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Wie macht der Delfin?

Warum wohnst du in Olten? Diese Frage muss vermutlich jede Oltnerin mindestens einmal in ihrem Leben beantworten. Und diese Frage stellen jetzt auch wir. In diesem neuen Format gehen wir ihr auf die Spur. Gehen dorthin, wo sich Lebenswege kreuzen, wo Geschichten entstehen und wo wir Antworten auf diese Fragen finden. Genauer: Wir laden uns in den Wohngemeinschaften der Stadt zum Essen ein. Denn auch hier findet ein wichtiger Teil des Oltner Lebens statt. Hier spüren wir, was die Menschen dieser Stadt und Region bewegt.
5. November 2021
Text: Finja Basan, Fotografie: Timo Orubolo

Es ist ein kalter Oktobersonntag, die Kirchenglocken läuten auf dem Weg über die Kirchgasse und der Morgennebel hängt noch über der Stadt. Ein paar letzte Vögel zwitschern und würden nicht bunte Laubbäume den Weg säumen, könnte es auch ein frischer Frühlingsmorgen sein.

Wir sind zum Sonntagsbrunch eingeladen. Abseits der Familie und Partner entschliessen sich Menschen in einer Wohngemeinschaft, immer ein Dach und ab und zu auch den Frühstückstisch zu teilen. Manchmal entstehen die geteilten Häuser und Wohnungen mit langjährigen Freundinnen und manchmal entstehen die Freundschaften erst hier, in den gemeinsamen vier Wänden.

An diesem Sonntag treffen wir auf eine sechsköpfige WG, die ein eigenes Logo und eine eigene Veranstaltungsreihe hat. Eine WG, die nun in der dritten Generation ein dreistöckiges, lachsfarbenes Oltner Haus mit Leben füllt. Andrin öffnet uns die Tür der «Villa Tschanz», Marco folgt – Oskar kommt noch etwas verschlafen um die Ecke. Dann wildes Treiben in der Küche. Hier werden Kartoffeln vom Vortag geschält, aus denen bald Rösti entsteht. Da wartet ein Zopf auf dem Rost darauf, verköstigt zu werden. Währenddessen bringt Andrin den grossen Topf in der Spüle wieder auf Hochglanz und Jessy kocht uns frischen Kaffee. «Der Zopf war gestern mit mir im Ausgang», sagt Stefan lachend. «Ich hatte keine Zeit mehr, ihn hier in den Ofen zu tun. Dann hab ich den Teig einfach mitgenommen und ihn im Ofen meiner Freunde gebacken. Als Dankeschön haben sie dann auch einen Zopf bekommen.» Das Rezept hat der Senior der WG im Lockdown perfektioniert, worüber sich mittlerweile auch Freundinnen und Bekannte ausserhalb der WG freuen dürfen. 

Stefans Ausgangszopf

Ergibt zwei Zöpfe:

1 kg Landi-Zopfmehl
3 TL Salz
2 TL Zucker
6 dl warme Milch
30 g Hefe
125 g weiche Butter
1 Eigelb

Das Zopfmehl mit Salz und Zucker vermengen. Anschliessend die Hefe in der warmen Milch auflösen. Alles zusammen mit der weichen Butter gut zu einem homogenen Teig mischen.

Den Teig 1.5 Stunden gehen lassen. Dann den Ofen auf 200 Grad bei Ober- und Unterhitze vorheizen. Den Teig anschliessend halbieren, auswallen, jeweils zwei Stränge schneiden und flechten. Die Zöpfe anschliessend mit Wasser und einem Eigelb bestreichen.

Die Zöpfe jeweils 30 Minuten im vorgeheizten Ofen in der unteren Hälfte backen.

Stefans Empfehlung: Einer der Zöpfe lässt sich wunderbar verschenken.

Zwischen Tür und Angel

Bis das Frühstück fertig ist, bleibt Zeit für Gespräche. Dabei erfahren wir, dass die WG bereits seit 2013 existiert. Damals hatten einfach ein paar Freunde zusammengefunden. Mittlerweile kommt der Nachwuchs per Bewerbung und WG-Casting. Die «erste Generation» ist komplett ausgezogen, der Mietvertrag wurde übertragen und die zweite und mittlerweile dritte Generation haben nun das Zepter in der Hand. Wer die WG verlässt, tut dies hauptsächlich aus zwei Gründen: «Die einen zieht es zum Reisen in die weite Welt, die anderen ziehen mit Lebenspartnern zusammen», erzählt Stefan während er die Rösti in der Pfanne goldbraun werden lässt. Aber zur WG zählt nur, wer aktuell unter diesem Dach wohnt – und vor allem: warum. Wir haben zwischen Tür und Angel nachgefragt:

