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«Schmunzeln musste ich, als ich las, dass Amazon nun auch auf physische Ladengeschäfte setzt»

Der Handel mit Büchern darf – ohne dabei zu erröten – zu einem der ältesten Gewerbe der Menschheit gezählt werden. Doch das Onlineshopping macht den Ladengeschäften Konkurrenz. Wiebke Steinfeldt, Geschäftsführerin von Schreiber Kirchgasse, gibt einen Einblick ins Buchbusiness.
1. März 2021
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Spätestens mit der Eröffnung des Schriftstellerweges vor fünf Jahren hat sich Olten als Literaturhochburg unter den Schweizer Städten positioniert. In Olten ist nicht nur die Dichte an hier lebenden Autorinnen und Autoren verhältnismässig hoch, die Stadt darf auch heute noch zwei unabhängige und inhabergeführte Buchhandlungen ihr Eigen nennen. Neben der Buchhandlung Klosterplatz, die auf eine rund hundertjährige Geschichte zurückblickt, kämpft eine Häuserzeile weiter der Schreiber Kirchgasse um die Gunst der Leserschaft.

1926 vom deutschen Carl Schreiber eröffnet, veränderte sich das Sortiment seit der Übernahme durch Urs Bütler im Jahr 2000 und wurde mit Papeterie- und Geschenkartikeln, Musik und Filmen sowie Kaffee und Schokolade erweitert. Schliesslich wurde in der Vergangenheit der Handel mit gedruckten Büchern immer wieder totgesagt. Um im harten Marktumfeld bestehen zu können, sind neue Konzepte gefragt. Wiebke Steinfeldt vom Schreiber Kirchgasse erzählt, wie man als stationäre Buchhandlung gegen die Konkurrenz aus dem Internet besteht, was die Beratung damit zu tun hat und wie sie den hiesigen Ladenmix beurteilt.

Frau Steinfeldt, wie hat sich der Buchhandel in den vergangenen Jahren verändert, wie macht sich die Onlinekonkurrenz bemerkbar?

Zu Beginn, als die grossen Buchhandlungen im Internet ihre Shops eröffneten, haben wir das schon zu spüren bekommen. Einen Teil der Verkäufe hat sich seither ins Netz verlagert. Es macht aber den Eindruck, als hätte sich das Volumen des Onlineshoppings eingependelt. Die Konkurrenz im Internet ist da und sie wird bleiben. Für uns heisst das, dass wir uns anstrengen müssen, damit wir uns abheben können. Zum Beispiel mit Veranstaltungen, bei denen wir Autoren in die Stadt bringen, die ohne unsere Einladung nicht nach Olten finden würden. Wir können dazu die Bühne bieten. Schmunzeln musste ich, als ich las, dass Amazon in den USA nun auch auf physische Läden setzt. Sie haben erkannt, dass sie damit näher am Kunden sind. Da sind wir ja schon einen Schritt voraus.

Hat der Onlinehandel den Druck erhöht, sich als herkömmliches Ladengeschäft neue Konzepte auszudenken?

Sicherlich gab es Zeiten, in denen die Geschäfte so gut wie von alleine liefen. Ich denke an die 80er-Jahre und an unseren Vorgänger, Herrn Ihle. Wie die Fotos aus jener Zeit eindrucksvoll bezeugen, war sein Laden an der Kirchgasse bis unter die Decke gefüllt mit Büchern, der Eingang so zugestellt, dass schon ein Kinderwagen das Betreten des Geschäfts verunmöglichte. Auf eine ansprechende Präsentation wurde gänzlich verzichtet, die Bücher verkauften sich dennoch wie von Zauberhand. Heute sind mehr Ideen gefordert und man muss achtgeben, dass man am Puls der Zeit bleibt.

Früher war nicht alles besser, aber anders: Zusammen mit seinem Team hat Urs Bütler den Schreiber ins digitale Zeitalter geführt.

Was bietet sich an, um den Kundinnen einen Mehrwert zu verschaffen, den das Internet nicht bieten kann?

In pandemiefreien Zeiten veranstalten wir zweimal im Monat Autorenlesungen. Es ist etwas Tolles, Autorinnen hautnah erleben zu können. Sebastian Fitzek, der heute grosse Säle füllt, war bei uns zu Gast, als niemand ihn kannte. In Olten las er vor einem Publikum von vielleicht zehn Personen, die sich anschliessend mit ihm unterhalten konnten und teilweise noch heute von dieser einmaligen Begegnung erzählen. Wir versuchen auch internationale Autoren in die Stadt zu holen, wobei dies in den letzten Jahren schwieriger geworden ist. Viele wollen nur noch nach Hamburg, Wien und vielleicht noch nach Zürich. Die Kontakte durch meine frühere Arbeit in verschiedenen Verlagen in Deutschland kommen uns zugute und mit dem Besuch an der Frankfurter Buchmesse pflegen wir unsere Beziehungen. Erfreulich ist, dass, wer einmal nach Olten gekommen ist, in der Regel wiederkehrt. Wenn wir Glück haben, wecken wir mit unseren Anlässen das Medieninteresse, was für uns gute Werbung bedeutet. Unabhängig von unseren Veranstaltungen hatten wir übrigens kürzlich die Schweizer Illustrierte im Haus, die darüber berichtete, wie wir den Schreiber während des Lockdowns zum Take-away-Buchshop machten.

