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«Warum stehen wir beim Kanton nicht hin und sagen, was wir wollen?»

Olten steht vor wegweisenden Jahren und grossen Investitionen. Wie können die Stadtfinanzen diesem Druck standhalten? Felix Wettstein und Urs Knapp blicken im Streitgespräch zurück und entwerfen ihre Zukunftsstadt.
12. November 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Felix Wettstein und Urs Knapp im Wortgefecht.

Im Oltner Parlament gehören sie zu den grauen Männern. Wer sie im Gemeinderat in der Konfrontation erlebt, könnte meinen, dass die beiden nicht viel mehr als das fortgeschrittene Alter und die Liebe zu Olten eint. Felix Wettstein (Grüne) und Urs Knapp (FDP) sind auf der Oltner Politbühne die weisen Dinosaurier. Sie kämpfen im Parlament für ihre Anliegen, die scheinbar diametral verschieden sind. Wir haben die beiden Vollblutpolitiker zusammengebracht. Auch um zurückzuschauen, aber hauptsächlich, um in die Zukunft zu blicken, welche vor allem die ihnen nachkommenden Politikerinnen gestalten werden. Und siehe da: Urs Knapp und Felix Wettstein haben doch mehr gemeinsame Nenner als gedacht.

Wer von den Finanzen einer Stadt spricht, spricht über die künftige Entwicklung. Was braucht Olten, um lebenswert zu sein?

Urs Knapp: Eine Stadt ist dann lebenswert, wenn sie nachhaltig ist. Es kann nicht sein, dass die heutige Generation der künftigen Generation eine Stadt hinterlässt, die schiefe Finanzen hat.

Und wenn ich Sie nach konkreten Bauprojekten frage?

Knapp: Wir müssen uns zuerst überlegen, was diese Stadt sein soll. Soll es eine Stadt sein, die wächst? Eine Stadt, die bestimmte Gruppen anzieht? Das sind Fragen, die wir nun endlich in der Ortsplanungsrevision diskutieren. Meiner Meinung nach ist der ganze Bahnhofsplatz – als Visitenkarte der Stadt – ein zentraler Punkt. Aber auch das Schulhaus im Kleinholz benötigen wir dringend.

Was sind Ihre Vorstellungen, Herr Wettstein?

Felix Wettstein: Ich kenne niemanden, der gegen das Prädikat «nachhaltig» ist. Man kann nachhaltig so definieren, wie Urs es tut. Ich möchte es ergänzen. Wer die Definition von Urs als die einzig mögliche sieht, hinterlässt vielleicht keine Schulden in Geldform, aber schlechte Substanz. Das ist meine Hauptkritik an der Finanzpolitik der letzten Jahre, die Gegenwart eingeschlossen. Wir vernachlässigen die Substanz, weil wir ständig das Geld nicht ausgeben wollen.

Präzisieren Sie. Wo hat die Stadt zu viel gespart?

Wettstein: Zum Beispiel bei der Umgebungsgestaltung von öffentlichen Bauten, aber auch bei Fussgänger- und Velopassagen, welche die Stadtteile verbinden und den Aarezugang erschliessen sollten.

Knapp: Wer durch die Stadt läuft, sieht nicht vernachlässigte Strassenzüge. Die Stadt hat selbst in den sehr schwierigen Jahren 2013-2016 hohe Investitionen getätigt. Olten hat momentan mit rund 16 Millionen Franken eine mittlere Investitionstätigkeit und liegt somit höher als der Durchschnitt der Schweizer Städte mit bis zu 30’000 Einwohnern. Wir können darüber diskutieren, ob man am richtigen Ort investiert hat.

«Aber mal etwas Besonderes machen, was wagen und eins aufs Dach kriegen, das mögen wir nicht.»

Urs Knapp

Pflichten Sie bei, Herr Wettstein?

Wettstein: Wenn ich in anderen Kleinstädten des Mittellands zu Besuch bin, aus dem Bahnhof komme und durchs Zentrum gehe, merke ich, dass in den letzten Jahren – gesteuert durch die öffentliche Hand – mehr geschehen ist als bei uns. Wir haben im Vergleich zu anderen Städten eine schlechtere Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Wir sind in dieser Hinsicht stehen geblieben.

Im Nachhinein weiss man vieles besser. Wo hätte denn die Stadt investieren müssen?