  • Stefan, «Stef»
  • Yvonne, «Yve»
  • Andrin
  • Jessica, «Jessi»
  • Marco
  • Oskar, «Oski»
  • Stefan, «Stef»

    Er ist neben Yvonne noch Teil der «zweiten Generation» und der Senior der WG, seit 2016 wohnt er da. Aufgewachsen ist der 30-jährige Tontechniker und Elektroingenieur in Lostorf. Nach einem beruflichen Zwischenstopp in Langenthal arbeitet er mittlerweile wieder in der Heimat. Sein Job bringt ihn an viele Events in der Region und der Schweiz.
  • Yvonne, «Yve»

    Die 30-Jährige kommt ursprünglich aus Luzern und wohnt seit Februar 2019 in der «Villa Tschanz». Vor Corona arbeitete Yvonne in der Reisebranche, nun hat sie einen Job in Neuchâtel. Das Pendeln macht ihr nichts aus, der Weg zur Arbeit beträgt nur 50 Minuten und einen Teil ihrer Arbeit kann sie im Homeoffice erledigen.
  • Andrin

    Er ist Biologe und Projektleiter in einem Naturpark. Ursprünglich kommt Andrin aus Zürich. Olten ist der ideale Mittelweg zwischen Heimat und Arbeit und nun ein neues Zuhause. Auch wenn das seine Zürcher Freunde nicht immer verstehen können.
  • Jessica, «Jessi»

    Sie kommt aus Olten. Nachdem es Jessica zwischendurch nach Hongkong, Paris und Basel zog, ist sie nun zurück im «Herzstück der Welt» - zurück zu Hause in Olten. Seit Sommer 2019 ist sie Teil der «dritten Generation» der «Villa Tschanz», aktuell arbeitet sie in Bern.
  • Marco

    Der 27-Jährige ist in Starrkirch-Wil aufgewachsen. Für das Studium der Elektrotechnik und den Assistenzjob an der FHNW in Windisch fehlte die gute Anbindung an den ÖV. In Olten ist er nun der Arbeit, dem Studium und der Familie nah und komplettiert die WG seit Oktober 2021.
  • Oskar, «Oski»

    Oskar ist der Jüngste in der WG. Der 23-Jährige kommt ursprünglich aus Solothurn und wird nun an der ETH Bauingenieur. Olten ist dafür perfekt angebunden und durch die Jubla ist er hier bereits ideal vernetzt.
Die Geschichte einer WG: Jeder Ex-Mitbewohner wird auf der Treppe verewigt und bleibt damit ein Teil des Hauses.

Kurz bevor es an den grossen Tisch geht, greift Andrin zu einem zweiten grossen, schweren Topf. Der «Ausgangszopf» wird heute durch Quittengelee ergänzt. «Das machen wir mit den Quitten aus unserem Garten», erklärt der Biologe. «Die Quitten haben wir über Nacht eingeweicht, jetzt entferne ich den Strunk. Das geht durch das Einlegen viel einfacher. Den Gelee bekomme ich jetzt zwar nicht fertig, aber ein paar Gläser stehen schon auf dem Tisch.»

Tschanz-Quittengelee

1 kg Quitten
350 g Zucker

Frische, knapp reife Quitten mit einem Tuch gut abreiben. Fliegen entfernen, Früchte vierteln, knapp mit Wasser bedeckt im Dampfkochtopf unter Druck circa 7 Minuten weich kochen. Quitten umrühren, zugedeckt über Nacht stehen lassen (die Früchte verfärben sich, der Gelee erhält dadurch eine schöne rote Farbe). Dann die Quitten zerdrücken, nochmals aufkochen und heiss durch ein feines Tuch oder den Geleesack giessen. Abtropfen lassen, gut ausdrücken.

5 dl aufgefangenen Quittensaft mit dem Zucker unter Rühren aufkochen, abschäumen. Bei guter Hitze unter ständigem Rühren circa 10 Minuten kochen. Gelierprobe: Wenig Saft auf einen kalten Teller geben, er sollte rasch fest werden. Den Gelee sofort siedend heiss randvoll in die gut gereinigten, vorgewärmten Gläser füllen, sofort verschliessen.

Quelle: Betty Bossi

Quittengelee auf Ausgangszopf.
Ein Sonntagmorgen in der «Villa Tschanz»: zwischen Rösti, Zopf und Quittengelee.

Zu Tisch 

Nachdem Rösti, Speck, Tomaten und Eier fertig sind, gehts ins Esszimmer. Auf dem grossen Tisch, an dem auch wir und Andrins Freundin Elena Platz finden, reiht sich Thaler Honig an hausgemachten Quittengelee, die Rösti wird mit Spiegeleiern ergänzt und der Ausgangszopf schmiegt sich an Andrins selbstgemachtes Brot aus Thaler Mehl. Zwischen Kaffeeschlucken und Geleebissen bleibt Zeit für ein paar Fragen:

Wie kam es eigentlich zu eurem WG-Namen?

