Es war immer schwierig. Aber die Hoffnung und der Optimismus haben lange gewährt. Geschäftlich dient einem Projekt wie Kolt das Abonnementsmodell als Basis, nebst Werbung und Spenden. Die Grundkosten sind niedrig gehalten, anfangs aber meist höher als die Einnahmen. Das Modell kennt man von der üblichen Zeitung über Netflix bis zu Autoleihe oder Socken unterdessen in allen denkbaren Geschäftsfeldern. Das Abomodell floriert; wenn’s mal funktioniert, garantiert es schon fast langfristig zuverlässige und regelmässige Einnahmen. An diesem Punkt war Kolt leider zu keinem Zeitpunkt. Wir bewegten uns stets in einem Karussell. Rund um die Fragen: Wie kann Kolt mehr Menschen ansprechen, wie kann man ihnen bestmöglich nützen und dienen? Und bis wir dort sind: Wie finanzieren wir das Projekt bis zum Durchbruch? Ein Drittel meines 39-jährigen Lebens habe ich mich – mit den jeweiligen Kollegen – mit diesen Fragen beschäftigt. Und das hat mir – und sehr vielen anderen Menschen – sehr viel Freude bereitet. Kolt war immer Abenteuer. Konstant war die Veränderung. Und es war eine inspirierende Arbeit, die Begegnungen und Zusammenarbeiten mit unzähligen, unterschiedlichsten, enorm talentierten, begeisterungsfähigen, intelligenten Charakteren ermöglichte.
Dem Teil dieser Menschen, welche diese letzte Etappe von Kolt begleiteten, danke ich weiter unten dieses Textes. Mein Team und ich haben damals bereits mit Ausgabe 100 einen Überblick über die koltsche Achterbahnfahrt erarbeitet für unsere Leserinnen. Deshalb wage ich es jetzt nicht, allzu weit zurückzublicken. Auch weils gerade noch sehr schmerzhaft wäre. Aber ich möchte die Gegenwart möglichst kurz und prägnant erklären. Es fällt mir nicht leicht und ich lande dabei höchstwahrscheinlich auch in einem leichten Pathos. Was solls:
Wir wussten, dass wir eine Kurskorrektur vornehmen müssen. Im Oktober 2020 hat Kolt mit neuem Konzept, neuem Team und neuem Elan gestartet. Nach den ersten 15 Monaten wussten wir, dass der Zuwachs an Abonnenten auf einem nicht haltbaren Niveau stagniert. Vor wenigen Wochen meinten wir gemeinsam herausgefunden zu haben, wohin der korrigierte Kurs führen kann und soll. Wir beabsichtigten, einen Effort zu leisten, um Kolt nochmals richtig voranzutreiben. Der inhaltliche Plan und das Angebot an eine breitere Bevölkerung wären sinnvoll gewesen. Wir hatten die DNA von Kolt erkannt und wussten, dass wir mit unserer Kommunikation einfacher und emotionaler werden, uns komplett von anderen Medien abgrenzen und ein starkes, eigenes, unverkennbares Profil schaffen müssen. Mit einem günstigeren Angebot, mit dem Zugpferd «Veranstaltungskalender» und einer stärkeren Öffnung gegenüber der breiten Bevölkerung, die wir noch nicht begeistern und überzeugen konnten. Ich sähe (nach wie vor) das Potenzial. Mithilfe von Stiftungen wäre es wohl auch möglich gewesen, die weiteren Monate zu finanzieren. Aber: Die Strategie wäre wieder mit sehr grossem Risiko und weiteren Jahren des finanziellen Drucks, ewiger Geldbeschaffung, Lohnverzicht und dem Zwang, möglichst schnell möglichst viele Abonnenten zu gewinnen, verbunden gewesen. Die Erfolgsaussichten wären wiederum äusserst unsicher gewesen. Ironischerweise glaube ich noch immer, dass ein funktionierendes, lokales Modell von Kolt möglich wäre. Wenn da nur genügend Energie und Kapital existierte. Es bräuchte auch dann noch paar Jahre «Schnuuf», wenn das erneuerte Modell erfolgreich geworden wäre.
Ich kann das psychisch, physisch und finanziell nicht mehr verantworten. Vor allem auch mir selbst gegenüber. Im Nachhinein hätte ich vielleicht auch früher reagieren müssen, indem ich auf die immer unangenehmeren Zeichen gehört hätte, die mir mein Körper und mein Liquiditätsplan sandten. Das geht so einfach nicht weiter. Deshalb reifte über die letzten Wochen der Entschluss, Kolt den Stecker zu ziehen. Das ist sehr traurig, aber irgendwann sicher auch eine Art Befreiung. Und wie das so ist: Dieser Entscheid fordert rasches Handeln. Wir beenden Kolt mit dieser Ausgabe. Denn jede weitere Arbeit wäre eine Belastung aller Ressourcen. Ich werde die Konsequenzen ziehen und vor allem tragen, dass möglichst alle fair behandelt werden.
Es war gut, wie es ist. Ich und zahlreiche Mitstreiterinnen haben Kolt versucht, jetzt ist dieses Kapitel zu Ende. Als unternehmerischer Optimist sieht man den Zeitpunkt wohl auch eher zu spät als zu früh. Der Entscheid fühlt sich gut und richtig an. Ich reflektierte die letzten Tage über dieses Gefühl, das mich derart müde, traurig, überfordert und zugleich dankbar und zuversichtlich macht. Es fühlt sich an, als ob ein bester Freund stirbt. Ein Freund, der so oft Unterstützung und viel Energie benötigte; den ich deshalb manchmal hasste und öfters liebte. Weil ich ihm dankbar bin für die reiche Erfahrung, die wertvollen Begegnungen, das erlernte Wissen, die Freuden und Leiden, die mein Leben dank ihm 13 Jahre lang erfahren durfte. Ein Freund, der immer da war, auch wenn manchmal seine Abwesenheit erwünscht gewesen wäre. Einer, der grösstenteils beliebt war, geschätzt wurde und viele Sympathisanten zählen durfte.
Danke allen Weggefährten und auch Dir, geschätzte Kolt-Leserin, geschätzter Kolt-Leser. Du warst immer auch Grund zur steten Entwicklung und zur Hoffnung. Du gehörtest gemeinsam mit vielen anderen Menschen zu jenen, die Kolt begeistern durfte. Ihr wart zu wenige, um zu überleben, und zu viele, um zu sterben. Ich danke für Dein Vertrauen, Deine Wertschätzung und Treue, mit der Du die Arbeit von Kolt unterstützt und ermöglicht hast.
Ich danke ganz herzlich diesen Mäzenen, grosszügigen Spenderinnen, die wissen, dass sie gemeint sind, ohne hier ihre Namen zu erwähnen. Ihr habt uns öfters aus der Patsche oder über den Gipfel geholfen. Danke!
Ich danke den langjährigen, treuen Partnerunternehmen aus der Region, die Kolt und seine Arbeit bei aller Veränderung immer mitgetragen und unterstützt haben. Auch diese wissen, dass sie gemeint sind. Danke!
Ich danke den Stiftungsräten der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung und der Stiftung für Medienvielfalt, die uns auf verschiedene Weisen ihr Vertrauen und ihre Mittel begrenzt, aber grosszügig und unkompliziert zur Verfügung gestellt haben. Danke!
Ein spezieller Dank geht an den Geschäftsführer und Partner der Merkur Druck AG, Thomas Schärer, für seine Grosszügigkeit, konstruktive Unterstützung, Kulanz und Toleranz sowie seine Zeit, die er mir und meinem Team mit seinen Einschätzungen und seinem Know-how zur Verfügung gestellt hat. Es ist ein Glück und eine Bereicherung, mit einem solchen Geschäftspartner und Unternehmer wie ihm zu arbeiten. Vielen Dank, Thomas!
