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«Vielleicht war ich ein schlechter Politiker, weil ich mich zu wenig über die Zustände bei uns aufgeregt habe»

Mit Arnold Uebelhart verliert das Oltner Parlament eine seiner prägendsten Stimmen. Wenn er sprach, schien der starre Konflikt zwischen den beiden politischen Lagern für einen Moment wie weggeblasen.
12. Juli 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

«Seither ist viel Wasser die Aare heruntergeflossen», sagen die Oltnerinnen im Volksmund gerne, wenn etwas weit zurückliegt. In diesem Sommer ist der Fluss durch die unablässigen Niederschläge besonders stark strapaziert. Am letzten Junimittag führt die Aare schiere Mengen an Wasser durchs Städtchen, das beim hohen Wasserstand kleiner scheint. Hinter seinem Latte macchiato auf der Baditerrasse sitzt Arnold Uebelhart. Auch ihn dürfte die Naturgewalt beeindrucken. Doch was während unseres Gesprächs neben uns durchfliesst, ist nichts verglichen mit den Wassermengen, welche die Aare durch Olten trug, derweil Arnold Uebelhart im Gemeindeparlament sass.

28 Jahre

Gemessen an einem Gestein würden 28 Jahre einer Sekunde entsprechen. In der Politik ist ein ausdauerndes Engagement wie jenes von Arnold Uebelhart epochal. Der Hausarzt bevorzugte die kleine Politbühne und blieb immer in der Rolle des einfachen Volksvertreters. Für den Kantonsrat, geschweige denn für den Nationalrat hegte er keine Ambitionen. «Ich wollte nirgendwo sonst hin», sagt er. Neben dem Amt im Parlament wirkte Uebelhart zudem 16 Jahre lang am Amtsgericht als Laienrichter.

Die Rolle des Richters nahm er auch im Parlament ein. Mit einer unverbrauchten Art hinterfragte er gerne die starren Haltungen der Parteien. Seine direkten Worte kamen gut an. Er machte sich mit seiner Wesensart bei allen beliebt. Er habe mal ausgerechnet, was von seiner Lebenszeit auf die Politik ging, erzählt Uebelhart. 28 Jahre lang mit zehn Parlamentssitzungen, ebenso vielen Fraktionssitzungen jährlich und zusätzlich die Vorbereitung der Dossiers. «Das wären weit über 80 Stunden pro Jahr und bestimmt 3000 Arbeitsstunden über die drei Jahrzehnte verteilt. Das ist ein gutes Arbeitsjahr», sagt Uebelhart und lacht dabei sein helles, unverkennbares Lachen. Kein Stolz schwingt in der Stimme mit. «Noldi», wie ihn alle nennen, war immer der unaufgeregte Parlamentarier, der still die Dossiers studierte und dann hin und wieder durch seine Voten auffiel.

Damals, als nur wenige herrschten

Er wolle keine Huldigung zu seiner Person lesen, keinen Lobgesang auf ihn als Milizpolitiker, sagte er, als ich ihn für ein Gespräch anfragte. Wie das Aarewasser vorbeizieht, beginnt er zu erzählen. «Als ich anfing, war das Parlament ein autoritär geführter Betrieb. Wir haben ein paar Jahre lang geschwiegen. Die Chefs sagten, wo es langging. Ich spürte damals noch keine Konfliktlinien im Parlament.» Die Kultur des Abnickens wandelte sich zusehends und das Parlament wurde diverser, hartnäckiger – und kritischer.

Damals, als er nach Olten gekommen war, um in die Gemeinschaftspraxis im Hammer einzuziehen, hatte der spätere Regierungsrat Peter Gomm ihn auf die Wahlliste geholt. Auf Anhieb schaffte Arnold Uebelhart 1993 den Einzug in die Oltner Legislative. Und da sollte er bleiben. Von Haus aus sei er schon Sozialdemokrat gewesen, erzählt er. Die SP war Familientradition. Arnold Uebelhart gehörte in seinen Jugendjahren in Aarau der Juso an. «Mir ist es wichtig, zu einer Partei zu gehören, die auch schweizweit und europaweit vernetzt ist und Gewicht hat», sagt Uebelhart.

