«Es macht dich kaputt im Kopf»
Sie ist 25 Jahre alt und heisst Dora, das ist ihr richtiger Name, und Dora hat kein Problem damit, über ihren Beruf zu sprechen. Dora ist gross, stammt aus Deutschland und arbeitet als Prostituierte. Seit zehn Jahren ist sie im Sexgewerbe tätig, seit kurzem auch am Oltner Strassenstrich, angefangen hat alles als Gogo-Tänzerin in Diskotheken; mit dem Milieu kam sie schon als Kind in Berührung – im Gespräch mit unserer Journalistin Franziska Monnerat sagt Dora: „Meine Freundinnen waren die One-Night-Stands von meinem Vater und sie waren alle Prostituierte“.
Monnerat hat für ihre Titelgeschichte auch in die jüngere Vergangenheit und mögliche Zukunft des Oltner Strassenstrichs geblickt, der seit 2005 zwar nicht mehr der längste des Landes ist, der aber von seiner Bedeutung in der Schweizer Szene nur wenig eingebüsst hat. Was die Zukunft bringt, ist höchst ungewiss: Zurzeit steckt ein neues, kantonales Volkswirtschaftsgesetz in der Vernehmlassung, das die Basis für massive Veränderungen bis hin zur Totalschliessung des Strichs sein könnte.
Diese Titelgeschichte dokumentiert jedoch einmal mehr, dass das Leben sich nicht in Paragraphen abspielt, sondern „da draussen“. Um es sichtbar zu machen, das Leben, um Menschen, Geschichten, Szenen abzubilden und damit die Welt ein bisschen zu erklären – und das ist die Aufgabe des Journalismus’ – muss man selbst nach draussen, vor Ort gehen und genau hinschauen.
So ging Monnerat an einem Mittwochabend hinaus, vor Ort und lernte Dora kennen, die ihrerseits auf Freier wartete und stattdessen auf eine Journalistin mit vielen Fragen stiess. Das brachte Dora zwar kein Geld, aber vielleicht trägt die aussergewöhnliche Offenheit, die sie im Gespräch an den Tag legte, dazu bei, dass Sexarbeiterinnen wie Dora genauso als Menschen wahrgenommen werden wie alle anderen, die irgendwie ihr Geld verdienen müssen. An dieser Stelle eine kleine Warnung: Dora spricht die Dinge an, wie sie sind. Wir haben ihre Sprache in die Schriftform übernommen, weil auch die Sprache Ausdruck wie Teil dieser Realität an der Haslistrasse in Olten ist und überall sonst, wo sich das Sexmilieu eingenistet hat; am Strich wird nunmal nicht Liebe gemacht, sondern gefickt.
Auszug aus dem Editorial im Juni 2013 von Pierre Hagmann
Pinke Spitzenunterwäsche, halterlose Strümpfe und String, Glitzergürtel, Hot Pants und Minikleider: Die Frauen, die in Olten an der Haslistrasse stehen, zeigen viel nackte Haut. Es ist ein Mittwochabend, kurz vor dem Eindunkeln, der Duft von Schokolade liegt in der Luft. Rund zwanzig Prostituierte bieten sich den Freiern, die in ihren Autos auf- und abfahren, an. Autokennzeichen von Aargau bis Zug und aus dem angrenzenden Ausland sind auszumachen. „Im Sommer hat es erfahrungsgemäss mehr Sexarbeiterinnen am Strassenstrich Olten, im Durchschnitt sind es etwa 35 bis 50 Frauen, seit der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten hauptsächlich aus Ungarn“, sagt Melanie Muñoz, Koordinatorin des Vereins Lysistrada, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen im Kanton Solothurn einsetzt. Ein Mal pro Woche besucht Melanie Muñoz zusammen mit einer Mediatorin, die die sprachlichen Barrieren überbrückt, die Frauen am Strassenstrich.