Das Haus gehörte früher dem Metzg Louis Tschanz. Bevor das Haus zum Bürogebäude wurde, wohnte der Metzg hier mit seiner Familie und hatte sein Geschäft an der Baslerstrasse. Ihm zu Ehren hat das Haus seinen Namen behalten. Ab und zu kam er sogar noch zu unseren Elternabenden, die wir vor Corona organisiert haben. Dann brachte er seine Frau mit und erzählte unermüdlich die immer gleichen Geschichten. Das war schön! Mittlerweile ist er verstorben, bloss einmal im Jahr kommt einer seiner Söhne, um sich ein paar Quitten vom Baum zu holen. 

Teilt ihr eigentlich auch andere Traditionen oder Gemeinschaftsevents?

Ja! Wobei das meiste vor der Pandemie stattfand und aktuell pausiert. Wir haben mal das Open-Air-Festival «Tschanz the Air» im Garten veranstaltet. Drei Live-Bands haben am Nachmittag und Abend gespielt und später ging es mit allen Gästen ins Vario. Auch Oktoberfeste und Western-Partys gab es schon bei uns. Vielleicht können wir das irgendwann wieder aufleben lassen. So durchmischen sich auch Freundeskreise, weil jeder seine Freundinnen einlädt und sich alle kennenlernen können. 

Ihr habt gerade Corona erwähnt. Wie habt ihr denn die Situation in der WG wahrgenommen?

Im ersten Lockdown war es wirklich super, nicht allein zu sein. Jeden Abend hat jemand anderes gekocht, wir sind im Gheid spazieren gegangen oder haben Sport gemacht. Das war sehr familiär. Im zweiten Lockdown war es schwieriger. Bei sechs Personen steigt die Quarantänegefahr und so hat es auch uns einmal getroffen. Ausserdem war der zweite Lockdown länger. Geblieben sind das Homeoffice-Zimmer mit drei Schreibtischen und das Bullshit-Bingo zum Homeoffice an der Esszimmerwand.

Das Bullshit-Bingo zum Homeoffice amüsierte im Lockdown.

Wenn ich jetzt das Gefühl hätte, wow, eure WG ist super, da möchte ich Teil von werden, wie müsste ich dann vorgehen?

Zuerst müsste mal ein Platz frei werden, dann schreiben wir diesen aus und die Bewerberinnen werden eingeladen. Jedes WG-Mitglied muss mit dem neuen WG-Mitbewohner einverstanden sein. Deshalb musste Marco auch mit Stefan separat videotelefonieren. Letzterer konnte beim Treffen in der WG nicht dabei sein, weil er beruflich in Zürich unterwegs war. Aber so ging es dann auch. «Ich hab gar nicht gewartet, bis der Platz ausgeschrieben war», wirft Oskar ein. «Ich habe mich mal initiativ beworben und als dann einige Zeit später ein Platz frei wurde, hatte ich gute Chancen.»

Eine Aufgabe, die zudem jede unserer Bewerberinnen erfüllen muss, ist die mit dem Delfin. Wir wollen dann hören, wie die Bewerber den Meeresbewohner imitieren. 

3 Inputs, 3 Statements

Neben unserer Neugier haben wir drei Inputs mit an den Frühstückstisch gebracht, um direkt zu fragen: Chützelets? 

Das Oltner Nachtleben: Was geht? Was fehlt? 

«Ich bin immer noch viel in Solothurn unterwegs und kann das schwer beurteilen», sagt Oskar. Yvonne hat sich nach dem langen Lockdown noch gar nicht an den Ausgang gewöhnen können und Stefan meint: «Olten hat eigentlich viel zu bieten. Klar, mehr wäre wünschenswert, aber schon mit dem, was wir haben, lässt sich viel anfangen – man muss nur kreativ werden. Manchmal spiele ich mit Freunden zum Beispiel Bargolf. Dabei ist jede Bar ein Loch und jeder Schluck ein Schlag. Je weniger Schlucke, desto besser. Und so gehts schonmal vom Vario bis zur Galicia Bar. In Letzterer gibt es übrigens auch superlustige 70er-Partys!» 

«Ah, auch das Pubquiz im Hammer Pub ist super. Als der Lockdown kam, haben wir mit Freunden als Ersatz mal ein digitales Quiz gemacht», sagt Jessi.

Olten in 24 Stunden: Was würdet ihr tun? 