Last but not least: Danke dem Kolt-Team, das auf den letzten Seiten dieser Ausgabe zu Wort kommt. Ich möchte niemanden hervorheben. Es gab seit 2009 bis heute eine Konstante bei Kolt: Die, welche dieses Produkt begleiteten, formten, dachten und produzierten, waren ausschliesslich sehr fähige, intelligente und überzeugte Menschen, die öfters auch über sich hinausgewachsen sind und gemeinsam jeweils mehr erreicht haben, als die eine oder andere vielleicht erwartet hätte. Mit den allermeisten bin ich kollegial oder freundschaftlich verbunden. Wir helfen einander. Und auch jetzt entlasse ich mit einem weinenden Auge ausserordentliche Talente und besonders gute Charaktere in eine garantiert gute Zukunft, weil – sie einfach gut sind! Und was die Menschen ausmachen, die für und an Kolt gearbeitet haben, waren nicht nur die beruflichen Fähigkeiten, sondern gleichwertig ihre Offenheit, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Überzeugung und Motivation, an was zu arbeiten, was man offensichtlich nicht nur für den eigenen Lohn, sondern zu einem grossen Teil intrinsisch für die Gesellschaft tut.
Ich danke euch. Arbeiten hat Spass gemacht mit euch!
Die Welt ist schön und traurig. Dankbar und zuversichtlich, tschüss! Vielleicht sehen wir uns in der Stadt.
Yves
I – Einen Kolt-Kumpan möchte ich ganz besonders erwähnen, der als Einziger neben mir regelmässig die ganze (verdammte) Zeit für Kolt arbeitete: Kilian Ziegler. Danke, Kili, dass Du Kolt stets in Deinem Herzen trägst. Und danke für Deine sensationelle, konstant gute, unterhaltsame und humorvolle Arbeit für diese Sache! Mach doch jetzt mal was «Anständiges» aus dieser gewonnenen Zeit! 😉
II – Solltest Du eine Frage, ein Anliegen oder sonstige Worte an mich oder Kolt richten wollen, dann schreib dies gerne auf hallo@kolt.ch oder an die Postadresse Verlag 2S GmbH, Vorderer Steinacker 3, 4600 Olten.
Nein, meine folgenden Sätze sind nicht ohne Eigeninteresse. Ich bin sehr interessiert an einer Annahme des neuen Mediengesetzes, über welches wir am 13. Februar abstimmen. Politisch würde ich mich ultraliberal und gleichzeitig gesellschaftlich sozial bezeichnen. Die Partei, wo ich hingehöre, gibt es nicht. Grundsätzlich stehe ich öffentlichen Subventionen (und Verboten) zuerst immer skeptisch gegenüber.
Es gibt jedoch durchaus Gründe für den Entscheid, eine Branche oder eine bestimmte, gewünschte Entwicklung zielorientiert zu fördern. Am besten befristet und mit klaren formalen Kriterien geregelt. Beispielsweise dann, wenn ihre Existenz von öffentlichem Interesse ist. Wenn sie für unsere Demokratie und für unser gesellschaftliches Funktionieren relevant ist und ohne unsere Unterstützung in ihrer Existenz gefährdet wäre. Und genau diese Frage müssen die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger beantworten.
Soll die Schweiz mit möglichst wenig Geld und zeitlich befristet das Fortbestehen des Lokaljournalismus erhalten und fördern?
Das vorliegende Gesetz ist ein klassischer, austarierter Schweizer Kompromiss und erreicht das obengenannte Ziel: Förderung von Lokaljournalismus, Vielfalt und Qualität. Es ist befristet auf 7 Jahre und wird bereits nach 4 Jahren auf seine Wirkung überprüft. Und es ist so klug ausgearbeitet, dass kein Verlag zu viel, aber genau so wenig finanzielle Unterstützung erhält, dass ihm ermöglicht wird, während den nächsten Jahren sein Geschäftsmodell für Lokaljournalismus weiterzuentwickeln.
Schweizer Presseförderung seit 1849, und: wie das neue Gesetz funktioniert
Wir sind uns seit 1849 einig, dass der Journalismus für die Schweizer Demokratie eine derart wichtige Funktion spielt mit seinem kritischen Blick auf das politische Geschehen und für die öffentliche Meinungsbildung, dass wir ihn bisher gezielt förderten. Bisher war das Werkzeug dafür die sogenannte «indirekte Presseförderung»: Das Geld fliesst pro Exemplar erst, wenn die Zeitung auch an den Leser zugestellt wird. Und es fliesst eben nur indirekt: Die Post vermittelt diese Subvention via vergünstigte Zeitungsversandpreise.
Diese indirekte Presseförderung soll bei Annahme des Gesetzes bestehen bleiben und der Gesamtbetrag über einen Zeitraum von 7 Jahren aufgestockt werden. Und weil sich die Zeiten geändert haben, soll der Bund nicht nur gedruckte Zeitungen, sondern neu auch Online-Medien mit direkter Förderung unterstützen. In der ganzen Vorlage gilt der Grundsatz: Publikationen mit kleinerer Reichweite profitieren im Verhältnis zu ihren Lesereinnahmen stärker. Und es sollen bewusst diese Inhalte gefördert werden, die von der Leserschaft bezahlt werden. Insbesondere Lokaljournalismus in den Regionen und Gemeinden würden gefördert. Die Gegner der Vorlage kritisieren, dass dieses Ziel nicht erreicht werde und die «grossen» Verlage insgesamt viel stärker profitieren. Diese Kritik ist ungenau. In absoluten Zahlen würden Verlage mit grösseren Umsätzen insgesamt zwar eine grössere Summe erhalten. Im Verhältnis zu deren Lesereinnahmen sind die Beiträge gering. Die viel wichtigere Frage ist, ob die kleinen und mittelgrossen Verlage effizient gefördert würden.
Wird die Unabhängigkeit der Medien vom Staat bei Annahme der Vorlage weiterhin gewährleistet?
Der Journalismus hat in der Demokratie grundsätzlich die Aufgabe, als Kontrollorgan politische und gesellschaftliche Prozesse kritisch zu beobachten. Kurz: Geht alles mit rechten Dingen zu? Wie werden Steuergelder eingesetzt? Damit die Redaktionen diese Arbeit leisten können, müssen sie zwingend unabhängig von äusseren Einflüssen sein. Es gilt, den Verlag (das Geschäft) und die Redaktion (den Journalismus) klar zu trennen, um eine Einflussnahme von Verlag auf Redaktion zu verhindern, beispielsweise durch eine finanzielle Abhängigkeit von potenten Werbekunden.
Die Gegner der Vorlage behaupten, durch die direkte Förderung würden die Medien abhängig vom Staat. Ein wunder Punkt. Eine staatliche Einflussnahme auf den Journalismus darf niemals möglich werden. Ob die Unabhängigkeit bei der direkten Förderung im Fall der Onlinemedien gewährleistet wird, ist noch nicht beantwortet.
Inhaltlich sollen gemäss Gesetzestext minimale Kriterien gelten, die verhindern sollen, dass nichtjournalistische Inhalte in den Genuss einer Förderung kommen: «Der redaktionelle Teil des Angebots enthält zur Hauptsache Informationen zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen». Anhand kolt.ch zeige ich später konkret, wie unser Modell gefördert würde und gehe auf die Frage nach der Unabhängigkeit ein.