Wäre es nach ihm gegangen, hätte er die drei Jahrzehnte im Parlament überdauert. Doch im Frühling kam die Abwahl. Die SP setzte voll auf die Frauen und führte sie doppelt auf der Liste, während die Männer einfach drauf waren. Eine Hypothek, die selbst der 68-Jährige, der bei den letzten Wahlen stets einer der Bestgewählten gewesen war, nicht wettmachen konnte.

Sie brachen im Parlament oft mit festgefahrenen Mustern, wenn Sie Ihren Senf dazugaben. Wie kam es dazu?

Manchmal empfand ich die Debatten als festgefahren und stur. Ich störte mich daran, wie der Stadtrat in gewissen Geschäften von Beginn weg verrissen wurde. Viele klammern sich an ihren Notizen fest. Ich rief immer dazu auf, sie sollten doch spontan sprechen. Ich hatte selten ein Blatt vor mir. Was viele machten, ist wie am Spielfeldrand ein Match zu kommentieren. «Geht doch aufeinander ein», forderte ich immer wieder. Mein Ziel war eben, dass wir Mitspieler sind und die Konfrontation überwinden. Erst später habe ich gemerkt, dass ich diese Rolle innehatte.

Sie nahmen also Ihr Wesen als Sozialdemokrat beim Wort und trugen den Gerechtigkeitsgedanken auch ins Parlament.

Nun will ich doch noch die Philosophin und Polittheoretikerin Hannah Arendt zitieren. Sie sagte: «In der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern darum, in einer Gemeinschaft ein Urteil zu fällen.» Darin steckt für mich alles drin. Es gibt nicht ein wahres Urteil. Wenn wir zum Beispiel darüber debattieren, wie wir den Ländiweg umsetzen möchten, geht es nicht um wahr oder falsch. Alle tragen ihren Kompass im Hintergrund mit. Jene, die eine andere Meinung vertreten, bereiten sich ebenfalls auf die Themen vor. Das gilt es zu respektieren, denn auch wir als Parlament bilden eine Gemeinschaft.

Was bewirkt der harte Diskurs im Parlament?

Er bindet viel Energie und bringt der Stadt nicht viel. Viele sind frustriert. In diesen 28 Jahren habe ich extrem viele junge Menschen kennengelernt, die kamen und wieder gingen. Auch weil sie frustriert waren.

Die SP wählte dieses Jahr eine mutige Wahlstrategie und förderte die Frauen konsequent. Innerhalb der Partei sorgte dies für Wirbel. Gerade die älteren Männer fürchteten eine Abwahl, die dann Tatsache wurde. Auch für Sie.

Im Gegensatz zu anderen erfahrenen Parlamentskollegen war ich dafür, die Frauen doppelt auf die Listen zu schreiben. Jetzt kommen die jungen Frauen, geben wir ihnen eine Chance! An der Parteiversammlung sagten einige, die Partei müsse die Wahl nun offen aufarbeiten. Für mich gabs nichts aufzuarbeiten. Wir wollten ja, dass Frauen gewählt werden. Nun ist es an uns, der jungen Fraktion zu helfen, dass es gut herauskommt. Wenn wir etwas in Olten erreichen wollen, müssen wir mehr zusammenarbeiten. Vielleicht gelingt dies ja den Jungen besser.

Wie werden Sie sich nun einbringen?

Ich werde sicher nicht hintendurch schlecht über das Parlament und die Stadtregierung sprechen. An den Parteiversammlungen möchte ich weiterhin teilnehmen.

Hat Sie die Abwahl geschmerzt?

Nein, ich hab grad verstanden, warum es nicht mehr reichte. Auf den sozialen Medien sind die Jungen schon gut. Ich dachte, vielleicht schaff ich es, den Rückstand der unveränderten Wahlzettel aufzuholen. Die Leute hätten mich trotz unserer Wahlstrategie demokratisch wählen können. Aber sie haben gesagt: «Jetzt hört der auf.»

Wie stehen Sie nach 28 Jahren Gemeindeparlament zur Milizpolitik?