Knapp: Ich habe manchmal den Eindruck, dass man es in dieser Stadt immer allen recht machen will. Niemand will sich wirklich exponieren. Bei der Debatte zum Bahnhofsplatz hatte ich auch wieder das Gefühl: Wir versuchen das Projekt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Dabei ist er eine wichtige Visitenkarte. Wenn wir schon umbauen, müssten wir uns auch fragen: Wie machen wir eine Veloverbindung? Ob es der Posttunnel ist, weiss ich nicht. Oder statt eines Dächleins könnten wir was architektonisch Ausgefallenes machen. Wir haben manchmal einen Minderwertigkeitskomplex in dieser Stadt. Natürlich ist sie nicht «schön». Der Jura ist nah und das ist gut. Aber mal etwas Besonderes machen, was wagen und eins aufs Dach kriegen, das mögen wir nicht. Das bildet sich wohl auch in den politischen Strukturen ab.

Dann liegts ja an Ihnen.

Knapp: Natürlich. Wir engagieren uns beide mit sehr viel Herzblut für diese Stadt – Felix noch weiter oben. Ich hab mich schon oft gefragt: Was hätten wir anders machen können? Haben wir genug miteinander geredet? Olten Südwest ist so ein Beispiel. Das hätte anders laufen müssen. Wir haben alles abgesegnet.

Wettstein: Die Stadt hätte das Areal übernehmen müssen.

Knapp: Wir hatten den Mut nicht.

Wettstein: Wir Parlamentarier hatten keinen Einfluss. Die Regierung schon.

Knapp: Für 50 Franken pro Quadratmeter hätte die Stadt das Land gekriegt.

Wettstein: Da möchte ich anknüpfen: 23 Hektaren wären sehr günstig zu haben gewesen. Das Areal hätte nicht immer bei der Stadt bleiben müssen. Sie hätte das Land beispielsweise im Baurecht weitergeben können. Mit ein Grund, warum die Stadt die Verantwortung nicht übernahm, war die Angst vor dem Verwaltungsaufwand. Da hiess es: «Wir haben das Personal gar nicht.» Und das ist verkehrt. Es stimmt: Wir haben zu wenig Personal im Planungs- und Baubereich. Darum hinken wir auch mit den spruchreifen Bauprojekten um Jahre hinterher.

Sehen auch Sie dieses Manko?

Knapp: Werden mit dem bestehenden Personal die richtigen Prioritäten gesetzt? Das frage ich mich, wenn ich höre, wie von links bis rechts Investoren – auch kleine – über die Baudirektion klönen, deren Hauptaufgabe es scheinbar ist, zu verhindern. Für Grossprojekte wie den Bahnhofplatz, der alleine für die Planung 9 Millionen Franken benötigt, muss das Personal beantragt werden. Aber dieses muss nicht im Stadthaus angestellt sein. Das sind so spezifische Aufgaben, da können wir nie alle Fachleute hier anstellen. Die zentrale Frage: Was benötige ich für ein Leuchtturmprojekt?

Wettstein: Urs Knapp ist Weltmeister darin, Fragen zu stellen und zu mahnen, die richtigen Fragen zu stellen. Er gibt aber nie die Antwort darauf.

Knapp: Das stimmt nicht. Eben gab ich eine klare Antwort: Die Stadt muss Externe verpflichten.

Wettstein: Nur schon dafür, dass die Stadt gegenüber den externen Fachkräften ihre Interessen vertreten kann, benötigt es mehr Angestellte. Beispiele gibt’s viele: Das Schulhaus im Kleinholz müsste längst stehen. Die Kinder sind da und im Schulalter.

Knapp: Aber es wurde nie gesagt, das Schulhaus stehe wegen zu wenig Angestellten nicht.

Wettstein: Ich kann auch ein anderes Beispiel anführen: Die Dünnernbrücke bei der Mühlegasse haben wir mit sechs Jahren Verzögerung saniert.

Jedes Jahr präsentiert die Stadtregierung im Finanzplan ein 7-jähriges Programm. Ein bunter Strauss an Projekten. Sie wünschen sich jeweils einen klareren Fokus, Herr Knapp.

