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Von Salamitaktiken und Rohrkrepierern

Zwei Abende lang diskutieren die Volksvertreterinnen das Oltner Budget. Zwei Abende voller Metaphern und mit einigen Zukunftsvisionen. Am Ende der acht Stunden ist die Stadt nicht neu erfunden. Aber die Debatte lebt.
22. November 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Blick in die Oltner Weite. Die alljährliche Budgetdebatte zeigt bruchstückhaft, wohin sich die Stadt entwickelt.

Beginnen tut die Debatte am Mittwochabend mit einem Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Nämlich mit dem Hinterfragen von Investitionen. Sind die neuen Elektroinstallationen und die Beleuchtung im Säli-Schulhaus gut 2,2 Millionen wert? Die Rechte zweifelt. Die Linke beklagt die ohnehin schon hinterherhinkenden Investitionen. Am Ende gibt das Parlament grünes Licht.

Dann geht’s um Edelstahl und Salamitaktik. Mit Edelstahl will die Stadt das algenbefallene Sprungbecken der Oltner Badi auskleiden. Der Vorwurf der SVP und FDP an die Adresse der Stadtregierung: Sie portioniert die einzelnen Sanierungsschritte des Strandbads auf Projekte von unter 4 Millionen Franken und umgeht so eine obligatorische Volksabstimmung – Salamitaktik eben. «Macht doch mal ein Gesamtkonzept», fordert SVP-Vertreter Matthias Borner. Als Beispiele zieht er Aarau und Solothurn heran, die beide einem grossen Badiprojekt zustimmten. «Habt keine Angst.»

In einer Frage besteht Einigkeit: «Was wollen wir überhaupt für eine Badi?», fragt Daniel Kissling von Olten jetzt! Auch die Grünen wünschen sich beim Blick auf die Badi-Zukunft eine «höhere Flughöhe». Heinz Eng stimmt in den Chor ein. Schon als 4-Jähriger habe er in diesen Becken gebadet. Mit einem auf Olten gemünzten Zitat von Antoine de Saint-Exupéry fordert er mehr Innovation: «Willst du eine schöne Badi in Olten umbauen, wecke in den Menschen die Sehnsucht nach dem Wasser und der Aare.» Warum nicht Wellenbad und Sandstrand? Dafür erntet er Lacher im Plenum. Vorerst bleibt alles wie geplant. Aus Beton wird Edelstahl.

Apropos Salamitaktik: FDP-Fraktionschef Urs Knapp schaut in der Pause genau hin und schreibt später in seinem Bericht: «Zufall oder nicht: Baudirektor Thomas Marbet stärkte sich in der Sitzungspause mit einem Salamibrot …»

Hier streichen, dort investieren

Vorbei ist’s mit der Aufwärmübung. Ran geht’s an die dicken Bücher, die alle Parlamentarierinnen auf ihrem Pult gestapelt haben. Das Budget 2021. Seite um Seite führt Parlamentspräsident Philippe Ruf durch den Zahlendschungel. In diesem Moment ist Politik ein kleines Wunschkonzert. Hier die Rechten, die Ausgaben streichen wollen. Da die Linken, die Investitionen steigern möchten. Die Stadt schiebe die geplanten Projekte wie ein Schneepflug vor sich hin, argumentieren die Grünen. Die SVP will das Budget durchwinken, wenn das Parlament Sparanträge gutheisst. Die SP warnt vor Streichungen – die CVP vor einer «fatalen Steuererhöhung». Die FDP bezeichnet eben diese als «selbstzerstörerisch».

