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Die Wissbegierige

Nach vier Jahren als Stadträtin in der Sozialdirektion fühlt sich Marion Rauber im Flow. Sie schaut gerne über den Tellerrand, auch wenn die Zeit gegen sie arbeitet.
9. Dezember 2020
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Auf den Hund gekommen ist Marion Rauber schon vor vielen Jahren. In einer Zeit, als Yoga noch eher ein Randphänomen als Breitensport war. «Zuerst gehst du in den Vierfüsslerstand. Wichtig ist es, zuerst die Knie unter der Schulter zu positionieren», erklärt Rauber, während sie sich auf dem warmen Parkettboden im Mokka Rubin in Position begibt. «Dann die Hände ebenfalls unter der Schulter positionieren, die Finger spreizen, soweit es geht, sodass du richtig Kontakt hast mit den Handballen. Füsse aufstellen. Jetzt tief einatmen und in einer Bewegung das Gesäss nach oben schieben. Kopf sinken lassen, Nacken entspannen und Kraft in die Arme geben.» Ein bis zwei Minuten gilt es, in dieser Position zu verharren. Das Blut schiesst in den Kopf, es zieht in Armen und Beinen. «So fliesst die Energie durch den ganzen Körper», zeigt sich Rauber mit der Yogapremiere ihres Schülers zufrieden.

«Yoga ist weit mehr, als auf einem Mätteli sich zu verrenken.»

Marion Rauber

Die wöchentlichen Stadtratssitzungen seien viel zu früh am Morgen angesetzt, um davor an Yoga denken zu können. «Während wir uns besprechen, bringe ich mich aber mental in den Flow», sagt Rauber und lacht. Yoga sei etwas, das man in seinen Alltag integriere. Es gehe darum, Körper, Geist und Seele in ein Gleichgewicht zu bringen, und «es ist weit mehr, als auf einem Mätteli sich zu verrenken.» Eine Lebenshaltung. Ein Leitspruch des Yogas lautet, dass man nicht stehlen soll. «Das bedeutet zum Beispiel, dass man niemandem Zeit stiehlt, also pünktlich und zuverlässig ist.» Vor zwölf Jahren machte Rauber eine Ausbildung zur Yogalehrerin. Heute gibt sie ihr Wissen in einem Gemeinschaftsstudio weiter, wo sie an zwei Abenden in der Woche Iyengar-Yoga unterrichtet.

Der menschliche Körper, der Organismus und seine Funktionen habe sie von Kindsbeinen an fasziniert. Einen anderen Berufswunsch, als in der Pflege zu arbeiten, habe es für sie nie gegeben. «Nicht, weil ich an einem Helfersyndrom leiden würde, sondern weil ich wissen wollte, wie Menschen gesunden, indem man die richtigen Massnahmen trifft.» Dazu zählt Rauber nicht nur Medikamente und Operationen, sondern auch alternative Methoden wie Tee und Wickel.

Längere Zeit arbeitete Rauber in der Notfallstation des Kantonsspitals Olten. Irgendwann wurde die Arbeit im Schichtbetrieb zu viel. «Je älter ich wurde, umso mühsamer empfand ich es, in der Nacht zu arbeiten und am Tag zu schlafen.» Rauber wechselte in die Praxis eines Orthopäden, wo sie siebzehn Jahre tätig war. «Ein toller Job. Wir waren zu zweit in der Praxis und ich durfte alles verbinden, was ich gut kann und mir Spass macht.» Neben fachlichem Wissen war auch viel Organisationsarbeit gefragt. 2017, als die SP-Politikerin in den Stadtrat gewählt wurde, kamen die Sprechstundenzeiten im Beruf den Verpflichtungen im politischen Amt zunehmend in die Quere. «Die nötige Flexibilität fehlte mir und war der Grund, die Anstellung aufzugeben.»

Spagat zwischen den Bedürfnissen

Die Arbeiten als Stadträtin seien oftmals nicht im Voraus planbar. Besprechungen am Abend und an Wochenenden gehören genauso dazu wie Termine, die sich spontan ankündigen. «Meldet sich der Regierungsrat für einen Besuch in Olten an, kannst du als Stadträtin natürlich nicht sagen, dass es dir dann nicht geht.» Rauber sagt, nach ihrer Wahl habe sie eine Weile gebraucht, um sich einzuarbeiten. «Der Spagat zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen habe sie zunächst als Herausforderung empfunden. «Als Stadträtin findet man sich inmitten vieler Ansprüche wieder. Man fühlt sich verpflichtet gegenüber dem Parlament, der Partei, den Verwaltungsangestellten und natürlich der Bevölkerung, die einen gewählt hat.»

Wichtig sei es ihr gewesen, eine klare Linie für sich zu definieren, authentisch zu bleiben und sich nicht zu verbiegen. Rauber will weitermachen, jetzt, wo sie sich sattelfest fühlt und beispielweise mit der Alterspolitik ein Kapitel aufgeschlagen hat, das ihr am Herzen liegt und das sie weiterschreiben möchte. Rauber erzählt vom Anspruch an sich selbst, auch in den Dossiers der Kollegen fachkundig zu sein. Gern würde sie sich noch mehr reinknien, auch in Themen, die nicht ihre Direktion betreffen. «Weil es im bescheidenen Teilzeitpensum schlicht nicht möglich ist, bringt das einen gewissen Frustfaktor mit sich.»

