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Der Verhinderer von Olten Südwest

Mit einem aussergewöhnlichen Deal will die Stadt das neu entstehende Quartier Olten Südwest über den Hammer ans Zentrum anbinden. Thomas Wehrli will diesen stoppen, weil die Stadt in seinen Augen viel Geld verliert. Und er hat eine kühne Idee.
22. März 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo, Christian Grund

Ein Querulant will er nicht sein. «‹Nicht sehr angepasst› stimmt hingegen», sagt Thomas Wehrli. Es ist ein bitterkalter Novemberabend. Jegliches Gefühl in den Fingerspitzen ist verloren gegangen, als die Sonne hinter der immensen Kiesgrube verschwindet. Thomas Wehrli stösst sein Velo über die Schutthalde im brachliegenden Areal Olten Südwest.

Nächtelang hat er sich im Jahr 2020 mit diesem Oltner Stadtteil und dessen Zukunft befasst. Diese 2,75 Hektaren grosse Fläche, auf der rund 39 Fussballfelder Platz fänden. Und die dereinst eines der bevölkerungsstärksten Quartiere der Stadt werden soll. Die Irrungen und Wendungen zum Areal Südwest sind lang. So lang, dass Oltnerinnen manchmal fast den Garaus haben und das Thema leid sind. Das geht selbst Thomas Wehrli so. Und auch ein wenig mir. Sonst hätte ich nicht gut vier Monate benötigt, um diese Zeilen zu verwirklichen.

Aber die Bedeutung des Areals ist viel zu gross, als dass die Diskussion vernachlässigt werden kann. Das denkt sich auch Thomas Wehrli.

«Ich will, dass die Stadt Politik macht, denn bisher überlässt sie das Schicksal von Olten Südwest einem Investor. Was sie macht, ist weder linke noch rechte Politik.»

Und darum hat er sich in die Materie reingebissen. Vor sechs Jahren begann er, sich richtig mit Olten auseinanderzusetzen. Über die Restessbar und den Verein «Olten im Wandel» sei er hier angekommen, erzählt Wehrli. Heute kennen viele sein Gesicht, weil er mit Velo und beladenem Anhänger nichtverkaufte Nahrungsmittel durch die Stadt fährt und zur Restessbar bringt. Lange rang er damit, ob er sich auch parteipolitisch einbringen solle. Einst noch Gründungsmitglied der Grünliberalen im Kanton Aargau, hatte er der institutionellen Politik den Rücken gekehrt. In Olten will er’s nun nochmal wissen. In letzter Minute liess er sich bei den Grünliberalen für die Parlamentswahlen aufstellen. Online nimmt er jetzt schon sehr aktiv an den Debatten teil. In der Oltner Facebook-Blase zählt der studierte Physiker zu den schärfsten Kommentatoren. Auch wenn über Olten Südwest debattiert wird.

Bild: Christian Grund

Bis heute ist Wehrli überzeugt, dass die Stadt in der Brache die falsche Strategie fährt und sich von der Investorenfamilie Bachmann hat übertölpeln lassen. Daran ändert auch der zweite Gestaltungsplan nichts, welcher der Stadt zwar Errungenschaften brachte. Aber eben auch Eingeständnisse an den Investor.

Mit dem im letzten Winter präsentierten Gestaltungsplan hat die Stadt wegweisend vordefiniert, wie sich das Areal künftig entwickeln soll. Und zwar wesentlich rigoroser als im ersten Gestaltungsplan, dessen Ergebnis jene «Plastikklötzlein mit Ölheizung» waren, wie Thomas Wehrli sagt. Wenn denn in Olten Südwest weitergebaut wird, so müssen die Gebäude beispielsweise zu mindestens 80 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben sein. Auch hat die Stadt grosse Grünflächen bestimmt, die der Natur weiterhin Raum lassen sollen. Mit den bis zu 43 Meter hohen Bauten gegen den Bahnhof Hammer hin würde das Quartier zudem nochmal markant verdichtet. Und die Stadt erhält 11’000 Quadratmeter Land im Herzen des Areals für öffentliche Bauten kostenlos zugesichert.