Knapp: Ich rege mich jedes Jahr darüber auf. Es ist eine Auflistung davon, was man machen könnte. Der Finanzplan ist ein Quell von Ärger, weil er Hoffnungen schürt. Man schaut nicht, ob wir uns dies leisten können. Als Beispiel: Dieses Jahr ist ein neues Bühnenhaus fürs Stadttheater aufgeführt. Nach der Abklärung geschieht dann vier Jahre nichts. Es kann nicht sein, dass Olten in den nächsten sieben Jahren 116 Millionen Franken investiert. Das können wir uns nicht leisten. Wir müssten uns fragen, was in unseren Möglichkeiten ist und auf gewisse Projekte verzichten. Das ist schmerzhaft und vor den Wahlen noch viel schwieriger.

Wettstein: 116 Millionen reichen nicht! Eben weil Olten in der Vergangenheit Investitionen verpasst hat. Dazu gehört die Werterhaltung. Sie machte in den letzten Jahren weit mehr als die Hälfte der Investitionen aus. Und trotzdem leistete die Stadt zu wenig für den Werterhalt. Im Übrigen ist der Finanzplan nach hinten ungenauer. Das ist völlig normal. Das Jahr mit dem höchsten Investitionsvolumen muss immer dasjenige sein, das demnächst anbricht. Im Wissen darum, dass in den folgenden Jahren weitere noch nicht bezifferbare Dinge anstehen. Ein Beispiel sind die Sportanlagen. Was uns in den letzten Jahren faktisch Millionen kostete, erschien nie mehr als zwei Jahre vorher im Finanzplan.

Würden auch Sie sich mehr Leuchtturmprojekte wünschen?

Wettstein: Den fehlenden Mut, den Urs ansprach, teile ich. Ich wünsche mir, dass die Stadt entscheidet, was sie zur Reife bringen will. Aber es ist nicht so, dass wir mit 116 Millionen innert sieben Jahren übermütig wären. Mit 140 Millionen sind wir noch immer bei einer mittleren Investitionstätigkeit. Selbst wenn eine Grossstadt ein Schulhaus baut, liegt sie in dieser Zeit üblicherweise im Bereich «hohe Investitionstätigkeit». Oder wenn sie einen Bahnhofsplatz realisiert. Neben anstehenden Grossprojekten können wir den Werterhalt nicht schleifen lassen.

Knapp: Die Stadt kommt mit 116 Millionen Franken auf einen Nettoverschuldungsquotienten von 135 Prozent (der Quotient gibt an, welcher Anteil der Steuern notwendig wäre, um die Nettoschuld zu tilgen, Anm. d. Red.). Wenn du über 150 Prozent bist und noch mehr investieren willst, müssen die neuen Investitionen mindestens zu 80 Prozent selbstfinanziert sein. Im neuen Finanzplan sind wir bei rund 40 Prozent. Was wir entscheiden können, ist, wie wir das Geld einsetzen wollen. Wenn ich durch Olten laufe, habe ich nicht das Gefühl, ich sei in einer Drittweltstadt. Mir fallen keine Ziegel auf den Kopf.

Wettstein: Im Moment sind wir froh, dass der Ländiweg abgesperrt ist. Du gehst wohl nie dort durch.

Knapp: Das ist mir zu gefährlich. Ich will doch nicht in der Aare landen (lacht).

«Wenn es in nächster Zeit schwieriger wird, hat dies mit der kantonalen Steuerpolitik zu tun.»

Felix Wettstein

Zurück zum Finanzplan. Was die Steuereinnahmen betrifft, skizziert die Verwaltung ein düsteres Zukunftsbild.

Wettstein: Die düsteren Aussagen gründen auf jenen Faktoren, die von uns nicht beeinflussbar sind. Wenn es in nächster Zeit schwieriger wird, hat dies mit der kantonalen Steuerpolitik zu tun. Im Bereich der juristischen Personen erwartet uns im übernächsten Jahr die Hälfte der jetzigen Einnahmen (aufgrund der Unternehmenssteuerreform, Anm. d. Red.). Und für die Steuern der natürlichen Personen gibt es Bestrebungen, die etwas Ähnliches wollen (Die Volksinitiative: «Jetz si mir draa», Anm. d. Red.).

Knapp: Ich finde es abgesehen davon ein komisches Zeichen, wenn man Schiss hat, im November vor den Wahlen eine Vorlage zur Abstimmung zu bringen.

