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Jetzt aber!

Vor knapp zwei Jahren feierte Olten jetzt! seinen überraschenden Einzug ins Gemeindeparlament. Verhielten sich die Neuen zu Beginn dort noch unauffällig, machen sie unterdessen vermehrt mit eigenen Vorstössen auf sich aufmerksam. Ist es Olten jetzt! gelungen, «frischen Wind» in die Oltner Politik zu bringen, so wie sie es vorgehabt hatte?
1. Juni 2019
Text: Lena Bueche, Illustration: Studio Feixen

Angefangen hat alles mit ein paar OltnerInnen, die sich zwar politisch engagieren, sich aber keiner der bestehenden Parteien anschliessen wollten – und darum Olten jetzt! gründeten. Als einzige Gruppierung stellte Olten jetzt! für die Gemeindeparlamentswahlen 2017 eine volle Liste mit 20 Kandidierenden zusammen. Finanziert wurde die Kampagne durch Spenden und Mitgliederbeiträge, vor allem aber mit Geld aus der eigenen Tasche. Ausser des im Wahlslogan formulierten Kernanliegens – «Für ein lebendiges und attraktives Olten!» – war wenig über die Positionen von Olten jetzt! bekannt. Das hinderte die WählerInnen aber nicht daran, der Partei ihre Stimmen zu geben: Mit einem Wähleranteil von 12 Prozent gelang es Olten jetzt!, auf Anhieb vier Sitze zu erobern – dies, ohne eine Listenverbindung mit einer etablierten Partei eingegangen zu sein und trotz der Tatsache, dass nach der 2016 beschlossenen Verkleinerung des Parlaments nur noch 40 statt 50 Sitze zu verteilen waren. Selbst Spitzenkandidat Daniel Kissling zeigte sich nach der Wahl in einem Interview überrascht von dem Ergebnis. Der Geschäftsführer des Kulturlokals Coq d’Or und Vorstandsmitglied des Vereins Pro Kultur Olten hat durch seine Verbindungen zur Oltner Kulturszene einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt, was einen Teil des Wahlerfolgs erklären dürfte. Mit 1526 Stimmen hat er ähnlich gut oder gar besser abgeschnitten, als manch etablierte Oltner PolitikerInnen. Auch die anderen drei Kandidierenden, die für Olten jetzt! den Sprung ins Parlament geschafft haben, können ein langjähriges Engagement im Oltner Stadtleben vorweisen: Laura Schöni ist als Fasnächtlerin in der Säli-Zunft aktiv, Denise Spirig ist Mitglied im Sportverein Olten und Tobias Oetiker amtiert unter anderem als Stiftungsratspräsident des Cevi Olten und ist Mit-Organisator des Oltner 2-Stunden-Laufs.

Dieser Artikel erschien im Kolt-Magazin Nr. 104 (Juni 2019)

Die gute Vernetzung war sicher ein wichtiger, aber nicht der alles entscheidende Faktor. Denn die Wahlen 2017 wiesen eine auffällige Besonderheit auf: Sieben der neun KandidatInnen, die neu ins Parlament gewählt wurden, waren jünger als 33 Jahre. Sie stammen aus den Reihen der FDP, von Olten jetzt! und der Jungen SP. Letzterer gelang es gar, zwei neue Sitze zu erobern. Wahlsiegerin war also nicht bloss Olten jetzt!, sondern der Politiknachwuchs insgesamt. Offenbar wünschte sich ein Teil der Oltner Stimmbevölkerung frische Köpfe ohne politisch vorbelastete Vergangenheit.

Dazu passt, dass Olten jetzt! punkto Kommunikation neue Wege gegangen ist. Die Partei hat im Wahlkampf stark auf die sozialen Medien gesetzt und damit womöglich auch jüngere WählerInnen angesprochen. Im Unterschied zu den anderen Parteien hat Olten jetzt! zudem ihre Facebook-Seite nicht nur dazu genutzt, Stellungnahmen zu publizieren oder Veranstaltungen anzukünden, sondern auch um Diskussionen anzuregen. Immer wieder wurde ihre Anhängerschaft dazu aufgerufen, Ideen und Visionen zum Oltner Stadtleben einzubringen und darüber zu debattieren. Auch heute ist die Facebook-Seite von Olten jetzt! diejenige mit den meisten Likes aller Parteien.

