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«Wir müssen Kinder nicht absondern von der Realität»

Es ist Krieg in der Ukraine, und in Olten – ist das spürbar. Drei Menschen erzählen. Teil zwei: Nadine Schweizer.
8. März 2022
Text: Jana Schmid, Fotografie: Timo Orubolo

«Der Krieg verunsichert die Kinder stark», sagt Nadine Schweizer am Telefon. Sie ist Primarlehrerin in Däniken. Ihre Schülerinnen sind zwischen acht und zehn Jahre alt. 

«Schüler kamen auf mich zu oder diskutierten untereinander. Einige erzählten wirre Gerüchte, andere waren sehr eingeschüchtert oder hatten Angst. Da wurde mir klar, dass ich die Geschehnisse in der Ukraine in der Klasse thematisieren muss», erzählt die Oltnerin. Doch wie erklärt man Kindern den Krieg?

«Man muss sehr behutsam vorgehen. Vor allem, weil in einer Schulklasse Kinder mit sehr verschiedenen Geschichten und Hintergründen sitzen können. Es kann sein, dass manche Kinder selbst oder ihre Eltern eine Fluchtgeschichte haben, während andere noch nie über das Wort Krieg nachdenken mussten. Das sind völlig unterschiedliche Ausgangslagen.»

Allgemein sei es enorm wichtig, die kindlichen Gedanken und Ängste ernst zu nehmen, und ihnen mit Antworten und Aufklärung auf einer verständlichen Ebene zu begegnen. Das helfe, um die schlimmsten Ängste einzudämmen. 

Nadine bereitete sich auf ein Gespräch mit ihrer Klasse vor, sprach mit ihrer Familie darüber, las im Internet. Dann setzte sie sich mit den Kindern in einen Kreis und fragte, wie es ihnen gehe. Der Krieg kam sofort zur Sprache.

«Kommt jetzt der dritte Weltkrieg?», fragten einige Kinder. Andere sprachen von einer deutschen Königin, die jetzt nicht mehr Königin war, und wieder andere vermischten das Atomkraftwerk Gösgen mit Horrorszenarien zu Atomangriffen, die sie in den letzten Tagen aufgeschnappt hatten. 

«Bilderbücher können hier neben reinen Erklärungen sehr wertvoll sein. Das Ziel muss sein, den Kindern ein Spektrum an Informationen zu liefern, mit denen sie etwas anfangen können. Das geht manchmal viel besser, wenn sie einen Bezugspunkt haben, im Bilderbuch zum Beispiel die Geschichte eines Kindes im Krieg. Abstrakte Erklärungen sind schwierig. Politik etwa habe ich versucht anhand der schulischen Strukturen von Klassen- und Schülerrat zu veranschaulichen», sagt Nadine. 

Hinzu komme die Schwierigkeit, als Lehrperson möglichst neutrale Informationen zu vermitteln. «Es darf nicht darum gehen, den Kindern politische Haltungen mitzugeben.»

Ohnehin spürte Nadine schnell, dass es in ihrer Klasse vor allem darum ging, einfache Fakten zu klären und die unmittelbare Angst vor einem Kriegsausbruch in der Schweiz zu lindern. «Wir schauten uns an, wo die Schweiz, Russland und die Ukraine auf der Karte liegen, oder klärten den Unterschied zwischen Atomwaffen und einem Atomkraftwerk.»

Und was, wenn man selbst Angst hat, verunsichert ist, die Lage nicht versteht? Wie beruhigt man dann noch sein Kind? 

«Es ist sehr wichtig, ein Kind nicht anzulügen. Wir müssen Kinder nicht absondern von der Realität. Aber wir müssen ihnen jene Ängste nehmen, die schnell sehr irrational werden, wenn Informationen an sie gelangen, mit denen sie nicht umgehen können», sagt Nadine. Es sei eindrücklich gewesen, wie viele Sorgen sich innert kürzester Zeit nach den Meldungen vom Kriegsausbruch im Klassenzimmer eingeschlichen hatten.

«Dabei ist es mir immer auch sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir, wenn wir uns hier in der Schweiz sicher fühlen können, sehr dankbar dafür sein sollten. Und dass es eben nicht allen Menschen so geht.»

Nadine erzählt auch, wie erstaunlich kreativ die Ideen von Kindern sein können, wenn sie etwa gefragt werden, wie man Menschen in Not helfen könnte: In der Schweiz einen Kanton Ukraine machen für die geflüchteten Menschen. Einen Schutzball erfinden wie eine Art Kugel, welche die Menschen sicher in ein anderes Land bringen kann. Die Schweiz als reiches Land soll Geld spenden und für die geflüchteten Menschen Häuser bauen. Oder ihnen unsere Neubauten geben.

Grundsätzlich sei es schlicht essentiell, dass die Kinder nicht vergessen werden im Umgang mit Krisensituationen. 

«Sie sind unsere Zukunft. Und in den letzten zwei Jahren wurde unseren Kindern viel zugemutet. Wir müssen Kinder als wichtigen Teil unserer Gesellschaft wahrnehmen, sie einbeziehen, ernst nehmen, Raum und Zeit für ihre Ängste und Bedürfnisse schaffen. Das schulden wir ihnen.»


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