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Lass uns über das Kunstmuseum reden

In dieser Kolumne geht es darum, vermeintliche Tabus und ungehörte Meinungen zu diskutieren. Der Verfasser teilt nicht zwingend diese Ansichten, sondern spielt ab und zu den Advocatus Diaboli, um die Diskussion zu beleben. In dieser Ausgabe: Wollen die Oltner Menschen ein Kunstmuseum? Welche Art von Kunstvermittlung macht in Olten Sinn? Was denkst du?
21. November 2020
Text: Yves Stuber Fotografie: Wikipedia
Sommer 2017. Das Wegweiser-Objekt vor dem Kunstmuseum gehört zur Ausstellung “Voyage, Voyage! Über das Reisen in der Kunst”.

Felix Wettstein, Nationalrat und Oltner Gemeindeparlamentarier der Grünen sowie Vorstandsmitglied von Pro Kultur Olten, möchte keine Grundsatzdiskussion über das Kunstmuseum führen und sagte in diesem Medium: « …ein Kunstmuseum besteht nicht bloss aus aktuellen Ausstellungen. Es hat eine wichtige Funktion zum Erhalt des kulturellen Erbes. Das ist viel Arbeit und benötigt Platz.» Und Wettstein beendete die Diskussion mit «Überdies hat die politische Debatte stattgefunden. Wir wollen die drei kommunalen Museen in unmittelbarer Nachbarschaft, weil sie voneinander profitieren.»

Meine Frage lautet: Hat die Diskussion in der Öffentlichkeit wirklich stattgefunden? Und wer ist «wir»? Ich persönlich habe nie über das Kunstmuseum diskutiert. Du wahrscheinlich auch nicht. Ausser du bist Parlamentarier oder Stadträtin. Neun von zehn Oltner Menschen, die ich nach ihrem persönlichen Bedürfnis nach einem Kunstmuseum in unserer Stadt und nach dessen Notwendigkeit gefragt habe, würden auf das Museum verzichten. «Wir» dürfen und müssen also fragen, ob diese Gemeinde überhaupt ein Kunstmuseum will und, falls ja, wie ein solches in Olten gestaltet werden sollte. Wie ist die Nachfrage der Bevölkerung? Wird diese Nachfrage auch ohne Kunstmuseum befriedigt? Ist ein Kunstmuseum die einzig denkbare Art, wie Kunst in Olten vermittelt werden kann? Die Diskussion soll sich aber nicht um die Qualität der Museumsleitung drehen.

Wie ist die Nachfrage der Bevölkerung? Wird diese Nachfrage auch ohne Kunstmuseum befriedigt?

Der aktuelle Standort an der Kirchgasse 8 ist offenbar nicht mehr geeignet und stark renovationsbedürftig. Die Politik hat eine halbe Million gesprochen und im Februar den noch laufenden Auftrag vergeben, unter anderem ein Raumprogramm auszuarbeiten und einen Architekturwettbewerb vorzubereiten. Was das neue Kunstmuseum sein und beinhalten soll, haben die Verantwortlichen des Kunstmuseums erarbeitet. Die Stimmberechtigten werden in absehbarer Zeit darüber beschliessen dürfen, ob sie der Renovation des Gebäudes an der Kirchgasse 10 (Ex-Naturmuseum) und dem neuen Anbau für die künftige Nutzung als Kunstmuseum zustimmen. Die Investition dafür beträgt gemäss offiziellen Schätzungen zwischen 10 bis 14 Millionen Franken. Der laufende jährliche Aufwand für das Kunstmuseum macht netto und abgerundet ungefähr 600’000 Franken aus. Erwähnenswert sind die hohen Sponsoringeinnahmen (zwischen 200’000 bis 300’000 Franken jährlich), die in dieser Zahl bereits abgezogen wurden. Sie stehen relativ bescheidenen Publikumserträgen (zwischen 30’000 bis 40’000 Franken jährlich) gegenüber. Der Betrieb zählt jährlich ungefähr 8000 Besuche. Unbekannt ist, wie viele verschiedene Besucherinnen diese pro Jahr ausmachen.

Ist dieser Vergleich fair? Ja. Denn der kunstinteressierte Mensch besucht punktuell nach Geschmack und Interesse. Ob der Hopper nun in Riehen oder in Olten ausgestellt wird, ist ihm egal.

Der folgende Vergleich soll keine Polemik sein und nicht absurd wirken: Die Oltner Politik hat im September beschlossen, das städtische Krematorium zu schliessen mit der Argumentation, es sei hochgradig sanierungsbedürftig und eine Sanierung sei nicht angezeigt, weil es in naher Umgebung zur Stadt genügend Krematorien gebe. Diese hätten die Kapazitäten, die Aufgabe situationsgerecht und umweltfreundlich erfüllen zu können. Und schliesslich komme die Subventionierung von Kremationen städtischer Einwohner nicht selten auch auswärtigen Angehörigen zugute. Diese Subventionierung sei nicht Aufgabe der Stadt. Folgen «wir» beim Kunstmuseum derselben Logik, lassen sich in Pendeldistanz (öV) zur Stadt «Kapazitäten» ausmachen, welche die Aufgabe «situationsgerecht» erfüllen: Das Kunstmuseum Basel (38 Minuten, aktuell: Rembrandt), Kunstmuseum Bern (34 Minuten, Marina Abramovic, Martin Disler), Beyeler Riehen (65 Minuten, Matisse, Giacometti, Kandinski, Klee, van Gogh, Cézanne, Hopper), Kunsthaus Aargau (15 Minuten, Julian Charrière), Kunsthaus Zürich (47 Minuten, Caspar Friedrich, William Turner). Ist dieser Vergleich fair? Ja. Denn der kunstinteressierte Mensch besucht punktuell nach Geschmack und Interesse. Ob der Hopper nun in Riehen oder in Olten ausgestellt wird, ist ihm egal.