Werden nun die grossen Weichen für Oltens Zukunft gelegt? Nicht wirklich. Den ersten Streichungsantrag stellt die SVP: Parlamentspräsident Philippe Ruf möchte auf sein Abschiedsgeschenk verzichten und auch das Abschlussessen zur Legislatur streichen. «Man muss den Wald sehen und nicht die Bäumlein», nervt sich Heinz Eng (FDP) über die vernachlässigbaren Streichungsanträge und gewinnt damit abermals Lacher für sich. Die Episode gibt auch tags darauf auf Facebook noch zu reden. Die Parlamentarier führen ihre Debatte weiter:

Der Rest des ersten Abends ist rasch erzählt: Das Parlament zeigt sich vor dem bevorstehenden Wahljahr spendabel. Und macht gar Sparbemühungen des Stadtrats wieder wett. Die Oltner Stadtmusik erhält nächstes Jahr wie bisher 19’000 Franken. Offenbar ohne den Verein zu informieren, wollte der Stadtrat den Beitrag um fast die Hälfte kürzen. Dies rief die Stadtmusik auf den Plan. Vor dem Konferenzhotel Arte, dem Ort der Parlamentssitzung, lobbyierten sie für ihre Musik. Gleich verhält es sich mit vom Stadtrat gestrichenen Geldern an Kulturbetriebe: Florian Eberhard (Junge SP) überzeugt das Parlament mit dem Antrag, die 17’500 Franken wieder ins Budget aufzunehmen. Und so dreht sich das Karussell im Kreis.

Eine Budgetdebatte bietet aber auch die Chance, Mankos der Stadt zu besprechen. CVP-Parlamentarier Thomas Kellerhals etwa «erschrak», als er realisierte, dass die Stadt für ihre rund 200 Mitarbeitenden bisher keine Personalabteilung hatte. Künftig erhält die Stadt zu einem 40-Prozent-Pensum einen Personalassistenten. Dies, obwohl die Finanzkommission die zusätzliche Stelle hätte streichen wollen. «Leute zufrieden zu stellen, ist eine Führungsaufgabe», philosophiert Urs Knapp zur Arbeitsethik. Eine Mehrheit widerspricht seiner Weltansicht.

Nur Zirkuspferdchen?

Zwanzig zusätzliche Stellenprozente, um Oltens Geschichte im Stadtarchiv aufzuarbeiten: Dies fordert Luc Nünlist zu fortgeschrittener Stunde vergebens. Das Parlament ist in dieser Frage in einer Pattsituation – Parlamentspräsident Philippe Ruf gibt den Stichentscheid. Tobias Oetiker von Olten jetzt! reflektiert am Tag nach dem Budgetabend über eine Äusserung des Stadtpräsidenten und ist irritiert:

Tag zwei beginnt mit dem bewährten Salamitaktik-Vorwurf, nur diesmal in anderem Kontext. Zusätzlich zum eben installierten mobilen Sozial- und Sicherheitsdienst will sich der Stadtrat ein Budget offenhalten, um die Securitas in Parkanlagen einsetzen zu können. Nur für den Konfliktfall versichert Thomas Marbet. Das sei eine «Salamitaktik des Verdrängens», kritisiert Simon Muster. Die Stadt habe die Menschen vom Ländiweg in den Stadtpark vertrieben. Das Parlament folgt dem Streichungsantrag knapp. Für die Litteringproblematik haben die Gemeinderäte mehr Gehör. Auf Luc Nünlists Initiative stockt das Parlament die Stellenprozente für die Abfallentsorgung auf. Der Werkhof erhält somit mehr Luft.

Eine weitere frohe Botschaft für die Digital Natives: Das Stadthaus erreicht im Jahr 2021 das moderne Internetzeitalter und erhält ein WLAN-Netzwerk. Der IT-Unternehmer Tobias Oetiker macht grosse Augen, als er erfährt, dass die Verwaltung bisher noch ohne kabelloses Internet und weitgehend ohne Laptops auskam. Was für den einen nicht wegzudenken ist, würde die Finanzkommission gerne aus dem Budget streichen. Zu teuer sind ihr die 115’000 Franken. Es sei nun mal aufwendig, in einem 11-stöckigen Betonhochhaus kabelloses Internet einzurichten, erwidert Stadtrat Marbet. Das Argument überzeugt.

