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Begleiterin auf Reisen aller Art

Bestattungen und Carreisen: Lange zweifelte Gabi Born, ihre zwei Leidenschaften je miteinander verbinden zu können. Dann setzte sie ihren Traum in die Tat um.
3. November 2020
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo
Zwischenhalt auf der letzten Reise: Im Abschiedsraum der Borns wird getrauert, aber auch gelacht.

«Nächsten Samstag, 10 Uhr. Zeit mitbringen. Am Mittag gibt’s Spaghetti», stand in der kurzen SMS, die Gabi Born als Antwort auf ihre Anfrage bekam. Sie hatte Bestatter Ricco Biaggi im aargauischen Gipf-Oberfrick gebeten, ihm bei einem Besuch über die Schulter schauen zu dürfen. Sie wollte einen Einblick ins Bestattungswesen gewinnen. Das war 2013. Der Wunsch, sich um die letzte Ruhe von Verstorbenen zu kümmern, kam bei Gabi Born jedoch schon viel früher auf. Tochter Gina Born erinnert sich, dass ihre Mutter immer wieder mit diesem Gedanken gespielt hatte und sich erkundigte, ob sie sich vorstellen konnte, mitzuhelfen.

Zu Beginn habe sie sich mit der Idee schwergetan. «Als junge Frau sah ich mich als absolut ungeeignet für das Bestattungswesen», erzählt Gina. Doch ihre Mutter liess nicht locker. Eines Abends lief im Fernsehen eine Dokumentation über eine deutsche Hebamme. Nachdem die Frau sich über Jahre mit dem Beginn des Lebens befasst hatte, wollte sie die andere Seite kennenlernen. Sie begann, im Bestattungswesen zu arbeiten. Aufgeregt rief Gabi Born ihre Tochter hinzu: «Schau mal, eine Bestatterin!»

Faszination Kardanwelle

Hebamme, das war auch Gabi Borns ursprünglicher Berufswunsch. Die Voraussetzung dafür: eine bereits abgeschlossene Ausbildung. Born entschied sich für die Verkaufslehre, weil diese mit zwei Jahren vergleichsweise kurz war. Als jedoch im Unternehmen des Vaters überraschend ein Mitarbeiter verstorben war, sprang sie 1984 nach der Ausbildung in dessen Büro ein. Die Arbeit gefiel ihr dermassen gut, dass sie ihren Traum, Hebamme zu werden, kurzerhand beerdigte und ihren bereits zugesicherten Ausbildungsplatz freigab. Sie nahm Lastwagenfahrstunden, machte später die Carprüfung und sorgte am Steuer dafür, dass Schüler im Winter sicher ins Skilager fuhren und Reisegruppen im Sommer bequem an die Adria gelangten. 1998 übernahm Gabi Born schliesslich die Führung von «Born Reisen».

Zurzeit wenig nachgefragt: Das Angebot von «Born Reisen»

Drei Mädchen und kein Junge in der Familie. Für viele Leute im Umfeld sei das Schicksal des Carunternehmens damit besiegelt gewesen, erzählt Gabi Born. Doch sie hatten die Rechnung nicht mit der jüngsten Born-Tochter gemacht. «Als Schulmädchen bin ich jeweils in der Mittagspause nachhause gerannt, habe den Schulsack in die Ecke geworfen und bin so rasch wie möglich zu meinem Vater in die Garage gelaufen», erinnert sie sich. An der Seite ihres Vaters liess sie es sich nicht nehmen, in die Werkstattgrube zu steigen und einen Blick unter die grossen Reisecars zu werfen. «Die Kardanwelle, das Getriebe. Solche Dinge haben in meiner Kindheit eine unheimliche Faszination auf mich ausgeübt.»

Pippi Langstrumpf und der Himmel

«Im Leben gibt es Augenblicke, die erlebt man nur ein einziges Mal», sagt Gabi Born. Zu diesen Momenten zählt sie die Geburt eines Kindes, aber auch der Tod eines lieben Menschen. «Umso wichtiger erscheint mir unsere Aufgabe als Bestatter. Sie ist mit einer grossen Verantwortung verbunden. Nicht selten sind wir diejenigen, die einem Menschen zum allerletzten Mal ins Gesicht schauen, bevor er die Welt für immer verlässt.» Gabi Born ist überzeugt, dass nach dem Tod etwas Schönes wartet. «Irgendwie geht es weiter.» Selten habe sie einen verstorbenen Menschen gesehen, der nicht einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht hatte, sagt sie.