Über den Zustand der Medien heute
Wenn wir uns einig sind, dass kritischer und unabhängiger Journalismus zentral relevant für unsere Demokratie ist, dann bleibt noch immer die Frage, ob und warum es dem Journalismus dermassen schlecht geht, dass er marktwirtschaftlich und unternehmerisch ohne Subvention nicht funktioniert.
Um diese Frage zu beantworten und die aktuelle Situation der Medien zu verstehen, müssen wir kurz in die Vergangenheit reisen: Vor zwei Jahrzehnten noch verdiente eine typische Zeitung ihr Geld zu zwei Drittel mit Werbeeinnahmen und einem Drittel mit Lesereinnahmen. Die Digitalkonzerne aus den USA, insbesondere Google und Facebook, haben den Werbemarkt über die letzten 10 Jahre auf den Kopf gestellt. Die globale Reichweite erlaubt es ihnen, spottbillige, aber zugleich gezielte Werbung anzubieten. Dadurch sahen die Verlage die Werbeeinnahmen dahinschwinden. Die Verlage reagierten – damals ein logischer, heute ein dummer Gedanke -, indem sie ihre journalistischen Inhalte kostenlos ins Netz stellten. Mit (vermeintlich) grösserer Reichweite wollten sie den Einnahmeverlust kompensieren. Die Rechnung geht nicht auf und zu diesem Übel kommt hinzu, dass die Konsumenten sich an kostenlosen Journalismus gewöhnten.
Für einen rentablen Journalismus ist ein Geschäftsmodell gefragt, das mit viel geringeren Werbeeinnahmen auskommt. Dafür benötigten die Verlage Zeit und Geld. Zeit hatten sie kaum, also erhöhten sie die Preise und reduzierten ihr Angebot, legten Redaktionen zusammen. Wir befinden uns heute noch inmitten dieses Wandels. Das Gute dabei ist: Die Leserschaft und ihr Bedürfnis werden zentral, denn die Verlage werden finanziell von der Leserin abhängig und weniger vom Werbekunden.
Der Strukturwandel im Lokalen
Diese Entwicklung können wir vor Ort auch am Beispiel des Oltner Tagblatts beobachten. Erst eine Preiserhöhung kombiniert mit einem geringeren Angebot. Der Mantelteil wird identisch mit anderen Regionen. Die Chefredaktion sitzt in Solothurn, welche von der Aarauer Zentrale geführt wird. Die lokale Identifikation und die lokalen Ressourcen schwinden massiv. Das ist die Folge eines unfreiwilligen Kostendrucks. Wenn sich deren Verlag heute noch in den schwarzen Zahlen bewegt, dann liegt der Grund nicht darin, dass sie ihren journalistischen Job gleich gut machen wie vor 15 Jahren, sondern weil er unternehmerisch alles getan hat, um zu überleben. Die Qualität und die Quantität für den lokalen Leser nahmen aber stark ab. Mit dem Mediengesetz will der Bund diesen Negativtrend über die kommenden 7 Jahre bremsen. Die Medienhäuser könnten ihr Geschäftsmodell fertig entwickeln.
Medienmillionäre? Das Gesetz ist liberal. Der Leser hat die Macht. Der Markt spielt.
Die Gegner der Vorlage polemisieren mit der Aussage, dass die grossen, profitablen Medienkonzerne und ihre Aktionäre subventioniert würden. Es handelt sich um die beiden grossen Verlagshäuser TX Group und Ringier. Sie handelten unternehmerisch intelligent und effizient, indem sie ihre Werbeverluste seit längerer Zeit mehr als wettmachen mit lukrativen nichtjournalistischen Dienstleistungsplattformen. Das stimmt. Sie mutierten zu Digital-Konzernen, für welche der Journalismus lediglich «ein Produkt» im Portfolio darstellt, welches selbsttragend, nein gewinnbringend funktionieren muss. Dass wichtige Zeitungen überleben, ist aber im Interesse der Gesellschaft.
Bereichern können sich die Besitzer der Verlage nicht. Bei der indirekten Förderung fliesst das Geld eben nur indirekt durch vergünstigte Versandpreise. Bei der direkten Förderung ist das Geld an bezahlte Abos gebunden. Die Leserin hat die Macht. Es ist ironischerweise eine sehr liberale Subvention. Sie lässt weiterhin den Markt spielen. Medien, die von der Leserschaft nicht erwünscht sind, werden nicht gefördert.
Die effektive Förderung am Beispiel Kolt.ch
Jetzt zu uns, dem Paradebeispiel im Paket «Onlinemedien». Wir sind mit einer Auflage von 700 bezahlten Abonnements sehr klein und profitieren deshalb besonders stark. Pro Franken aus der Leserschaft (Abo) würden wir voraussichtlich mit 60 Rappen subventioniert. Oft fällt der Satz, dass die «Kleinen» kaum was erhalten, weil die «Grossen» den «Topf» leeren. Das ist polemischer Abstimmungskampf. Diese Aussage stimmt nicht. Im Gegenteil. Prozentual würde die geschätzte Förderung Kolt enorm helfen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln:
Unser Ziel ist, möglichst viele Menschen der Region zu erreichen zu einem vernünftigen Preis mit einem möglichst grossen Nutzen für die Bevölkerung. Unser Preis ist für viele Menschen zu hoch. Das stimmt leider. Der Markt zwingt uns aktuell zu diesem Kompromiss.
Ein Wort zum Thema Unabhängigkeit
Die Lösung, über einen bestimmten Zeitraum eine Art Start-up-Förderung vom Bund direkt zu erhalten, ist im Kontext der Unabhängigkeit die sinnvollste Lösung überhaupt. Sie macht uns komplett unabhängig von einer Einflussnahme durch die lokalen Protagonisten. Redaktionell interessiert uns die nationale Politik lokal nur bedingt. Den Bund interessieren die redaktionellen Inhalte von Kolt nicht. Wir sind für den Staat aus einem demokratischen Verständnis wichtig: Weil wir eben Lokaljournalismus betreiben und unsere Funktion vor Ort wahrnehmen.
Zurück zu den Zahlen
Das Geschäftsmodell für den Lesermarkt ist dem von Netflix ähnlich: Kolt benötigt eine kritische Masse. Die benötigten, minimalen Ressourcen bedeuten hohe Grundkosten. Das ist bei CH Media und ihren Lokalzeitungen genau gleich. Kolt hat ein Budget von rund einer halben Million Franken. Um die Gewinnzone zu erreichen, benötigen wir beim aktuellen Jahrespreis von 220 Franken mindestens 1‘500 zahlende Leserinnen und Leser. Unser Ziel ist also, bei gleichbleibenden Grundkosten möglichst schnell unsere Abozahl von 700 Mitgliedern auf 1‘500 zu erhöhen. Ab dann verdient Kolt Geld.
Stand heute fehlen uns jährlich rund 190‘000 Franken. Dieses Defizit deckten wir bisher durch einen Mix aus Privatdarlehen von mir und einer Stiftung, von Stiftungsgeld und Auftragsarbeiten. Das ist auf Dauer (und das dauert doch schon eine Weile) zermürbend und nicht nachhaltig. Der Fokus aller Ressourcen muss 100 % auf der Aboakquise, Weiterentwicklung des Geschäftsmodells und einer konstant guten journalistischen Arbeit liegen.
Das Gesetz bedeutet für Kolt konkret: Wir schätzen, dass wir mit einer Subvention von 60 % unserer Lesereinnahmen rechnen dürfen. Aktuell wären dies inklusive Leserspenden knapp 100‘000 Franken. Das ist viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein, aber auch keine Defizitgarantie. Das ist tatsächlich eine Start-up-Förderung, die uns erlauben würde, uns über die kommenden Jahre zu entwickeln und ein nachhaltiges, selbsttragendes Modell für Lokaljournalismus aufzubauen. Da die Förderung zeitlich begrenzt ist, muss das Geschäftsmodell langfristig ohne sie funktionieren.