Mitwirkung ist bei Olten jetzt! nicht nur ein politisches Verfahren, sondern Kern des politischen Programms: Inhaltlich fokussiert die Partei auf den Abbau administrativer Hürden, die eine unbürokratische Nutzung des öffentlicher Raums und eine partizipative Gestaltung der städtischen Infrastruktur verhindern. Während die anderen Oltner Parteien als Lokalsektionen grosser Mutterparteien die ganze Bandbreite der politischen Themen abdecken, kann Olten jetzt! es sich leisten, einen engen thematischen Schwerpunkt zu setzen. Dieses Konzept verfängt nicht nur in Olten. Auch in anderen Schweizer Städten gibt es politische Gruppierungen, die sich ausschliesslich in der kommunalen Politik betätigen. Ein Blick in die jüngste Erhebung des Bundesamtes für Statistik zur Sitzverteilung in den städtischen Volksvertretungen zeigt: In drei von fünf Städten mit einem Gemeindeparlament sitzen ungebundene Parteigruppierungen oder Parteilose in der kommunalen Legislative. Professor Andreas Ladner von der Universität Lausanne hat bereits in den 1990er Jahren zur Bedeutung von Lokalparteien geforscht. Seiner Ansicht nach tragen zwei Faktoren zum Erfolg solcher Gruppierungen bei: Zum einen hätten die traditionellen Parteien heute generell etwas Mühe, in den Gemeinden zu mobilisieren, weil die «grosse» Politik zu weit entfernt sei. Zum anderen könnten lokale Gruppierungen spezifischer auf die Herausforderungen der Lokalpolitik eingehen. «Oft versprechen sie – zumindest anfangs – neue und bessere Lösungen.»

Auch Olten jetzt! hat im Wahlkampf versprochen, nach neuen Lösungen zu suchen – und zwar gemeinsam mit den anderen Parteien. Was ist aus diesem Versprechen geworden?

Im Gespräch geben die ParlamentarierInnen von Olten jetzt! ihrem Bedauern Ausdruck: Man sei nach der Wahl auf die VertreterInnen der anderen Parteien zugegangen und habe den Kontakt gesucht, aber daraus sei nur ansatzweise eine parteienübergreifende Zusammenarbeit entstanden, erklärt Laura Schöni. Am ehesten funktioniere die Kooperation mit der SP, der Jungen SP und den Grünen. Florian Eberhard, Co-Präsident der Fraktion SP / Junge SP, bestätigt, dass man sich mit Olten jetzt! vor den Parlamentssitzungen auszutauschen pflege. Von Seiten der Grünen heisst es, man schätze die Zusammenarbeit mit Olten jetzt!. Es sei durchaus schon vorgekommen, dass man Vorstösse gemeinsam ausgearbeitet oder mitunterzeichnet habe, so Fraktionspräsident Raphael Schär-Sommer. Die bürgerlichen Parteien dagegen spüren von der lösungsorientierten, parteienübergreifenden Politik, die Olten jetzt! im Wahlkampf angekündigt hat, eher wenig. «Meiner Ansicht nach hat Olten jetzt! eine klare politische Linie eingeschlagen, von der die Partei kaum abrückt», meint zum Beispiel Urs Knapp, Fraktionspräsident der FDP. Er verortet Olten jetzt! eindeutig auf der linken Hälfte des Parteienspektrums. Ähnlich sieht das der Präsident der SVP-Fraktion, Matthias Borner: «Olten jetzt! hat sich nach den Wahlen als eine weitere linke Bewegung entpuppt – ja, mit Olten jetzt! sitzt eigentlich eine zweite SP im Parlament.»

