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Der Fairplayer

Als Nils Loeffel vor zwölf Jahren wegen eines Jobs einen Zwischenhalt in Olten einlegte, ahnte er nicht, dass er länger bleiben würde.
30. November 2020
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Dürfte Nils Loeffel einen Soundtrack für seine Stadt zusammenstellen, der Song «Estavayeah» der Berner Indie-Pop-Band «Jeans for Jesus» würde es ziemlich sicher auf die Tracklist schaffen. Die Lyrics des Songs handeln davon, dass vor Ort nicht gerade viel los ist und der Blick in den Teletext zum Spannendsten zählt, das es zu erleben gibt. Ein Ausflug an den Neuenburgersee soll alles besser machen, wobei eine Person die Langeweile vor Ort ganz okay findet. «Manchmal scheint es mir, als würde man auf der einen Seite in Olten grosse Pläne für die Stadt schmieden wollen, im selben Augenblick aber ganz froh darüber sein, wenn nicht allzu viel passiert», meint Loeffel. Auch er finde sich von Zeit zu Zeit in diesem Zwiespalt wieder.

Musik verbindet er eher mit seinem Befinden als mit bestimmten Örtlichkeiten, meint der bald 31-Jährige. Die Alben seiner Sammlung kauft er mit Vorliebe an Konzerten, von denen er in normalen Zeiten unzählige besucht. «Das Geld fliesst so in die richtigen Taschen», sagt Loeffel. Während aus den Lautsprechern der Vario Bar gerade die Sonne Jamaikas grüsst, erzählt er von seiner Liebe zum Schweizer Hip-Hop und dass er seine Musik am liebsten vom Plattenteller hört.

Exoten auf dem Land

Ganz gewiss ist in Olten nicht weniger los als im bernischen Linden. Im verschlafenen Dorf auf rund tausend Meter über Meer, zwischen Aare- und Emmental, verbrachte Loeffel seine Kindheit und lebte dort bis zu seinem Wegzug 2008. Seine Eltern ergriffen Anfang der 90er-Jahre die Gelegenheit, das Bauernhaus einer Grosstante zu übernehmen. Damals noch in Thun wohnhaft, träumten sie vom alternativen, selbstbestimmten Leben auf dem Land. Der Vater, Sozialarbeiter und beteiligt am Aufbau des legendären Kulturzentrums Mokka in Thun, sanierte für seine Familie das ehemalige Knechthaus mit den für die Region charakteristisch kleingeratenen Fenstern und niedriger Deckenhöhe.

Das erste Pferd für ihren Reithof kaufte die Familie in der Camargue, wo sie ihre Ferien gern verbrachte. Auf den Schimmel folgte ein Esel. Auf den Esel weitere Pferde. Loeffels Mutter, gelernte Kindergärtnerin, liess sich zur Reitpädagogin ausbilden und nach einigen Versuchen, unter anderem mit dem Angebot von Timeout-Aufenthalten für Jugendliche, klappte es schliesslich mit dem Gang in die Selbstständigkeit. Heute werden auf dem Reithof Pablito Menschen mit einer Behinderung zu Pferdewarten ausgebildet.

«Ich fühle mich wohl, wo Menschen sind und sich etwas bewegt. Selbst wenn es nur der Verkehr ist.» 

Nils Loeffel

Während sich die Eltern und die jüngere Schwester leidenschaftlich um die Tiere kümmerten, hatte Loeffel andere Dinge im Kopf. «Ich sah meine Zukunft eher im Unihockey und Fussball. Beides habe ich im Verein gespielt», erinnert er sich. Zwar habe er reiten gelernt, schätze das Wesen der Pferde und wisse mit ihnen umzugehen, mehr aber auch nicht. «Als Teenager bin ich dann zum typischen PC-Nerd mutiert, der sich vornehmlich drinnen vor dem Bildschirm aufhielt Das hat sich später zum Glück wieder geändert: Den Spirit seiner Eltern, immer eine offene Türe für andere Menschen zu haben, habe er von zuhause mitgenommen.

Früh habe er gemerkt, dass das konservative Umfeld auf dem Land, in dem die progressive Familie Loeffel zu den Exoten zählte, auf Dauer nicht die Welt war, in der er seine Zukunft sah. «Ich fühle mich wohl, wo Menschen sind und sich etwas bewegt. Selbst wenn es nur der Verkehr ist», sagt er lachend.