Die vielen Hüftschüsse

Um den «Investitionsschneepflug» zu vermeiden, will der Grüne Felix Wettstein eine ganze Reihe für 2022 geplante Projekte vorziehen. Bloss ein Teil erweist sich als praktikabel. Immerhin spricht das Parlament Geld für Schulmobiliar und Bushaltestellen-Wartekabinen.

Im Gegenzug überrascht Matthias Borner (SVP) mit einem Antrag, die Mittel für das bereits beschlossene und aufgegleiste Parkleitsystem auf eine halbe Million Franken zu halbieren. Die SVP sei irritiert, da nicht alle Parkanbieter mitmachen, begründet er. Sein Antrag aus dem Nichts löst einen mittelgrossen Sturm aus. «Für diesen Hüftschuss habe ich null Verständnis», sagt Myriam Frey (Grüne). Borner zieht den Antrag wenig später zurück.  

Ihren emotionalen Höhepunkt erreicht eine Budgetdebatte für gewöhnlich, wenn der Steuerfuss zum Thema wird. Das ist in diesem Jahr nicht anders. Die vier Parlamentarier Tobias Oetiker, Daniel Kissling und Laura Schöni von Olten jetzt! sowie der Grüne Raphael Schär wollen die Gewinnsteuern für Firmen um 30 Prozentpunkte auf 138 Prozent erhöhen.

Ein Hüftschuss? Als solchen empfindet Muriel Jeisy (CVP) die Forderung. Zuvor hatte Finanzdirektor Benvenuto Savoldelli mit einer flammenden Rede vor einem «falschen Signal» und einem «Rohrkrepierer» gewarnt. Ins Konzert der alarmierenden Stimmen reiht sich auch Stadtpräsident Martin Wey ein: «Ihr glaubt nicht, wie viele Telefone ich von Unternehmern erhalten habe.»

Die abschreckende Zahl 30

30 Prozentpunkte – was krass klingen mag, relativiert sich durch die Unternehmenssteuerreform: Aufgrund dieser beläuft sich der Steuersatz auf Gemeindeebene für Firmen mit einem Gewinn von über 100’000 Franken im kommenden Jahr noch auf 4,7 Prozent – notabene gegenüber 8,5 Prozent 2019. Bei gleichbleibendem Steuerfuss bezahlen Unternehmen künftig gut 44 Prozent (!) weniger Steuern. Nur: Firmen mit einem Gewinn von unter 100’000 profitierten bereits vor der Steuerreform von einem tieferen Steuersatz (5 Prozent). Mit einer Steuererhöhung um 30 Prozentpunkte müssten somit 85 Prozent der Oltner Firmen – die «Kleinen» – bis zu 1000 Franken mehr Steuern berappen.

Nicht ausschliesslich die Bürgerlichen, sondern auch SP-Vertreter schrecken vor diesem Szenario zurück. Daran ändert auch Florian Eberhards (Junge SP) «wohlüberlegter Hüftschuss» nichts. Er schlägt eine moderate Erhöhung der Firmensteuern auf 123 Prozent vor. Heinz Eng ist es der Polemik zu viel. Aber er nimmt es in seiner gewohnten Art mit Humor: «Als Schützenpräsident fühle ich mich wie im Schiessstand, wenn ihr von Rohrkrepierer und Hüftschüssen sprecht.» Das Parlament versenkt die Steuererhöhung.

Auch das letzte Budgetgeschäft hält etwas Komik bereit: Felix Wettstein (Grüne) hätte gerne die Personalsteuer von 50 Franken abgeschafft. «Wollen wir weiterhin die unsoziale Art, eine Gebühr einzuziehen, aufrechthalten?», fragt er rhetorisch ins Rund. Nach mehrminütiger Debatte meldet sich Benvenuto Savoldelli: Finanzverwalter Urs Tanner hat ihn eben darauf hingewiesen, dass die Personalsteuer im Steuerreglement festgehalten ist. Wettsteins Antrag ist nicht zulässig.

Ein paar Minuten vor der Sperrstunde um 23 Uhr ist Oltens Budget besiegelt.


Was würdest du dir vom Oltner Parlament wünschen?

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