Tatsächlich hatte es Olten jetzt! im Wahlkampf tunlichst vermieden, sich politisch eindeutig zu positionieren und verkündete auf Facebook, «frei vom ideologischen Ballast klassischer, nationaler Parteien» zu sein. Vermutlich gelang es Olten jetzt! dadurch, auch StimmbürgerInnen abzuholen, die üblicherweise nicht links wählen. Das Abstimmungsverhalten, das Olten jetzt! heute im Parlament an den Tag legt, zeigt aber eine deutliche Tendenz – die auch der Partei selbst nicht entgangen ist. So schreibt sie in einem Kommentar zur Session von vergangenem März auf ihrer Homepage: «Ansonsten verliefen die Grenzen von Ja und Nein leider exakt so wie allzu oft in letzter Zeit. Links, Grün und Olten jetzt! sagen Ja und die andern Nein.» Ist Olten jetzt! also eine linke Partei? «Ich selbst würde mich schon als Linken bezeichnen, aber das trifft nicht auf alle VertreterInnen von Olten jetzt! zu», lautet Daniel Kisslings ausweichende Antwort. Tobias Oetiker erklärt, man orientiere sich bei den Abstimmungen nicht an der Position linker Parteien, sondern entscheide von Fall zu Fall, ob man einen Vorstoss unterstützen wolle oder nicht. Und Daniel Kissling ergänzt: «Die Themen, mit denen es die kommunale Politik zu tun hat, lassen sich nur schlecht im klassischen Links-Rechts-Schema verorten.» Deshalb habe er Mühe mit der Behauptung, Olten jetzt! setze sich für typisch linke Anliegen ein.

Dieser Artikel erschien im Kolt-Magazin Nr. 104 (Juni 2019)

Tatsache ist, dass sich seit den letzten Wahlen die Kräfteverhältnisse im Parlament verschoben haben. Das liegt aber nicht nur an Olten jetzt!, sondern auch an den Sitzgewinnen der Jungen SP. Die bürgerlichen Parteien verfügen nicht mehr wie bis anhin über eine bequeme Mehrheit. Je nachdem, wie sich die Fraktion CVP/EVP/GLP im Einzelfall positioniert, können Parlamentsbeschlüsse knapp ausfallen. Wie sich die neue Konstellation im Detail auf die Oltner Politik auswirkt, wird noch genauer zu untersuchen sein: die zweite Hälfte der Legislatur läuft gerade erst an. Die vergangenen Volksabstimmungen haben allerdings die Frage aufgeworfen, ob das Parlament die Oltner Stimmbevölkerung noch angemessen repräsentiert. Dreimal nämlich ergriffen bürgerliche Kräfte das Referendum gegen einen Parlamentsbeschluss – und trugen anschliessend an der Urne den Sieg davon: beim Parkierungsreglement, bei der Vorlage zur Schaffung einer neuen Verwaltungsstelle in der Abteilung Hochbau und beim Budget 2019.

Sollte ein Repräsentationsproblem vorliegen, kann die Stimmbevölkerung dies an den nächsten Wahlen korrigieren, denn Olten jetzt! wird nach Aussage der ParteivertreterInnen wieder antreten. 2021 nicht mehr nur aufs Parlament abzielen, sondern auch die Exekutive ins Auge fassen – Olten jetzt! plant nämlich, auch für den Stadtrat KandidatInnen zu nominieren. Daniel Kissling: «Damit wollen wir beweisen, dass wir nicht bloss eine Protestpartei sind, sondern wirklich Verantwortung übernehmen wollen.»

Für Olten jetzt! wird es nicht einfach sein, den Wahlerfolg von 2017 zu wiederholen. Da die Partei unterdessen Teil des parlamentarischen Betriebes ist, kann sie nicht mehr auf den Bonus setzen, frei von politischen Verstrickungen zu sein. Sitze verteidigen statt erobern, erfordert eine neue Wahlkampfstrategie. Ausserdem wird sich Olten jetzt! nicht mehr vor einer klaren Positionierung drücken können: Die Zugehörigkeit zum links-grünen Flügel ist schon heute offenkundig. Gleichzeitig wird sich Olten jetzt! ein klareres politisches Profil zulegen müssen, um sich von thematisch ähnlich ausgerichteten Parteien wie der Jungen SP abzuheben. Da zu erwarten ist, dass die anderen Parteien bezüglich Kommunikation nachziehen und vermehrt auf die sozialen Medien setzen werden, wird sich Olten jetzt! auch in der Mobilisierung Neues einfallen lassen müssen. Und nicht zuletzt muss Olten jetzt! bis zu den Wahlen 2021 beweisen, dass der angekündigte «frische Wind» nicht bloss ein laues Lüftchen ist.

* Statements oder Abstimmungsempfehlungen von Olten jetzt! in Sitzungsprotokollen und auf Social Media


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