Olten, die Unbekannte

Hätte Loeffel über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, wäre er mit 19 direkt nach Zürich gezogen, als es darum ging, seine Ausbildung zum Mediamatiker in Kloten abzuschliessen. Olten bot sich als kostengünstige Alternative an. Bis auf einige Medienberichte über Schlägereien unter Oltner Jugendlichen und die Volksweisheit, dass die Gegend gern vom Nebel verwöhnt werde, wusste Loeffel nicht viel über seine Wahlheimat. Nach einem Jahr an seinem neuen Wohnort und mit dem Lehrabschluss in der Tasche stellte sich die Frage, ob er wieder zurück ins Emmental ziehen würde. «Mein Vater hat mir ans Herz gelegt, zu bleiben», erzählt Loeffel. Nicht, weil er keine Freude gehabt hätte, seinen Sohn bei sich zu haben. «Er wusste, dass das Zusammenleben im Elternhaus nicht mehr dasselbe gewesen wäre, wenn ich schon mal ausgezogen war.» Nach einem weiteren Jahr in Olten hatte Loeffel Wurzeln geschlagen. Indem er die Berufsmatur nachholte, um später Sozialarbeit zu studieren, trat Loeffel in die Fussstapfen seiner Eltern, ohne nach Linden zurückzukehren.

In seiner jetzigen Funktion als Leiter Anlauf- und Koordinationsstelle für Kinder und Jugendliche beim Kanton Solothurn steht Loeffel nicht im direkten Kontakt mit seinen Schützlingen. Es sei aber wertvoll, einen Job zu machen, in dem er bessere Lebensbedingungen schaffen könne für Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Zu seinen Aufgaben gehört die Beratung der Gemeinden in Sachen Jugendpolitik. Ein Bereich, in dem in Olten noch einiges an Luft nach oben bestünde. «Ich finde es wichtig, dass Jugendliche bei der Gestaltung von Kulturangeboten nicht vergessen gehen, wenn die Angebote durch die Stadt finanziell unterstützt werden.» Loeffel denkt zum Beispiel ans Stadttheater, das seiner Ansicht mehr Veranstaltungen anbieten sollte, welche sich an ein junges Publikum richten. «Ein Maskenball während der Fasnacht und das Kantifest reichen nicht.»

«Dass die Stadt es in den letzten hundert Jahren nie geschafft hat, einen gescheiten Zugang zur Aare zu schaffen, ist für mich nicht nachvollziehbar.»

Nils Loeffel

Zwölf Jahre nach seinem Zuzug fragt Loeffel sich noch immer, wie man als Stadt am Fluss so wenig aus dieser bevorzugten Ausgangslage machen kann. «Dass die Stadt es in den letzten hundert Jahren nie geschafft hat, einen gescheiten Zugang zur Aare zu schaffen, ist für mich nicht nachvollziehbar.» Eine grosse Sache wäre es ja nicht, findet der Olten-jetzt!-Präsident. Er denkt dabei an Bern; jeden Sommer von Medien weltweit als perfektes Beispiel einer Stadt am Fluss gefeiert, und das, ohne grossen Aufwand zu betreiben. «Alle hundert Meter eine kleine Treppe in die Aare, damit man in und aus dem Fluss kommt, ohne sich die Füsse zu verletzten. Viel mehr haben die auch nicht gemacht.»

Anpfiff im Wilerfeld

Ein Unding findet Loeffel auch, dass gerade einmal eine Frau bei der kommenden Stadtratswahl im Frühling unter den Kandidierenden ist. «Vielleicht auch ein Resultat, wie der Job des Stadtrats in Olten daherkommt.» Halboffiziell sei die Rede von einem 30-Prozent-Pensum. In der Realität nehme die Arbeit ganz sicher mehr Zeit in Anspruch. «Das müssen die Lebensumstände erst einmal zulassen», meint der kinderlose Loeffel, der sein Arbeitspensum beim Kanton reduzieren könnte, falls er gewählt würde. Eine Option, die nicht alle haben. Hinzu gesellt sich die Verantwortung und die Bereitschaft, sich der öffentlichen Kritik auszusetzen. Er habe sich Gedanken gemacht, wie er damit umgehen würde. «Von meinem Job bin ich es gewohnt, dass sich nicht nur Leute bei mir melden, die Freundlichkeiten austauschen wollen.» Man müsse es halt sportlich sehen – ernst und gleichzeitig gelassen.

Apropos Sport: Neben seiner Arbeit, dem Masterstudiengang in Sozialarbeit und seinen Ämtern als Präsident von Olten jetzt! sowie Vereinspräsident und Mitglied der Programmgruppe des Coq d’Or findet Loeffel kaum Gelegenheit, selbst zu kicken. Stattdessen leistet er sich drei Bezahlabos, mit denen er zumindest am TV seinen Appetit auf Fussball stillen kann. An diesem Abend spielen Liverpool gegen Atalanta. «Will ich mir ansehen», sagt Loeffel. Wie einer wie er, der sonst Kommerziellem gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt ist, beim Fussball zwei Augen zudrücken könne, sei ihm selber schleierhaft. Loeffel zuckt mit den Schultern, die Vorfreude auf die heutige Partie lässt er sich nicht vermiesen, und macht sich auf den Weg nach Hause ins Wilerfeldquartier, wo auf dem Rasen zweiundzwanzig Millionäre auf ihn warten.


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