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Der Rückkehrer

Die Klischees über die Stadt seien zum Teil hausgemacht, findet David Plüss. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist er nach Olten zurückgekehrt.
11. November 2020
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Ein Rebell sei er nie gewesen, sagt David Plüss mit Blick auf seine Jugend. Aus einer politisch engagierten Familie stammend, gehörte für den jüngsten von drei Brüdern das Ausfechten unterschiedlicher Positionen gleichwohl zur Normalität. Mutter Gabriele wurde Mitte der 90-Jahre in den Stadtrat gewählt, Vater Martin sass vier Jahre im Oltner Gemeinderat. Beide für die FDP. «Die Diskussionen bei uns am Familientisch haben sich nie um links gegen rechts gedreht», erzählt Plüss. Vielmehr sei es um unterschiedliche Auffassungen des Freisinns gegangen.

«Die Freiheit von Zwang ist genauso wichtig wie die Freiheit, Dinge tun zu können»

David Plüss

Freiheit werde mitunter missverstanden, findet Plüss. Freiheit bedeute für ihn unter anderem auch, dass man Dinge nicht tun muss, die man nicht tun will. «Die Freiheit von Zwang ist genauso wichtig wie die Freiheit, Dinge tun zu können», sagt der 35-jährige Gemeinderat und Präsident der FDP Olten.

Am späteren Abend und am Sonntag schaltet Plüss die Internetverbindung seines Handys aus. «Wer mir etwas Wichtiges mitteilen will, kann mich anrufen, ansonsten geniesse ich die Zeit ohne Mails und Ablenkung.» Eine Sache, um die ihn seine Frau Nadine beneide. Soziale Netzwerke nutzt Plüss mit vornehmer Zurückhaltung. Selfies sind nicht sein Ding.

Als er sich im vergangenen Jahr als Kandidat für den Nationalrat aufstellen liess, habe er sich auf Facebook & Co. bewusst nicht gross in Szene setzen wollen. «Mut zur Lücke», meint Plüss mit einer Gelassenheit, die ihm nicht immer innewohnt und um die er andere Personen gelegentlich beneidet. Als Nationalrat gewählt wurde Plüss nicht. Dazugelernt aber habe er viel.

Kein Freund von Flachwitzen

Bei seinem heutigen Arbeitgeber, dem Verband der Schweizerischen Zementindustrie, hatte sich Chemiker Plüss ursprünglich als Leiter Wissenschaft beworben. Seinerzeit arbeitete er beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), wo er sich beim Arbeitnehmerschutz mit Chemikalien und deren Gefahrenpotenzial befasste. Im Bewerbungsrennen um den Zementposten belegte Plüss den zweiten Platz. Die Stelle heimste ein Mitbewerber ein. «Zwei Jahre später meldete sich mein jetziger Chef bei mir und meinte, er würde mich als Leiter der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit im Team sehen», erinnert sich Plüss an den überraschenden Anruf aus Bern. Nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, sagte er zu.

Der Job als Kommunikationsverantwortlicher führe ihn aus seiner Komfortzone. Er sei kein Selbstdarsteller, der sich gerne reden höre, sagt Plüss. Da kommt gelegen, dass das mediale Scheinwerferlicht zurzeit auf den kürzlich gewählten und prominenten Verbandspräsidenten, Gerhard Pfister, gerichtet ist. Plüss sieht sich als reflektierten Menschen. Als jemanden, der nachdenkt, bevor er spricht, die Worte genau abwägt, bevor er sie verliert. Etwas, das in seinem Job von Vorteil ist. Eine Eigenart, die ihm aber auch schlaflose Nächte beschert, wenn er über Dinge grübelt, die ihn beschäftigen.

Witze und Sprüche über seine Stadt, wie kürzlich bei Deville auf SRF in einer eigenen Extrasendung breitgeschlagen, lassen Plüss kalt. Auch wenn er findet, dass die Hälfte des Rufs einer Stadt auf dem beruhe, was die Einwohner erzählen würden. «Die Klischees werden halt schon auch ein bisschen gelebt in Olten.» Dabei seien die Städte des Mittellands miteinander vergleichbar. Olten sei bestimmt nicht schlechter als eine der anderen Städte. Im Gegenteil: «Olten hat riesiges Potenzial, gerade wenn man an die Verkehrsanbindung denkt und an die moderaten Mietpreise.» Weshalb sich viele Unternehmen mitten im teuren Zürich niederlassen, will ihm nicht so recht in den Kopf. Würde er das anders sehen, wäre er wohl nicht zurückgekehrt in die Stadt, in der er schon als Jugendlicher den Burger am liebsten im Chöbu bestellte.