Als Unternehmer und Verleger habe ich diesen Anspruch ohnehin. Selbstverständlich würde ich lieber ohne Subvention auskommen. Nur ist sie leider notwendig, damit wir unsere gesellschaftlich relevante Arbeit langfristig auch rentabel für dich erfüllen können. Gib uns und dir selbst diese Chance.
Dass der republikanische Gegenkandidat Curtis Sliwa die Bürgermeisterwahl in der demokratischen Hochburg New York gewinnen würde, war äusserst unwahrscheinlich. Trotzdem konnte der stadtbekannte Gründer der Bürgerpatrouille Guardian Angels (Schutzengel) in seinem roten Béret 29 % der Stimmen für sich beanspruchen.
Lediglich knapp 20 % der 5,6 Millionen registrierten New Yorker Wähler haben bei dieser Wahl ihre Stimme abgegeben. Der Grund für die tiefe Wahlbeteiligung scheint auf den wenig kompetitiven Charakter dieser Wahl zurückzuführen zu sein.
Ich habe auch nicht gewählt – weil ich nicht konnte. Im Frühjahr war der Wahlkampf unter den demokratischen Anwärtern auch als Nichtstaatsbürgerin zu spüren und ich fand es jedes Mal ziemlich traurig, wenn ich den motivierten Kampagnenhelferinnen sagen musste «I can’t vote here». Klar, meine berufliche Situation sieht es nicht vor, dass ich mich hier längerfristig niederlasse, sondern irgendwann mal weiterziehe. Aber gleichzeitig will man sich ja doch zugehörig und zuhause fühlen in der neuen, wenn auch temporären Heimat. Als ziemlich politisierte Person ist mir bewusst, dass die politische Mitsprache auf lokaler Ebene stark dazu beiträgt, ob ich mich an einem Ort heimisch fühle oder nicht.
Die meisten Expats in New York – definiert als Personen, die ausserhalb ihres Heimatlandes leben – sehen sich als mobile, temporäre Besucher und interessieren sich nicht stark für die Lokalpolitik, da die sie kaum betrifft. Das finde ich schade und irgendwie auch etwas absurd. Ich wäre gerne näher an den lokalpolitischen Diskussionen und auch ohne Wahlrecht wäre es toll, bei einigen Fragen mitzudiskutieren.
Umgekehrt profitiere ich regelmässig von der gut organisierten Zustellung meiner Schweizer Wahlunterlagen und gehöre zu den aktiv wählenden Auslandschweizerinnen. Dabei muss ich aber gestehen, dass mir zunehmend ein wenig der lebendige politische Austausch zu den Wahlthemen fehlt. Ich bin zwar täglich mit der Schweiz in Kontakt, aber ab und zu macht sich doch eine gewisse Distanz bemerkbar. Und so finde ich mich manchmal etwas zwischen den Welten, was die politische Mitsprache angeht.
Eric Adams steht vor einer ganzen Reihe an Herausforderungen, da die grösste Stadt des Landes mit den anhaltenden Folgen der Pandemie zu kämpfen hat, darunter eine prekäre und ungleiche wirtschaftliche Erholung und anhaltende Bedenken hinsichtlich der Kriminalität, Polizeireform und der Qualität des Stadtlebens, die alle von starken politischen Meinungsverschiedenheiten geprägt sind.
Ich bin gespannt zu sehen, wie der 110. Bürgermeister diese Herausforderungen ab dem ersten Januar angehen und wie sich die politische Situation im Land generell weiter entwickeln wird. Eins ist klar: New York und Olten stehen ganz oben auf meiner Liste, was politische Updates angeht.
*Anna-Lena Schluchter (31) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit zwei Jahren in New York, wo sie als Peacebuilding Officer für die UNO arbeitet.
Eine der schönsten von Bert Brechts «Geschichten von Herrn Keuner» ist auch eine der kürzesten, nämlich «Das Wiedersehen»:
Ein Mann, der Herr K. lange nicht gesehen hatte, begrüsste ihn mit den Worten: «Sie haben sich gar nicht verändert.» «Oh!» sagte Herr K. und erbleichte.
Eigentlich ist das eine Oltner Geschichte. Käme ein ausgewanderter Oltner nach vielen Jahren in seine Heimatstadt zurück, müsste er feststellen, dass sich hier in der langen Zwischenzeit viel weniger verändert hat als im übrigen Mittelland, das er durchs Zugfenster wie eine Terra incognita entsetzt wahrnahm. Beim genaueren Erkunden erfreut ihn dann die Fachhochschule und die autofreie Kirchgasse; er muss dann aber hören, dass da ohne die Impulse des Kantons Solothurn nichts anders geworden wäre. Es mag sein, dass er sich im Flügelrad oder im Galicia einigermassen versöhnt vom traumatischen Rundgang durch Olten Südwest kuriert.
1983 bis 2001 habe ich das Oltner Kunstmuseum geleitet. Dass das Oltner Kunstmuseum mit den grossen Museen nicht konkurrieren kann, war mir immer bewusst. Das konnte kein Grund sein, dringliche bauliche Veränderungen nicht anzustreben. Das Haus war und ist nicht behindertengerecht; es fehlte und fehlt ein Lift, es mangelte und mangelt an Räumen für die Kunstpädagogik, die Depoträume waren und sind prekär. Kaum hatte ich mein Büro bezogen, sprach der Architekt Roland Wälchli vor, der Pläne mitbrachte für einen unterirdischen Ausbau und einen Liftturm auf dem Areal hinter dem Museum. Ein gutes Dutzend andere Vorschläge habe ich in den Folgejahren zu sehen bekommen und ins Stadthaus weitergeleitet. Herr Keuner, Sie haben sich gar nicht verändert …
Bekanntlich ist das Bessere der Feind des Guten. Die Veränderungsresistenz allein der Oltner Stadtregierung und -verwaltung anzulasten, wäre zu einfach. Natürlich hat sie sich soweit ich zurückschauen kann, nur engagiert, wo es dringend nötig war. Das Gemeindeparlament hat im gleichen Mass versagt, tat sein Möglichstes, den Feind des Guten vehement zu bekämpfen. (Vom Hörensagen tönts ein bisschen anders: Es waren nicht die Parlamentarierinnen, welche die Lösung «Natur- und Kunstmuseum-Verbund» verworfen haben; sie wurden quasi vor nackte Tatsachen gestellt und hatten die Möglichkeit, den Daumen rauf- oder runterzubewegen. Er ging hoch mit dem Zusatz eines Kostendachs. Viel mehr konnten sie gar nicht mehr unternehmen.)
Jedenfalls wurde die naheliegende und einfachste Lösung, das Kunstmuseum mit dem ehemaligen Naturmuseum zu verbinden, verworfen und ein Anbau ans Naturmuseum favorisiert. Ohalätz; da ragt künftig gemäss Wettbewerbsresultat ein Neubau etwa dreizehn Meter weit in den Platz der Begegnung, der nach jahrelanger Ödnis unterdessen tatsächlich zu einem Anziehungspunkt geworden ist, und in den Munzingerparkplatz vor. Da müssen Baumriesen und Parkplätze geopfert werden, da werden also verschiedene Interessen tangiert! Die beschwichtigenden Worte der Architektinnen sind Augenwischerei. Spätestens, wenn die Baugespanne aufgerichtet sind, werden die (eingeplanten) Konflikte ausbrechen.