Wettstein führt aus, dass es eben nicht nur um die aktuellen Ausstellungen gehe, sondern auch um den Erhalt des kulturellen Erbes. Was heisst das genau?

Wettstein führt aus, dass es eben nicht nur um die aktuellen Ausstellungen gehe, sondern auch um den Erhalt des kulturellen Erbes. Was heisst das genau? Geht es darum, die lokale Kunstszene zu zeigen und deren Werke punktuell anzukaufen, um sie regelmässig aus dem Depot zu holen, zu präsentieren und für die Nachwelt zu erhalten? Geht es darum, dass man das lokale Aushängeschild Martin Disteli immer mal wieder zeigt und seine Werke behütet? Das wäre dann eine komplett andere Diskussion. Sollte die Gemeinde als Grundlage zur Entscheidungsfindung neben der Offerte für einen neuen Museumsstandort dann nicht auch eine Offerte einholen für die Archivierung und Digitalisierung der gesammelten Werke? So dass zum Beispiel ein Ausstellungsmacher sie jederzeit finden, ausleihen und ausstellen kann – wo auch immer. Dafür benötigte Olten keine zusätzliche Ausstellungsfläche. Denn es bestehen bereits das Depot des Historischen Museums und des Stadtarchivs. Sind diese zu klein? Dann diskutierten «wir» darüber, ob Olten grössere Archive benötigt. Wenn «wir» die lokale Gegenwartskunst zeigen, erhalten und archivieren möchten, dann geht es um die lokale Kunstszene mit Andrea Nottaris, Christoph Schelbert, Thomas Droll, Enzo Cosentino, Marcel Peltier, Christoph Aerni, Jürg Binz, Regina Graber, Franz Anatol Wyss und sehr viele weitere Namen, welche andernorts ihre Werke ausstellen.

Worauf würden «wir» verzichten? Was könnte mit dem Geld anderes gemacht werden? Oder: Welche Chancen sind mit der Investition in das Kunstmuseum verbunden?

Um einen Entscheid zu fällen, müssten «wir» wissen, was eine Auflösung des Kunstmuseums Olten bedeuten würde bezüglich des Angebots, der Räumlichkeiten und Kosten. Worauf würden «wir» verzichten? Was könnte mit dem Geld anderes gemacht werden? Welche Projekte könnten mehr Nutzen für eine breite Bevölkerung stiften und mit den Investitionsmitteln sowie den resultierenden wiederkehrenden Kosten umgesetzt werden? Und aus einer anderen Perspektive: Wie wichtig ist uns diese Institution? Welche Chancen sind mit der Investition in das Kunstmuseum verbunden? Was bewahren «wir» ganz genau? Und auch: Wie hoch wird ein Eintritt durch die Steuerzahlerin subventioniert? Sollte auf den Eintritt verzichtet werden, um die Arbeit zugänglicher zu machen? Braucht es für die städtische Sammlung ein Museum oder kann diese auch anders gezeigt werden?

«Wir» leisten uns die Institution, die «wir» uns wünschen und für die «wir» bereit sind, im Notfall eine Steuererhöhung in Kauf zu nehmen.

Diese Diskussion sollten «wir» nicht nur über das Kunstmuseum führen, sondern über jeden Entscheid, der derart grosse Konsequenzen hat für die Allgemeinheit. Denn in der Summe bezahlen «wir» für das Angebot, das «wir» uns wünschen. «Wir» leisten uns das Kunstmuseum alle gemeinsam. «Wir» leisten uns die Institution, die «wir» uns wünschen und für die «wir» bereit sind, im Notfall eine Steuererhöhung in Kauf zu nehmen. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist die Tatsache, derer «wir» uns bewusst sein sollten. Persönlich bin ich der Meinung, dass eine solche Investition und die damit verbundenen Konsequenzen diese Diskussion verdienen. Auch finde ich, dass sie stattfinden sollte, bevor ein Auftrag in der Höhe einer halben Million Franken vergeben wird, um ein Projekt zu entwickeln und einen Architekturwettbewerb vorzubereiten. Von der Bevölkerung lässt sich ein Grundsatzentscheid einholen. Wenn in der Zukunft an der Urne das vorgesehene Projekt nicht angenommen würde, dann bewahren «wir» nicht nur den unerwünschten Status quo, sondern haben eine halbe Million Franken verloren und zeitliche, personelle und ideelle Ressourcen verschwendet.

Sollte aber eine solche Diskussion zeigen, dass die Bevölkerung ein Kunstmuseum in der bisherigen Form an einem neuen Standort ausdrücklich wünscht, dann geht diese Institution gestärkt in die Zukunft und «wir» reden nicht hauptsächlich über das Geld, sondern über das Wie, Wo und Wann.


Willst du ein Oltner Kunstmuseum? Falls ja, welcher Art? Welche Art von Kunstvermittlung macht in Olten Sinn? Was denkst du?

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