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Das Spiel mit dem Steuersatz und das Loch danach

Kein Jahr ist die kantonale Steuerreform alt. Die Gemeinden haben durch die tieferen Firmensteuern die Kontrolle über den eigenen Finanzhaushalt ein Stück weit verloren. Steuerpolitik wird zur Glaubensfrage: Vertrauen in die Kraft der Wirtschaft oder die Flucht zurück mit hohen Steuerfüssen?
28. November 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Wem es gut geht, dem nimmt der Staat Geld. Das Prinzip der Steuern ist altbewährt. Auch Firmen leisten einen grossen Teil an den Kuchen, der den Wohlfahrtsstaat ausmacht. Er ist unsere Basis und erlaubt es einer Kleinstadt wie Olten, ihr Erscheinungsbild zu wahren und die guten Dienste zu leisten. Als öffentliche Hand unterhält die Stadt eine Badi. Gestaltet ihren Bahnhofsplatz um. Baut ein neues Schulhaus.

Mit der Steuerreform erfährt das System dieses Jahr einen grösseren Umbruch. Die Schweiz hatte überwiegend international tätigen Unternehmen bis hierhin privilegierte Steuerbedingungen gewährt. Holdings oder gemischte Gesellschaften – wie beispielsweise eine Uhrenfirma, die in der Schweiz produziert, aber ihre Ware mehrheitlich im Ausland absetzt – bezahlten ausschliesslich auf Bundesebene eine Gewinnsteuer von rund 8 Prozent. Dieses Modell war international zunehmend verpönt. Der Druck nach angepassten Bedingungen nahm unter Federführung der OECD zu. Die Schweiz musste infolgedessen die sogenannt «mobilen Gesellschaften» mit privilegierter Besteuerung gleich behandeln wie die ordentlich besteuerten Unternehmen. Bundesrat und Parlament packten einen Zustupf von zwei Milliarden an die Altersvorsorge in die Vorlage, den Arbeitgeberinnen, Arbeitnehmer und Bund leisten.

Der Kanton im Schweizer Mittel

Wie der Föderalismus es will, kennt jeder Kanton seine eigenen Steuermechanismen. Und mit dem Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen verhält es sich wie mit dem Feilschen um den besten Bauplatz: Alle wollen den Südhang an der Sonne bieten – am besten mit Seesicht. Aber einige müssen mit dem Schattenhang vorliebnehmen.

Auch der Kanton Solothurn versuchte, möglichst konkurrenzfähig zu sein, und sah eine drastische Steuersenkung vor. Eine erste Vorlage scheiterte: Sie hätte die Gewinnsteuer für Firmen auf rund 14 Prozent senken wollen, um wettbewerbsfähig zu sein. Unternehmen mit über 100’000 Franken Gewinn hatten vor der Reform rund 21 Prozent ihrer Gewinne abgetreten. Erst im vergangenen Februar nahm der Kanton ein gemässigteres Gesetz deutlich an. Die Konsequenz: Innerhalb der nächsten drei Jahre sinkt der Steuersatz im Kanton Solothurn schrittweise – von vormals 8,5 auf 4,4 Prozent. Somit gehen in der Summe (siehe Tabelle) künftig noch rund 15 Prozent der Unternehmensgewinne an Bund, Kanton und Gemeinde, wobei dies jeweils vom Gemeinde-Steuerfuss abhängt. Däniken weist mit 60 Prozent den kantonsweit tiefsten Steuerfuss für Firmen aus: Juristische Personen bezahlen in der Niederämter Gemeinde ab 2022 noch 13,78 Prozent Gewinnsteuern.

