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Showdown im Parlament: Engagement für eine lebenswerte Stadt? Das sind die Macher-Parteien

Viele wollen das Olten der Zukunft mitgestalten: 147 Personen kandidieren um einen Platz im 40-köpfigen Gemeindeparlament. Bevor wir nach vorne schauen, wühlen wir im Archiv: Unsere Analyse zeigt, welche Parteien in der letzten Legislatur besonders aktiv waren. Dies ist aber nicht der Wahrheit letzter Schluss.
10. April 2021
Text: Yann Schlegel, Grafik: Roger Lehner
Quelle: Till Forrer (Kolt 2019)

Die Demokratie lebt in Olten. Eines ihrer Elixiere sind die parlamentarischen Vorstösse. Mit ihnen können die Volksvertreterinnen die Stadt vorwärtsbringen. Den Diskurs alimentieren. Aber auch Entscheide der Stadtregierung hinterfragen. Oder die Stadt damit beauftragen, eine neue Idee zu prüfen.

Die Parlamentarier wollen so allerhand Dinge verändern. Kurz vor den Wahlen von Ende April gingen bei der Stadtkanzlei die neusten Vorstösse ein. Sie wollen die Stadt dazu bringen, die Winkelunterführung zu kaufen. Neue Massnahmen gegen Littering zu ergreifen. Die Tannwaldstrasse und die Kirchgasse zu begrünen. Oder dass städtische Liegenschaften künftig nur noch mit Biogas beheizt werden.

Blindflug auf olten.ch

Mit ihren Forderungen bringen sich die Parteien als Macherinnen in Position. Das sei bloss Wahlkampf, mögen die einen monieren. Denn Wahltag ist Zahltag: Wenn die Bevölkerung die Qual der Wahl hat, müssen alle ihren Leistungsausweis vorlegen: «Wir haben dies und jenes verändert, bewirkt, geschaffen – aber auch verhindert», schreiben die Parteien dann auf ihren Wahlprospekt.

Überprüfen, wer nun was geleistet hat, kann die Wählerin nur schlecht. Auch für Journalisten ist es bisweilen schwer, den Überblick zu behalten. Und selbst Politiker sagen, manchmal würden sie ihre eigenen Vorstösse kaum noch finden. Schuld daran ist vor allem die ungenügende Online-Datenbank der Stadt. Hilfreich wäre beispielsweise, wenn die Vorstösse thematisch gebündelt würden und sich der aktuelle Stand der einzelnen Vorstösse einfacher zurückverfolgen liesse. Dadurch würden die politischen Prozesse auch über die vierjährige Legislaturperiode hinweg transparenter.

Eine gelinde gesagt wenig übersichtliche Excel-Liste zeichnet bildlich gesprochen den politischen Herzrhythmus des Parlaments auf: In diesem Dokument sind sämtliche politischen Vorstösse der Legislative dokumentiert. Sie sind ein Indikator, um zu analysieren, wie aktiv die Parteien sich an der Politik beteiligen.

Tatkräftig oder hyperaktiv?

Philippe Ruf präsidiert momentan als höchster Oltner das Parlament. Durch sein Amt erhielt er einen vertieften Einblick ins Innenleben der städtischen Polit-Mühlen, wie er erzählt. Ruf hat sich die Mühe gemacht und die Vorstösse der sich dem Ende zuneigenden Legislatur quantitativ ausgewertet. «Ich wollte aufzeigen, wer in diesem Parlament wirklich arbeitet», sagt der Präsident der städtischen SVP. Aber er betont sogleich: Die Zahl der Vorstösse sage nichts über deren Qualität – also letztlich deren Wirkung – aus.

Die passiveren Parteien mögen sich auf den Standpunkt stellen: Eine Flut an Vorstössen käme dem Wald gleich, der vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen sei. Ein Telefon auf die Stadtverwaltung hätte gereicht – der Vorstoss sei überflüssig gewesen, ist manchmal in den Parlamentssitzungen zu hören. Dass parlamentarische Vorstösse die Stadtverwaltung beschäftigen und somit indirekt auch Kosten verursachen, ist eine Tatsache. Doch ebendies ist die Aufgabe des Parlaments: Politische Forderungen auszuarbeiten und umzusetzen.

Die quantitative Analyse sagt eben doch etwas darüber aus, wie stark sich die Parteien engagieren. Und welche Parteien viele «Hinterbänkler» auf den Sitzen haben. Denn nicht wie im Lehrbuch festgehalten, beschränkt sich die Arbeit der Legislative in einer Kleinstadt nicht auf die Gesetzgebung. Das Parlament gestaltet viel mit, unterstützt die Regierung aktiv und kontrolliert diese auch. Nutzt eine Fraktion also die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nicht, liesse sich urteilen, sie erfülle den Auftrag der Wählerschaft nicht.

Für das Oltner Stadtparlament ergibt sich ein interessantes Bild. Wir haben die durch Philippe Ruf ausgewerteten Vorstösse ergänzt und vertieft analysiert:

Anzahl Vorstösse pro Fraktionsmitglied

Quelle: Gesamtliste politischer Vorstösse

Bis Ende März gingen in der gut dreieinhalb Jahre alten Legislatur auf der Stadtkanzlei insgesamt 132 Vorstösse ein. Die Grünen haben pro Fraktionsmitglied vor der SVP und der SP am meisten Vorstösse eingereicht. Jene Parteien, die kaum Vorstösse lancieren, könnten indes grün angehaucht argumentieren (– so von wegen Wald und Bäume –), sie verursachten keine Papierstapel im Stadthaus:

