Skip to main content

Zugpferd Nils Loeffel? Wie Olten jetzt! die Linke beflügelte

Dass Rot-Grün auf Anhieb geschlossen in die Stadtregierung einzieht, galt als Überraschung. Das war sie aber nicht, wie unsere Analyse zeigt. Der Einfluss von Olten jetzt! hat die neue politische Realität zementiert.
9. März 2021
Text: Yann Schlegel, Grafik: Roger Lehner

Wäre nicht die Pandemie gewesen, hätten wir in der Montagszeitung nach der Wahl ratlose Gesichter gesehen. Allen voran jene der Freisinnigen. Und wir hätten lachende Gesichter gesehen. Die Sozialdemokraten und die Grünen hätten euphorisiert ihre Wahl gefeiert.

In diesem Jahr taten sie dies vielleicht zu einem Glas Sekt in der eigenen Stube oder im kleinen Kreis im Freien. Warum aber dieser Erdrutschsieg der Linken in der ehemaligen FDP-Hochburg Olten? So richtig konnten die Direktbetroffenen es sich selbst nicht erklären. Auch weil das Corona-Wahljahr anonymer war als üblich.

Mehrere Faktoren führten zum vermeintlich überraschenden Ergebnis. Allerdings widerspiegelt die Stadtratswahl nach vertieftem Blick wohl schlicht die neuen Kräfteverhältnisse. Einen entscheidenden Einfluss auf die diesjährigen Stadtratswahlen hatte die vor vier Jahren aus der Taufe gehobene Partei «Olten jetzt!». Stundenlang wartete Stadtratskandidat Nils Loeffel am Sonntag auf dem Platz der Begegnung auf die Resultate. In den Händen trug er einen violetten Luftballon, als ob es sein Glücksbringer wäre.

Erst kurz nach sieben machte die Stadt die Resultate publik. Die Stimmen waren zwar schon rund eine Stunde zuvor ausgezählt gewesen. Jedoch muss das Wahlbüro der Hierarchie gemäss als Erstes die nationalen Abstimmungen bearbeiten, danach die kantonalen Wahlen abschliessen und erst zum Schluss dürfen die kommunalen Ergebnisse raus.

IT-Probleme hatten zunächst die Auszählung verzögert. Und: Die Wahlbeteiligung lag mit 47,1 Prozent bei den Stadtratswahlen überdurchschnittlich hoch (für den Kantonsrat sogar bei knapp 50 Prozent und die nationalen Vorlagen bei rund 57 Prozent). Statt wie erwartet um 16 Uhr wusste die Stadt erst drei Stunden später, wie die Wahlen ausgegangen waren.

Die hohe Wahlbeteiligung lässt aufhorchen. Ein Blick zurück zeigt, dass die Oltner Stadtratswahlen letztmals vor zwanzig Jahren mehr Menschen mobilisiert hatten als dieses Jahr. Der Corona-Effekt, durch den die Menschen wieder vermehrt im Hier leben und sich mit dem Ort auseinandersetzen? Das mag ein Teil der Antwort sein.

Die SP im Sog der Grünen?

Eine vertiefte Analyse der Resultate ist zwar nicht möglich, da die Majorzwahlen eine Blackbox sind. Wir wissen nicht, wer an die Urne ging, haben also keine Informationen zur demographischen Struktur. Und wir wissen beispielsweise auch nicht, wer am häufigsten mit wem auf einem Wahlzettel stand.

Trotzdem: Die Resultate, welche die Behörden am Ende des Wahlsonntags ausspuckten, lassen Erkenntnisse zu. Raphael Schär-Sommers Wahl in den Stadtrat eine Überraschung? Nicht, wenn wir genau hinschauen.

Ein Indikator sind die Kantonsratswahlen. An ihnen lässt sich die grüne Welle ablesen, die in der Stadt heftiger ausfiel als in den Agglomerationsgemeinden. Gegenüber 2017 holten die Grünen in absoluten Zahlen mehr als doppelt so viel Stimmen (+6,3 Prozentpunkte). Dies mag mit ein Grund sein für den Erfolg von Schär-Sommer. Der grüne Höhenflug allein kann aber die rot-grüne Dominanz nicht erklären. Denn die Sozialdemokraten konnten in der Stadt im Vergleich zu den letzten Wahlen kaum mehr Menschen mobilisieren und büssten im Verhältnis zu den anderen Parteien bei den Kantonsratswahlen an Terrain ein. Zu Gunsten der Grünen.

Die Linke als Einheit blieb prozentual in etwa gleich stark. Deshalb konnte ihr klarer Wahlsieg nicht erwartet werden. Ein weiterer Motor?

Eben: Olten jetzt!

