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Wie zwei Teenager in der Dreitannenstadt ihre Spuren hinterliessen: Ein Experiment in Zahlen

Zwei kanadische Jungtalente haben den EHC Olten in den Fokus der Eishockeywelt rücken lassen. Die Geschichte von Mason McTavish und Brennan Othmann erzählt viel über den Eishockeysport. Mit ihr starten wir unsere monatliche Sportrubrik.
3. April 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo, Illustration: Roger Lehner

Es ist Ende November 2020, als das Oltner Tagblatt schreibt: «EHC-Olten-Sportchef Marc Grieder greift in die Trickkiste und holt aus Nordamerika einen talentierten Junior, der das Ausländerkontingent nicht belastet.»

Brennan Othmann heisst der Bursche. 17 Jahre jung ist er damals noch. Mit Schlittschuhen an den Füssen und einem Stock in den Händen ist er aufgewachsen. Während viele in seinem Alter noch nicht wissen, was mal aus ihnen werden wird, dreht sich in seinem Leben alles um Eishockey. Seine Zukunft ist vorgezeichnet: Eishockeyprofi ist sein Ziel. In die National Hockey League (NHL), die beste Eishockeyliga der Welt, soll er es schaffen. In Toronto am Lake Ontario, wo er herkommt, ist der Sport auf Eis mit schwarzer Hartgummischeibe Religion. Die grössten Talente wie Brennan Othmann spielen in der Ontario Hockey League (OHL) – einer der wichtigsten Juniorenligen Nordamerikas. Doch wegen des Coronavirus findet keine Meisterschaft statt.

Als die Oltner Profimannschaft im Oktober wegen Covid-19-Fällen in Quarantäne weilt, ruft Sportchef Marc Grieder seinen schwedischen Cheftrainer Fredrik Söderström an. Was er davon halten würde, zwei Teenager aus Kanada im Team zu haben, fragt er ihn. Die Eishockeywelt ist klein; jeder kennt jemanden, der den anderen kennt. Söderström ruft den Sohn seiner Schwester an, der in derselben Liga wie Othmann und McTavish spielt, um mehr über die beiden Jungtalente zu erfahren. Der Schwede willigt in das Experiment ein.

Brennan Othmann jagt am Tag nach dem Playoff-Halbfinaleinzug dem Puck hinterher. Mason McTavish sieht zu.

Und so steht Brennan Othmann, der schmächtige Junge, der er neben dem Eis ist, im November in Vollmontur auf dem Eis im Oltner Kleinholz. Schon sein Onkel Robert drehte hier seine Runden auf Kufen. Und Papa Gery spielte bis 2001 in der Schweiz. Weil die Grossmutter Schweizerin ist, erhielt er den Schweizer Pass.

Eigentlich hätte mit Mason McTavish ein zweiter Teenager nach Olten kommen sollen. Weil er keinen Schweizer Pass hatte, durfte er aber nicht ausreisen, bevor er volljährig war. Also folgt er erst Anfang Februar dem Beispiel Othmanns. Die Vitae der beiden weisen viele Parallelen auf. Auch bei McTavish dreht sich alles um Eishockey. Sein Vater Dale McTavish verdiente viele Jahre in der höchsten Schweizer Liga sein Geld.

«Die Leidenschaft, die die beiden für diesen Sport zeigen, hat mir am meisten imponiert», sagt Cheftrainer Fredrik Söderström, nachdem Olten im Viertelfinal den HC Sierre in vier Spielen eliminiert hat. Er fügt an: «Mit ihrer Leidenschaft haben sie selbst die Erfahrensten unter uns inspiriert.»

Obwohl noch nicht lange in Olten, verlassen die beiden Kanadier die Dreitannenstadt bereits wieder. Wenn das Heimatland Kanada ruft, können die Eishockeyspieler nicht Nein sagen. Ende April nehmen sie mit Kanada an den U18-Weltmeisterschaften teil. Aus der Ferne werden die beiden mitverfolgen, wie sich Olten im Halbfinal gegen Kloten schlägt. Mason McTavish und Brennan Othmann haben im Kleinholz in kurzer Zeit ihre Spuren hinterlassen. Wie lange man sich in Olten noch an ihr Gastspiel erinnern wird, hängt auch davon ab, ob sie es in Nordamerika dereinst zu grossen Stars schaffen werden.

0 Playoff-Niederlagen

Für Mason McTavish und Brennan Othmann war in Olten vieles neu. Obschon sie ihre erste Saison in einer Profi-Eishockeymannschaft spielten, war von Verunsicherung nichts zu spüren. Vor allem in den Playoffs spielten die beiden auf, als hätten sie dies schon jahrelang getan. Die jugendliche Unbekümmertheit kam ihnen zugute. Und sicher auch ihr grosses Talent. Mit ihrem Spiel trugen die beiden kanadischen Teenager das Ihre dazu bei, dass der EHCO gegen den HC Sierre in vier Spielen und ohne Niederlage in den Halbfinal vorstiess.

1 Sekunde …

… oder gar noch weniger Zeit benötigt Mason McTavish, um aufs Eis zu springen, wenn der Trainer ruft. Das erzählt Oltens Cheftrainer Fredrik Söderström lachend. Die Arbeitseinstellung des kräftigen Stürmers beeindruckte den Schweden. Auf der Bank habe Mason McTavish stets die Nähe des Trainers gesucht und sei sozusagen zu seinen Füssen gesessen. «Ich musste nur Mas – also nicht einmal den vollen Namen – sagen, und schon sprang er aufs Eis», sagt Söderström.