Einer meiner wenigen Vorstösse war ja, das System des Gemeinderats ins Solothurner Modell zu ändern. (In Solothurn bildet ein 30-köpfiger Gemeinderat die Exekutive, also die ausführende Gewalt, welcher das Stadtpräsidium vorsteht. Die gesetzgebende Behörde ist die Gemeindeversammlung. Sie findet zwei bis vier Mal jährlich statt / Anm. d. Red.) Ich fände dies nach wie vor interessant. Im Gemeinderat fiel ich mit dieser Idee knapp durch. Gerade meine Leute waren nicht dafür. Ich finde, dass ein Parlament für ein Städtlein wie Olten fast übertrieben ist.

Ausgerechnet Sie zweifeln am System, an welchem Sie fast drei Jahrzehnte teilnahmen?

In einem Milizparlament zu sein, ist auch eine Ehre. Ich hab es auch einfach gemacht, aus Faszination. Vielleicht bin ich darum so lange geblieben. Als Parlamentarier bist du näher am Stadtgeschehen dran. Ich befinde mich aber nicht in einem Klüngel wie andere. Zumindest nicht, dass ich wüsste. (lacht) Mein Arbeitskollege bekam einmal im Wahlkampf den Zuspruch vom Gewerbeverband. Da habe ich angefragt, ob sie mich auch unterstützen würden. Darauf sagte mir der Verband, ich sei in der falschen Partei. Ich nahm es nicht persönlich und wurde schliesslich auch immer gut gewählt. (lacht)

Haben Sie sich im Kleinstädtischen manchmal gefangen gefühlt?

Das Gemeindeparlament ist wie ein Dorfplatz. Ein Ort, an dem debattiert wird. Auch mit Klüngel-Menschen. Aber ich sehe dies auch positiv. Dass es den Klüngel gibt, hat mich fasziniert. Ich staunte, als Stadtpräsident Martin Wey dem Parlamentarier Matthias Borner an der Sitzung sagte, er sei ja in der gleichen Zunft. Das Kleinstädtische nimmt der persönlichen Konfrontation ein Stück weit die Schärfe. Die kleinen Verhältnisse haben ihre Vorteile. Alle wissen, wovon wir sprechen, und die Menschen haben sich auch gern.

Lokalpatriotismus scheint aber nicht Ihr Ding zu sein.

Nabelschau ist mir fremd. Olten «runterzumachen» ebenso. Wir haben ja hier viele Möglichkeiten. Mit dem EHCO bin ich mässig verbunden. Seit meiner Jugendzeit bin ich hingegen FC-Aarau-Fan geblieben. Vielleicht sollten Oltner Fussball auch in Aarau schauen und die Aarauer Spitzenhockey in Olten.

Arnold Uebelhart klaubt in seinem weinroten Retro-Rucksack und zieht drei Bücher hervor. «Ursprünglich war ich von diesen Büchern geprägt», sagt er. «Rot und realistisch» ist der Titel des Buchs des Austro-Marxisten Günther Nenning. «Er sagte, die Politik müsse Bedingungen schaffen, dass die Leute leben können. Das ist ja eigentlich sehr liberal», sagt Uebelhart.

Dann erwähnt er den Club of Rome, der schon früh die Endlichkeit der Ressourcen erkannte. «Öko zu sein, bedeutet doch eigentlich, weniger zu verbrauchen. Die elektrische Mobilität benötigt nicht weniger Ressourcen», sagt Arnold Uebelhart, der nie ein Auto besass. Ein anderes Buch, das er mitgebracht hat, trägt den Titel «Vor uns die Sintflut». «Was die da schrieben um 1970 herum, ist nun wahr geworden.» Das Buch thematisiert die Energiekrise. Auch er sei im Leben neun Mal geflogen. Einmal reiste er für vier Monate nach Indien. Die grossen Städte mit wirrem Verkehr haben ihn beeindruckt. «Und wir reden hier von Verkehrsproblemen», sagt er, lacht und hintersinnt sich selbst:

«Vielleicht war ich ein schlechter Politiker, weil ich mich zu wenig über die Zustände bei uns aufgeregt habe. Wir können nicht mal etwas grad stehen lassen, wollen immer alles optimieren im Leben.»


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