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Der Bienenflüsterer

Im Oltner Gemeindeparlament politisiert Raphael Schär-Sommer für die Grünen. Es hätte aber auch eine andere Partei werden können.
16. Oktober 2020
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Fürs Feierabendbier ist der Tag noch zu jung. Schär-Sommer bestellt sich eine Cola, ohne Eis und ohne Glas, und zeigt sich zufrieden, als er auf dem Etikett liest, dass das Getränk nachhaltig gebraut wird. Die Galicia Bar, die sei fast so etwas wie sein zweites Wohnzimmer. Die schummrig leuchtende Schirmlampe in seinem Rücken verleiht seiner Aussage gemütlich Nachdruck. Zu Gast im Galicia ist der Grüne Gemeindeparlamentarier regelmässig dann, wenn er an einer Sitzung von «Olten im Wandel» teilnimmt. Auch an freien Tagen trifft man ihn öfters in Alex Capus’ Lokal. «Weil ich gleich um die Ecke wohne und mich bislang nicht entscheiden konnte, welches der Drei-Tannen-Biere mein absoluter Favorit ist», erzählt der 33-Jährige, während er seine blaue Windjacke abstreift und den schwarzen Hoodie zurechtrückt.

Der Ostschweizer Dialekt ist nur noch ein Schatten seiner selbst. «Du tönst wie ein Zürcher», heisst es in Olten nicht selten, wenn Schär-Sommer den Mund aufmacht. Aufgewachsen in Grabs, im sonnenverwöhnten St. Galler Rheintal, reiste Schär-Sommer in seiner Kindheit mindestens einmal im Jahr mit der Familie ins Mittelland. Jeweils zu Weihnachten, wenn ein Besuch bei seiner Grossmutter in Rothrist anstand. Der Nebel der längst vergangenen Dezembertage hängt bis heute in seiner Erinnerung. Vor sechs Jahren, nach dem ETH-Studium als Maschinenbauingenieur, kam Schär-Sommer mit seiner damaligen Partnerin und heutigen Ehefrau nach Olten, um zu bleiben. Jobs in Basel und Olten gaben den Anlass.

Raphael Schär in der Galicia Bar in Olten

Seither engagiert sich Schär-Sommer im hiesigen Gemeindeparlament für die Grünen und ist an verschiedenen lokalen Projekten und Initiativen beteiligt. Als Mitgründer von «Olten im Wandel» versucht er unter anderem mit der RestEssBar an der Rosengasse, der Verschwendung von Lebensmitteln Einhalt zu gebieten, er sitzt im Vorstand der Grünen Olten, und als Helfer im Naturfreundehaus auf dem Rumpel steht er regelmässig früh auf, um als Koch, Kellner und Hüttenwart müdes Wandervolk aufzupäppeln.

«Weil ich die Debattenkultur in unserer Wohngemeinschaft aufrechterhalten wollte, kam für mich der Beitritt zu den Grünliberalen nicht in Frage.»

Raphael Schär-Sommer

Die Entscheidung, einer Partei beizutreten, fiel bei Schär-Sommer vor rund zehn Jahren. Ein Mitbewohner seiner damaligen Wohngemeinschaft trat bei den Jungen Grünliberalen ein und fragte Schär-Sommer, ob er es ihm gleichtun möchte. «Weil ich die Debattenkultur in unserer WG aufrechterhalten wollte, kam für mich der Beitritt zu den Grünliberalen nicht in Frage. Ich entschied mich für die Jungen Grünen.» Wo er sich von Beginn weg wohlgefühlt habe, schiebt er nach. Theoretisch hätte das mit der Parteiwahl aber auch andersherum herauskommen können.

Nach seinem Entscheid, für den Oltner Stadtrat zu kandidieren, beschäftigt Schär-Sommer zurzeit die Frage, wie es für ihn nach einer Wahl weitergehen würde. Feststeht, dass er weiterhin in einem Teilzeitpensum als Ingenieur im Bereich Gebäudesimulation arbeiten möchte. «Ich vergleiche das mit der Situation von werdenden Eltern, die nach der Geburt der Kinder die berufliche Tätigkeit nicht komplett einstellen möchten.»