Auch wenn Thomas Wehrli den Pfeilern des neuen Gestaltungsplans nicht per se abgeneigt ist, will er ihn verhindern. Stören tut er sich an einem Punkt, den die Stadt unzertrennlich an den Gestaltungsplan gekoppelt hat:

Die Stadtteilverbindung Hammer

Sie alleine füllt ein dickes Kapitel zur Causa Olten Südwest. Wie schon an anderen Orten hat Olten als Verkehrsknotenpunkt auch hier mit der Frage zu kämpfen: Wie binden wir das neue Quartier an die Stadt an? Anders als im Fall der Trennung durch die Aare gibt’s eine an sich gute Lösung. Die Achse soll zuerst als Brücke direkt über die Entlastungsstrasse (ERO) und dann durch den Bahnhof Hammer hindurchführen.

Querschnitt der geplanten Stadtteilverbindung Hammer. Quelle: Stadt Olten

Auf rund 20 Millionen Franken beziffert die Stadt die Kosten für die neue Verbindungsachse. Zunächst sollte die Stadt einen Grossteil alleine stemmen. Der Besitzer von Olten Südwest sicherte einen Beitrag von 2,5 Millionen Franken zu. Doch im Parlament erlitt die Vorlage 2016 Schiffbruch. Eine bürgerliche Mehrheit fand, die Anbindung über den Rötzmatttunnel genüge – wichtigere Projekte stünden an. Die Besitzerfamilie Bachmann – bei der Vater Leopold die Geschicke längst Sohn Sigmund übergeben hat – beharrte aber auf der Personenunterführung. Die Stadt Olten sei in seinen Augen dazu verpflichtet, das Quartier anzubinden, sagte Sigmund Bachmann vor gut vier Jahren gegenüber dem Oltner Tagblatt.

Ende 2019 vermeldete die Stadt eine überraschende Wendung: Die Terrana AG Rüschlikon der Familie Bachmann würde die Hammer-Verbindung fast gänzlich übernehmen. 16 Millionen leisten die Investoren Bachmann – im Gegenzug zont die Stadt eine 9 Hektaren grosse Fläche (also rund ein Drittel des Areals) von Industrie- zu Bauland um. Das Land wird somit um 40 Millionen Franken aufgewertet und davon muss der Eigentümer gemäss neuem Gesetz 40 Prozent an die Stadt entrichten. Was eben diese 16 Millionen ausmacht. Gemeinsam mit den 3 Millionen Franken aus dem Agglomerationstopf müsste die Stadt somit für die geschätzten Projektkosten von 20 Millionen nur noch 1 Million leisten.

Ein geschickter Deal?

«Der Investor zahlt eine gesetzlich geschuldete Mehrwertabgabe und keinen Rappen mehr», sagt Thomas Wehrli, in Sichtweite zu jenem Ort, wo die Stadtteilverbindung irgendwann den Boden von Olten Südwest berühren soll. Ginge es nach ihm, müsste der Investor die Stadtteilverbindung per Gesetz finanzieren. Wehrli kramt eine alte Schokoladenverpackung aus Karton hervor, auf der er jeden freien Flecken mit seinen Notizen bekritzelt hat. Und er beginnt, die entsprechenden Gesetzesartikel vorzulesen.

Es geht vor allem um den Artikel 108 aus dem kantonalen Planungs- und Baugesetz. Darin steht: «Erwachsen Grundstücken durch die Erstellung öffentlicher Erschliessungsanlagen Mehrwerte oder Sondervorteile, haben die Gemeinden von den Grundeigentümern angemessene Beiträge zu verlangen.»

In der entsprechenden Verordnung werden die Ausführungen konkret ausgelegt:

«Die Gesamtheit der Grundeigentümer, deren Grundstücke durch den Neubau einer Strasse einen Mehrwert oder Sondervorteil erhalten, haben an die Erstellungskosten der Gemeinde folgende Beiträge zu bezahlen: a) für Erschliessungsstrassen und Fusswege 80 % der Kosten; […] Die Gemeinde kann diese Ansätze erhöhen.»