Anzahl Vorstösse pro Fraktionsmitglied

Quelle: Gesamtliste politischer Vorstösse

Dennoch müssen sich die Parteien am Schluss der Rangliste den Vorwurf gefallen lassen, selbst kaum Ideen oder Lösungsvorschläge eingebracht – oder auch die Vorgänge im Stadthaus hinterfragt zu haben. In absoluten Zahlen sieht das wie folgt aus:

Anzahl Vorstösse pro Partei und nach Vorstossart

Quelle: Gesamtliste politischer Vorstösse

Mit weniger als zehn Vorstössen bilden die FDP und die CVP/EVP/GLP-Fraktion das Schlusslicht, obwohl sie die zweit- und drittgrösste Fraktion stellen. Die SP als grösste Fraktion hat mit Abstand am meisten Vorstösse eingereicht, nämlich deren 45. Überparteiliche Vorstösse gab es rund 20, wobei diese selten die beiden politischen Pole überspannen. Für den Fortschritt der Stadt wäre zu hoffen, dass künftig mehr Konsens gefunden wird.

Aus zwei mach eins?

Im Diagramm oben sind die Vorstossarten graphisch aufgeschlüsselt. Am häufigsten greifen die Parlamentarier auf die Interpellation zurück: Ein Instrument, das von der Stadtregierung zu einer bestimmten Sache Auskunft verlangt. Dahinter folgen Postulat und Motion: Ersteres ist ein Prüfungsauftrag an den Stadtrat. Bei zweiterer hat der Stadtrat eine Vorlage auszuarbeiten und diese dem Parlament zu unterbreiten. Der grosse Knackpunkt ist dabei jeweils: Die Sache muss in der Entscheidungskompetenz des Parlaments liegen.

Künftig soll jedoch nicht mehr zwischen Motion und Postulat unterschieden werden. Die Stadt stimmt Ende Monat darüber ab, ob der Auftrag die beiden Vorstossarten ersetzen soll. Das Kantonsparlament arbeitet bereits mit diesem Instrument – in Olten gibt es den Auftrag seit Anfang Jahr (siehe Grafik). Nach aussen mag dies Klarheit schaffen. Intern werden zwischen Fraktionen und Regierung wohl weiterhin Debatten zur Gretchenfrage geführt: Motion oder Postulat?

Der Blick in die Glaskugel

Nach dieser quantitativen Analyse müssen wir eingestehen: Die Wirkung der parlamentarischen Vorstösse auszuwerten, wäre enorm aufwendig. Zudem ist eine Bewertung je nach Thematik auch subjektiv beeinflusst: Wertet die Linke die Aufhebung von Parkplätzen als Erfolg, kommt dies für die Rechte einem Rückschritt gleich. Zumindest sofern die gestrichenen Parkmöglichkeiten nicht durch eine Tiefgarage kompensiert werden.

Trotzdem wagen wir einen kurzen Blick auf die Vorstösse der vergangenen Legislatur: Zu den dominierenden Themen gehörten der Klimawandel und die Energiewende – was eng mit den vielen Vorstössen von Rot-Grün zusammenhängt. Sie erreichten beispielsweise, dass Olten bis 2024 das Label «Energiestadt Gold» anstrebt. Eine Mehrheit fand auch die überparteiliche Motion, die von der Stadtverwaltung fordert, bis 2030 das «Netto-Null»-CO2-Ziel umzusetzen.

Von links bis rechts standen in den letzten vier Jahren die Städtischen Betriebe Olten (sbo) im Fokus, was sich in der Zahl der diesbezüglichen Vorstösse niederschlägt: Der Wunsch nach mehr Transparenz bleibt zu mehreren Punkten bestehen. Parlamentarier stören sich etwa an den Verwaltungsratshonoraren oder der unklaren Strategie und der Rolle der Stadtregierung. Mehr Transparenz will die Linke zudem künftig bei der Parteienfinanzierung auf kommunaler Ebene. Die Motion dazu fand eine knappe Mehrheit im Parlament.

Stark gefordert ist durch die parlamentarischen Vorstösse derzeit das Baudepartement: Aus dem Parlament kamen zahlreiche Vorstösse zu den diversen anstehenden Grossprojekten. Etwa zum Schulhaus Kleinholz oder dem Kunstmuseum. Ein Dauerbrenner bleibt die Winkelunterführung. Aber auch die Belebung und Begrünung der öffentlichen Plätze Munzinger und Kirchgasse. Mehrere Vorstösse zum Veloverkehr sind zudem pendent. Die weitere Liste der Themen ist lang: Glasfaser, Krematorium, die neue Interventionsgruppe SIP, Tagesschulen und das Littering-Problem bilden weitere Schwerpunkte.

Halt, stopp!

Auch wenn das Links-rechts-Schema nicht immer gilt, ist offensichtlich: Die Linke setzt im Parlament das Gros der Themen. Doch Vorstösse sind nicht die einzige Währung in der Kommunalpolitik. Abseits des Gemeinderatsaals legten die Bürgerlichen mittels Referendum mehrfach ihr Veto ein. Und verbuchten dabei überraschende Erfolge: FDP und SVP verhinderten mit dem Budgetreferendum 2019 eine Steuererhöhung. Im selben Jahr versenkten die Stimmberechtigten auch das Parkierungsreglement.

Nicht nur der (kostenintensive) Fortschritt gehört zur Demokratie, sondern auch die Handbremse. Oder um es im positiven Sinn zu formulieren: Das Veto an der Urne ist eine gewollte Korrektur unserer Demokratie. Und es ist ein Indiz dafür, dass die Volksvertreterinnen in einer einzelnen Sache nicht die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Nur: Würden die passiveren Fraktionen stärker mitwirken, liesse sich womöglich in vielen Fällen ein Veto umgehen. Mit einem sachbezogenen Kompromiss.


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