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Aufgepoppt, um weiterzuziehen

Wer den unverstellten Blick sucht, wird in so manchem Schaufenster fündig. Leerstehende Ladenlokale: Des einen Leid, des anderen Glück. Auf einen Tee bei Pop-up-Pionier Meinrad Feuchter, der nicht zum ersten Mal einem leeren Ladenlokal neues Leben einhaucht.
22. Februar 2021
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Ein antik anmutender Holztisch, eine altertümliche Waage, dazu ein schlichtes Regal und eine grosszügige Sitzecke. Viel mehr Mobiliar ist nicht erforderlich in Meinrad Feuchters kleinem Geschäft hinter dem Coop City und dem Kino Lichtspiele. Das Augenmerk soll auf das Sortiment an Kräutertees gerichtet sein sowie auf die Werke regionaler Kunstschaffender, welche im vergangenen Herbst eröffneten Pop-up-Store eine Art Symbiose bilden. Links & Rechts, der Name des neuen Geschäfts, erwähnt die beiden Ladenhälften: Auf der einen Seite das Teesortiment. Die an der Wand angebrachten Palettenrahmen sind die Bühne für Weissen, Gelben, Grünen und Schwarzen Tee, daneben gibt es Kräuter- und Früchtemischungen. Rechter Hand die Ausstellungsstücke wechselnder regionaler Künstlerinnen. Yin und Yang auf knapp vierzig Quadratmetern. «In meinem Laden gibt es gleich zwei Kulturen zu entdecken», beschreibt Feuchter das Konzept.

Pop-up-Stores sind eine Erfindung des letzten Jahrtausends. Nach den USA, wo das erste derartige Geschäft 1997 eröffnet wurde, poppte die Idee vom zeitlich begrenzten Laden in den frühen Nullerjahren in Europa auf und sorgte für frischen Wind inmitten etablierter Warenhäuser und Fachgeschäfte. Bis das Konzept den Weg in die Region fand, dauerte es eine Weile. 2015 eröffnete Feuchter seinen ersten Pop-up-Store in Schönenwerd. Eine einfache, unbeheizte Holzbaracke, einst von Bally als Unterkunft für seine Gastarbeiter genutzt, diente Feuchter und seiner Partnerin Ursula Anderegg als passendes Lokal für einen Weihnachtsladen, den sie während dreier Jahre jeweils temporär betrieben. «Pop-up muss schnell funktionieren. Unter Weihnachten kann sich jeder etwas vorstellen. Es ist eine Zeit, die hohe Frequenzen in den Laden bringt. Gleichzeitig sind die Leute motiviert, Geld auszugeben. Sei es für sich selbst oder für Geschenke.»

«Was ich in Olten schnell gemerkt habe, ist die Tatsache, dass die Leute hier sehr gwundrig sind und es sofort weitererzählen, wenn ihnen etwas gefällt.»

Nach drei Jahren in Schönenwerd drängte sich ein Standortwechsel auf. Der Vermieter hatte angekündigt, die Holzbaracke anderweitig nutzen zu wollen. Feuchter meldete sich auf einen Aufruf der Wirtschaftsförderung Region Olten, die mit der Initiative «Olten GO!» zwischen Eigentümern, Verwaltung und Interessentinnen vermittelt. So sollen auch unkonventionelle, zum Beispiel temporäre Projekte möglich werden. Das Lokal an zentraler Lage wurde «unkompliziert und ziemlich rasch gefunden». Geboren war der «Munzinger», den Feuchter im Herbst 2019 hinter der Stadtkirche eröffnete. Wiederum setzte er auf die Kauflaune der Kundschaft rund um die Weihnachtszeit. Der Name des Geschäfts sorgte für Aufmerksamkeit und Gesprächsstoff bei den Einheimischen. «Nicht nur einmal kam jemand in den Laden und fragte mich, ob ich ein Nachfahre des bekannten Oltner Geschlechts sei», erinnert sich Feuchter amüsiert. Der Name erwies sich als gut gewählt, schliesslich machte er die Leute neugierig. «Was ich in Olten schnell gemerkt habe, ist die Tatsache, dass die Leute hier sehr gwundrig sind und es sofort weitererzählen, wenn ihnen etwas gefällt.»