Wettstein: Den finanziellen Spielraum auf der Einnahmenseite durch Unternehmenssteuern bestimmen andere. Darum ist entscheidend, was wir daraus machen. Im ersten Finanzgrundsatz in unserem Buch zum Budget, das wir jedes Jahr erhalten, steht sinngemäss: Die Stadt Olten muss sich jene Einnahmen sichern, die es für die Bedürfnisse der Bewohnerinnen benötigt. Damit ist der Steuerfuss gemeint.

Darüber müssen wir sprechen.

Wettstein: Der Steuerfuss ist mit 108 Prozent viel zu tief. Weit tiefer als dies für eine Stadt mit Zentrumsfunktion wie Olten angemessen ist. Wir haben keine reiche soziale Schicht, aber sie liessen sich auch in jener Zeit der tiefen Steuern nicht anlocken. Die Menschen ziehen aus praktischen Gründen nach Olten. Wir tun immer, als ob wir mit dem Steuerfuss bewirken könnten, plötzlich gleich reich zu sein wie Gemeinden am Zugersee oder an der Goldküste. Aber wir haben kein Seeufer.

Herr Knapp, Sie verfechten alle Jahre wieder den tiefen Steuersatz.

Knapp: Wir müssen schauen, wo wir im Umfeld stehen. Das ist nicht Zug oder Nidwalden. Unsere Konkurrenzstädte sind andere: Sissach, Liestal, Aarau, Baden, Zofingen, Sursee, Langenthal, Burgdorf und Solothurn. Neulich hat eine Immobilienberatungsfirma ein Ranking erstellt, in welchem Olten im Vergleich mit den Konkurrenzstädten vor Langenthal auf dem vorletzten Platz landete. Ein Grund dafür: Die Steuerbelastung. Vor allem Ein- und Zwei-Personen-Haushalte bezahlen in Olten Steuern. Zum einen Menschen, die lange hier wohnen. Mehrheitlich aber Menschen, die hinziehen. Und wir schaffen es nicht, sie hier zu behalten. Das erlebe ich immer wieder bei Arbeitskollegen.

Wettstein: Das hat sich geändert. Meine Frau und ich halten Olten seit 25 Jahren die Stange. Gutverdienende Menschen bleiben vermehrt. Den Traum vom freistehenden Einfamilienhaus im Grünen träumen heute nicht mehr so viele.

Knapp: Man träumt vielleicht von Aarau, von Baden oder Sursee. Dann nämlich, wenn eine Familie merkt, dass sie dort 5000 Franken weniger Steuern bezahlt.

Wettstein: Das sind eben nur jene, die wie Urs denken. Sie überlegen nicht, dass sie in Aarau 8000 Franken mehr fürs Wohnen bezahlen müssen. Oltens positive Entwicklung der letzten Jahre zeigt sich übrigens daran, dass der Stadtrat in seinen Prognosen die Steuereinnahmen der natürlichen Personen immer unterschätzte. Bei gleichbleibendem Steuerfuss stiegen die Einnahmen der natürlichen Personen etwas stärker als das Bruttoinlandprodukt.

Knapp: Aber wir müssen die Steuerstruktur anschauen. 25 Prozent der natürlichen Personen zahlen nur die Kopfsteuer. 15 Prozent der Steuerpflichtigen kommen für die Hälfte der Steuereinnahmen auf. Bei den juristischen ist’s noch extremer. In Olten zählen wir 1600 juristische Personen. Drei Unternehmen bezahlen 40 Prozent der Steuern. Zu diesen müssen wir Sorge tragen: Wenn ein Unternehmen geht, dann müssen wir unglaublich viele andere anziehen, um dies zu kompensieren.

Wettstein: Das ist nichts Neues. Bis 2012 hatten wir ein viel extremeres Klumpenrisiko. Ein Unternehmen (die Alpiq, Anm. d. Red.) machte fast ein Drittel der Steuereinnahmen aus. Schlagartig gingen 2013 die Einnahmen von 40 Millionen auf nur noch 12 Millionen Franken zurück. Und zur Kopfsteuer: Im Kanton Solothurn verlangt eine Handvoll Gemeinden 50 Franken, Olten gehört dazu. In den meisten beträgt die Kopfsteuer 20 Franken – 39 Gemeinden verzichten ganz auf diese unsoziale Steuer. Als Oltner schäme ich mich.

Knapp: Warum denn? Jede Person, die 50 Franken bezahlt, bezieht ein Mehrfaches an städtischen Leistungen.