Das Präventionsangebot im Sexgewerbe wurde Anfang der 1990er Jahre, zur Zeit der offenen Drogenszene, ins Leben gerufen. Mit einem Bus fuhr die Gassenarbeit auf den Drogenstrich, damals noch an der Industriestrasse, und deckte die Sexarbeiterinnen mit Kondomen und sauberen Spritzen ein. Der Drogenstrich wandelte sich zum längsten Strassenstrich der Schweiz. Daniel Vögeli von der FdP/JL-Fraktion verlangte Ende 2004, dass der Strassenstrich Olten geschlossen wird, eine rechtsfreie Zone wie die an der Industriestrasse dulde er und – wie er in Bezug auf das positive Echo auf die von seiner Partei lancierten Petition „Für eine sichere Stadt Olten“ postulierte – die Bevölkerung der Stadt Olten, nicht. Um dem Begehren sowie dem Gewerbe und den Investoren Rechnung zu tragen, hob der Stadtrat die örtliche Zuweisung der Strassenprostitution im Gebiet Industriestrasse per 1. Januar 2005 vollständig auf. Seit diesem Zeitpunkt gilt für die Industriestrasse zwischen Dampfhammer und SBB-Unterführung ein Nachtfahrverbot von 20 bis 5 Uhr. Der Strassenstrich verlagerte sich daraufhin an die Haslistrasse.
“Es ist eine Daueraufgabe der öffentlichen Sicherheit, dass wir – das heisst, die Stadtpolizei in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei – die Szene sehr genau beobachten“, sagt Iris Schelbert-Widmer, Stadträtin und Sicherheitsdirektorin von Olten und fügt an: „Wir achten darauf, dass wir nicht nur die Sexarbeiterinnen kontrollieren, sondern auch die Freier. Bei den Freiern können wir lediglich schauen, dass sie die Verkehrsregeln einhalten.“ Vor zwei Jahren wurden Strassenverkehrsmassnahmen zur Beruhigung der Situation beschlossen und umgesetzt: Schranken an den Wendekreiseln Ost und West wurden installiert und die Tannwaldstrasse mit einem Nachtfahrverbot belegt. Vor kurzem verbot der Stadtrat – vorläufig für ein Jahr – die Strassenprostitution von morgens 5 bis abends 20 Uhr. Melanie Muñoz, Koordinatorin des Vereins Lysistrada meint zu den repressiven Massnahmen: „In der ganzen Schweiz ist eine Tendenz festzustellen, dass vor allem die Strassenprostitution reglementiert wird. Die Strassenprostitution ist der kleinste Teil der Sexarbeit. Aber sie ist sichtbar, darum ist sie in den Augen von Politik und Polizei einfach zu bekämpfen.“
Eine der Frauen, die an diesem Mittwochabend am Oltner Strassenstrich stehen, ist die 25-jährige Dora. Sie ist gross, trägt eine Brille, ihr Körper ist mit etlichen Tattoos verziert. Seit zehn Jahren ist sie im Sexgewerbe tätig, seit kurzem auch in Olten.
Dora, warum arbeitest Du als Prostituierte?
Es hat mich gereizt, es hat mich immer schon gereizt. Dieses Milieu, dieses Nacktsein, dieses Regieren, dieses Geld zu haben, einfach die Männer zu behandeln wie ein Stück Scheisse. Wenn man eine Vergangenheit hat, in der man selber behandelt wurde wie ein Stück Scheisse, ändert sich das im Leben.
Wie meinst Du das?
Ich habe 20 Jahre lange in Spanien gelebt, ich bin halb Deutsche, halb Spanierin. Meine Eltern hatten nie Zeit für mich. Es ist nicht die Schuld meiner Mutter, sondern die meines Vaters. Er war oder ist, das weiss ich ehrlich gesagt nicht, im Milieu tätig.
Meine Freundinnen waren die One-Night-Stands von meinem Vater und sie waren alle Prostituierte.
Womit hast Du angefangen?
Mit Strippen, davor habe ich als Gogo-Tänzerin in Diskotheken gearbeitet. Dann wurde mir angeboten: Hey, du hast einen bomben Körper, du hast einen Charakter, du lässt dich nicht unterwerfen. Hast du nicht mal Lust, auf der Strasse anzufangen? Mit fünfzehn Jahren darfst du das eigentlich nicht, aber in Spanien ist das ein bisschen anders (Anmerkung der Redaktion: Prostitution ist in Spanien weder legal, noch ist sie illegal. Im Gesetz kommt sie ganz einfach nicht vor. Das Schutzalter für sexuelle Handlungen liegt bei 13 Jahren).
Erzähl von Deinen ersten Erfahrungen als Prostituierte.
