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Der Hartnäckige

«Achtung, sehr, sehr stark!», das seine warnenden Worte beim Servieren des Espressos. Stark ist bei Thomas Rauch nicht nur der Kaffee. Sein Wille, im Stadtrat mitzumischen, ist nach einer ersten Niederlage ungebrochen.
29. Januar 2021
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Roman Gaigg

Als er gemeinsam mit seiner Partnerin vor drei Dekaden nach Olten kam, habe die Diskussion um den Bau eines neuen Schulhauses bereits zehn Jahre angedauert, erinnert sich Thomas Rauch, während das Schwarz aus der Maschine in die Espressotasse tröpfelt. «Nicht, dass ein geplantes Schulhaus ausschlaggebend war bei der Wahl unseres Wohnorts, wir waren ja noch kinderlos. Aber es ist doch verrückt, dass vierzig Jahre später das Ding noch immer nicht steht und für teures Geld Provisorien bereitgestellt werden müssen!» Die Sache mit dem Schulhaus bewegt die Stadt und damit den 56-Jährigen bis heute, selbst wenn die Schulkarriere der beiden Söhne in absehbarer Zeit abgeschlossen sein wird.

Aufgewachsen ist Rauch in der Nähe von Bern. Nicht weit entfernt von der Siedlung «Halen», die in den Fünfzigerjahren mitten in einem kleinen Waldstück gebaut wurde und Rauch schon in jungen Jahren faszinierte. Eine Siedlung, die «Lebensraum für verschiedenartige Leute» bietet, mit «vielfältigen Begegnungsräumen, aber auch mit Rückzugsmöglichkeiten in den privaten Innen- und Aussenbereichen», wie es auf der Website der Siedlung heisst. Mit seiner Familie lebt Rauch heute in der Platanensiedlung im Kleinholz und ist noch immer begeistert vom Konzept, das Autos unter den Boden verbannt, um seinen Bewohnern eine unverstellte Umgebung und eine hohe Lebensqualität zu bieten.

«Die Platanensiedlung ist wie ein kleines Dorf in der Stadt, ein komprimierter, ökologisch vertretbarer Lebensraum.» Man geniesse hier zum einen genügend Privatsphäre, zum anderen sei der Kontakt mit der Nachbarschaft lebendig und lösungsorientiert. Die Bewohnerinnen der Platanen würden eine Gemeinschaft bilden, in der man konstruktiv miteinander umgehe. Das Leben in einem Einfamilienhaus auf dem Land, wie es der Traum vieler seiner Kollegen gewesen sei, habe er sich für seine Familie nie vorstellen können.

Gerade für Kinder sieht der zweifache Vater in einer Kleinstadt wie Olten vielerlei Vorteile. «Weil alles nahe beieinander liegt, können sie sich schon in jungen Jahren frei bewegen», sagt einer, der in seinem Beruf als Finanzanalyst die Metropolen dieser Welt nicht nur aus Erzählungen kennt, seinen Lebensmittelpunkt aber nie in eine Grossstadt verlegen wollte. «Mit dem Velo sind die Jungen in zwei Minuten im Schwimmbad, an der Aare, auf dem Sportplatz, ohne dass man als Eltern den Chauffeur spielen müsste.» Wichtig für ihn seien der Intercitybahnhof und die ausgezeichneten Verbindungen in die gesamte Schweiz. Im Bahnhof sieht er dann auch einen enormen Standortvorteil für die Stadt. «Mit dem neu gestalteten Bahnhofplatz wird dieser hoffentlich in Zukunft besser genutzt.»

Zwischen den Blöcken

Wenn Rauch auf seine dreissig Jahre in Olten zurückblickt, kommt er zum Schluss, dass zahlreiche Entwicklungen ohne aktives Zutun der Stadt passiert seien. Er denkt unter anderem an Olten Südwest. In seinem Beruf habe er des Öfteren mit grossen Immobilienprojekten zu tun gehabt. «Üblicherweise richtet eine Stadt bei einem Siedlungsprojekt solcher Dimension einen Fonds ein, um den erforderlichen Infrastrukturausbau zu finanzieren, der ein neues Quartier mit 500 Wohnungen mit sich bringt.» Dass dies bei einem für die Stadt derart wichtigen Projekt wie Olten Südwest nicht passierte, sei nicht nachvollziehbar und weit ab vom akzeptierten Standard der Immobilienentwickler. «Aber schauen wir nach vorn statt zurück», sagt Rauch und sieht kurz auf den Bildschirm seines Laptops, auf dem sich das Rot und Grün der aktuellen Aktienkurse ungefähr die Waage halten.

«Schon immer haben mich die Spannungsfelder der gegensätzlichen Ideen interessiert.»

Politische Themen im Gespräch mit Rauch zu vermeiden, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Immer wieder werden sie zum Thema. In seiner Zeit als Student an der Universität in Bern, wo er Volkswirtschaft studierte, begann er sich für die politischen Zusammenhänge zu interessieren. An der Universität habe er sich zwischen ganz unterschiedlichen politischen Lagern bewegt. Zwischen Linksaussen, das sich für ein autonomes Jugendzentrum engagierte und sich eine gesellschaftliche Revolution herbeiwünschte, und den angepassten Stimmen, die sich dafür einsetzten, dass alles so bleibt, wie es ist. «Schon immer haben mich die Spannungsfelder der gegensätzlichen Ideen interessiert.»