Architekt Klaus Schmuziger äussert sich in einem Gespräch mit mir vorsichtig optimistisch zum Resultat des Wettbewerbs. Er meint:
Vielleicht ist beim Variantenentscheid und der Vorbereitung des Raumprogramms zu sehr auf einen starren und einengenden Perimeter mit dem Anbau selbst gesetzt worden. Die zurückhaltend inspirierenden Projektentwürfe zeigen das jedenfalls. Die Verfasser begnügten sich mit dem, was vom Auslober erwartet wurde, passten sich den Vorstellungen an.
Das präsentierte Siegerprojekt ist architektonisch sehr gut und gerechterweise als Gewinner einstimmig bestätigt worden. Das Modell und eine eher verhaltene Perspektive verraten aber gewisse Ungereimtheiten bezüglich des Kontexts. Der Munzingerplatz nämlich, wie auch dessen westliches Ende, der Platz der Begegnung, verbleiben als Stadträume in ihrer Art wie seit Generationen weiterhin unklar gefasst und werden so ihrer möglichen künftigen Bedeutung kaum gerecht.
Die Chance, mit dem Verdichten des Baublocks gegen den Munzingerplatz – diesem zusammenhängenden Ensemble – mehr Gewicht zu verleihen und so den Charakter des Hinterhofes (immerhin war dieses Areal von 1812 bis 1861 der städtische Friedhof) definitiv zu überwinden, ihm mehr Würde zu geben, ist nun bei der Überarbeitung zu ergreifen. Aus städtebaulicher Sicht sollte der Erweiterungsbau eben nicht als Rückseite, als Anbau, als unselbständiges Element, sondern als «die lesbare Adresse» präsentiert werden. Insbesondere auch als eigentliches Gegenüber des vor kurzem umgebauten Haus der Museen.
Es gäbe Lösungsansätze wie zum Beispiel die Trennung des Haupt- und des Erweiterungsbaus mit einem Zwischenraum in Form eines schmalen Lichthofes. So würde die Erweiterung des Museums massstäblicher und transparenter gegenüber innen wie auch zur arg tangierten Wangener Vorstadt erscheinen. Der Struktur der Innenstadt mit einem Gleichgewicht aus Baumasse und komplementär dazu gestalteten, öffentlich begehbaren Aussenräumen, insbesondere dem nun erwachsen werdenden Munzingerplatz als Ganzes, würde es guttun.
*Peter Killer (*1945 in Zürich) arbeitete als Volksschullehrer, Redaktor bei der Kulturzeitschrift «Du», Kunstkritiker beim Zürcher «Tages-Anzeiger», 18 Jahre als Kurator des Kunstmuseums Olten, Kleinbauer, Dozent an den Hochschulen für Kunst in Bern und Zürich. Organisator und Leiter von circa 150 Kulturreisen in ganz Europa. Zahlreiche Buchveröffentlichungen und Kataloge zur Schweizer Kunst. Lebt in Olten und Almens GR.
*Klaus Schmuziger (*1949 in Olten), Studium der Architektur an der ETH Zürich (Aldo Rossi) und ein Semester Accademia di Belle Arti in Florenz. Eigenes Büro seit 1978, Neugestaltung Stadtbibliothek 1993, Feuerwehrmagazin mit Stadtarchiv 2002 und Werkhof 2008. Arbeitsgemeinschaft mit Jürg Stäuble, Architekt BSA, Solothurn. Diverse städtebauliche Studien in Olten.
Anders als Basel, Genf oder Zürich hat die Mitte heute keine «Innovationscluster», die in den nächsten Jahrzehnten selbstverständlich zu immer neuen Leuchttürmen führen würden. Gesucht sind deshalb Ideen, die wirklich neu sind und sich ohne bestehende IT-, Talent- und Finanzierungsinfrastruktur realisieren lassen. Als Gastgeberin könnte die Mitte künftig ihre geographische Lage besser ausspielen und in ihren Hotels, Co-Working-Büros, leerstehenden SBB-Lagern und Parks zukunftsgerichtete Denk-, Vernetzungs- und Programmierungsarbeit ermöglichen. Die Pandemiemonate zeigten, dass wir uns auch in einer digitalisierten Arbeitswelt nach analogen Denkräumen sehnen, wo wir auf spannende Köpfe und Gedanken treffen. Im zweiten Leuchtturm, der hier für die Mitte vorgeschlagen wird, kommen in den thematisch aufgeladenen Räumen der Mitte Menschen aus der ganzen Schweiz zusammen, um am Thema der Interoperabilität zu arbeiten.
Netzwerke miteinander verbinden
Warum aber sind solche Netzwerk-Brücken für unsere Zukunft überhaupt wichtig? Seit vielen Jahren hiess die Zukunft zu gestalten, Netzwerken zu bauen. Sie umspannen nun den gesamten Planeten und sind kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. Die Eisenbahnen, die Autobahnen, die Briefträgerinnen und natürlich alle unsere Plattformen im Digitalen – vom E-Banking bis zu den sozialen Medien. Viele dieser Netzwerke setzen auf Abgeschlossenheit. Wer nicht zahlt (Netflix) oder die persönlichen Daten nicht zur Verfügung stellt (Facebook), erhält keinen Zugang. Doch genau diese Abgeschlossenheit wird nun zum Problem. Erstens möchten wir digital umziehen können, wenn eine Plattform böse wird oder einem Datenskandal zum Opfer fällt. Wir möchten unsere Kontakte, Bilder und sogar Erinnerungen zu einem anderen Anbieter wechseln. Und zweitens scheint erst die Vernetzung der Netzwerke es zu ermöglichen, deren ökologischen und ökonomischen Potenziale für die Gesellschaft nutzbar zu machen.
Logistik
Ein für die Umwelt zentraler Anwendungsfall ist die Interoperabilität der Logistik. Konkret geht es um die Frage, wie wir als Gesellschaft die von Flugzeugen, Autos, Lastwagen und Velokurieren absolvierten Fahrten besser auslasten können. Hintergrund bilden die vielen Leerfahrten. Ein Lastwagen fährt vollgepackt von A nach B, aber ohne Last zurück. Im Kleinen zeigt sich das Problem, wenn wir für den Wochenendeinkauf mit leerem Auto zum Sälipark fahren. Im Grossen fahren je nach Expertin 20 bis 40 Prozent der Lastwagen leer herum. Interoperabilität verlangt, dass die Logistikanbieter kooperieren, um die Lastwagen zu füllen. Die Verbindung von Kapazitäten führt heute zwingend über ein IT-System. Für die Mitte könnte das bedeuten, an der Fachhochschule Nordwestschweiz ein entsprechendes Institut zu gründen. Oder die Mitte wird gar zu einem Umschlagplatz werden, um leere Container und Kofferräume zu füllen. Wir alle könnten unsere freien Sitzplätze und Kofferräume anderen zur Verfügung stellen.
Banken
Ein zweiter Bereich, wo wir mehr Brücken zwischen unseren Netzwerken möchten, ist unser Geld. Bis heute fehlt es auf dem Smartphone an einer Lösung, um alle unsere Bankkonten auf einer einzigen Plattform zusammenzuziehen. Immer mehr Bürgerinnen der Mitte haben nicht nur eine Bankbeziehung. Dazu kommen vermehrt Konten bei Kryptowährungsbörsen, um mit Bitcoins und Co. zu handeln. Bei dieser Vielfalt an Finanzanbietern geht der Überblick über unsere Ersparnisse und Finanzrisiken verloren. Dasselbe gilt für unsere Vorsorge. Wir haben kaum eine Ahnung, was wir auf unseren zweiten und dritten Säulen gespart haben und mit welchen Renten wir rechnen können, wenn wir einmal nicht mehr arbeiten. Für die Mitte hiesse der Bau einer Metabank in ihren Laboren, Fachhochschulen und Think-Tanks, eine Art digitaler Staubsauger zu errichten, der die Daten auf unseren unterschiedlichsten Konten zusammenzieht. Mit der Alternativen Bank gibt es in Olten bereits ein Institut mit viel Finanzwissen.