Ich weiss noch, das waren drei Negermamas, ich war die einzige kleine Weisse. Alle haben auf mich aufgepasst. Auf der Strasse ist es nicht wie hier. Hier sind die Strassen in der Industrie, bei uns sind die Strassen Hauptstrassen, Kreisel, gegenüber von Einkaufszentren. Jede hat ihre Ecke und da stehst du dann. Dann habe ich angefangen mit Club, später eine Lehre gemacht drei Jahre lang als Domina. Seitdem sind die Jahre so schnell vergangen, dass ich mir denke: Oh, es sind ja schon zehn Jahre (lacht).
Was hast Du in diesen zehn Jahren alles erlebt?
Viele Sachen: Von gut bis böse, von lustig bis scheisse. Das Milieu ist eine eigene Welt.
Konkret: Was ist Dir speziell in Erinnerung geblieben?
Kurz nachdem ich von Spanien nach Deutschland gezogen bin, wurde ich in ein Laufhaus reingesetzt. Mein erster Kunde war auch mein letzter Kunde für diese Nacht. Er hat mir 7000 Euro gegeben, dafür, dass ich ihn wie einen Hund an die Leine genommen und ihn nackt vom Hauptbahnhof Frankfurt bis zur Diskothek Cocoon geführt habe. Ich dachte echt, der will mich verarschen. Aber nein, er wollte, dass ich ihn vor allen Leuten erniedrige. Und ich so: Gern, ich bin Domina, bei mir bist du an der richtigen Adresse. Dann sind wir zum VIP Eingang rein.
Der Typ hat die Schuhe geleckt von allen Leuten. Das war für mich das lustigste Erlebnis in den zehn Jahren.
Verrückte Sachen gibt es ganz viele, zum Beispiel Kunden, die wollen, dass ich ihnen die Eier aufschlitze mit Rasierklingen, zunähe und wieder aufschlitze. Also es gibt schon kranke Leute.
Was sind die Nachteile des Berufs?
Du hast Nervenzusammenbrüche. Du hast keine anständige Beziehung zu deinem Partner. Du musst einen Partner finden, der das Milieu akzeptiert oder besser gesagt in dem Milieu drin ist. Eigentlich hast du nur Probleme. Auch mit dem Geld. Weil du dich an das Geld gewöhnst, das du kriegst und das mehr ist als du mit sonstiger Arbeit verdienen würdest. Es ist ein anderer Lebensstil. Wenn du einmal in dem Milieu drin bist, bleibst du drin. Da kann jede Frau sagen, sie komme raus, sie geht vielleicht raus, aber sie kommt auch wieder rein.
Hat dieser Job – ausser dem Geld – seine positiven Seiten?
Eigentlich geht es nur ums Geld. Es gibt Frauen, die machen es, weil sie Spass daran haben. Klar, warum nicht? Ich würde gerne mit meinem Job aufhören, momentan kann ich aber nicht, weil ich ein Haus gekauft habe zusammen mit meinem Mann. Ich will Luxus haben, ich will nicht solche Betten haben (deutet auf das Bett im Zimmer), sondern Betten, die drei Mille kosten. Deswegen arbeite ich noch.
Wie viel verdienst Du?
In der Schweiz verdienst du das Doppelte von dem, was du in Deutschland verdienst. In Deutschland sind 50 halbe Stunde, Blasen ohne, Küssen Muss, Französisch natur gegenseitig Muss, Ficken mit. Hier sind 50 Franken ein Witz. Oder einen Blasen mit Gummi. Sechs Wochen war ich hier, vier Wochen davon in Olten. Da ich nicht mehr als
10 000 Franken über die Grenze nehmen kann, habe ich einen Teil des Geldes verschickt. Das darf man, ich habe nachgefragt, nicht, dass ich Probleme mit der Polizei kriege.
Dir ist es also wichtig, dass Du rechtmässig handelst, wenn du in der Schweiz als Sexarbeiterin tätig bist?
Ja. Wenn dir in der Schweiz etwas passiert oder du etwas verbrichst, steckst du hier fest. Deswegen ist es immer besser für uns Deutsche, ein gutes Bild abzugeben. Gerade, weil im Moment so viel Ostblock unterwegs ist, Ungarinnen, Rumäninnen, also die, die unser Gewerbe kaputt und alles unter Preis gemacht haben. Klar, gibt es auch gute rumänische und ungarische Frauen. Aber das Problem ist, dass viele mittlerweile schon für 50 beides machen oder Ficken ohne Gummi. Da stehen wir Deutschen nicht dahinter, wir bieten das nicht an.