Wettstein: Für eine vierköpfige Familie nahe am Existenzminimum schenken 200 Franken ein. Steuern haben eine Solidarfunktion. Das ist politisch gewollt und das sollten wir verteidigen.

Knapp: Für mich ist die Kopfsteuer der Betrag, den man bezahlt, wenn man in Olten wohnt.

Wettstein: Dann sollte er sich bitte nicht nur auf das Wohnen in Olten beziehen, sondern auch auf den Tag in Olten. Wer hier arbeitet, bezieht auch eine Leistung der Stadt, bezahlt aber hier keine Steuern.

Knapp: Indirekt schon. Die Swisscom bezahlt hier nach Anzahl Angestellten einen Steuerbetrag.

Wettstein: Den Gedanken finde ich spannend: Wer profitiert von den städtischen Leistungen und wer trägt dazu bei? Eine Kleinstadt mit einer Lage wie Olten erbringt Leistungen, die etlichen Zugpendlerinnen zugutekommt. Meine persönliche Vorstellung wäre: Ich schulde meine kommunalen Steuern zu zwei Drittel dem Wohnort, zu einem Drittel dem Arbeitsort.

Knapp: Das wäre Bundesrecht. Der Hauptgraben ist zwischen Stadt und der Agglomeration beziehungsweise dem Land.

Wettstein: Es ist immer so: Wer einen bisherigen Zustand durch einen gerechteren auflösen will, stösst auf Widerstand bei jenen, die mehr bezahlen müssten.

Eine Möglichkeit, um städtische Infrastruktur zu stemmen, wäre die Fremdfinanzierung: Wäre für Sie denkbar, dass die Stadt etwa eine Dreifachturnhalle mit Unterstützung von Privaten erbaut?

Knapp: Wenn sich eine Möglichkeit ergibt, warum nicht? Manchmal sollten wir ein wenig spinnen: Man könnte den Munzingerplatz fünf- oder sechsstöckig überbauen. Die unteren beiden Stockwerke fürs Kunstmuseum, oben ein privater Investor, der Geld verdienen kann. So kommen wir gratis zu einem Museum und gleichzeitig können wir vorne den Platz vergrössern. Unten machen wir eine Garage rein.

Wettstein: Wenn jemand mitfinanziert, ist dies zu begrüssen. Das Dümmste, was eine Stadt machen kann, ist aber, den Besitz aus der Hand zu geben. Das gilt nicht nur für Gebäude an zentraler Lage, sondern auch für innerstädtische Verbindungen – siehe Winkelunterführung. Wir könnten sagen: «Das ist doch egal, wenn ein Privater die Dreifachturnhalle baut.» Als Beispiel haben wir die Giroud-Olma-Halle: Wenn wir hochrechnen, was der Kanton jährlich bezahlt, um dort das Lehrlingsturnen stattfinden zu lassen, haben die Eigentümer die Halle wahnsinnig schnell amortisiert. Darum: Städtische Infrastruktur gehört in den Besitz der Allgemeinheit.

Knapp: Das würde heissen: Du wärst für den Verkauf der Kirchgasse 8. Wenn dort kein Museum mehr drin ist, hat es keine öffentliche Nutzung mehr.

Wettstein: Wir haben ganz bestimmt künftige öffentliche Nutzungen dort zu realisieren. Nebst der Frage, ob man das Gebäude selbst nutzt, spielt auch die städtebauliche Situation eine wichtige Rolle. Grund und Boden lässt sich nicht vermehren, daher soll er in der öffentlichen Kontrolle bleiben.

Knapp: Mit dieser Maxime ist eine Public-Private Partnership (Fremdfinanzierung durch Dritte, Anm. d. Red.) unmöglich. Das widerspiegelt eine Weltanschauung, die ich falsch finde: Die Stadt weiss es angeblich immer besser. Ein Privater will immer nur Profit machen.

Wettstein: Es gibt auch andere Beispiele. Aber Immobilien leben oft länger als die aktuelle Nutzung. Daher macht es an strategisch wichtiger Lage Sinn, dass die Stadt die Nutzung steuert.

«Warum stehen wir beim Kanton nicht hin und sagen, was wir wollen?»

Urs Knapp

Zum angesprochenen Kunstmuseum: Sie fordern einen klareren Plan, wohin die Stadt will. Das Parlament hat eine halbe Million für den Architekturwettbewerb gesprochen. Rund 14 Millionen Franken wird das neue Kunstmuseum die Stadt kosten. Ist dies einer Ihrer geforderten Leuchttürme?

