölzerner König mitten auf dem Feld und wurde trickreich mit Holzscheiten beworfen.

Solche Sachen machen die Menschen in Olten eben, wenn der Frühling naht.


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