Welche Folgen hat das?
Die Männer, wo wollen die hin? Die wollen dahin, wo sie kein Latex drauf haben. Die gibt’s für 50, sieht zwar scheisse aus, scheiss drauf, ich denk mir was anderes, hab aber nur 50 Franken ausgegeben. Die Frau, zum Beispiel die Deutsche, sieht geil aus, die will mehr, aber nee, keinen Bock, ich geh zu der, die macht’s billiger, die macht’s sogar umsonst, die macht’s auch ohne Gummi, die macht’s für Drogen. Ich bleibe bei meinen Preisen und das ist 50, 80, 100 aufwärts. Ich kann mich nicht unter meinem Wert verkaufen.
Welche Grenzen setzt Du bei deinem Service?
Was machst Du nicht? Mein Mund, meine Liebe, meine Zärtlichkeit sind meinem Mann vorbehalten. Ich könnte einem Freier nie im Leben Zärtlichkeit geben, auch wenn er mir dafür 10 000 Franken bezahlen würde. Ich kann ihn nicht küssen, das geht nicht. Weil ich nur meinen Mann liebe und ich mich selber anlügen würde. Ich mache schon etwas Ehrliches.
Bei welchen Freiern sagst Du nein?
Ich nehme keine Dunkelhäutigen, keine Iraner, keine Afghanen und keine Pakistani.
Warum nicht?
Meistens ist der Penis sehr gross. Sie sind sehr aggressiv, dominant, unterwerfen die Frauen, Kopftuch und so. Mit dieser Art komme ich nicht klar, weil ich selber sehr dominant bin. Sonst schaukeln wir uns in der Diskussion hoch bis ich ausraste und ihn rausschmeisse. Wenn sie dich verbal nicht unterwerfen können, versuchen sie es handgreiflich und dann gibt’s die Faust. Denen ist es egal, ob du eine Frau bist oder ob es hier Kameras hat. Aber das funktioniert bei mir nicht.
Warum arbeitest Du hier in Olten?
Olten ist der beste Strassenstrich, den es gibt.
Basel ist scheisse, das sind nicht mal hundert Meter an Strasse, die Frauen stehen aneinander gereiht. Hier hast du mehr Platz zum Laufen und die Autos können bei einer Frau stehen bleiben. Wenn du in Basel stehen bleibst, hast du direkt vier Frauen vor dem Auto. Die Männer sind nicht alle Machos, es gibt auch Männer, die sind schüchtern. Ich habe gehört, es läuft gut hier in Olten, also habe ich mir gedacht, ich komme mal her. Von der Strasse kann ich nichts Schlechtes sagen, im Gegenteil: Ich komme wieder.
Welche Vorteile hat der Strassenstrich gegenüber einem Etablissement?
Strasse ist schnell. Du kannst deine Extras nehmen wie du willst. Es gibt welche, die machen anal für 50, bei mir kostet anal 250 für eine halbe Stunde. Es gibt welche, die zahlen es, es gibt welche, die zahlen es nicht. In den Clubs kriegst du heute nicht mehr so viel Geld wie früher. Früher habe ich im Globe in Zürich für 250 Franken eine Viertelstunde gearbeitet, mittlerweile sind es 50 Franken für eine halbe Stunde. Also, was läuft besser in der Schweiz? Die Strasse.
Wie ist der Strassenstrich in Olten im Vergleich zum Beispiel zu Hamburg?
Das hier in Olten ist kein Milieu, das ist ein Zirkus, ein Kindergarten, eine Jugendherberge. Mit dem Unterschied, dass ich halbnackt rausgehe.
Milieu sind für mich Strassen wie in Hamburg. Da geht es richtig ab. Ich war zwei Jahre lang in Hamburg. Da wird zum Beispiel nicht gefickt, also es gibt keinen Verkehr. Es gibt Fickfalle, Blasefalle, Arschfalle. Das heisst: Will jemand anal, du kriegst anal, du fickst meinen Finger, meinst aber, dass du meinen Arsch fickst. Wenn du wirklich mit jemandem bumst in Hamburg, kriegst du aufs Maul. Ohne Zuhälter kommst du nicht in Hamburg auf die Strasse. Da sind mehrere Gruppierungen: Die Engel, die Black Jackets, die Mareks aus Mannheim und die Hooligans. Jede Strasse, jede Ecke, jede Frau gehört irgendjemandem.