Steuersätze für juristische Personen mit Sitz in Olten
Gewinnsteuer (aktueller Steuerfuss der Gemeinde 108%)2019202020212022
unter 100’000 Franken (Steuersatz)16.25%16.25%15.79%15.32%
über 100’000 Franken (Steuersatz)

21.28%16.25%15.79%15.32%
Gewinnsteuer (hypothetischer Steuerfuss der Gemeinde 138%)
unter 100’000 Franken (Steuersatz)17.29%17.29%16.77%16.26%
über 100’000 Franken (Steuersatz)22.83%17.29%16.77%16.26%
Während der Steuersatz auf Bundesebene unverändert bleibt, sinkt er auf Kantonsebene bis 2022 um fast die Hälfte. Für Kanton und Gemeinden fallen dadurch grosse Erträge weg. Einen Grossteil deckt der Kanton bis 2027 mit einem Finanzausgleich.

Die Rechnung geht (noch) nicht auf

Was schon bei der Reform bekannt war: Die abgeschafften Privilegien der überwiegend international tätigen Firmen kompensieren die Steuersenkungen der Firmen mit Gewinnen von über 100’000 Franken nicht. Aus einem einfachen Grund: Holdings und gemischte Gesellschaften sind im Kanton Solothurn vergleichsweise spärlich angesiedelt. Die Folgen der Steuerreform für Firmen machen sich 2021 – im zweiten Jahr nach der Einführung – erst richtig bemerkbar. Gemeinden, die sich schon bisher mehrheitlich durch Steuern der Privathaushalte alimentierten, kommen glimpflich davon. Olten zählt nicht dazu: Gemäss Budgetplanung wird sich der Steuerertrag durch Firmen innerhalb von drei Jahren auf 2021 hin ungefähr halbieren – von rund 20 Millionen auf knapp 11 Millionen Franken.

«Wir hoffen, dass die Firmen sich durch die tieferen Steuern erholen und eine grössere Wertschöpfung erreichen, womit sich die Steuerabgaben erhöhen dürften.»

Thomas Steiner, Spezialist für Gemeindefinanzen beim Kanton

Um die Gemeinden zu entlasten, leistet der Kanton bis 2027 jährliche Ausgleichszahlungen von rund 25 Millionen Franken oder 200 Millionen in acht Jahren. Im Fall von Olten rechnet der Kanton mit Einbussen der Steuererträge von rund 6,8 Millionen Franken. Der Kanton deckt die Lücke mit einem Beitrag von 4,1 Millionen Franken nicht vollständig. Wie also soll die Rechnung für Gemeinden langfristig aufgehen? «Es liegt nicht am Kanton, eine Volldeckung sicherzustellen. Die Gemeinden haben sowohl bei den Einnahmen wie auch bei den Ausgaben Kompensationen zu suchen», sagt Thomas Steiner, Leiter für Gemeindefinanzen beim Kanton. Er gibt zu bedenken: «Auf mittlere Sicht dürften sich dank höherer Wertschöpfung bei den Firmen die Steuerabgaben erhöhen.» Ob die Gemeinden den Steuerfuss erhöhen, um die tieferen Erträge abzufedern, entscheiden sie autonom.

Olten hat dies letzte Woche getan. Ein Vorstoss von einzelnen Parlamentariern wollte den Steuerfuss für Firmen auf 138 Prozent erhöhen und warf hohe Wellen. Dreissig Prozentpunkte! Im Coronajahr! Mit nicht absehbaren Folgen! Der Antrag blieb chancenlos.

Schreckensszenario: Die Abwanderung

«Wir sind für den Finanzhaushalt unserer Stadt zuständig. Wir haben ein Einnahmenproblem», hatte der Grüne-Stadtratskandidat Raphael Sommer-Schär in der Parlamentsdebatte gewarnt. Für die Zukunft stellen sich Grundsatzfragen, da die Firmensteuern durch die Steuerreform im Verhältnis zu den Beiträgen der Privathaushalte an Bedeutung verlieren. Vertraut die Stadt darauf, künftig neue Unternehmen anzulocken und so die Steuererträge steigern zu können? Der Grüne Nationalrat Felix Wettstein verweist jeweils auf die Vergangenheit. Sie lehre, dass ein tieferer Steuerfuss nicht zu mehr Zuzügen führe.

