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Fliegerhelden

Es heisst, die Oltner seien bodenständige Menschen, ein Volk von Eisenbähnlern. Wer denkt da schon die frischen, wilden Lüfte? Doch der Traum vom Fliegen lebt auch am Jurasüdfuss. Wir haben in der Geschichte gewühlt sowie Menschen getroffen, Segelflieger, Flugzeugbauer, Linienpiloten und Flight Attendants, die ihre persönliche Version dieses Traums erzählen.
1. Juni 2011
Text: Pierre Hagmann, Bild: Christoph Maag
© Christoph Maag // Pilot: Stephan Künzli // Ort: über dem Atlantik

Der Vogel heisst auf Lateinisch avis. Vögel fliegen, Menschen nicht. Menschen wollen aber auch fliegen, wie die Vögel, schon immer wollten sie das, also haben sie den Vögel beim Fliegen zugeschaut und versucht, sie zu kopieren. In der Antike galt das Fliegen als Privileg der Götter – das zeigt, welche Bedeutung der Fliegerei schon damals beigemessen wurde. So stürzte das erste prominente Flugopfer Ikarus der Sage nach deshalb ins Meer, weil er sich zu sehr der Sonne und dem Hoheitsgebiet der Götter genähert hatte. Diese Sünde wurde prompt bestraft, indem das Wachs an seinen Flügeln schmolz. Leonardo Da Vinci war zu Beginn des 16. Jahrhunderts einer der Ersten, der sich genauer mit den Grundlagen der Fliegerei auseinandersetzte; er gilt heute als geistiger Vater des Helikopters. Bald wurde aber klar, dass die menschliche Muskelkraft als Antrieb nie ausreichen würde, um ein Fluggerät in die Lüfte zu bringen. Viele Menschen mussten sterben, weil Zeit und Technik noch nicht reif waren für die bemannte Luftfahrt. Der Traum vom Fliegen war damit aber nicht ausgeträumt. Er ging erst richtig los. 

Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Juni 2011

Die Aviatik hat seinen Namen vom lateinischen Vogel abgeleitet und bedeutet schlicht: Die Flugkunst. Die Geschichte der Flugkunst ist eine Geschichte der Fluggeräte, denn ohne diese wird der Mensch (voraussichtlich) nie fliegen können. Am 17. Dezember 1903 gelang den Gebrüdern Wright, was niemand vor ihnen schaffte: Ihr Motorflugzeug namens Flyer flog durch die Luft. Es war das erste Mal, „dass eine Maschine mit einem Menschen sich selbst durch ihre eigene Kraft im freien Flug in die Luft erhoben hatte, in waagrechter Bahn vorwärts geflogen und schliesslich gelandet war, ohne zum Wrack zu werden“, wie die beiden Brüder später sagten. Was mit diesem Flug, 12 Sekunden lang und 37 Meter weit, seinen Anfang nahm, hat mit dem Airbus A380 den vorläufigen Höhepunkt erreicht – Erstflug gut 100 Jahre nach jenem der Wright-Brüder im Jahr 2005. 

Mit einer Länge von 72 Metern und einem Startgewicht von 570 Tonnen das grösste Passagierflugzeug der Welt, kann die A380 mit bis zu 850 Passagiere an Bord bis zu 15’200 Kilometer weit fliegen. Der Airbus braucht auch auf 12’000 Meter Flughöhe den Zorn der Götter nicht zu fürchten. 

Das Flugzeug ist dermassen gross, dass die Infrastruktur der Flughäfen angepasst werden musste, etwa in Zürich-Kloten.

Eines steht fest: In Olten wird die A380 nie landen.

Olten hat auch keinen Flughafen, aber immerhin hat Olten einen Flugplatz, und wo ein Flugplatz steht, da wird gestartet und gelandet, da verwirklichen die Menschen den uralten Traum vom Fliegen. Und deshalb gibt es auch eine Oltner Aviatik. Davon handelt diese Geschichte. 