Wie nimmst Du die Repression seitens der Polizei am Strassenstrich Olten wahr?
Ich find’s einerseits scheisse, dass die Polizei die ganze Zeit vorbeifährt, andererseits gut wegen dem anderen Haus, weil die Mädels viel Theater machen, die Beine für ein bisschen Koks breitmachen und uns die Kunden wegnehmen. Aber dass die Bullen jeden Tag vorbeikommen muss nicht sein. Ich habe auch gehört, dass sie den Strassenstrich zu machen wollen hier in Olten. Das wird nichts bringen, wir werden uns eine andere Strasse suchen und dann wird es wieder Politik geben. Ich finde, sie sollten es einfach so lassen. Sie haben ja schon verkürzt auf 20 Uhr am Abend bis 5 Uhr am Morgen. Die sollen doch froh sein, dass wir nicht tagsüber an der Haslistrasse stehen, wenn Familien mit Kindern vorbeifahren. Wenn wir Prostituierten nicht wären, glaub mir, es wären viel mehr Vergewaltiger und Kinderschänder unterwegs.
Welche Rolle spielt Gewalt im Milieu?
Eine sehr grosse. Ich will jetzt nicht schlecht reden über… oh, Gott, wie fange ich bloss an, was sage ich nur, damit es nicht falsch kommt? Gewalt, Drogen, Waffen – das ist alles im Milieu. Ich sag’s mal so:
Jede vierte Hure hat eine Schiesserei gesehen, Drogen siehst du jeden Tag, nein, jede Stunde. Hast du einen Zuhälter, hast du jeden Tag Gewalt.
Wenn du nicht die Summe nach Hause bringst, kriegst du entweder aufs Maul oder du wirst weiter verkauft. Hast du keinen Zuhälter, hast du nur die Gewalt zwischen Frau und Kunde.
Wie stehst Du zu Drogen? Bist Du nüchtern, wenn Du arbeitest?
Ich war koks- und heroinabhängig. Gott sei Dank bin ich’s nicht mehr. Ja, ich konsumiere Drogen. Ich konsumiere Koks, Gras, Alkohol. Ich nehme Drogen, wenn ich auf der Arbeit bin. Wenn ich einen Gast habe wie vorgestern, der sagt: Hey, ich habe 50 Gramm, ich bezahle dir 3, 4, 5, bleibst die Nacht mit mir? Klar. Why not? Bin ich halt zwei Tage danach verkorkst, trotzdem gehe ich auf die Strasse. Wer Party machen kann, kann auch arbeiten. Hier im Haus saufen alle Alkohol, nebenan im Haus nehmen alle Pillen, Koks, Amphetamine, was es so gibt. Jeder muss selber wissen, was er mit seinem Körper macht. Ich komme hier her, mache mein Geld. Was ich hier mache mit Drogen muss mein Mann ja nicht wissen, wenn ich nach Hause komme, bin ich ein sauberes Mädchen.
Wie grenzt Du dein Privatleben von Deiner Arbeit ab?
Arbeit ist Arbeit, privat ist privat. Klar ist es schwer, wenn ich nach Hause komme. Dann bin ich ein bisschen kälter und egoistischer als sonst.
Ich muss schauen, dass ich meinen Mann nicht behandle wie einen Kunden, weil das bleibt wie eine Routine. Er bringt mich wieder in eine normale Schiene.
Nicht nur Prostitution, Drogen und Party, sondern setz dich mal hin, Familie, Haus und so. Ich bin echt froh, dass ich ihn kennengelernt habe. Er zieht mir nicht den Boden unter den Füssen weg, im Gegenteil, er schubst mir den Boden unter die Füsse und sagt so und so. Deswegen ist dieses Jahr auch das letzte Jahr für mich zum Arbeiten.
Du willst raus?
Ja, das Milieu macht dich kaputt im Kopf. Wir möchten eine Familie gründen. Sobald ich weiss, ich bin schwanger, höre ich auf, definitiv. Solange ich kein Kind habe, höre ich im Dezember auf, wie lange, weiss ich nicht. Aber ich brauche auf jeden Fall eine Pause.