«Firmen und ihre Inhaber sind nicht immer gewillt, Auskunft zu geben. Vor allem wenn es steuerliche Gründe sind.»

Daniel Probst, Direktor der Handelskammer

Daniel Probst ist als Direktor der Solothurner Handelskammer am Puls der Unternehmen. Die Steuern seien zwar selten alleinige Treiber, aber durchaus relevant, beteuert er. «Steuererhöhungen führen langfristig nicht nur zu Wegzügen, sondern kurz- und mittelfristig zu weniger Investitionen, was in Krisenzeiten Gift für die Konjunktur ist», schrieb Probst neulich in einer Debatte auf den sozialen Medien.

Die Übersicht fehlt

Was im Kanton Solothurn bisher fehlt, sind aussagekräftige Statistiken. Die kantonale Wirtschaftsförderung erhebt zwar seit 2014 die Zu- und Wegzüge von Unternehmen. Die Rücklaufquote der Fragebogen war letztes Jahr mit 18 Prozent bescheiden. Zudem sagt die Umfrage nichts über die Steuerkraft einer Firma aus.

Die weggezogenen Unternehmen beschäftigten gemäss der nicht repräsentativen Statistik auf tiefem Niveau mehr Mitarbeitende als die zugezogenen Firmen. Und zwischen 2014 und 2019 werden die «steuerliche Gründe» am dritthäufigsten als Wegzugsgrund genannt. «Grundsätzlich ist es für den Kanton schwierig, eine zuverlässige Statistik zu führen», gibt Daniel Probst auf Anfrage zu. «Firmen und ihre Inhaber sind nicht immer gewillt, Auskunft zu geben. Vor allem wenn es steuerliche Gründe sind. Die weggezogenen Firmen haben meist wenig Motivation, dem verlassenen Kanton Ratschläge zu geben.»

«Die drei besten Steuerzahler sind höchst mobil.»

Benvenuto Savoldelli, Finanzdirektor Olten

Was den Zustand der Firmen betrifft, befinden sich die Gemeinden gleichwohl nicht im Blindflug: Ablesen lässt sich die Steuerkraft der Unternehmen in der Rechnung. Für Olten zeigt sich hier das vielzitierte «Klumpenrisiko». Zehn Unternehmen tragen rund 75 Prozent des Steuerertrags juristischer Personen bei. Einer der drei besten Steuerzahler entrichtet ausschliesslich Kapitalsteuern, wie Finanzdirektor Benvenuto Savoldelli dem Parlament letzte Woche schilderte. Mit insgesamt 2,23 Millionen Franken machen die Kapitalsteuern einen wesentlichen Betrag im Oltner Budget aus. Bei einem um 30 Prozentpunkte höheren Steuerfuss würden die Kapitalsteuern auf 2,85 Millionen Franken ansteigen. Dies könnte zu Wegzügen führen, hatte Savoldelli gewarnt. «Die drei besten Steuerzahler sind höchst mobil.»

Soll Olten der Wirtschaft vertrauen?

Daniel Kissling von Olten jetzt! äusserte sich in der Budgetdebatte dahingehend, die Stadt müsse ihre Interessen wahren und auf jene Unternehmen setzen, die sich auch bei höherem Steuerfuss zu Olten bekennen. «Es kommt mir wie auf dem Pausenplatz vor. Als würde immer jener gewinnen, der Tomaten verteilt, weil er halt der Stärkste ist. Wollen wir uns von den grossen Unternehmen herumschieben lassen?»

Stadt-Bierbrauer Luc Nünlist (SP) plädierte für den Solidaritätsgedanken, auf welchem die Steuern basieren: «Wenn ich zu den Unternehmern zählen würde, die 100’000 Franken oder mehr Gewinn machen, dann wäre ich stolz darauf, meinen Beitrag zum Staatswesen zu leisten und meine schwächeren Zulieferer und Abnehmer zu stützen.»

