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«Egal wo man war, er ging immer als Letzter. Ausser im richtigen Leben. Das passt einfach nicht»

Der Kinderliedermacher Christian Schenker ist anfangs Mai 50-jährig an einem Hirntumor verstorben. Zwei seiner Kanti-Freunde begleiteten ihn seit über 30 Jahren. Sie erinnern sich im etwas anderen Nachruf an den charismatischen Künstler.
10. Mai 2021
Text: Isabelle Bitterli, Ruedi Studer, Yann Schlegel, Fotografie: Yves Stuber
Bilder: Yves Stuber, November 2014

Er schrieb und sang «Lieder für Kinder und solche, die es werden wollen». Christian Schenkers Texte erzählten unmittelbar aus der Lebenswelt der Kinder. Von Hexen, der Eisenbahn, Zappelfischen, dem Holzwurm und dem Bücherwurm. Aber auch von den Lebensphasen: «Du muesch & i wott», «Das bruuch i no!». Kleine Episoden, die viele Menschen berührten und an die eigenen unbeschwerten Kindertage erinnerten.

Seine ersten Kinderlieder schrieb Christian Schenker 1992 während seiner Ausbildung zum Kindergärtner. Mit seiner immensen Schaffenskraft schuf er während seiner Laufbahn elf Alben, trat auf unzähligen Bühnen auf. In dem Dorf, in dem er jeweils spiele, werde er quasi über Nacht berühmt – während man zehn Kilometer weiter noch nie etwas von ihm gehört habe, erzählte Christian Schenker, als das Kolt ihn 2014 porträtierte.

Er war Antirockstar. Fasnächtler. Familienmensch. Und vielen in der Region ein guter Freund. Isabelle Bitterli* und Ruedi Studer** waren zwei seiner Wegbegleiter. Sie haben zum Gespräch zusammengefunden und sich an die gemeinsamen Momente erinnert.

Isabelle Bitterli: Wenn ich an Christian denke, kommen mir spontan seine Kreativität und Ehrlichkeit in den Sinn. Als ich ihn zum ersten Mal im Schulzimmer sah, fiel er mir durch seine Haarpracht, die grossen Augen und den blauen Pulli mit Snoopy-Motiv auf. Immer trug er einen Snoopy-Pulli. Kommt der Name Snupi eigentlich davon? 

Ruedi Studer: Ich habe ihn einfach als Snupi kennengelernt. Den Spitznamen hatte er schon an der Bez in Hägendorf bekommen.

Er hatte ja viele verschiedene Namen. Er war der Chregu, Chregi, Christian und für die alten Freunde der Snupi. Die vielen Namen spiegeln eigentlich auch seine Vielseitigkeit. Fast jede Gruppe gab ihm einen anderen Namen. Nicht?

Ja, und als er ein Jahr lang mit der internationalen Musical-Truppe von Up with people rumtourte, war er der Chris. Im Musical spielte er übrigens einen Bösewicht – das Gegenteil davon, was er im echten Leben war. Da war er einfach ein toller und geselliger Typ, der gerne Menschen um sich hatte. Und viele waren gern um ihn. 

Tatsächlich, hatte ich fast vergessen! Als ich damals die Show sah, war ich schockiert, fast enttäuscht von ihm. Das Bild von diesem Fiesling, das er dort auf der Bühne spielte, passte so nicht zu seiner Art, dass ich es fast nicht akzeptieren konnte. Aber gerade das passte eben wieder zu seiner Professionalität auf der Bühne. Die Reise mit Up with people hat ihm auch sehr gefallen, weil er sehr viele Menschen und Kulturen kennenlernen konnte. Das hat ihn immer sehr interessiert. Du bist oft mit ihm gereist, oder?

Ja, vor allem in den 1990er Jahren waren wir in ganz Europa unterwegs – oft mit Interrail. Und wo lernt man Menschen und Kulturen kennen? In Bars und Beizen! Da musste ich jeweils ein bisschen gegensteuern, weil ich mir auch Sehenswürdigkeiten angucken wollte. So haben wir uns ergänzt, er als Partymacher und ich als Reiseführer. Er hatte immer die Gitarre mit dabei und ich den Fotoapparat. Und mit Strassenmusik haben wir uns die Unterkunft verdient. Womit wir bei seiner Musik wären …

Musik war immer im Mittelpunkt. Was mich als Teenager schwer beeindruckt hatte, war seine gigantische Sammlung an Kassetten und Schallplatten. Die Kassetten standen fast meterlang in einer Reihe, zweistöckig! Er kannte jede Band, jedes Lied. Und er konnte das meiste auch nachspielen und nachsingen. Seine Gitarre war natürlich immer dabei. Ging man an die alte Aare, packte er die Gitarre aus, noch bevor Holz für das Feuer gesammelt war. Geselligkeit, gemütliches Beisammensein, das war ihm wahnsinnig wichtig. Zeit mit Freunden verbringen. Zelten gehen, Party, Openairs. Schlafen war Nebensache. 

