Eine Stimme für jene, die bei den Wahlen keine haben
Jessica Foschini, angekommen aus Bagnacavallo, Italien
Studierte Philosophie und Geschichte in Mailand. Arbeitet Teilzeit als Kantonsschullehrerin. Lebt seit sieben Jahren in der Schweiz.
Nach vier Jahren in Sankt Gallen kam ich 2017 nach Olten und nun werden wir langsam heimisch hier. Meine Wahrnehmung von Olten hat sich innerhalb der letzten drei Jahre stark verändert. Am Anfang fand ich die Stadt überhaupt nicht schön. Sankt Gallen war wie eine Rosine und dann kamen wir hierher und als ich die Aarauerstrasse sah, dachte ich: Das ist der hässlichste Ort der Schweiz.
Ich wusste nicht, wie lange wir hier bleiben. Aber die geografische Lage ist einfach genial. Die Altstadt ist auch sehr schön. Leider sind die Kirchgasse und der Munzingerplatz asphaltiert. Inzwischen habe ich mich an die Ästhetik Oltens gewöhnt und ich sehe das Potenzial dieser Stadt. Verbunden mit der Lage, aber auch mit der optimalen Grösse und dem grossen Angebot. Auch für Kinder. Was mir auch gefällt, sind das Schwimmbad, die Einkaufszentren – wir haben alles in der Nähe. Ich liebe zum Beispiel auch das Kino Lichtspiele. Das Schönste an Olten ist die Aare.
All diese Gründe haben uns dazu gebracht, hier zu bleiben. Klick gemacht hat es in der Coronazeit, als wir nicht mehr so viel weg konnten. Ich musste mich mit Olten abfinden und wir begannen, durch die Stadt zu spazieren, und haben die Stadtviertel und auch den Hardwald oder den Bannwald entdeckt. Das hat meinen Blick auf die Stadt verändert. Am Anfang fehlte uns hier ein wenig der soziale Anschluss. Auch weil es in einer Kleinstadt anders ist als in Zürich oder Sankt Gallen mit grossen Universitäten. Über die International Community Olten bauten wir uns ein Netzwerk auf, wodurch erste Freundschaften entstanden sind. Egal wo ich lebe, Menschen und Beziehungen machen den Unterschied und dafür braucht man Möglichkeiten, um Leute kennenlernen zu können.
Um Olten ästhetisch attraktiver zu machen, müsste Bestehendes aufgewertet werden. Jedes Mal, wenn ich durch die Winkelunterführung gehe, denke ich mir: Ich mag verlassene Gebiete, aber hier passt es mir überhaupt nicht. Ein grosses Thema ist für mich die Verbindung zwischen den zwei Teilen von Olten. Ich würde mir auch wünschen, dass die Hardeggunterführung bis zur Aare reicht und barrierefrei ist. Als junge Mutter habe ich gemerkt, dass die Stadtseitenquerung mit dem Kinderwagen sehr anstrengend ist. Menschen, die im Rollstuhl sind, müssen noch stärker eingeschränkt sein.
Was ich mir als Hausbesitzerin auch wünschen würde, ist ein Glasfasernetz, das momentan in Olten nicht verfügbar ist. Wir hoffen jetzt auf Starlink, das Satelliten-Internet.
Toll fände ich zudem, wenn es in der Kleinstadt einen Austausch zwischen Stadtvierteln gäbe. Für die Kita kann ich meinen Sohn hinbringen, wo ich möchte. Aber für den Kindergarten bin ich an das Stadtviertel, in dem ich lebe, gebunden. Ich denke, die Leute der Strasse lernst du sowieso kennen, aber die Leute in einem anderen Stadtviertel nicht. Es gibt Familien, die extra umziehen, um das Kind in eine bestimmte Schule zu schicken. Wenn es von Beginn weg die Durchmischung gäbe, würden Gesellschaftsschichten und Nationalitäten aufeinandertreffen und vermischt. Das würde helfen, die Integration zu fördern. Ich habe mich vergebens nach einer Montessori- oder einer Rudolf-Steiner-Schule umgeschaut. Olten wäre gross genug, um alternative Schulen anzubieten.
Schade finde ich, dass wir keine Mitbestimmung haben. In meiner Heimatgemeinde in Italien, die ich mit achtzehn Jahren verlassen habe, darf ich wählen. Aber hier, wo ich lebe und mich die Entwicklung interessiert, darf ich nichts sagen. Ich wäre dafür, dass Ausländerinnen bei Gemeindewahlen mitbestimmen dürfen. Du lebst hier, bezahlst Steuern hier und willst auch was mitbewirken. Die politische Beteiligung wäre für mich der Hauptgrund, mich einbürgern zu lassen.
Nasser Suleiman, angekommen aus Aden, Jemen
Studierte Maschinenbau. Arbeitete fünf Jahre in einer grossen Mehlfabrik in Aden. Lebt seit zwei Jahren mit seiner Familie in der Schweiz.
Meine Heimatstadt Aden ist als Tor zum Roten Meer für ihren Hafen bekannt. Ich arbeitete in einer Mehlfabrik, die pro Tag 3000 Tonnen Mehl produzierte. Wir möchten in Aden ein Land wie früher, als Südjemen und Nordjemen geteilt waren. Im Süden gab es weniger Menschen, aber mit dem Meer und dem Hafen viel mehr Möglichkeiten als im Norden. Sie haben uns alles genommen, weil der Präsident aus Nordjemen ist. Nun möchten wir das demokratische Südjemen schaffen. Wegen dem Bürgerkrieg flüchtete ich mit meiner Familie in die Schweiz.