Jetzt, wenn der Winter kommt, ergeben sich für die WG ganz eigene Höhepunkte. «Kurz vor Weihnachten suchen wir uns den hässlichsten Tannenbaum der Stadt», erzählt Stefan. Die Verkäufer seien zunächst verwirrt, wenn sie die Frage nach dem hässlichsten Nadelbaum bekommen, suchten dann aber eifrig mit und erwischen ein krummes und mickriges immergrünes Bäumchen nach dem anderen. Mit der Errungenschaft geht die WG dann ins Karussell auf der Kirchgasse. Der Baum will schliesslich eingeweiht werden. «Das Personal kennt das schon und sie freuen sich immer, uns zu sehen», sagt Yvonne. Die letzten beiden Tannen hiessen übrigens Armin und Hugo. 

Dieses Jahr wichtelt die Wohngemeinschaft ausserdem wieder. Die Namen sind schon ausgelost, das Budget festgelegt. Verteilt werden die Geschenke am Weihnachtsessen. Die Päckli dürfen nicht angeschrieben werden und der Jüngste darf mit Auspacken anfangen. Alle müssen raten, für wen das Geschenk ist – am Ende wird’s aufgelöst.

Darüber hinaus geht die WG auch gern auf dem Hauenstein Ski fahren. Letztes Jahr, als so viel Schnee lag, ist ein Teil der Gruppe direkt vor der Tür im Herzen von Olten gestartet. Im Sommer biken dann die einen und die anderen vergnügen sich bei einem Aareschwumm oder einer SUP-Tour mit anschliessendem Besuch im Aarebistro und einer Glace bei «Rubi`s». «Beim Rubi sind wir sogar im Winter Stammgäste. Selbst abends um kurz vor neun haben wir bei ihm noch unsere Kugeln bekommen!», erzählt Andrin.

Sportstadt Olten

Die fehlenden Basketballkörbe fallen in dieser WG nicht gross auf. Sie freuen sich vor allem auf den kommenden Pumptrack im Kleinholz oder ein Kubbfeld auf dem autofreien Munzingerplatz. Bis dahin sind sie aber auch viel auf ihren Bikes oder dem SUP unterwegs. «Und bouldern im Momentum ist ebenfalls super!», merkt Andrin an. 

«Da ich viel pendle, mach ich vor allem gern ortsunabhängigen Sport. Joggen, Velofahren und Homeworkouts lassen sich überall machen», sagt Yvonne, die regelmässig nach Neuchâtel pendelt. Gegen Basketballkörbe in der Schützi hätte aber keiner von ihnen etwas. 

Und was würde euch interessieren?

Jessi würde gern mehr zum Projekt «smart!mobil» erfahren. «Das ist wohl ein Pilotprojekt, in dem es darum geht, wie eine Smart City aussehen kann. Ich habe das letztens bei einem Kollegen auf Facebook gesehen und mich würden nun Details dazu interessieren.»

Hier gehts zum neuen Input:

smart!mobil – Was steckt dahinter?

Gib uns doch mit einem Plus oder Minus ein Zeichen, ob das auch dich interessieren würde. 

Wir beenden den Brunch. Der Morgennebel hat sich verzogen, hat der Sonne Platz gemacht und auf der To-do-Liste steht noch die Einwinterung des WG-Gartens. Da kommen wir noch kurz mit und merken: In der «Villa Tschanz» findet jedes Hobby Platz. Auf der einen Seite steht Andrins Hochbeet, das er mit Stefan gebaut hat und jetzt regelmässig bepflanzt. «Von exotischeren Pflanzen bis hin zu heimischem Gewächs darf hier alles Platz finden. Aus den Tomatillos kann man gut Salsa Verde machen. Leider war der Sommer nicht so gut. Deshalb habe ich einen Teil drinnen vor die Heizung gestellt und hoffe, sie werden so noch reif.» Daneben: Oca in Lila und Weiss und die «Weinländerin», eine klassische Schweizer Bohne, die sich ihren Weg in die Höhe schlängelt. Und in der Garage um die Ecke? Da finden Stefans selbstgebautes Holz-SUP und das Holzkanu als neues Projekt ihren Platz.

  • Das Hochbeet
  • Ein schwieriger Sommer
  • In der Garage
  • Das Hochbeet

    Andrins Hochbeet beherbergt heimische und exotische Leckereien.
  • Ein schwieriger Sommer

    Die Tomatillos hatten es diesen Sommer schwer. An der Heizung sollen sie jetzt nachträglich Wärme tanken und reifen.
  • In der Garage

    Ein Lockdown-Projekt aus dem letzten Jahr: das Holz-SUP an der Wand. Das Kanu folgte dieses Jahr.

Uns bleibt an dieser Stelle nur eins: Danke für diesen Morgen bei euch, liebe «Villa Tschanz»!


Kennst du eine Wohngemeinschaft, die wir unbedingt mal besuchen sollten?

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