Also früher konnte er überall schlafen – in Genf sogar mal in einer Telefonkabine. Schlaflos war er aber an der Fasnacht! Da feierte er glaub einfach eine Woche durch. Ich bin nicht so der Fasnächtler, deshalb kann ich da nicht so viel erzählen. Ich weiss nur, mit Gitarre und Gesang hat er rund um die Uhr für Stimmung gesorgt. Nach der Fasnacht konnte er kaum mehr reden. Er war auch ein super Verslibrünzler – bei den Schnitzelbänken oder ganz spontan. Auch auf jeder Ferien-Postkarte hat er in Versform von seinen Erlebnissen erzählt. Für die Höckeler-Zunft war er der logische Obernarr – und es tut weh, dass er diesen Job nicht mehr übernehmen kann. 

Ja, das ist wirklich enorm schade. Nicht nur für die Oltner Fasnacht, sondern auch für ihn. Er hat sich wahnsinnig darauf gefreut. Wer kann schon einfach so aus dem Stegreif singend Verse dichten! Die Fasnacht hat vieles vereint, was ihm wichtig war. Freundschaft, Musik, Kreativität und Geselligkeit. Er war auch oft kaum zu stoppen vor Enthusiasmus. Als die Höckeler einmal im Salmen waren, fühlte er sich von der Stimmung so angetan, dass er musizierend über einen langen Tisch laufen wollte. Ich konnte ihn gerade noch rechtzeitig davon abhalten. Ihn zu stoppen, war immer schwierig, auch auf der Bühne. Er hatte unglaublich Spass daran, die Leute zu unterhalten. Er war auch wirklich mitreissend. 

Das können Zehntausende Kinder, Eltern, Göttis und Gotten hierzulande bezeugen. In der breiten Öffentlichkeit ist er ja als Kinderliedermacher bekannt. Ich finde einfach toll, dass für ihn die Kindermusik nicht einfach ein bisschen Trallala war, sondern dass er den Kindern coole Musik mit den verschiedensten Stilen und mit Supermusikern geboten hat. An seinem letzten Weihnachtskonzert war auch mein über 80-jähriger Nachbar mit dabei. Der war völlig begeistert.   

Die Weihnachtskonzerte waren legendär. Rockig und manchmal mystisch zugleich. Meine Kinder singen manchmal noch mit ihren 20 beziehungsweise 17 Jahren einfach plötzlich seine Kinderlieder und wundern sich über die musikalische und pädagogische Qualität seiner Ohrwürmer. 

Er hat ja auch immer zuerst den Text geschrieben und erst danach die Melodie. Der Inhalt war ihm enorm wichtig und doch war es niemals lehrmeisterhaft.

Einmal kam er am Tag nach einer CD-Taufe vorbei und wollte mir unbedingt etwas ab Band vorspielen. Er hatte während des Konzerts ein Mikrofon von der Decke hängen, dabei konnte man die Stimme einer Mutter hören, die mit ihrem Kind sprach, das offenbar müde war und heim wollte. Man hörte sie sagen: «Oh, du bist müde? Möchtest heimgehen? Dem Mami gefällt es aber gerade so gut, wir bleiben jetzt noch ein wenig, gell.» Wir waren zu Tränen gerührt, das war ein unheimliches Kompliment.

Er hat seine Musik wirklich gelebt und sehr professionell betrieben. Nahm sich endlos Zeit für die Verhandlungen mit Plattenfirmen, er wollte sich niemandem verkaufen und sich nicht einschränken lassen. Das war nicht immer einfach, aber hat sich für ihn ausgezahlt, er hat lieber auf Versprechungen verzichtet, um sich treu zu bleiben.

Genau. Er hatte bei dem, was ihm wichtig war, eine bewundernswerte Ernsthaftigkeit und Ruhe – eine Seite, die viele von ihm wahrscheinlich gar nicht so kennen.

So auch im Familienleben. Er war ein unglaublicher Familienmensch. Seine Frau Béatrice und seine zwei Töchter Malou und Yaël waren sein Zentrum. Er war so ein stolzer Papi. Und wie stark der Familienzusammenhalt im Schenker-Bonjour-Clan ist, hat sich während seiner Krankheit gezeigt. Das lässt sich gar nicht in Worte fassen. Oder kannst du es?

Als überwältigend habe ich den Zusammenhalt und die gegenseitige Fürsorge empfunden. Er war ein so liebevoller und engagierter Familienvater wie treuer Freund fürs Leben, all diese Hände haben ihn getragen und sind auch jetzt noch füreinander da, das ist schon wahnsinnig schön. Denn begreifen kann man es irgendwie noch immer nicht. Denn egal wo man war, er ging immer als Letzter. Ausser im richtigen Leben, hier war er von uns allen einer der Ersten. Das passt einfach nicht.

Auf jeden Fall kann man sagen, dass er sein Leben intensiv und tatsächlich nach seinen Wünschen gelebt hat. Kaum einer lebte so im Hier und Jetzt wie er. 

Nebst den schönen Erinnerungen und der Musik ist das etwas, was wir von ihm mit in unser Leben nehmen sollten. Jeden Tag auskosten, unseren Traum leben und geniessen. Wer weiss, wann es der letzte ist. 


* Isabelle Bitterli wurde in Olten als Gastronomin im eigenen Restaurant Salmen bekannt. 2020 verliess sie die Gastronomie, um in ihre alte Berufswelt (Werbung/PR) zurückzukehren.

** Ruedi Studer arbeitet als Bundeshausredaktor für die Blick-Gruppe und wohnt in Olten.


Was ist deine schönste Erinnerung mit Christian Schenker?

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