«Friday for Future ist ein Thema, das bei uns für Gesprächsstoff sorgt.»

Während der Vater Mitglied der FDP war, interessierte sich der Sohn für New Labour, eine Ausrichtung der britischen Labour Party, die unter dem späteren britischen Premierminister Tony Blair tiefere Steuern, weniger Kontrollen bei Investitionen in den öffentlichen Sektor und mehr Unterstützung für die Wirtschaft forderte. «Ich wunderte mich, dass zur selben Zeit in der Schweiz eine Partei wie die FDP im Energiewesen die Liberalisierung des Strommarktes behinderte. Die Ansätze der damaligen SP-Nationalräte Elmar Ledergerber und Peter Bodenmann, die sich auf das Verursacherprinzip stützen, sagten mir mehr zu.» Das sei auch jene Zeit gewesen, in der der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder viel mehr rechte Anliegen durchbrachte als später Angela Merkel auf der anderen politischen Seite.

Auch heute wird es am Familientisch in den Platanen ab und an politisch. «Friday for Future ist ein Thema, das bei uns für Gesprächsstoff sorgt.» Nicht, dass sich der Nachwuchs der Bewegung angeschlossen hätte. Man wundere sich eher darüber, in welcher Ausführlichkeit das Thema in der Schule behandelt werde. Ideen zu haben, sei das eine, «sie zu Boden zu bringen, das andere», sagt Rauch, während er mit dem Handstaubsauger über den Esstisch flitzt, um ihn von den Brotkrümeln des Morgenessens zu befreien. Die zwei Söhne sind in der Schule, Rauchs Ehefrau sitzt im Büro, nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Seit er nicht mehr nach Zürich fahre und von zu Hause arbeite, kümmere er sich vermehrt um die Aufgaben im Haushalt, sagt Rauch, der in Gedanken schon das Mittagessen für die Familie plant.

Bis ans Limit

In der Mitteilung zu seiner Kandidatur bezeichnete sich Rauch als «vernunftorientierte Alternative». Unvernünftig sei er in seinem Leben vor allem in jungen Jahren gewesen. «Besonders im Sport. Ich denke da zum Beispiel an gefährliche Tiefschneehänge, wo ich zu viel Risiko eingegangen bin und es nur dank zahlreicher Schutzengel gut herausgekommen ist. Oder wenn ich mit dem Rennvelo über die Berge gefahren bin, bis ich beinahe vom Sattel fiel.» Auch beim einen oder anderen privaten Investment habe er rückblickend wohl zu viel Risiko auf sich genommen. «Ich will immer erfahren, wie weit ich gehen kann.» Ein Grund, weshalb Rauch auch heute noch regelmässig am Engadin Skimarathon teilnimmt. Und möglicherweise auch eine Erklärung für seine Kandidatur.

Als Rauch 2017 versucht hatte, als wilder Kandidat für die FDP in den Stadtrat gewählt zu werden, landete er auf dem zweitletzten Platz. «Mein Ergebnis lag in greifbarer Nähe zur offiziellen FDP-Kandidatin», sagt Rauch, der das Glas lieber halbvoll als halbleer sieht. Weshalb tritt er nach dem bescheidenen Resultat noch einmal an? In der Zwischenzeit hat sich Rauch von seiner ehemaligen Partei losgesagt. «Ich biete etwas, das die neuen Kandidaten nicht haben. Mein Asset ist die Unabhängigkeit», beschreibt es Rauch mit einem Begriff aus dem Finanzjargon. «Ich sehe mich keiner Parteilinie, sondern Ergebnissen verpflichtet, die einem Grossteil der Bevölkerung zugutekommen sollen.»

«Eigentlich ergeht es mir ein wenig wie Franz Biberkopf im Roman von Alfred Döblin. Ich möchte einfach ein möglichst solider Mensch sein.»

Eine Exekutivwahl sei eine Personenwahl. Deshalb habe er entschieden, sein Glück noch einmal zu versuchen. Von Leuten, die ihn bisweilen dafür kritisieren, er trete zu forsch, um nicht zu sagen zu frech auf, will er sich den Mund nicht verbieten lassen. «Die Politik ist schliesslich nicht dazu da, um den Bürgern zu gefallen, sondern um transparent zu sagen, was Sache ist», findet Rauch. «Wenn es gilt, frische Ideen bei knappen Ressourcen in die Realität umzusetzen, muss man Klartext sprechen dürfen.» Im Grunde genommen gehe es ihm aber einfach darum, seine Sache möglichst gut zu machen. «Eigentlich ergeht es mir ein wenig wie Franz Biberkopf im Roman von Alfred Döblin. Ich möchte einfach ein möglichst solider Mensch sein», antwortet Rauch lachend und ohne lange überlegen zu müssen auf die Frage nach einem Buchtipp. Im Roman «Berlin Alexanderplatz» steht der Antiheld stets wieder auf, wenn er einmal mehr auf seine Nase gefallen ist. Rauch macht eine Parallele zu seinem Leben aus und lässt einen an eine Redewendung denken: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.  


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