Glur und sein Rekord für die Ewigkeit

Der Flugplatz Gheid. Das Zentrum der Oltner Aviatik wurde am 28. August 1921 offiziell in Betrieb genommen. 1931, zehn Jahre später, war es, als sich die Mitglieder des damaligen Faltbootklubs Mittelland nach den Worten der Vereins-Chronik entschlossen, „mangels Begeisterung ihre Aktivitäten in die Luft zu verschieben“. Ein Jahr später, 1932, gründete die verbliebene Gemeinschaft die Segelfluggruppe Olten (SGO). Eines der Gründungsmitglieder hiess Fritz Glur und Fritz Glur hatte nur eines im Sinn: Fliegen. Hinderlich dabei war, dass die junge SGO über gar kein leistungsfähiges Segelflugzeug verfügte. Also baute sich Pionier Glur ein eigenes. Er war es schliesslich, der entdeckte, dass „der Ostwind am Born nach oben abgelenkt wird und man diesen Hangaufwind segeln kann“, wie es im Jubiläumsbuch der SGO zum 75. Jubiläum im Jahr 2007 steht. Glur war es auch, der sich vornahm, diese Aufwinde zu nutzen, um so lange oben zu bleiben, wie es eben ging. 1938 hielt er sein Flugzeug während 28 Stunden und 6 Minuten in der Luft und stellte damit einen neuen Schweizer Rekord im Dauersegelflug auf. Der Rekord ist bis heute ungebrochen.

Max Cartier: Vom Höhenflug bis zum bitteren Ende

Fritz Glur ist nicht der einzige Oltner, der es in die Geschichtsbücher der Aviatik geschafft hat. Neben dem Klubhaus der Segelflieger auf dem Gheid steht ein Denkmal, das dem ersten Oltner Aviatiker gewidmet ist. Max Cartier war sein Name, geboren 1896, und seine Zeit als Flieger, die abrupt enden sollte, begann im Ersten Weltkrieg. 1917 brevierte er zum Militärflieger, bald wurde er Leutnant der Fliegertruppe. Seiner Heimatstadt bewies er „grosse Anhänglichkeit“, und „immer wieder besuchte er sie auf dem Luftwege“, schreibt Eugen Dietschi in den Oltner Neujahrsblättern anno 1979. Was die Oltner Bevölkerung stets begeisterte, schliesslich war Fluglärm damals noch kein Politikum, sondern imposant, und wenn ein Flugzeug am Himmel auftauchte, galt das als Ereignis. Gross war Cartiers Talent wie auch dessen Mut, und als 1918 in Bern beschlossen wurde, die Luftpost einzuführen, wurde der Mann mit dem wohlklingenden Namen der erste Postflieger der Schweiz: Zürich (Dübendorf)-Bern(Kirchlindach)-Lausanne-Genf hiess die tägliche Strecke, nur am Sonntag ruhte er, und manchmal wurden auf dem Beobachtersitz auch erste Passagiere befördert. Cartiers „imponierende Beherrschung der damals recht primitiven Flugapparate“ (Dietschi) zeichnete schliesslich die Sicherheit der ersten fahrplanmässigen Verkehrsflüge aus. 

Max Cartier landete daraufhin als Einflieger bei den Eidgenössischen Konstruktionswerkstätten in Thun, wo der Armee neue Militärflugzeuge beschafft werden sollten – eine ehrenhafte, doch gefährliche Arbeit, war es ja seine Aufgabe, neuartige Flugzeuge, die „frisch gezimmert waren, erstmals in die Lüfte zu steuern“, wie Eugen Dietschi schreibt. Der grosse Ruhm und die tödliche Gefahr flogen mit. Ruhm und Ehre erlangte der junge Oltner Pilot am 23. April 1925 im ganzen Land, als er mit einem Jagdflugzeug M7 eine schweizweit bis dato unerreichte Höhe von 9’800 Metern schaffte, ein Höhenrekord, der international homologiert wurde. 

Als er aber am Vormittag des 24. Januar 1928 mit einem neuen Flugzeug, Typ M8, mehrere Probeflüge ausführte, wurde ihm sein Beruf zum Verhängnis. In einer Höhe von 500 Metern zerbrach bei einer Akrobatikfigur der rechte Flügel. Das Flugzeug fiel senkrecht vom Himmel und mit ihm Max Cartier, der erste Oltner Aviatiker. Er war auf der Stelle tot.