Alles im Fluss

Eigentlich wäre Feuchter im vergangenen Jahr gern verreist. Aserbaidschan, die Südtürkei, Frankreich. Die Pandemie liess die Pläne platzen. Aber statt die Segel zu streichen, hissten Feuchter sie im damals verlassenen Lokal in der Nähe des Klosterplatzes und eröffneten im vergangenen Herbst kurzerhand einen neuen Pop-up-Laden. Auf das freie Lokal, das zuvor eine Kleiderboutique war, stiessen sie im Internet. Die Suche nach einem geeigneten Mietobjekt sei jedoch nicht einfach gewesen. Trotz des relativ grossen Angebots an freistehenden Ladenflächen. Auch in Aarau habe man sich umgesehen, musste aber feststellen, dass dort so gut wie keine freien Flächen verfügbar waren. «In Olten war das Angebot schon vielversprechender, wobei unsere ersten Anfragen auf Ablehnung stiessen, weil die Vermieter ihre Lokalitäten nicht für einen begrenzten Zeitraum vermieten wollten.» Es brauchte mehrere Anläufe, bei der fünften Anfrage klappte es und man wurde sich einig.

«Auf meine Bitte, für eine temporäre Geschichte den Mietzins zu reduzieren, ist der Vermieter eingegangen.» Den Vertrag, zunächst auf drei Monate beschränkt, konnte er in der Zwischenzeit um ein Jahr verlängern. Die Vereinbarung sieht vor, dass das Ladenlokal selber umgebaut und nach Ende der Vertragsdauer in seine ursprüngliche Form zurückversetzt wird. «Der Aufwand für den Vermieter ist somit minimal.» Grosse Umbauarbeiten seien ohnehin nicht nötig gewesen. «Wir haben eine Wand neu gestrichen und die bestehende Bürokabine rausgerissen. That’s it.» Über das Jahr verteilt sind zehn Kunstausstellungen geplant. Ab November soll der Laden auf der rechten Seite wiederum zu einem Weihnachtsshop umfunktioniert werden. Was danach mit dem Ladenlokal passiert, ist offen. Feuchter kann sich vorstellen, noch länger zu bleiben. «Die Lage passt, wir haben ein gutes Publikum hier und ich bekomme viele Komplimente für mein Geschäft», freut er sich. Trotzdem will er sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. «Pop-up heisst Veränderung. Alles ist im Fluss. Zum Teesortiment könnten Gewürze hinzukommen. Statt Kunst wäre es vorstellbar, Holzspielzeug oder Grünpflanzen zu verkaufen.» Auch sei theoretisch denkbar, das Lokal mit einer Gastronomie zu ergänzen.

Bei der Suche nach einem geeigneten Lokal war für Feuchter die Standortfrage zentral. «Mit einem Pop-up-Konzept muss man dorthin, wo die Leute sind und man gesehen wird.» Wichtig seien aber auch der Mietzins, die Lage im Erdgeschoss und die Grösse des Lokals. «Es darf nicht zu klein und nicht zu gross sein, so dass es für mich als One-Man-Show stemmbar ist.» Er ist überzeugt, dass Pop-up-Läden Vielfalt in den Ladenmix einer Stadt bringen und sie ein Instrument sind, um eine Einkaufsstadt aufzuwerten. Obwohl Pop-up im Grunde genommen ein alter Hut sei, mache es die Leute noch immer neugierig. «Früher war es so: je länger ein Geschäft an einem Standort vertreten war, desto renommierter war sein Ruf. Die Welt hat sich verändert und auch das Denken der Leute. Man ist flexibler geworden, viele sehnen sich nach dem Neuen und nach Veränderung.»

«Niemand will ein Leben lang das gleiche Cordon bleu essen.»

In Pop-up-Geschäften sieht Feuchter ein mögliches Puzzleteil, um eine Innenstadt zu beleben. Elementar seien aber auch stationäre Geschäfte, die sich nicht nach kurzer Zeit wieder aus der Stadt verabschieden. Als Pop-up-Store sei man auf diese angewiesen. «Wichtig ist ein vielfältiger Angebotsmix, der einerseits Beständigkeit ausstrahlt, andererseits temporäreren Playern es erlaubt, das Ganze etwas aufzumischen. Die Leute lieben die Überraschung und sie suchen nach dem Ungewöhnlichen.» Feuchter glaubt, dass der Lockdown die Abwanderung der Kundschaft in den Onlinehandel beschleunigt hat. Was der Onlinehandel heute, sei der Katalogversandhandel früher gewesen. «Ich erinnere mich an die Katalogzeiten. Gerade auf dem Land bestellte man gern via Katalog und ging vielleicht ein, zwei Mal pro Saison zum Einkaufen in die Stadt.» Der Onlineshopper setzt seinen Fuss nur noch in die Stadt, wenn es etwas zu erleben gibt. Das könne beispielsweise der Besuch einer Ausstellung sein oder das Essen in einem Restaurant. Gerade auch die Gastronomie eigne sich gut für das Pop-up-Prinzip. «Niemand will ein Leben lang das gleiche Cordon bleu essen.»