Grenchen als Vorreiterin

Wie also soll der Fiskus mit der Steuerreform umgehen: Den Steuerfuss erhöhen und auf ortsverbundene Unternehmen hoffen? Oder in den Standortwettbewerb einsteigen und den Steuerfuss senken? Auf das aktuelle Jahr hin reduzierten tatsächlich mehrere Solothurner Gemeinden ihren Steuerfuss. Prominentes Beispiel ist die Stadt Grenchen. Die Uhrenstadt ging mit den Firmensteuern auf einen Schlag um 30 Prozentpunkte runter. «Da die Stadt Grenchen in den letzten Jahren bei den juristischen Personen eher tiefe Steuererträge verbuchte, ist der Effekt wenig dramatisch», sagte Stadtpräsident François Scheidegger Ende 2019 gegenüber dem Grenchner Tagblatt. «Insbesondere auch deshalb, weil der Kanton die nächsten acht Jahre einen Teil der Steuerausfälle ausgleichen wird.» Er bezeichnete den Schritt als «Investition in die Zukunft».

Dulliken als Gegenbeispiel

Den entgegengesetzten Weg wählte Dulliken. Als eine der wenigen Gemeinden erhöhte sie den Steuerfuss – gleich um 30 Prozentpunkte auf 119 Prozent. «Das hat eine Geschichte», sagt Verwaltungsleiter Andreas Gervasoni am Telefon. «Wir befanden uns als Nachbargemeinde von Däniken in einer misslichen Lage.» Nachdem Dullikens Zwillingsschwester ihren Steuerfuss für Firmen gleich auf 50 Prozent senkte, war die Gemeinde als grösste Industrieland-Besitzerin Dullikens für Investoren plötzlich nicht mehr interessant. «Wir machten uns damals Gedanken, wie wir hier ein Gegengewicht schaffen und an Attraktivität gewinnen können», erzählt Gervasoni. Als logische Strategie senkte Dulliken vor ein paar Jahren die Firmensteuern markant: um 30 Steuerpunkte. So sei es gelungen, das Steuersubstrat so zu erhöhen, dass Steueraufkommen der Gemeinde auf gleichem Niveau blieb.

«Bei geringen Gewinnen fallen die Steuerdifferenzen fast nicht ins Gewicht.»

Andreas Gervasoni, Finanzverwalter Dulliken

«Mit der Steuerreform ist die grosse Differenz zu den natürlichen Personen nicht mehr gerechtfertigt», sagt Gervasoni zur neuerlichen Kehrtwende. Weil Unternehmen mit einem Gewinn von unter 100’000 Franken bereits vor der Steuerreform von einem vergünstigten Tarif profitierten, bedeutet der neue Steuerfuss (119 Prozent) eine leichte Steuererhöhung für die «Kleinen». «Bei geringen Gewinnen fallen die Steuerdifferenzen fast nicht ins Gewicht», sagt Gervasoni. Bisher habe die Gemeinde keine negativen Reaktionen erhalten. Die Unternehmen erhielten die Steuerrechnung jedoch erst im kommenden Jahr, gibt der Verwaltungsleiter zu bedenken.

Der abwartende Mittelweg

Auch Oensingen spürt die durch die Steuerreform verursachten Mindererträge und muss nach Abzug des kantonalen Ausgleichs mit einem Loch von rund 350’000 Franken rechnen. «Die Steuerreform ist eine Investition in den Wirtschaftsstandort Kanton Solothurn», schreibt Gemeindepräsident und Kantonsrat Fabian Gloor. «Es versteht sich daher von selbst, dass diese Ausfälle nicht vollumfänglich kompensiert werden sollen.» Langfristig werde dies dem Kanton mehr Arbeitsplätze und Steuererträge einbringen. Dennoch prüft auch Oensingen ab 2022 eine Steuerfusserhöhung für Firmen. Die grösste Gäuer Gemeinde hat wie Olten zunächst den abwartenden Mittelweg gewählt.


Wie sollen die Gemeinden künftig ihre Einnahmen sichern?

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