Die Mitte – was meine ich damit? Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.
Die diesjährige Vergabe des Youth & Digital Award 2021 ist auf die Zukunft ausgerichtet. Von den Teilnehmenden gefragt sind Gedanken und Zukunftsvisionen zur Künstlichen Intelligenz. Egal ob als Film, in der Form eines Prototyps, einer Zeichnung, einer Präsentation oder einer Geschichte oder auf irgendeine Art – Hauptsache ist, dass die Eingabe digital, nicht abgeschrieben und wirklich innovativ und smart ist. Allerdings muss die Arbeit noch nicht vollständig umgesetzt sein, es geht primär darum, die Ideen zu beschreiben. Die Bewerbungen, die bis am 31. Oktober per E-Mail an info@digitalday-olten.ch einzureichen sind, werden in zwei Altersgruppen bewertet: Für 6- bis 12-Jährige sowie für die 13- bis 18-Jährigen. Die Award-Verleihung findet am Mittwoch, 10. November, anlässlich der “Diginight” statt.
Ein “Virtual Homework Buddy”
Der “Youth MAKEathon” richtet sich an Schülerinnen und Schüler von 12 bis 17 Jahren, die interessiert sind daran, ihre Hausaufgaben künftig auf eine neue Art zu erledigen. Während des ganzen Samstags, 6. November, von 10 bis 19.30 Uhr, wird ein virtueller Assistent, ein “Virtual Homework Buddy”, entwickelt, der zwar nicht die Hausaufgaben vollständig übernimmt, aber das Arbeiten attraktiver macht und die Jugendlichen unterstützt; sei es beispielsweise beim Lernen von Vokabeln, beim Lösen von Mathematikaufgaben, beim Konjugieren von Verben oder beim Auswendiglernen von Hauptstädten. Dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz sind kaum Grenzen gesetzt – der ”Youth MAKEathon” zeigt nicht nur deren Möglichkeiten auf, sondern gibt gleich die Möglichkeit zur praktischen Umsetzung. Interessierte können sich anmelden über die Website www.makeathonfhnw.ch/youth.
Fünf Tage im Zeichen der Digitalisierung
Der zweite Digitaltag Olten umfasst ein Programm von insgesamt fünf Tagen: Am Wochenende vom 6./7. November findet in der Fachhochschule Nordwestschweiz der “MAKEathon” statt. Der Montag, 8. November, steht im Zeichen von Workshops. Am Dienstag, 9. November, trifft man sich zur “Diginspiration” im Kulturzentrum Schützi. Schliesslich kann man am Mittwoch, 10. Dezember, auf der “Digitour” Einblick in verschiedenste Firmen und deren Digitalisierungsprojekte nehmen und am Abend bei der “Diginight” die Digitaltage ausklingen lassen.
Das finalisierte Budget 2022 basiert auf einem Steuerfuss von 121% und schliesst mit einem Ertragsüberschuss von CHF 996‘000 ab.
In diversen Bereichen ist ein Kostenanstieg zu verzeichnen, welcher den wirtschaftlichen als auch den dekretierten Einflüssen geschuldet ist. Der betriebliche Aufwand liegt bei CHF 30‘566‘100. Das sind frankenmässig rund CHF 400‘000 mehr als gemäss Vorjahresbudget. Mit Ausnahme der Materiellen Hilfe, ist nicht anzunehmen, dass die Corona-Pandemie das Budget wirtschaftlich erheblich beeinflussen wird. Der betriebliche Aufwand beinhaltet sowohl Personal-, Sach- und übrigen Betriebsaufwand, wie auch Abschreibungen und die Transferaufwände (Zahlungen an den Kanton, andere Gemeinwesen, eigene Werke usw.). Parallel zu der Entwicklung des Betriebsaufwands, erhöht sich auch der betriebliche Ertrag auf CHF 30‘565‘600. Das Budget 2022 zeigt also eine Steigerung des Ertrags um rund CHF 700‘000 gegenüber dem Vorjahresbudget und beinhaltet den Fiskalertrag, die Entgelte sowie die Transfererträge. Beim Steuerertrag wird nicht davon ausgegangen, dass COVID-19 noch erheblich Einfluss auf die zu erwartenden Zahlen ausüben wird.
Hinweise zum operativen Ergebnis und zur Selbstfinanzierung
Das operative Ergebnis von CHF 996‘000 entspricht dem Resultat aus Ergebnis aus betrieblicher Tätigkeit (CHF -500) plus Finanzierungsergebnis (CHF 996‘500). Diese Kenngrösse dient als langfristiges Mass zur Steuerung des Gemeindefinanzhaushaltes und Sicherstellung des Haushaltsgleichgewichts.
Die Selbstfinanzierung liegt gemäss Budget 2022 mit CHF 3,25 Mio. und einem Nettoinvestitionsbedarf von CHF 9,55 Mio. bei rund 34%. Die Nettoinvestitionen können somit im Umfang von nur rund einem Drittel durch eigene Mittel finanziert werden, was weitere Fremdfinanzierungen notwendig macht.
Das wiederum führt zu einer Erhöhung der Nettoverschuldung und folglich zu einer Erhöhung der Pro-Kopf-Verschuldung auf CHF 3‘463 pro Einwohner. Im Gemeindevergleich muss dieser Wert zwar beobachtet, aber nicht als besorgniserregend erachtet werden. Es ist die langfristige Landmarke des Gemeinderats Aarburg, die Nettoverschuldung auf eine tragbare Grösse von CHF 2‘500 pro Einwohner zu reduzieren. Dies ist nicht immer ein leichtes Unterfangen. Im Hinblick auf das erhebliche, zukünftige Investitionsvolumen wird die Pro-Kopf-Verschuldung bis 2026 zwangsläufig zunehmen und sich nach einer Hochphase ab 2027 wieder reduzieren. Das erreichbare Ziel von Gemeinderat und Verwaltung ist, die kantonal tragbare Grösse anzustreben, zu unterbieten und – wenn es die äusseren Einflüsse zulassen – auch zu halten.
Operatives Ergebnis enthält Wertberichtigung
Das vorliegende Ergebnis ist mit Vorsicht zu geniessen, da dieses eine Wertberichtigung der Liegenschaften im Finanzvermögen von CHF 634‘700 beinhaltet. Gemäss HRM2 muss alle 4 Jahre eine Überprüfung derselben und/oder, sofern notwendig, eine entsprechende Wertberichtigung vorgenommen werden. Diese hat rein buchhalterischen Charakter und
„verschönert“ am Beispiel der Gemeinde Aarburg das Ergebnis ohne liquiditätswirksamen Einfluss. Letztmals wurden 2018 entsprechende Wertberichtigungen vorgenommen.
Erklärtes Ziel „Schuldenabbau“ bleibt auf Kurs
Der Gemeinderat ist sich einig, dass ein positives Ergebnis (Ertragsüberschuss) zur Schuldentilgung verwendet wird. Aufgrund der Dringlichkeit anstehender Investitionen (Investitionsstau) und des dazu notwendigen Mittelbedarfs, ist dieser Vorsatz mittelfristig nicht immer sicherzustellen. Es ist allerdings nachvollziehbar und üblich, dass es hier zu jährlichen Schwankungen kommen kann. Das erklärte Ziel „Schuldenabbau“ wird aber, trotz Seitenblick auf langfristige und erhebliche Investitionen, weiterhin gradlinig verfolgt.