Auf klassische Werbung verzichtet Feuchter. Er wolle seine Energie in den Laden stecken mit Produkten, für die eine Nachfrage besteht. «Die beste Werbung ist es, wenn die Leute uns weiterempfehlen und man über uns spricht.» Kaum sind die Worte gefallen, betritt eine Kundin das Geschäft. «Endlich ein Teeladen in Olten!», meint sie, noch bevor sie einen Blick auf das Sortiment wirft. Das Geschäft läuft in erster Linie dank der Mund-zu-Mund-Propaganda. «Hinzu kommt ein bisschen Werbung, welche die Freundin meines Sohnes auf Instagram und Facebook für mich macht.»

Kunden, wo seid ihr?

Feuchter, der in unterschiedlichen Funktionen über vierzig Jahre lang im Detailhandel arbeitete, unter anderem als Leiter Gestaltung beim Berner Warenhaus Loeb, hat den Wandel hautnah miterlebt. Mitte der 70er-Jahre machte er die Lehre als Dekorationsgestalter im Oltner Warenhaus von Felbert. Gleich um die Ecke, wo heute Fielmann eine Filiale hat. Vor zwei Jahren ging Feuchter bei Loeb in Frühpension. Heute konzentriert er sich auf seine Pop-up-Projekte und eigene künstlerische Arbeiten. Das Interesse an der Entwicklung des Detailhandels ist aber ungebrochen. Das Kleidergeschäft verlagere sich nach und nach ins Internet. «Diese Entwicklung wird weiter anhalten dank neuer Technologien, mit denen man sich einmal vermisst und anschliessend auf Lebzeiten online mit Kleidern eindecken kann», sagt Feuchter und betont, dass er seine Kleider noch immer im stationären Handel kauft. «In Kleinstädten wie Olten werden es Modehändler zunehmen schwierig haben, gegen die Onlinekonkurrenz zu bestehen. Das elegante Kleidershopping in Paris, London oder Berlin wird bleiben.»

Olten ist nicht Paris, das Einzugsgebiet potenzieller Kundschaft vergleichsweise zierlich. «Es gab schon Tage, da hatte ich keinen einzigen Kunden im Laden.» Vor allem unter der Woche frage er sich ab und zu schon, wo die Leute bleiben würden. «Dann gibt es aber wieder Spitzentage wie beispielsweise letzten Samstag, als das Wetter gut war und die Menschen zum Flanieren in die Stadt trieb.» Samstag sei überhaupt der beste Tag. Feuchter überlegt sich, die Öffnungszeiten seines Ladens am Abend zu erweitern.

Was die kommenden Jahre bringen werden, will Feuchter nicht prophezeien. «Ich habe die Freiheit, keine Pläne machen zu müssen.» Alles befindet sich im Wandel. Wie der Detailhandel so hat sich auch der Monte Verità im Tessin verändert, von wo Feuchter einen Teil seiner Produkte bezieht. Einst der Hügel der Künstler, Philosophinnen, Revolutionären und Hort vielerlei alternativer Lebensformen wandelte er sich über die Jahrzehnte zu einem Touristenmagneten. Ausserdem gibt es dort oberhalb von Ascona heute einen Teegarten, in dem die Teepflanze Camellia sinensis angebaut wird. «Die Blätter und Knospen der Pflanzen werden von Hand gepflückt und vor Ort verarbeitet», erzählt Feuchter. «Ein echtes Schweizer Produkt.» Die Zahl auf der Preisetikette lässt keinen Zweifel aufkommen. Woher jedoch das Mangoöl stammt, das dem Tee aus der Schweizer Sonnenstube eine tropische Note verleiht, bleibt das Geheimnis der Tessiner. «Das verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht ganz», lacht Feuchter, während die Kasse den Beleg ausspuckt und auf der Gasse vor dem Laden jemand vorbeigeht, ohne zu ahnen, dass die Zeit endlich ist, um einzutreten und sich umzusehen.


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