Wehrlis Einsprache gegen den Gestaltungsplan war für ihn in erster Linie eine Kampfansage an den Investor. Er bezeichnet ihn als «klugen Siech». Die Stadt jedoch habe es verpasst zu verhandeln.

Bild: Timo Orubolo

Mit seiner Einsprache blieb Thomas Wehrli beim Stadtrat erfolglos. Was die Finanzierung der Unterführung betrifft, schreibt die Stadt in ihrer Antwort: Die Stadtteilverbindung Hammer sei nicht nur wichtig, um die Bauten des Grundeigentümers zu erschliessen. Auch sie selbst profitiere durch die ihr zugesicherten Zone der öffentlichen Bauten und Anlagen. Gleiches gelte für die angrenzenden Siedlungsgebiete. Und: «Eine Erschliessung der eingezonten Siedlungsfläche ist eine kommunale Aufgabe und kann nicht einem Grundeigentümer übertragen werden.» Hinzu kommt, dass die Finanzierung der Hammer-Unterführung zwischen Stadt und Investor in einem separaten Vertrag geregelt ist – also nicht Teil des Gestaltungsplans ist.

Mit dem neuen Gestaltungsplan werde die politische Mitsprache verunmöglicht, glaubt Wehrli. Er hat nicht nachgegeben und seine Beschwerde an den Kanton weitergezogen. Drei weitere Beschwerden von anderen Parteien liegen beim Bau- und Justizdepartement. Dort sagt man auf Anfrage, noch liesse sich nicht abschätzen, wann der Fall bearbeitet sei.

Ein Beispiel aus Münchenstein gibt Thomas Wehrli recht. Der Bauherr einer urbanen Überbauung soll dort zwei Drittel der Kosten einer Stadtteilverbindung übernehmen. Der Fall scheint ähnlich gelagert, wenn auch die dortige Fussgängerbrücke weniger komplex ist als die geplante Verbindung im Hammer. Auch in Münchenstein profitieren nicht ausschliesslich die Quartierbewohnerinnen vom geplanten Gleisübergang.

Stillstand als Zwischenziel

Im Vordergrund steht für Thomas Wehrli nicht die Unterführung per se. Wichtig ist ihm das grössere Bild, wie er in unserem zweiten Gespräch betont. «Es ist nicht so, dass wir für Olten Südwest dringend einen neuen Gestaltungsplan benötigen», sagt Wehrli an einem grauen Märznachmittag am Telefon. Aus seiner Wohnung sieht er direkt auf das grosse Entwicklungsgebiet hinunter.

Ginge es nach Wehrli, müsste sich dort unten in den kommenden Jahren gar nichts entwickeln. «Wir haben da wunderschöne Natur. Was bringt es uns, wenn man ‹Klötzlein› baut, die zu einem Drittel leer sind?», fragt er rhetorisch.

Verhindern will Wehrli nicht die Stadtverbindung in den Hammer, sondern vielmehr die Umzonung. «Wir schaffen Bauland, für welches auf längere Sicht kein Bedarf besteht», sagt er und verweist auf die Leerwohnungsziffer von über 3 Prozent in der Stadt Olten. Er findet darum, die Stadt müsse erstmal in der angelaufenen Ortsplanungsrevision festlegen, wo und wie sich die Stadt entwickeln will. «Der Gestaltungsplan zu Südwest greift vor, was die neue Ortsplanung will», sagt Wehrli. Davon abgesehen begrüsst er vieles im neuen Gestaltungsplan. Er kann sich vorstellen, dass die darin definierten Richtlinien als Minimalstandards in der Ortsplanung festgelegt werden.

Bild: Christian Grund

Mit dem geschnürten Paket zu Olten Südwest mache die Stadt dem Investor ein «sinnloses Geschenk», sagt Wehrli. «Er kriegt die PU Hammer und die Umzonung geschenkt und kann das Bauland für einen guten Preis verkaufen. Obendrauf diversifiziert er mit dem neuen Gestaltungsplan sein Profil.»

