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Warum gefällt es den Tauben so in Olten?

Sie fliegen über den Dächern und gurren auf den Plätzen Oltens. Den Tauben gefällt es hier. Gründe dafür sind ein passionierter Taubenwart und die Stadttauben-Politik Oltens.
11. April 2022
Text: Livia Stalder*, Fotografie: Timo Orubolo

Stadttauben sind vielen Stadtmenschen ein Gräuel. Tauben sind gruusig, sagen sie. Tauben koten überall, sagen sie. Tauben verbreiten Krankheiten, sagen sie. Wenig schmeichelhaft werden sie die Ratten der Lüfte genannt. Doch eigentlich tun wir den oft mausgrauen Vögeln unrecht. Denn Stadttauben sind keine Wildtiere, sondern alleingelassene Haustiere.

Vor langer Zeit haben die Menschen Felstauben domestiziert. Für ihr Fleisch, für ihren Orientierungssinn, für ihren Kot. Als Dünger genutzt, war Taubenkot ein wertvolles Gut. Dank ihres Orientierungssinns konnten sie als Brieftauben eingesetzt werden. Der Mensch wollte damals noch möglichst viele Tauben auf engem Raum und züchtete sie entsprechend. Stadttauben sind deshalb sehr fruchtbar und ohne Dominanzverhalten.

Im Laufe der Zeit waren die Tauben nicht mehr nützlich und wurden sich selbst überlassen. Sie blieben den Städten treu, denn hier fanden sie Futter, Nistplätze und konnten bei den Menschen sein.

Doch diese Verwilderung hat mehrere Haken. Tauben, um die sich niemand kümmert, sind unterernährt, immungeschwächt und leben unter unhygienischen Bedingungen. In den Städten picken sie, was sie finden, und das ist nicht unbedingt das, was ihnen gut bekommt. Es führt zum Hungerkot, der flüssig ist und den öffentlichen Raum verschmutzt. Der Kot von gut genährten Tauben aber ist fest und klein.

In den Städten gibt es immer wieder grosse Ansammlungen von Tauben. Nämlich dort, wo sie nisten können. Ohne Dominanzverhalten wird es an diesen Orten immer enger und dreckiger. Die Tiere werden krank. Unkontrolliert vermehren sie sich rasend schnell, auch wenn sie unterernährt sind.

Ein Taubenpaar hat nicht selten bis zu zehn Taubenbabys pro Jahr. So wächst die Population stetig. Im Jahr 2006 lebten in Olten über 4’000 Tauben. Immer wieder hat die Stadt versucht, das Problem in den Griff zu kriegen. Doch Tötungsaktionen und Verhütungspillen für die Tauben blieben ohne Erfolg und waren aus tierrechtlicher Sicht problematisch.

Also initiierte die Stadt Olten 2007 eine Kampagne zur Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung und richtete zwei öffentliche Taubenschläge ein. Durch die gezielte Betreuung konnte die Taubenpopulation in kürzester Zeit kontrolliert werden und zählt mittlerweile rund 300 Tiere. Die Stadt ist zufrieden mit der Entwicklung. Reklamationen gäbe es nur noch wenige, sagt sie auf Anfrage. Die riesigen Schwärme sind verschwunden und die Tauben in Olten sind gesund und glücklich.

Rund die Hälfte der Population findet ein Zuhause in den zwei betreuten Taubenschlägen im Bifang- und Hübeli-Schulhaus und ist somit in den Händen des Taubenwarts Giuseppe Graziano. Seit 60 Jahren kümmert er sich leidenschaftlich um Tauben.

«Tauben haben mich schon immer fasziniert», sagt er. «Als kleiner Junge hatte ich meine ersten Tauben. Ich habe sie immer wieder freigelassen und versucht, vor ihnen zu Hause zu sein. Sie waren jedes Mal schneller.»

Der Oltner Taubenwart bringt ungeheuer viel Erfahrung mit. Im Taubenschlag im Dachstock des Hübeli-Schulhauses ist es geräumig, ordentlich und sauber. Bei seinen regelmässigen Besuchen versorgt er die Tiere mit Wasser und artgerechtem Futter. Rund 80 Prozent ihres Kotes scheiden sie im Taubenschlag aus, der regelmässig gereinigt wird. So bleibt die Stadt sauber.

In einer Ecke stehen die Tauben und schauen uns etwas scheu, aber interessiert an. «Tauben sind gesellige und gwundrige Tiere», sagt Giuseppe Graziano. In den kleinen Brutschalen liegen sorgfältig drapierte Zweige. Ab und zu begegnet man verschreckten Augen von Taubenbabys. Es sind immer zwei. Der Oltner Taubenwart tauscht viele der Eier mit Gipsattrappen aus. Dadurch kann er genau kontrollieren, wie viele Tauben pro Jahr schlüpfen, und hat die Population im Griff.

Ab und zu brauchen die Taubenpaare aber eine erfolgreiche Brut. «Sie realisieren sonst, dass etwas nicht stimmen kann, und suchen sich einen neuen Nistplatz», sagt Giuseppe Graziano. Dies gilt es zu verhindern, damit er sich um sie kümmern kann.

Tauben bleiben ihrem Nistplatz in der Regel ein Leben lang treu und auch ihr erwachsener Nachwuchs kehrt für die Brut zurück. Neben Nistplätzen finden sie hier auch einen Ruheort. Auf den an die Wand geschraubten Dreiecken schlafen sie. Dank dieser Konstruktion bleiben sie von fallendem Kot verschont.

Der Taubenschlag ist ihr Zuhause mit Giuseppe Graziano als Taubenvater. Dank seiner Erfahrung erkennt er, wenn eine Taube krank ist. Nicht selten nimmt er sie bei sich zu Hause auf und pflegt sie, bis sie genesen ist. Im vergangenen Winter grassierte die Vogelgrippe. Seine Schützlinge sind alle geimpft.

Weniger, dafür gesunde Tauben war und ist die Devise der Stadt Olten. Es scheint zu funktionieren und dies nicht nur zum Vorteil der Menschen, sondern vor allem zum Vorteil der Tiere.

Den Stadttauben gefällt es in Olten, weil sie ein Zuhause haben und weil sie gesund und munter sind.

*Livia Stalder hat früher in Olten Ballett getanzt und ihr erstes Geld – äs Füfzger-Nötli – als Journalistin bei Kolt verdient. Heute tanzt sie in Zürich zu Techno, kommuniziert für eine NGO in Bern und schreibt Kolumnen für Kolt.


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