Wettstein: Ja. Das Museum gehört zu jenen Projekten, bei welchen nicht viel Zeit verstreichen darf.

Knapp: Was macht ein Kunstmuseum in Olten? Und ist ein Kunstmuseum wertvoller als ein Bühnenhaus im Stadttheater? Das wären Fragen, die wir uns stellen müssten. Wir haben einfach nicht die Finanzen für alles. Wenn wir ein Kunstmuseum wollen, warum dort? Könnte dieser Ort nicht ein Entwicklungsnukleus für mehr sein? Jede öffentliche Einrichtung in Olten muss eine Strahlkraft haben, die etwas bewegt. Dazu vermisse ich bis jetzt das Konzept.

Wettstein: Du sprichst dich gegen ein Kunstmuseum in Olten aus. Sag es doch einfach.

Knapp: An diesem Standort ist es weder Fisch noch Vogel. Was soll das Kunstmuseum in Olten speziell bewirken?

Wettstein: Und ich sage einmal mehr: Du stellst nur Fragen. Sag doch du, was du willst.

Knapp: Wenn wir ein Kunstmuseum machen, muss es über die ganze Deutschschweiz leuchten. Bringen wir dies nicht fertig, brauchen wir kein Kunstmuseum.

Wettstein: Das sehe ich nicht gleich. Ich wünsch mir auch, dass es leuchtet. Teilweise hat das Museum dies auch geschafft. Aber ein Kunstmuseum besteht nicht bloss aus aktuellen Ausstellungen. Es hat eine wichtige Funktion zum Erhalt des kulturellen Erbes. Das ist viel Arbeit und benötigt Platz.

«Es stimmt nicht, dass wir eine arme Stadt sind.»

Felix Wettstein

Einige argumentieren salopp und sagen: «In Olten steht ohnehin vieles leer, also haben wir lieber ein Kunstmuseum.»

Knapp: Dies lässt sich auch umdrehen. Was das Kunstmuseum an kulturell-historischer Arbeit macht, muss nicht an bester Lage geschehen. Wir könnten Pop-up-Ausstellungen machen, die nach allen Kulturexperten deutlich mehr Erfolg haben. Eine Sonderausstellung im ehemaligen Globus, dann wieder eine an einem anderen Standort.

Wettstein: Auf meinen Ferienreisen schätze ich den Wert von Multisparten-Museen, die nebeneinander stehen. Ich kann entscheiden: heute gehe ich ins Historische, morgen ins Kunstmuseum. Das treffe ich etwa in Schaffhausen an. Überdies hat die politische Debatte stattgefunden. Wir wollen die drei kommunalen Museen in unmittelbarer Nachbarschaft, weil sie voneinander profitieren.

Wenn wir zur Finanzstrategie zurückkehren. Wie könnten wir auf eine klarere Vision kommen?

Wettstein: Mit einem anderen Reden über unsere eigene Stadt. Es stimmt nicht, dass wir eine arme Stadt sind. Wir sind zwar keine hyperreiche Stadt. Inzwischen sind wir aber finanziell gut aufgestellt, können uns etwas leisten. Das dürfen wir laut und deutlich sagen. In den Jahren 2013-14 hatten wir einen absoluten Taucher, aber jetzt müssen wir uns von diesem Bild lösen, das da herumgeboten wird. Wir können uns jetzt auf den Weg machen, um die Stadt auf Vordermann zu bringen.

Was haben Sie diesem Optimismus zu entgegnen?

Knapp: (lacht) Ich wünsche mir auch mehr Selbstbewusstsein. Dann würde sich eine Stadt nicht so aufregen, wenn Deville eine komische Sendung macht. Wir werden nie New York und auch nicht das Seefeld-Quartier in Zürich sein.

Wettstein: Und auch kein Montreux.

Knapp: Wenn schon, dann eher das Lavaux nebenan. Das wär doch was (lacht). Wir sollten mal ausserhalb der Box denken. Ich habe das Gefühl, wir sind noch immer das Land-Städtlein vor 600 bis 700 Jahren, das von der Ambassadorenstadt geprügelt wurde. Warum stehen wir beim Kanton nicht hin und sagen, was wir wollen?


In welchen Punkten möchtest du Urs Knapp und Felix Wettstein widersprechen oder beipflichten?

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