Das sieht die Stadt anders. Auch sie habe sich Vorteile ausgehandelt, wie Stadtbaumeister Kurt Schneider im Gespräch mit Kolt betonte: Sigmund Bachmann müsste die 16 Millionen erst leisten, wenn er auf dem umgezonten Bauland effektiv baut. Er bezahlt aber bereits jetzt. Und der zweite Punkt: Die Stadt muss die Mehrwertabgabe ohnehin zweckgebunden einsetzen. Sei es wie in diesem Fall für Erschliessungsinfrastruktur oder als Reserve für Bauland-Rückzonungen, für welche die Gemeinde die Landbesitzerin entschädigen muss.

Landkauf als Lösung

Aus Thomas Wehrlis Sicht zieht die Stadt trotzdem den Kürzeren. «Wir ermorden den einen grossen Verhandlungstrumpf der Stadt, nämlich die Stadtteilverbindung Hammer, indem wir den anderen grossen Trumpf schlachten – die Umzonung.» Er hätte einen kühnen Vorschlag. «Die Stadt muss den Investor noch zehn Jahre aussitzen», sagt er. Was er darunter versteht? Die Umzonung zurückstellen. Die Finanzierung der Stadtteilverbindung neu verhandeln. Und Olten Südwest in seinem jetzigen Zustand belassen. Wehrli stellt eine Hypothese auf: «Ich bin mir sicher, dass er das Land oder zumindest einen Teil verkaufen wird.» Am liebsten möchte er die Stadt als Käuferin sehen.

Ein Verkauf in Zeiten, in welchen alle nach Möglichkeiten suchen, um ihr Geld anzulegen? Sigmund Bachmann persönlich sagte gegenüber dem Oltner Tagblatt schon vor vier Jahren, er werde nicht aus Olten Südwest aussteigen, und fragte rhetorisch: «Was will man sonst machen mit dem vielen Geld?» Er signalisierte aber, er könne sich vorstellen, einzelne Parzellen zu verkaufen.

Ja, der Investor habe überhaupt keine zeitliche Not, um zu verkaufen, gesteht Wehrli ein. Aber er glaubt nicht daran, dass die Terrana AG Rüschlikon die Hochhäuser beim Bahnhof Hammer selbst bauen werde. «Weil sie noch nie sowas gebaut hat», sagt Wehrli. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Bauweise der Olten-Südwest-Investorin nicht passt. «Plastikklötzlein mit Ölheizung», nennt er sie immer wieder.

Bild: Christian Grund

Auf der Webseite der Stiftung des Olten-Südwest-Landbesitzers Leopold Bachmann ist seine Tätigkeit als Bauherr in einer kurzen Vita auf den Punkt gebracht: «Effiziente Abläufe und standardisierte Bauweise positionierten seine Wohnbauten mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis in und um Zürich.» Der alte Patron lässt sich auf einem Spielplatz-Entchen ablichten, das in einer der Siedlungen steht, für die er bekannt ist.

Ist das Beispiel rund um die Stadtteilverbindung in den Hammer exemplarisch dafür, wie stark die Stadt von Privaten abhängig sein kann und wie die Machtverhältnisse liegen? Scheinbar kommt die Stadt nur zu Eingeständnissen, wenn sie Gegenleistungen zusichert. Wehrli will diese vermeintliche Abhängigkeit aufbrechen. «Die Verhandlungsmacht liegt hauptsächlich bei der Stadt», glaubt er. Dazu müsse sie nur die Gesetze mit Rückgrat ausspielen.

Er sagt: «Wohnen ist etwas, das so zentral ist, dass du es nicht schleifen lassen kannst.» Ein Markt existiere nicht, findet er. Der Konsument könne nicht sagen: «Ich will nicht wohnen.» Viele Menschen seien den Investoren ausgesetzt. Und ja, mit seinem Widerstand sei er im Moment ein «Olten-Südwest-Verhinderer». Er ist überzeugt, dass das, was er jetzt tut, irgendwann etwas Konstruktives in der alten Kiesgrube ermöglichen wird.


Ruhen lassen oder weiterentwickeln: Wie weiter mit Olten Südwest?

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