Was möchtest Du nachher arbeiten?
Ich möchte etwas machen, bei dem ich mit den Leuten kommunizieren kann. Von 2004 bis 2006 habe ich in Ibiza gelebt und viele Events gemacht für die Diskotheken Amnesia und Space. Ich bin kein dummes Mädchen, spreche mehrere Sprachen und habe ein Diplom als Dolmetscherin in deutsch, englisch und spanisch. Events machen mir Spass, Parties sowieso und neue Leute kennen lernen auch. Oder ich mache meine eigene Bar auf. Eine etepetete Cocktailbar für berühmte Leute in Frankfurt. Eine Jazz und Blues-Bar. Das ist so mein Stil. Jemand spielt Klavier, ein schöner Cocktail, gute Küche, so stelle ich mir das vor.
Grosse Veränderungen kommen nicht nur auf Dora zu, sondern auch auf das Sexgewerbe im Kanton Solothurn. Ein neues Volkswirtschaftsgesetz ist zurzeit in der Vernehmlassung. Der Absatz „Sexarbeit“ erkennt die Prostitution, die seit 1942 in der Schweiz legal, aber nach wie vor sittenwidrig ist, an und stellt sie anderen Arbeiten gleich. Fachorganisationen wie Lysistrada zweifeln am Nutzen der geplanten Neuerung. „Wenn das Gesetz so angenommen wird, bedeutet es vor allem grösseren bürokratischen Aufwand für die Sexarbeiterinnen und die Betreibenden von Etablissements“, fasst Fiona Gunst, Vorstandsmitglied und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, zusammen. Die Koordinatorin Melanie Muñoz ergänzt: „Für Schweizerinnen und Frauen mit einer C-Niederlassung verändert sich nicht viel. Die Auflagen betreffen vor allem die ausländischen Sexarbeiterinnen. Das Gesetz, das unter dem Vorwand des besseren Schutzes für die Frauen eingeführt werden soll, ist in Wahrheit knallharte Migrationspolitik.“ Neue Hürden bedeuteten vermehrte Kontrollen, Bussen und damit auch die Gefahr, in die Illegalität gedrängt und Opfer von Mittelsmännern, sprich Zuhältern, zu werden. „Je mehr Regelungen, desto schwieriger wird es für die Frauen, selbständig und unabhängig zu arbeiten.“
Um eine Berufsausübungsbewilligung zu erhalten, müssen die Frauen volljährig sein, einen Krankenkassennachweis liefern und eine Arbeitsbewilligung für die Schweiz besitzen.Während dies den Aufenthalt und die Ausübung der Sexarbeit für Gastarbeiterinnen komplizierter macht, zwingt es die Schweizer Frauen sich zur Sexarbeit zu bekennen. „Wenn du dich als Prostituierte registrieren musst, bist du abgestempelt“, äussert sich dazu eine Sexarbeiterin, die mehrere Jahre am Oltner Strassenstrich tätig ist. Den Kondomzwang für Freier wie er im Entwurf für das neue Wirtschaftsgesetz des Kantons Solothurn vorgesehen ist, hält sie für realitätsfremd, weil nicht überprüfbar. Auch Iris Schelbert, Stadträtin und Sicherheitsdirektorin von Olten, beurteilt die Umsetzbarkeit des neuen Gesetzes kritisch: „Die Regeln, die irgendwo an einem Schreibtisch gemacht werden, müssen von der Polizei kontrollierbar sein. Gerade im Sexgewerbe ist es schwierig, Regeln zu formulieren, zu kontrollieren und einzuhalten.“ Das neue Gesetz sieht vor, dass die Autonomie der Gemeinden, zu entscheiden, wo die offene Prostitution ausgeübt werden darf, grösser wird. Melanie Muñoz bringt es auf den Punkt: „Olten müsste dann trotz Handels- und Gewerbefreiheit nicht mehr begründen, warum die Stadt den Strassenstrich nicht mehr möchte, sondern kann einfach sagen: Wir wollen ihn nicht mehr. Aber: Es wird diese Form von Sexarbeit, auch wenn sie verboten ist, immer geben, weil die Nachfrage da ist.“