«Als ich meinen Vater 2008 in der Halle auf dem Friedhof verabschieden wollte, nahm mir die dicke Glasscheibe zwischen uns jede Möglichkeit, ihn noch einmal zu berühren und seine Haut zu spüren.»

Gabi Born

Nach dem ersten Besuch bei Bestatter Biaggi entschieden sich die Borns, bei ihm ein Praktikum zu machen. Damit war der Grundstein für das eigene Bestattungsinstitut gelegt. «Es war nur noch eine Frage der Umsetzung», erinnert sich Gina. Ihr Bruder Samuel war bereits während seiner Ausbildung zum Möbelschreiner mit dem Bestattungswesen in Kontakt gekommen. Er baute schliesslich die einstige Autogarage neben dem Reisebüro an der Aarauerstrasse 114 zu einem Aufbahrungsraum um.

Die beiden Betriebe der Borns stehen heute Tür an Tür. Die Glastür führt ins Reisebüro, die Tür aus erlesenem Eichenholz in den kleinen Aufbahrungsraum. Mittels eines Codes haben Angehörige zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt zum Verstorbenen. Entsprechend ihrer Wünsche wird der Raum geschmückt. Bis zu einer Woche bleibt ihnen Zeit, Abschied zu nehmen.

Bestattungsunternehmen und Reisebüro liegen Tür an Tür.

Anders als beispielsweise in der Aufbahrungshalle des Friedhofs Meisenhard, bahren die Borns die Verstorbenen in einem sogenannten Katafalk auf, dessen Oberseite offen ist. «Als ich meinen Vater 2008 in der Halle auf dem Friedhof verabschieden wollte, nahm mir die dicke Glasscheibe zwischen uns jede Möglichkeit, ihn noch einmal zu berühren und seine Haut zu spüren», blickt Gabi Born ungern zurück.

Im kleinen Besprechungszimmer hinter dem Aufbahrungsraum erinnern grosse Porträtbilder an ihre verstorbenen Eltern. «Als vor eineinhalb Jahren meine Mutter gegangen ist, haben wir uns selbst um die Bestattung gekümmert.» Sie nicht in fremde Hände zu geben und die Bestattung selbst durchzuführen, sei selbstverständlich gewesen für die Familie.

«Nicht jeder Todesfall ist durch und durch von Traurigkeit erfüllt.»

Gabi Born

Wandert der Blick im kleinen Aufbahrungsraum gen Himmel, springt einem die goldfarbene Decke ins Auge. «Wie schön muss es erst im Himmel sein, wenn er von aussen schon so schön aussieht.» Kein Zitat von Gabi Born, sondern von Pippi Langstrumpf. Es ziert die Website von «Born Bestattungen». Im kleinen Raum wird nicht nur geweint und getrauert, sondern auch gelacht. Wenn Geschichten und Anekdoten die Runde machen und die Erinnerungen an schöne gemeinsame Momente im Leben der Verstorbenen hochkommen. «Nicht jeder Todesfall ist durch und durch von Traurigkeit erfüllt», sagt Gabi Born, «besonders wenn der Tod als eine Erlösung von einer Krankheit wie beispielsweise einer Demenz wahrgenommen wird, fällt es den Angehörigen leichter, Abschied zu nehmen.»

Gestorben wird immer

Eine Tür weiter, im Büro nebenan, klingelt das Telefon. Tochter Gina geht ran und meldet sich mit «Born Reisen». Am Klingelton erkenne man, ob die Nummer des Reisebüros oder jene des Bestattungsdienst gewählt wurde, erzählt sie später, «aber es kommt vor, dass Leute wegen einer Bestattung anrufen und dazu die Nummer des Carunternehmens wählen.» «Unser erster Anruf heute?», fragt Gabi Born etwas bedrückt und erwartet keine Antwort. Derzeit herrscht Endzeitstimmung im Carunternehmen.