Ich kam zuerst nach Basel und von da schickten sie mich auf den Balmberg* im Kanton Solothurn. Ich wollte nach Olten kommen, das war meine Wunschstadt. Nachdem ich einmal hierhergekommen war, gefiel sie mir sehr. Sie ist in der Mitte von allem. Hier leben auch viele Familien aus Jemen. Die Stadt ist gross und bekannt. Ich liebe es, in der Stadt zu leben. Man kommt ohne Auto aus und kann nach Basel oder Zürich fahren. Es gibt viele Läden: Den Alimamarket, den Sälipark, die Post, das Spital. Alles ist nah und es gibt auch eine Fachhochschule. Ich liebe die Altstadt, weil man daran sieht, wie Olten vor hundert Jahren war, das müssen wir belassen. Auch das Stadthaus von Olten gefällt mir. Die Leute hier sind offen. Wir sind wie ein kleines Genf oder ein kleines Zürich und es gibt viele Firmen.
Dank dem Cultibo war es für mich nicht so schwierig, hier anzukommen. Man kann sich schnell integrieren und Deutsch lernen. Ich könnte mir nicht vorstellen, in eine andere Gemeinde zu ziehen. Wünschen würde ich mir für Olten ein grosses Einkaufszentrum gleich neben dem Bahnhof. Wir müssten nicht nach Egerkingen oder Oftringen fahren. Olten hätte das Potenzial, dass die Leute aus Basel, Bern und Zürich hier anhalten und einkaufen. Auch die Badi ist sehr schön, aber sie könnte noch attraktiver werden, wenn sie noch grösser wäre, und Menschen von überall anlocken.
Für die Integration würde ich mir alle drei oder fünf Jahre ein grosses Kulturfestival wünschen. Hier wohnen viele Menschen mit ausländischen Wurzeln. Wenn alle Kulturen zusammenfinden, ihre traditionelle Kleidung tragen, ihr Essen kochen und tanzen würden, gäbe dies ein grosses Fest. Dann könnte man alle Länder auf einem Platz sehen. In den Zwischenjahren würden alle Leute auf dieses Fest warten. Auch so könnte Olten als Mittelpunkt der Schweiz Menschen von überall anziehen. Was in Olten auch fehlt, ist eine geschlossene Spielhalle für Kinder.
Ich würde gerne in einem Verein Fussball spielen, aber neben dem Deutschlernen, dem Cultibo und der Familie bleibt momentan kaum Zeit. Bei meiner Firma in Jemen konnte ich Feuerwehrkurse besuchen. Mir würde es Freude machen, auch hier in der Feuerwehr mitzuhelfen. Im Herbst kann ich an der Fachhochschule in Windisch ein Maschinenbau-Studium beginnen. Dazu muss ich bis im Sommer mein Deutsch verbessern. Ich liebe Maschinenbau, das ist wie ein viertes Kind für mich. Als alte Wissenschaft ist es auch Grundlage unseres Lebens.
Svitlana Siverina, angekommen aus Dnipro, Ukraine
Ausgebildete Lehrerin und in der Schweiz in Pflegeausbildung beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK), seit rund zwei Jahren in Olten daheim.
Mir gefällt Olten sehr, die Stadt erinnert mich durch den grossen Fluss an meine Heimatstadt. Mit dem GA kannst du von hieraus überall hingelangen. Vor Corona reiste ich, wenn immer ich Zeit hatte, in verschiedene Richtungen, um neue Menschen kennenzulernen. Ich habe hier auch dank meines Schweizer Mannes einen grossen Bekanntenkreis. Die deutsche Sprache hatte ich schon in der Ukraine gelernt. In die Schweiz zu kommen, war keine spontane Entscheidung.
Ich möchte in Zukunft gerne achtzig Prozent arbeiten, um Zeit für meinen Mann und meine Katze zu haben. Hier in Olten spüre ich das kulturelle Leben. Etwa an der Oltner Buchmesse herrschte eine ganz besondere Atmosphäre, die mich ansprach. Auch wenn ich nicht da war, um Bücher zu kaufen, denn wenn ich Deutschbücher kaufe, dann sind es noch immer Wörterbücher. Ich nehme Olten als lebendige Stadt wahr. Die Leute übernachten nicht einfach hier.
Ich ziehe gerne den Vergleich mit meiner Heimat in der Ostukraine. Hier ist die Lebensqualität besser. Aber Schweizer sind oft zu anspruchsvoll und möchten alles perfekt haben. Wer über die Schweizer Grenze kommt, begibt sich in eine Oase. Ich habe erlebt, wie schnell sich das Chaos ereignet. Hier funktionieren die Regeln und Gesetze im Gegensatz zu anderswo.
Es sind nur Kleinigkeiten, die mir an Olten nicht gefallen. Die Winkelunterführung ist schrecklich und leblos. Aber sonst hat Olten so viele schöne Seiten mit dem Engelberg, dem Sälischlössli, dem Aareufer und der Altstadt. Auf meinen Spaziergängen durch die Stadt entdecke ich gerne neue Ecken. Jedes Fenster eröffnet mir Zugang zu einer Lebensgeschichte.
*In einer ersten Version schrieben wir fälschlicherweise, Nasser Suleiman sei in Ballenberg gewesen.
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