Kann man sagen, dass die jüngere Kundschaft ins Netz abgewandert ist, während an der Kirchgasse eher ein älteres Publikum einkauft?

Zum Glück ist es so, dass wir nicht nur eine ältere Kundschaft bedienen. Ein Bereich, der gut läuft, ist der Kinder- und Jugendbuchbereich. Wir beobachten, dass solche, die als Kind mit ihren Eltern bei uns Bücher ausgesucht haben, später wiederkommen, wenn sie selbst Kinder haben. Die Erinnerung an das Erlebnis im Buchladen bringt sie wieder zu uns. Ich denke, das Alter an sich entscheidet nicht darüber, ob jemand lieber online bestellt oder in ein Ladengeschäft geht. Es ist eher eine Typfrage. Und das eine schliesst das andere nicht aus. Hat man gerade keine Zeit, in die Stadt zu gehen, bietet sich das Internet an. Neben den Büchern verkaufen wir auch weitere Produkte. Ich denke, die Kundschaft schätzt es, einen Ort zu haben zum Stöbern und sich bei Bedarf beraten zu lassen.

Kaffee und Buch: Ein Duo, das auch bei der Kundschaft gut ankommt.

Ihre Mitarbeitenden müssen ganz schön mit Lesen beschäftigt sein, um sämtliche Bücher im Sortiment zu kennen. Ist die Beratung nicht ein Marketingversprechen, das sich nicht einlösen lässt?

Unsere Mitarbeitenden lesen sicherlich alle viel. Angesichts der 90’000 Neuerscheinungen jedes Jahr und den 70’000 Büchern, die wir an Lager führen, müssten aber auch sie kapitulieren. Ich selbst war viele Jahre im Verlagswesen tätig und habe Buchwissenschaften studiert. Ein Verlagslektor, der jeden Tag fünfzig Manuskripte auf den Tisch gelegt bekommt, liest in der Regel zehn bis zwanzig Seiten und weiss dann, ob die Geschichte funktioniert. Ist der Text gut geschrieben? Zieht es die Leserin in die Geschichte rein? Ähnliche Fragen berücksichtigt auch die Buchhändlerin, wenn sie eine Empfehlung abgibt. Zunächst ist es das erworbene Wissen durch die Ausbildung, das einen verstehen lässt, wie Bücher funktionieren. Hinzu kommt die Berufserfahrung. Nicht alle im Team kennen sich in jedem Genre aus. Unsere Mitarbeitenden haben unterschiedliche Interessen und Lesevorlieben. Die einen lesen eher gehobene Literatur, die anderen Krimis. Im Austausch profitieren wir voneinander und im besten Fall weiss der Kunde, wenn das Buch unserer Frau Zimmerli zusagt, dass auch er bedenkenlos zugreifen kann.

Das Onlinegeschäft ist somit zweitrangig für Sie?

Das würde ich so nicht sagen. Seit der Übernahme des Geschäfts durch meinen Mann vor 21 Jahren existiert ein Webshop. Dieser befindet sich schon länger in Überarbeitung. Der Lockdown verschaffte uns die Zeit, das Projekt nach vier Jahren abzuschliessen. Im Mai soll die Seite online gehen. Der neue Shop ist so konzipiert, dass unsere Bücher bei der Suche auf Google & Co. auf den oberen Plätzen präsent sein werden. Die Kundin kann in ihrem Account den Status ihrer Bestellung verfolgen, ihre bisherigen Bestellungen ansehen und ihre Rechnungen verwalten. Mit der neuen Website werden sich auch die Abläufe für die Mitarbeitenden verändern. Weiterhin wollen wir aber auch der persönlichen Beratung im Laden treu bleiben. Schliesslich bleiben die Kundenbedürfnisse verschieden.

Hinter dem Onlineshop steht der Anspruch, über die Region hinaus Kundschaft gewinnen zu können?

Richtig. Wobei wir dies bereits mit den erwähnten Veranstaltungen, zumindest gelegentlich, erreicht hatten. Ich denke an die Gastspiele des Philosophen und Schriftstellers Richard David Precht, der Publikum aus der ganzen Schweiz nach Olten lockt. Oder Klaus-Peter Wolf, der Erfinder des Ostfrieslandkrimis, für dessen Veranstaltung sogar Leute aus Deutschland den Weg in unsere Buchhandlung fanden. Einige haben uns auch später immer wieder besucht.

Neben den Büchern finden sich Geschenk- und Papeterieartikel im Sortiment sowie seit vergangenem Sommer auch die Confiserie-Produkte von Brändli. Entwickelt sich der Schreiber zu einem Gemischtwarenladen?