Die Fahrzeuge, neun an der Zahl, sind in der Garage an der Haslistrasse eingestellt. Die Nummernschilder abmontiert und bei der Motorfahrzeugkontrolle hinterlegt, um Kosten zu sparen. Einzig der Bestattungswagen, der die Garage mit den Reisecars teilt, verlässt in diesen Tagen seinen Parkplatz hin und wieder, wenn die Borns ausrücken, um einen Verstorbenen abzuholen. Zuhause, im Spital oder an einer Unfallstelle.

Stillstand beim Reiseunternehmen: Wann das nächste Mal ein Car die Garage verlässt, kann niemand sagen.

Zum momentanen Stillstand bei den Carreisen sagt Gabi Born: «In der 84-jährigen Firmengeschichte gab es eine solche Situation noch nie.» Mit ruhiger Stimme erzählt sie, dass das Reisegeschäft bis Mitte März normal lief, bis zum Zeitpunkt des Lockdowns. Seither ging nichts mehr. Neunzig Prozent des Umsatzes von «Born Reisen» sind weggebrochen, die Buschauffeure seit Monaten in Kurzarbeit. Man sei froh, mit dem Bestattungsunternehmen ein zweites Standbein zu haben. Ein krisensicheres dazu, gestorben wird immer.

Jährlich bestattet die Familie Born durchschnittlich 100 Verstorbene, beim Carunternehmen zählt man in pandemiefreien Zeiten zirka 60’000 Reisende. «Reisen aller Art», meint Gabi Born, «sind unsere Spezialität.» Es ergebe sich, dass Angehörige auf uns zukommen, deren Eltern zu Lebzeiten viel mit «Born Reisen» unterwegs waren und für die es keine Frage sei, dass die letzte Reise ebenfalls mit uns zusammen ihren Anfang nehme, erzählt sie.

Bestatterin – ein krisensicherer Beruf

Reisen in der Fantasie

«Bevor meine beste Freundin 2013 nach längerer Krankheit starb, interessierte sie sich sehr für unsere Pläne mit dem Bestattungsdienst. Ihr Tod kam für alle schneller als erwartet, wenige Tage, nachdem wir unser Bestattungsfahrzeug gekauft hatten. Der Wagen war noch nicht eingelöst und nur mit Hilfe verschiedener Stellen schafften wir es, das Auto rechtzeitig für die Bestattung parat zu haben», blickt Gabi Born zurück.

Behilflich bei diesem Unterfangen war ein junger Bestatter aus Zürich. Er war es auch, der die Familie beim Start mit seiner Erfahrung unterstützte. Dazu reiste er im ersten Jahr regelmässig nach Olten. Heute ist er der Lebenspartner von Gina. «Im Leben passieren Dinge, die man nicht für möglich gehalten hat», sagt Gabi Born. Nie hätte sie geglaubt, ihre beiden Leidenschaften, das Reisen und das Bestatten, eines Tages miteinander verbinden zu können. «Umso schöner ist es, wenn man sieht, dass es funktioniert.»

Gabi Borns drei Labradore Mex, Joshi und Bridget sorgen für Leben im Reisebüro – und haben sich daneben schon als willkommene Trostspender für Hinterbliebene bewiesen.

Den Koffer zu packen, aufzubrechen und sich eine Auszeit vom Alltag zu gönnen, dazu kommt Gabi Born kaum noch. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag ist sie in ihren beiden Unternehmen verfügbar. An Fernweh leide sie deshalb nicht, sagt Born, die sich als überzeugte Oltnerin beschreibt. «In Olten fühle ich mich wohl. Hier ist mein Zuhause.»

Gerade einmal vier Jahre ihres Lebens verbrachte sie ausserhalb ihrer Heimatstadt. Ausserdem sei sie mit einer blühenden Fantasie gesegnet. Wenn sie für ihre Kundschaft eine Reise plane, reise sie in ihrem Kopf immer ein wenig mit. So sei es vorgekommen, dass sie von der Realität einer Reisedestination enttäuscht wurde. «Wie wenn man ein Buch liest und sich dann den Film ansieht», sagt Gabi Born, nimmt den frischen Lavendelzweig aus der Teetasse und legt ihn behutsam beiseite.

Der Lavendel steht symbolisch für die Stille und Demut, aber auch für die Erinnerung. Von der ersten Schulexkursion bis hin zur allerletzten Reise, für Gabi Born ist es eine Herzensangelegenheit, den Menschen ein Andenken zu schenken.


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