Der Eindringling, der nicht landen wollte

11 Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus, der zivile Flugbetrieb auf dem Flugplatz Gheid wurde vorübergehend eingestellt. 1940 stationierte die Schweizer Armee auf dem Gheid eine Messerschmitt-Staffel mit fünf Flugzeugen. 495 Mal ertönte in Olten gemäss Gemeindechronik der Fliegeralarm, doch Olten blieb verschont – eng wurde es allerdings am 17. Februar 1945. Als um 14:19 Uhr die Sirenen losheulten, tauchte am Himmel ein B-17 Bomber auf, der von drei Schweizer Jagdflugzeugen verfolgt wurde. Da der Eindringling auf Landebefehle partout nicht reagieren wollte, kam der Befehl, ihn abzuschiessen. „Der rechte Flügel fing Feuer und das Bombenflugzeug verlor immer mehr an Höhe“, heisst es im Trimbacher Dorfbuch von 1975. Schwankend flog das Flugzeug über das Spitalareal, weiter bis Trimbach, wo es schliesslich abstürzte und völlig zerstört wurde. Opfer waren keine zu beklagen, weder am Boden, noch im Wrack – das Flugzeug war bereits führerlos über die Grenze geflogen. Es handelte sich um einen amerikanischen Bomber der 15th Air Force, 97th Bomb Group mit dem Übernamen Dottie, der bei einem Einsatz über Augsburg getroffen wurde. Der Pilot hatte daraufhin den Autopiloten eingeschaltet und mit der gesamten Crew das „sinkende Schiff“ verlassen. Die Crew landete als Kriegsgefangene im Feindesland, das Flugzeug eben im Trimbacher Acker. Noch 20 Minuten nach dem Aufprall explodierten die Geschosse an der Absturzstelle.

„Ein extremer Eingriff in die Oltner Aviatik“

Der Flugplatz Gheid. Die grüne Piste ist heute 900 Meter lang, 30 Meter breit. Seit einigen Jahren ist das Areal auch raumplanerisch klar definiert als Flugplatz-Zone und schaut damit einer gesicherten Zukunft entgegen. In den letzten Jahren hat das Gheid auch als Naherholungszone für die Oltnerinnen und Oltner an Bedeutung gewonnen.

Hier ist die Segelfluggruppe Olten (SGO) zu Hause und bis 1978 war das auch die Oltner Motorfluggruppe (MFGO). Weil dann aus verschiedenen Gründen auf dem Flugplatz Gheid keine Motorflugzeuge mehr zugelassen wurden, mussten die Segelflieger in eine Seilwinde investieren, um weiterhin starten zu können, da sie nicht mehr von Motorfliegern in die Luft gezogen werden konnten. Weitreichender waren die Konsequenzen wenig überraschend für die Motorflieger. Sie mussten das Gheid und damit ihren Heimatflugplatz verlassen – für den Oltner Flugpionier Charles Bachmann „ein extremer Eingriff in die Oltner Aviatik“, wie er in einem Zeitungsinterview sagte. Weil gleichzeitig das Projekt eines neuen Flugplatzes in Kestenholz scheiterte, kam es, dass die Motorfluggruppe Olten heute in Grenchen zu Hause ist. Beide Vereine, die Segelflieger und die Motorflieger, sind Untergruppen des Regionalverbands Olten innerhalb des Aeroclub der Schweiz. Sie bilden das Herzstück der Oltner Aviatikszene. Diesen Regionalverband Olten komplettiert als dritter Verein die Ballongruppe Vordemwald, präsidiert wird der Oltner Verband vom zitierten Aviatiker Bachmann. 

Während die Segelfluggruppe einen konstanten Mitgliederbestand und eine moderne Flotte aufweist, leidet die Motorfluggruppe seit dem Umzug nach Grenchen unter Mitgliederschwund. Heute zählt die Gruppe, die 1956 gegründet wurde, gemäss ihrer Homepage ungefähr 90 aktive und 50 passive Mitglieder. „Trotz intensiver Werbung und

Schnupperflugtagen“, schreibt Charles Bachmann in einem Verbandsbericht 2010, „konnte die MFGO keine Interessenten für ihre Sportart gewinnen“. Die unschöne Konsequenz dessen: Ein „dramatisches Absacken der Flugstunden und Nichtauslastung der Flugschule“, wie es in seinem Bericht weiter heisst. Dies wiederum würde dazu führen, dass es unumgänglich sei, die Flotte anzupassen oder zu reduzieren. Die Segelfluggruppe dagegen fliegt munter weiter.


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