Die jüngste Partei trat nicht zu den Kantonsratswahlen an und hatte diesen «Mobilisierungs-Bonus» nicht. Wobei: die Stadtratswahl ist eine Personenwahl. Nicht die Parteien stehen im Vordergrund, sondern die Gesichter. Trotzdem tappen wir ein wenig im Dunkeln, warum dem Olten-jetzt!-Kandidaten Nils Loeffel nur knapp 20 Stimmen zur Wahl fehlten. War er, der sich mit seinem Politkurs klar links einordnet, bloss Nutzniesser der rot-grünen Stärke?

Sicher auch, ja. Aber wahrscheinlich ist, dass Loeffel mit seinem frischen Wahlkampf – vor allem in den sozialen Medien – eine junge, urbane Wählerschaft mobilisierte. Diese neuen Wählerinnen katapultierten nicht nur ihn auf die vordersten Ränge, sondern verhalfen wohl auch Rot-Grün zur in Olten so nie dagewesenen Dominanz bei einer Exekutivwahl.

Und die Freisinnigen?

Die FDP hatte sich an ihre einstige Vormachtstellung zurückerinnert und wollte diese wieder erlangen. Sie beachtete dabei aber nicht den Lauf der Dinge. Seit 2001 haben die Freisinnigen nie mehr jene Stärke erreicht, die sie über ein Jahrhundert hinweg zur staatstragenden Partei gemacht hatte. Vor 20 Jahren waren drei FDP-Vertreter im ersten Wahlgang in den damals noch siebenköpfigen Stadtrat eingezogen – unter ihnen Stadtpräsident Ernst Zingg. Im Vergleich zu damals hat die FDP bei den Kantonsratswahlen gut 8 Prozentpunkte an Wähleranteilen verloren und ist in der Stadt nun auf gleicher Höhe wie die Grünen. Dass ihr Zweierticket dieses Jahr erfolglos blieb, kam nicht unerwartet.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Zweierticket im Nachhinein eher wie ein Misstrauensvotum gegenüber dem bisherigen Stadtrat Benvenuto Savoldelli. Ihm, der etwa von Bürgergemeindepräsident Felix Frey diskreditiert wurde. Und der als Finanzdirektor eine Steuererhöhung als unausweichlich deklarierte.

Savoldellis Wahlergebnis ist in absoluten Zahlen nicht schlechter als bei den letzten zwei Wahlen, die er gewann. Obwohl damals die Wahlbeteiligung wesentlich tiefer war, zeigt sich, dass die Freisinnigen wohl kaum mehr an die alles überstrahlenden Resultate von damals herankommen.

Ist Olten also progressiver und linker geworden? Vermutlich ja. Dass die FDP ex aequo mit den Grünen nur noch die zweitstärkste Partei ist, dürfte der neuen Realität entsprechen. Zumindest wenn es der Linken, die durch Olten jetzt! gestärkt wurde, weiterhin gelingt, derart gut zu mobilisieren.

Im Schlepptau der FDP verzettelten sich die Bürgerlichen – halbwegs unfreiwillig – durch eine Fünferkandidatur. Beat Felber gesellte sich im Wahlkampf stark zum bürgerlichen Päckchen, anstatt sich als Mitte-Kraft zu positionieren. Dennoch zog er sich im ersten Wahlgang am besten aus der Affäre. Wenn es Ende April um die letzten zwei Plätze geht, wird es für den Neuling aber schwieriger, da die FDP voll auf Savoldelli setzt. Entscheidend wird sein, wer von den beiden mehr Stimmen von links erhält.

Zum Missfallen von FDP und CVP gesellten sich die beiden unabhängigen Thomas Rauch und Rolf Sommer zu den Bürgerlichen hinzu. Ersterer konnte die Zahl seiner Stimmen gegenüber 2017 verdoppeln und erzielte ein achtbares Ergebnis. Im zweiten Wahlgang dürften ihm die bürgerlichen Parteien die Unterstützung aber entziehen. Rauch versucht nun wahltaktisch, sich vom bürgerlichen Paket zu lösen und preist sich als Sachpolitiker an.

Rolf Sommer hat sich in den letzten Jahrzehnten zur Genüge als Oppositionspolitiker bewiesen, doch als Exekutivpolitiker bleibt er mit seinen Ambitionen chancenlos. Er hat in den letzten 20 Jahren seinen Rückhalt nicht vergrössern können, wie der Wahlsonntag zeigte. Sicher auch, weil es mit der lokalen SVP vor Jahren zum Zwist kam.

Wo blieben die Frauen?

Die bürgerlichen Parteien haben es verpasst, Stadtratskandidatinnen zu finden und aufzustellen. Mit einer Frau hätten CVP oder FDP mehr Profil erhalten und mit der Linken konkurrieren können. Niemand wollte 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts so wirklich über die fehlenden Kandidatinnen sprechen. Dass gerade im städtischen Raum der Ruf nach femininen Stimmen gross ist, zeigt das Glanzresultat von Marion Rauber.


Schreiben Sie einen Kommentar