Das politische Klima in Olten nimmt er als zweischneidig wahr. «Die Zusammenarbeit ist einerseits freundschaftlich. Anderseits stört die Polarisierung.» Die angestrebte bürgerliche Listenverbindung sieht er als ungutes Produkt dieser zwei Fronten. «Ich würde mir eine stärkere Mitte wünschen, die Akzente setzt und damit vermehrt mitentscheidet und mitträgt, wohin es mit der Stadt geht.» Mit der Listenverbindung der Bürgerlichen habe man sich davon aber komplett verabschiedet. Versöhnlich stimmt: Auch wenn im Parlament zuweilen die «Köpfe eingeschlagen werden», stehe einem Feierabendbier nach hitziger Debatte nie etwas im Weg.

Als Ingenieur glaubt Schär-Sommer nicht an Wunder, sondern an Zahlen und Fakten. «Wenn man etwas nur aus einem Gefühl heraus erklären kann, reicht mir das nicht. Ich will die Gründe erfahren, weshalb etwas ist, wie es ist.» Dafür scheut er sich auch nicht, das Telefon in die Hand zu nehmen und bei den Verantwortlichen nachzufragen, wenn für ihn eine Aussage oder ein Entscheid nicht nachvollziehbar ist. Selbst wenn ihn die Sache nicht persönlich betrifft.

Zuhause unterwegs

Auf ein eigenes Auto verzichtet Schär-Sommer. Weniger sei manchmal mehr. «Je nachdem, wie man es sieht, gehören uns 2’500 Autos», sagt er, der ein Fahrzeug bei «Mobility» mietet, wenn das Reiseziel nicht zu Fuss, per Zug oder Velo erreichbar ist. Sein erstes und gleichzeitig letztes Auto war ein VW-Bus, den er für einen Europatrip gemeinsam mit Kollegen umbaute. Das war zwischen Kantizeit und Studium, also ziemlich lang her. Heute reist das Ehepaar bevorzugt mittels Muskelkraft statt Treibstoff. Für den vergangenen Sommer war eine Veloreise in Schottland geplant. Corona geschuldet war die Tour jedoch zu Ende, bevor man lospedalen konnte, und man entschied sich, die freien Tage in der Nähe zu verbringen. Der neue Plan: Einmal rund um die Schweiz. Drei Wochen, knapp tausend Fahrkilometer. Tagsüber auf dem Sattel, die Nächte in der Jugendherberge oder zu Gast bei Freunden. «Höllisch heiss war es teilweise, aber auch wunderschön, die Schweiz auf diese Art zu entdecken.»

«Unser Garten steht vor einem totalen Neuanfang.»

Raphael Schär-Sommer

Vor Kurzem wurden im Gemeinschaftsgarten an der Klarastrasse zwei Erdsonden für die Heizung und Warmwassergewinnung installiert. Gut für die Nachhaltigkeit, ein Desaster fürs Gärtnerauge. «Unser Garten steht vor einem totalen Neuanfang», erzählt Schär und schmunzelt, wenn er an den heimischen Acker denkt. Gestalterische Arbeiten gehören nicht zu Schärs Stärken, wie er sagt. «Geht es darum, ein Projekt umzusetzen, ist die Technik nie das Problem. Soll es aber optisch etwas hermachen, ziehe ich lieber jemanden bei, der etwas von der Materie versteht.» Dank der Nachbarschaft im Genossenschaftshaus, wo er gemeinsam mit seiner Frau in einer der vier Wohnungen lebt, ist Hilfe immer nur eine Bitte entfernt. 

Für den engagierten Naturliebhaber ist der Garten mehr als nur Erholungsraum. Derzeit liegt sein Augenmerk auf den Wildbienen. «Herkömmliche Nistkästen mit hohlen Niströhren, wie sie heute in vielen Gärten stehen, sind nur für zwanzig Prozent aller Arten geeignet.» Deshalb experimentiert Schär-Sommer zurzeit mit zwei verschiedenen Sandsorten, deren Mischung – trägt sein Plan Früchte – sich als ideales Bausubstrat für Wildbienen eignet. Auch die Vorbereitungen auf die Stadtratswahlen im kommenden Frühling sind angelaufen. Schär-Sommer hat sich dazu ein kleines Wahlkampfteam zusammengestellt. Ein paar Freunde unterstützen ihn auf seinem Weg, nicht zuletzt bei der ansprechenden Gestaltung der Website und des Wahlkampfmaterials.


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