Einfluss der Steuerreform auf den Fiskalertrag
Die Gesetzesvorlage „Erhöhung des Pauschalabzuges für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen“ führt in Zukunft zu einem Rückgang des Einkommenssteuerertrags natürlicher Personen und senkt diesen um zirka 2 %. Es ist stark davon auszugehen, dass diese Vorlage angenommen wird. Die mutmasslichen Auswirkungen wurden deshalb im Budget abgebildet.
Bewusst nicht berücksichtigt sind allfällige Mindereinnahmen im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform. Obwohl diese Gesetzesvorlage mit jener der natürlichen Personen gekoppelt ist, haben sich Gemeinderat und Verwaltung gegen eine Aufnahme der möglichen Auswirkungen ins Budget entschieden.
Materielle Hilfe weniger stark zunehmend als weitgehend prognostiziert
Die budgetierte Materielle Hilfe liegt um CHF 450‘000 unter dem Vorjahresbudget und rund CHF 800’000 über den Zahlen gemäss Rechnung 2020.
Gemäss SKOS-Prognose wird davon ausgegangen, dass die Corona-Pandemie mit einem Zuwachs von bis zu 28 % gegenüber dem Rechnungsjahr 2020 Einfluss auf die Zahlen 2022 haben wird. Der Gemeinderat Aarburg beruft sich zwar auf die SKOS-Prognose, sieht die Angelegenheit aber optimistischer und budgetiert mit einer Zunahme an Materieller Hilfe von 20 %.
Ob und wie die Ausgaben zunehmen werden ist nicht absehbar. Bislang sind die mediengestreuten wirtschaftlichen Schreckensszenarien in Bezug auf das Zusammenspiel von COVID-19 und der Materiellen Hilfe glücklicherweise nicht eingetroffen.
Sparpaket 2019 – 2021 im Budget 2022 inkludiert
Mehrfach wurde öffentlich darüber berichtet, dass Gemeinderat und Verwaltung mit viel Engagement und in guter Zusammenarbeit ein Sparpaket erarbeitet haben. Das Sparpaket hatte und hat zum Ziel, den ungebundenen Anteil an den gebundenen Ausgaben nachhaltig zu reduzieren. Der Massnahmenkatalog „Sparpaket 2019 – 2021“ wurde an der Einwohnergemeindeversammlung vom 21.06.2019 detailliert vorgestellt.
Das geschnürte Paket beinhaltet Massnahmen im Umfang von CHF 629‘500, wovon bislang rund 70 % nachhaltig umgesetzt sind. Dies zeigt sich auch in den guten Jahresergebnissen der letzten zwei Jahre und wird sich anhaltend auf die zukünftigen Ergebnisse auswirken. Die Realisierung der noch nicht umgesetzten Massnahmen ist in Arbeit oder kann aufgrund gesetzlicher Einschränkungen nicht erfolgen. Es besteht ein aktives Controlling, welches die Einhaltung und die Umsetzung der beschlossenen Massnahmen laufend überprüft. Zu den erfolgreich realisierten Sparbemühungen gehören Massnahmen wie die gezielte Ablösung von kostspieligen Darlehen durch kostengünstigere Varianten (Einsparung bislang rund CHF 76‘000), Vertragsneuverhandlungen und Abschluss neuer Dienstleistungskonditionen mit dem Rechenzentrum der Gemeinde Aarburg (Einsparung ab Mai 2021 rund CHF 23‘000 pro Jahr), einer Pensenreduktion in der SVA-Zweigstelle, was zu einer Halbierung der Personalkosten, nicht aber zu einem Dienstleistungsabbau, geführt hat (Einsparung seit April 2020 tatsächlich rund CHF 27‘000 pro Jahr) und viele kleine aber nachhaltige Sparerfolge, welche zwar einzeln nicht restlos bezifferbar sind, sich aber in der Gesamtheit in den Hunderttausenden bewegen.
Budget 2022 Ortsbürgergemeinde
Das Budget der Ortsbürgergemeinde schliesst mit einem Ertragsüberschuss von
total CHF 1‘800 ab. Mit der Zuführung des Ertragsüberschusses in die kumulierten Ergebnisse der Vorjahre erhöht sich das Eigenkapital.
Beide Budgets 2022 (EG und OG) können auf www.aarburg.ch unter der Rubrik „Verwaltung/Veröffentlichungen/Publikationen“ heruntergeladen werden.
Start MidnightSports Saison 2021/2022
Am 23.10.2021 startet die neue MidnightSports Saison in Aarburg. Die Veranstaltungen finden jeweils in der Turnhalle „Paradiesli“ statt. Die Saison dauert bis zum 30.04.2022. Insgesamt sind 22 Samstag-Abende in der Turnhalle reserviert, mit einer Pause über Weihnachten und Neujahr.
Das Angebot besteht für Jugendliche die zwischen 12 und 18 Jahre alt sind. Das MidnightSports soll einen Raum bieten um sich sportlich zu betätigen oder auch einfach um Freunde zu treffen. Es werden Mannschaftsspiele wie z.B. Fussball gespielt oder auch andere Aktivitäten wie Parkour oder Trampolin angeboten. Für diejenigen, die einfach da sein möchten um andere zu Treffen oder sich auszutauschen gibt es Töggelikasten, eine Chillecke, sowie einen Kiosk und natürlich darf an einem Samstagabend auch die Musik nicht fehlen.
Das MidnightSports Team besteht aus Jugendlichen Coaches unterschiedlichen Alters sowie zwei Projektleitenden. Die Coaches werden aktiv in die Planung, Umsetzung und Organisation miteinbezogen. Sie betreuen den Kiosk, den Eingang oder sind zuständig für die Musik am Abend. Als nächstes steht der Startschuss am 23.10.2021, sowie ein „Halloween special“ für
den 30.10.2021 an. Die Verantwortlichen freuen uns auf eine spannende, abwechslungsreiche und in Erinnerung bleibende MidnightSports Saison.
Baubewilligungen
An Wyss a + s immo ag für Umbau Mehrfamilienhaus mit Neubau Carport und Projektanpassung, Färbeweg 2; an Verein „aarbig rollt“ für Neubau Pump Track-Anlage, Fährweg (Wiggerspitz); an Einwohnergemeinde Aarburg für Sanierung und Erneuerung Badi Aarburg, Wiggerspitz; an Warteck Invest AG für Überdachungen Balkone und Anbau Kamin, Pilatus- und Sägestrasse; an Konrad Begert für Umbau Dachgeschoss und Ersatz Ölheizung durch Wärmepumpe mittels Erdwärme (Erdsonde), Grabenstrasse 16; an Heinz Bhend für Erneuerung Windfang, Alte Zofingerstrasse 62; an David und Anita Seifert für Umbau und Sanierung MFH, Städtchen 24; an IntegrAare Immobilien AG für Neubau 2 Parkplätze, Kloosmattstrasse 5; an Heinz Hug für Ersatz Ölheizung durch Luft/Wasser-Wärmepumpe mit Ausseneinheit, Hubelweg 8; an Oussama und Sarah Nouaili für Ersatz Ölheizung durch Luft/Wasser-Wärmepumpe mit Ausseneinheit, Nelkenweg 7
Noch 5 Wochen sind im Kunstmuseum die Um- und Neubauprojekte zu sehen. Was da gebaut werden könnte, verändert den Raum «Platz der Begegnung» und Munzingerplatz nicht unwesentlich. Eigentlich wäre der Zeitpunkt für eine schriftliche und mündliche Diskussion gegeben, solange die Alternativprojekte noch zu sehen sind.