Der Mann und das Meer

In der Kindheit war die Familie viel mit dem Segelboot auf dem Ägerisee unterwegs, später machte Plüss den Segelschein und vor fünfzehn Jahren ging es das erste Mal auf hohe See. Seither verbringt er jeweils einen Monat im Jahr auf einem gecharterten Boot, meist in Begleitung seiner Frau oder von Freunden. «Beim Segeln ist es ein schmaler Grat zwischen Hurra und Hölle.» Als im Mai letzten Jahres durch eine heftige Böe das Segel riss und sich anschliessend eine Leine in der Motorschraube verhedderte, galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. «Ein Riesentheater!»

Die Leine liess sich zum Glück mühsam wieder lösen. «Als wir später an der ligurischen Küste sicher an Land gingen, waren wir heilfroh», erzählt Plüss. Unter keinen Umständen in Hektik zu verfallen und immer zuerst nachzudenken, bevor man handelt – was fürs Segeln gilt, passt auch in den Politikbetrieb, wo Plüss die unaufgeregte Diskussion schätzt. Beim Segeln sind es die unbeschwerten Momente, die er am meisten geniesst. Dann, wenn das Boot in einer einsamen Bucht ankert, das Handy keinen Empfang hat und «das einzige Licht in der Nacht die flackernden Sterne über dir sind».

Nach dem Besuch der Kantonsschule in Olten und einem Chemiestudium in Basel suchte Plüss sein Glück zunächst in der Ferne, und er fand es erstaunlich nahe. Er wollte einen neuen Sprachraum entdecken, in eine andere Kultur eintauchen. Als «Ausland light», beschreibt Plüss seine damalige Wahlheimat Lausanne, wo er an der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) sein Doktorat in Chemie schrieb und eine Kultur kennenlernen konnte «ohne mühsame Bürokratie». Vier Jahre lebte er in Renens, einer unspektakulären Vorortsgemeinde. Der Kontakt nach Olten riss währenddessen nicht ab. Als Mitglied der Studentenverbindung der Froburger und als Fasnächtler war Plüss jedes Jahr spätestens zum Fasnachtmachen in den Gassen der Altstadt unterwegs.

Hummus gegen den Homeoffice-Koller

Plüss mag das Kleinstädtische. Dass man einander kennt und sich nicht so einfach ignorieren kann. Trotzdem folgte auf den Abstecher in die Romandie erneut eine grosse Stadt. «Den Ausschlag gegeben hat Nadine, meine Frau, die ebenfalls in Olten aufgewachsen ist und damals wegwollte.» Die beiden zogen in den Chreis Cheib, an den Stauffacher, mitten in Zürichs Stadtzentrum. «Dort haben sich nicht einmal die direkten Nachbarn im Haus gegrüsst», erinnert er sich und muss beim Gedanken daran lachen. Seit einigen Jahren sind die Plüss zurück. «Olten bietet fast alles, mit dem Rest kann ich mich arrangieren.» Das Haus im Schöngrund, welches sie von seinen Eltern übernommen haben, ist seit letztem Frühling auch Arbeitsplatz der Eheleute.

«Klingt komisch, aber in meiner Erinnerung wird die Coronazeit wohl nach israelischer Küche schmecken.»

David Plüss

Der aktuellen Lage kann er etwas Positives abgewinnen. «Normalerweise verbringt man ja mehr Zeit im Büro mit den Arbeitskollegen als zuhause mit der eigenen Frau. Das ist jetzt anders.» Die Entschleunigung bringe Vorteile mit sich und sei inspirierend. Mit Rezeptideen und Kochkelle kämpfen die Plüss gemeinsam gegen die bisweilen drohende Monotonie des Alltags im Homeoffice. Die wöchentliche Gemüselieferung direkt vom regionalen Bauer gibt den Takt vor. Darüber hinaus versucht sich der passionierte Hobbykoch an der internationalen Küche. «Klingt komisch, aber in meiner Erinnerung wird die Coronazeit wohl nach israelischer Küche schmecken.» Diese hat er im Frühjahr für sich entdeckt.


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