4 Monate …

… verbrachte Brennan Othmann beim EHC Olten, und die kurze Zeit hat den Kanadier mit Schweizer Wurzeln geprägt. Mit einem breiten Lachen erscheint er am Tag nach dem Playoff-Halbfinaleinzug zum Interview. Der Abschied fällt ihm nicht leicht, wie er eingesteht. «Das ist jetzt wie meine zweite Familie», sagt Othmann. Und Trainer Söderström sagt: «Brennan ist ein emotionaler Typ.» Das brachte er nicht nur mit seiner warmen Ausstrahlung neben dem Eisfeld zum Ausdruck, auch im Spiel zeigte er seine Emotionen. Manchmal war es Frust nach missglückten Aktionen, manchmal bejubelte er ein Tor.

Mason McTavish und Brennan Othmann zum vorläufig letzten Mal in den Oltner Farben.

5 NHL-Teams …

… setzten ihre Talent-Späher auf die beiden Kanadier an, wie Fredrik Söderström erzählt. Für den Schweden bedeutete das grosse Interesse vor allem mehr Arbeit. «Mein Job wird durch ihren Abgang wieder einfacher», sagt er. Stundenlang – oft auch abends nach einem Spiel – sass er am Telefon mit den Scouts der nordamerikanischen Eishockeyklubs aus der besten Liga der Welt. Weil der Stellenwert dieses Sports dort immens ist, investieren die Klubs enorm viel in die Talentsuche und die Scouts erfragen jedes erdenkliche Detail über die Spieler. «Mir hat es wieder mal gezeigt, wie viele Menschen für ein NHL-Team arbeiten», sagt Söderström. Keine Frage ist den Spähern zu dumm: Söderström erzählt, wie ein Freund von ihm gefragt worden sei, ob ein Jungtalent auf dem Weg an ein Spiel im Mannschaftsbus Flipflops oder Schuhe trage.

8 Jahre …

… alt war Mason McTavish, als seine Familie nach Kanada zurückkehrte. Als kleiner Bub lernte er das Eishockeyspiel auf den Eisfeldern in Zug, Rapperswil und Zürich, wo sein Vater Dale McTavish spielte.

9 Monate …

… lang hatte Mason McTavish kein Meisterschaftsspiel mehr bestritten, als er im Februar nach Olten kam. Das Jungtalent fand den Tritt trotzdem sehr schnell, obwohl das Eisfeld grösser ist als in Nordamerika. «Die grössten Fortschritte habe ich beim Schlittschuhlaufen erzielt, ich bin schneller geworden», sagt Mason McTavish.

14 Tage …

… mussten die beiden Kanadier nach ihrer Heimkehr in ihrem Elternhaus in Ottawa (McTavish) und in Toronto (Othmann) in Quarantäne. Haben sie diese überstanden, beginnt das Abenteuer mit der U18-Nationalmannschaft und der WM Ende April.

18 Skorerpunkte

McTavish und Othmann schafften in ihrer ersten Profisaison beide je 18 Skorerpunkte. Beeindruckende Werte, die unterstreichen, dass sie das Potenzial für die grosse Eishockeybühne haben. Vor allem McTavishs Ausbeute von 11 Toren in 17 Spielen ist für die zweithöchste Schweizer Liga aussergewöhnlich. «Die Fortschritte von Mason waren eindrücklich», sagt Söderström. «Er ist innert Kürze zu einem Führungsspieler herangereift.» Brennan Othmann sei mental noch weniger reif, aber auch er habe – vor allem im Defensivspiel – grosse Fortschritte erzielt. Er selbst sagt, er habe hier viel Selbstvertrauen gewinnen können.

18 Jahre …

… alt sind beide im Januar geworden. In der physischen Entwicklung sind sie jedoch nicht gleich weit, wie Söderström beschreibt: «Mason sieht aus, als wäre er 32 Jahre alt, und er hat die Physis eines Schweizer Bauern. Brennan dagegen wirkt neben dem Eis wie ein 15-Jähriger.» Im Profi-Mannschaftssport sind grosse Altersunterschiede nichts Ungewöhnliches. Teamsenior Philipp Rytz ist doppelt so alt wie die beiden Kanadier.

4614

Das ist die Postleitzahl ihres temporären Wohnorts in Hägendorf. Erst hatte das Oltner Tagblatt geschrieben, sie seien bei einer «Gastfamilie in Hägendorf» untergebracht. Später wurde bekannt, dass Klubpräsident Marc Thommen höchstpersönlich ihr Gastgeber war. Wenn die Jungtalente dereinst zu grossen Stars heranreifen, wird Thommen erzählen können, das Müesli bei ihm am Zmorgentisch habe das Seine dazu beigetragen. «Die Thommens haben uns behandelt, als wären wir ihre Söhne», sagt Othmann vor dem letzten Training. Nicht alle Spieler sollen erfreut darüber gewesen sein, dass die beiden Kanadier präsidiale Würde und einen Sonderstatus erhielten. Würde Olten nun gegen Kloten den grossen Coup schaffen und ins Finale vorstossen, wäre die Episode wohl schnell vergessen. Und in ein paar Jahren können vielleicht auch besagte Spieler damit prahlen, mit McTavish und Othmann im Team gespielt zu haben.


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