Einen Ausgleich zum Politikalltag findet Rauber im Humor. Dieser komme aber auch im Stadtrat nicht zu kurz, versichert sie. Alles andere als zum Lachen empfindet sie die Tatsache, dass sie, mit dem Rückzug von Iris Schelbert-Widmer, als einzige Frau im Oltner Stadtrat verbleiben würde. «Das ist tragisch und nicht zeitgemäss. Es widerspiegelt nicht, wo wir als Gesellschaft heute stehen sollten», sagt Rauber, die sich bereits nach ihrer Ausbildung an der Schule für Krankenpflege Baldegg in Sursee gewerkschaftlich organisierte und damals unter anderem für bessere Löhne in der Pflege kämpfte. Frausein sei natürlich kein Programm per se, aber es gäbe vielerlei Themen, in denen Frauen eine andere Perspektive einbringen könnten.

Dass sich Rauber in einem reinen Männerumfeld wiederfindet, ist für die 53-Jährige nichts Neues. Als einzige Frau im Fasnachtskomitee und dazu noch SP-Mitglied, steckt sie gar in einer doppelten Minderheitenrolle. «Traditionell haben Männervereine Fasnacht gemacht. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in diesem Bereich künftig mehr Frauen antreffen werden.» Auf die überraschende Frage nach einem guten Witz, schluckt Rauber zunächst leer, denkt nach und holt dann ihr Handy aus der Tasche. Nach einem kurzen Moment, während sie auf dem Bildschirm scrollt, scheint einer gefunden zu sein. «Nein! Den kann ich hier wirklich nicht bringen», meint sie etwas verlegen und entschuldigt sich, dass ihr spontan nichts Medientaugliches einfallen will.

Im Amt zur Politikerin geworden

Die Wahlen im nächsten Jahr seien für sie nicht vergleichbar mit jenen von 2017. «Wenn du dich das erste Mal für eine Wahl aufstellst, hast du nichts zu verlieren, weil du den Leistungsausweis erst noch erbringen musst.» Vier Jahre später sieht die Sache anders aus. «Man hat sich eingesetzt, Projekte lanciert und viel Arbeit ins Amt gesteckt.» Eine Abwahl würde sie aus diesem Grund viel persönlicher nehmen. «Auch wenn wir übers Wasser laufen könnten, käme jemand und würde sagen, dass wir zu blöd seien zum Schwimmen», zitiert Rauber einen Satz, den sie immer im Hinterkopf habe und an den sie sich erinnere, wenn sie als Stadträtin in der öffentlichen Kritik stehe, was nahezu täglich der Fall sei. Man muss damit umgehen können, ständig hinterfragt zu werden.

«Auch wenn wir übers Wasser laufen könnten, käme jemand und würde sagen, dass wir zu blöd seien zum Schwimmen.»

Marion Rauber

Eine Kommunikationsabteilung, die kritische Stimmen filtern würde, existiert nicht. «Es wird selten so persönlich, dass ich sagen müsste, das geht jetzt gar nicht.» Meist habe jemand ein berechtigtes Anliegen, auf das sie dann eingehe, indem sie zurückschreibe oder das Telefon in die Hand nehme. Ihr Handy liegt immer in Griffnähe. Davon ablenken lasse sie sich aber selten. Achtsamkeit und die Reflektion, welche sie durch das Yoga gelernt habe, unterstützen sie dabei. «Es kommt aber vor, dass ich mich dabei ertappe, wie ich meine Mails nochmals abrufe vor dem Schlafengehen oder News konsumiere, von denen ich weiss, dass sie mich aufregen.» Eigentlich möchte Rauber mehr Positives lesen, nicht zuletzt auch über ihre Heimat. «Ich wünsche mir, dass Olten als Stadt selbstbewusster auftritt.» Die hiesigen Werte und den Charme der Region sähe sie gern stärker nach aussen getragen.

Ein Machtmensch, sagt Rauber, der sei sie nicht. Sich zu Gunsten der Politik zu verbiegen, liege ihr fern. Zwar könne sie sich anpassen und Kompromisse finden, aber das Bedürfnis, sich selbst zu bleiben, sei stärker. In den vergangenen Jahren habe sie so einiges darüber gelernt, wie Politik funktioniere. Wo sie früher einfach frisch von der Leber gehandelt habe, überlege sie sich heute ihr Vorgehen, um Akzeptanz für ihre Anliegen zu schaffen und Mehrheiten zu finden. «Wenn ich mich heute selbst reden höre, stelle ich fest, dass ich in meiner Zeit als Stadträtin zu einer richtigen Politikerin wurde», meint Rauber mit einem Schmunzeln. Stimmen ihr die Wähler im März zu, darf sie es ohne schlechtes Gewissen vier weitere Jahre bleiben.


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