Das Schlimmste für uns wäre es, wenn die Kundschaft nicht mehr wissen würde, was sie bei uns kaufen kann. Wenn wir uns mit neuen Warengruppen auseinandersetzen, achten wir darauf, dass unser Hauptprodukt nicht in den Hintergrund rückt. Als wir beispielsweise die Brändli-Produkte ins Sortiment aufgenommen haben, war es uns wichtig, dass das Buch auch dort nicht in Vergessenheit gerät, wo wir Süsses verkaufen. Das Buch soll in unserem Laden stets im Rampenlicht stehen. In den nächsten Wochen werden wir zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens Osterhasen verkaufen. Der Reflex war da, diese zum Beispiel als Dekorationselement auf der Buchauslage zum Thema Ostern einzusetzen. Wir ziehen es aber vor, die unterschiedlichen Warengruppen etwas voneinander zu trennen. Dies macht es für den Kunden einfacher, sich zurechtzufinden, und für uns vermindert es die Gefahr, das Sortiment zu verwässern.

Ordnung muss sein: Bei der Präsentation wird darauf geachtet, dass die Warengruppen sich nicht vermischen.

Zu Ihrer Kundschaft zählen auch Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Was hat es damit auf sich?

Neben der Universität Basel zählt die Fachhochschule Nordwestschweiz zu unseren Kundinnen. Wir sind regelmässig vor Ort und verkaufen die Lehrbücher direkt an den Standorten der FHNW in Olten, Muttenz und Brugg-Windisch. Zu Beginn stand die Frage im Raum, wie wir die Lehrbücher am einfachsten an die Studentinnen bringen. Urs arbeitete in den 90ern in einer Buchhandlung in Michigan in den USA. Dort lernte er das System der Buchstrasse kennen, an der sich die Studenten die Bücher wie am Buffet eines Selbstbedienungsrestaurants auswählen konnten und am Ende der Strasse bezahlten. Eine solche Fassstrasse wurde 1997 das erste Mal an der alten Fachhochschule in Olten aufgebaut und dieses System wenden wir bis heute an. Ein anderes Beispiel ist eine Volksschule im Engadin, die wir über einen eigenen Shopbereich auf unserer Website mit Lehrmitteln beliefern. Dabei ist der Service entscheidend. Für Lehrpersonen ist es besonders praktisch, wenn die Bücher bereits bei der Lieferung auf die Anzahl Schüler einer Klasse abgestimmt sind und sie nicht einfach kartonweise Buchmaterial vor die Tür gestellt bekommen.

Kehren wir zurück aus dem Engadin an die Kirchgasse: Welche Rolle spielt die Geschäftslage?

Wir schätzen die Aufwertung der Kirchgasse durch die Verkehrsberuhigung. Die Lage ist optimal, gerade auch mit den Parkplätzen auf der Schützenmatte. Besonders die zahlreichen Veranstaltungen vor unserem Geschäft wie zum Beispiel das Streetfood Festival oder der 2-Stunden-Lauf bringen Menschen auf die Gasse und spülen uns Kundschaft in den Laden. Wir versuchen auch immer mit unserem Café Teil solcher Events zu sein.

Wie beurteilen Sie Oltens Ladenmix, fehlen hier die grossen Ketten?

Die Grossen in der Stadt zu haben, ist sicher nicht verkehrt, aber viele gute kleine Geschäfte können das Einkaufen genauso zu einem Erlebnis machen. Ich denke an Bern, wo es unter den Lauben und in den Kellern wunderbare kleine Läden zu entdecken gibt. Für uns als Buchhandlung ist es natürlich von Vorteil, wenn die Mischung an Läden reichhaltig ist und wir keine leeren Ladenlokale in unserer Nachbarschaft haben. Ich wohne seit fünfzehn Jahren in der Region und lebte vorher in München. Als ich nach Olten gekommen bin, war mein erster Eindruck, dass es hier alles hat, was man braucht. Im Grunde genommen fehlt es an nichts. Und trotzdem vermisst man ein paar Geschäfte, die ein spezielles Flair vermitteln. Ich denke zum Beispiel an den Gryffe, der es geschafft hat, seine Ecke mit einer besonderen Atmosphäre zu versehen, wo man gern vorbeiflaniert und auch mal Platz nimmt, einfach weil es gemütlich ist. Was mir persönlich fehlt, sind ein kleiner Spielwarenladen und ein paar Schuhläden, die nicht 08/15-Schuhe anbieten. Ach, und ein schöner Teeladen wäre auch wünschenswert.

Kurze Werbeunterbrechung: Ein ansehnliches Teesortiment gibt es im Pop-up-Store von Meinrad Feuchter, nur ein paar Schritte von hier.

Oh! Vielen Dank für den Tipp. Das habe ich ja gar nicht mitbekommen.

Schreiber könnte sein Sortiment erweitern, wenn Feuchter seine Zelte abbricht. Tee und Buch, das passt doch zueinander.

Das müsste man sich in der Tat einmal genauer überlegen. Bevor wir an eine Sortimentserweiterung denken, konzentrieren wir uns nun aber zunächst auf die Wiedereröffnung nach dem Lockdown. Wir freuen uns, die Kundschaft endlich wieder im Laden bedienen zu dürfen. 


Wie stellst du dir den idealen Ladenmix in der Stadt vor?

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