Ein Autokauf ist heute der wichtigste Grund, einen Konsumkredit aufzunehmen, und viele Personen sehen aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und Hypothekarkrediten keinen Anlass, Schulden abzubezahlen. Doch auch allzu schmale Einkommen («Working Poor»), gravierende Einbrüche in die Lebensplanung wie Krankheit oder Scheidung sowie der Konsumdruck unter Jugendlichen wie Erwachsenen können zu finanziellen Notlagen führen. Zudem führte die Corona-Krise zu Kurzarbeit oder gar Entlassungen.
Nicht zuwarten bis zur Betreibung
Allzu oft werden Schulden angehäuft, bis Betreibungen drohen und die gesamte Existenz gefährdet ist. Beratungsstellen wie jene der Budget- und Schuldenberatung Aargau – Solothurn werden erst kontaktiert, wenn «es brennt». Dann müssen oft Sanierungspläne mit längeren Laufzeiten erstellt werden, um die Chance auf ein Entkommen aus der Schuldenfalle zu erhöhen.
Um solche Situationen zu vermeiden, bietet die Budget- und Schuldenberatung Aargau – Solothurn ab diesem Donnerstag alle zwei Wochen ein Coaching Café in der Zentralbibliothek Solothurn an. Hier können Betroffene mit Fachpersonen ihre Situation besprechen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen für verfahrene materielle Situationen suchen.
Prävention durch Information
Doch besser, als allzu lange zuzuwarten, ist eine Auseinandersetzung mit den persönlichen finanziellen Verhältnissen, bevor ein Engpass überhaupt erst entsteht. Hier liegt der zweite Ansatzpunkt des neuen Angebots der Budget- und Schuldenberatung: Alterierend mit dem offenen Beratungsangebot rund um Geld und Schulden werden thematische Informationen angeboten, beginnend mit der Wissensvermittlung zur budgetären Planung für die Familiengründung über Beratungsangebote für Eltern von Vier- bis Zehnjährigen zum Thema «Geld in der Familie» bis hin zum Umgang von Jugendlichen mit ihrem Lohn. Weitere Themen sind in Vorbereitung.
Neue Dienstleistung der Zentralbibliothek
Im Zug ihrer neuen Strategie bietet die Zentralbibliothek Solothurn der Budget- und Schuldenberatung Aargau – Solothurn Gastrecht in ihren Räumlichkeiten. Die Veranstaltungen zu Fragen rund um Geld und Schulden entsprechen dem Anliegen der Bibliothek, ihre Türen gemeinwohlorientierten, nicht-kommerziellen Vorhaben zu öffnen. Diese unentgeltliche Veranstaltungsreihe startet am 7. Oktober. Weitere Informationen zu diesen Angeboten: http://zbsolothurn.ch/events.
Der Samstag, 20. November 2021, markiert den Beginn einer neuen Ära für die Jahrtausende alte Bädertradition der Stadt Baden: die Eröffnung des FORTYSEVEN, der ersten Wellness-Therme der Schweiz mit Fokus auf einem ganzheitlichen Wohlbefinden. Seit dem Spatenstich im April 2018 für den Bau des neuen Thermalbades, des Wohn- und Ärztehauses «Residenz 47» sowie der Klinik für Prävention und Rehabilitation im Verenahof-Geviert, hat sich im Badener Bäderquartier viel getan. Nachdem die Badener Bevölkerung die Vollendung des vom internationalen Stararchitekten Mario Botta geplanten imposanten, ockergelben Neubaus aus nächster Nähe beobachten konnte, kann die Bevölkerung anlässlich des Tags der offenen Tür vom Samstag, 20. November 2021, auf einem Rundgang einen ersten Blick hinter die Kulissen der Wellness-Therme FORTYSEVEN werfen. Acht Thermenbecken sowie ein Schwimmbecken, eine grosszügige Saunalandschaft (Textil-Sauna mit Schneeraum, explizite Damen-Sauna und einer klassischen Nacktsauna), elf Spa-Räumlichkeiten, die einmalige audiovisuelle Erlebniswelt Kosmos sowie mehrere Gastronomiebereiche ermöglichen auf 4’500m2 Fläche eine perfekte Auszeit vom Alltag.
Mehr als Thermalbaden
Mit ihrem Fokus auf ganzheitliches Wohlbefinden misst die Wellness-Therme bewusst auch der mentalen Gesundheit einen hohen Stellenwert bei. «Während bei Wellness-Angeboten bisher oft nur die körperliche Erholung im Zentrum stand, gewinnt die mentale Gesundheit in der heute hektischen Zeit immer mehr an Bedeutung», erklärt Nina Suma, Geschäftsführerin der Wellness-Therme FORTYSEVEN. «Daher verstehen wir unter dem Begriff Wellness weit mehr als nur baden und saunieren. FORTYSEVEN ist der perfekte Ort für einen Moment der Entschleunigung.» So kommen die künftigen Thermen-Gäste beim Kauf eines Eintritts immer in den Genuss des gesamten Bade- und Sauna-Angebots und können sich in der gesamten Therme bewegen. Ein Tageseintritt in die Wellness-Therme ist ab CHF 59.- erhältlich, ein Aufenthalt von drei Stunden ab CHF 39.-. Montags bis freitags gibt es einen 3 Stunden-Eintritt bereits für CHF 32.-, der bis zur Mittagszeit gültig ist. Für regelmässige Thermenbesucher:innen wird auch ein Jahresabonnement erhältlich sein.
Ein einzigartiger Kosmos
In der Wellness-Therme FORTYSEVEN ist auch die audiovisuelle Erlebniswelt «Kosmos» Teil des umfangreichen Angebots. Der international bekannte Künstler Boris Blank vom Musikduo Yello hat die Musik eigens dafür komponiert. Die drei Bereiche Makro-, Meso- und Mikrokosmos verhelfen Besucher:innen zu einem beinahe meditativen Entspannungszustand. «Wir sind stolz, dass wir mit dem Kosmos einen wirklich einzigartigen Ort der Erholung und Achtsamkeit schaffen konnten», freut sich Nina Suma.
Für ein abgerundetes Rundum-Wohlfühlpaket konnten auch im Bereich der Körper- und Gesichtsbehandlungen renommierte Partner wie Maria Galland und Ligne St Barth gewonnen werden. Für das kulinarische Wohl sorgt die Thermen-Gastronomie mit gesundem, vitalem Essen und einem vielfältigen Angebot aus vorwiegend lokalen Produkten, die Lebensfreude auf den Teller bringen. Das Aussenbad-Restaurant inklusive Café-Bar mit seinen 78 Plätzen steht allen Gästen offen, die keinen Eintritt in die Wellness-Therme gekauft haben. Auf der neuen Website fortyseven.ch können ab sofort Eintritte und Gutscheine erworben sowie Spa-Behandlungen gebucht werden.
Bevor die Besucher:innen am ersten Betriebstag, dem Sonntag, 21. November, dann das erste Mal im am stärksten mineralisierten Thermalwasser der Schweiz baden können, wird die Eröffnung der Wellness-Therme FORTYSEVEN zusammen mit den Nachbar:innen der Therme sowie mit den Bewohner:innen der Residenz 47 und geladenen Gästen gebührend gefeiert. Details zum Programm am Tag der offenen Tür vom Samstag, 20. November 2021, sowie den geltenden Schutzmassnahmen werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.
Jetzt bleiben noch genau 47 Tage voller Vorfreude!
Detaillierte Informationen zum Angebot und den Preisen gibt es ab sofort auf fortyseven.ch.
Über die ThermalBaden AG:
Sie ist die Betriebsgesellschaft der Wellness-Therme FORTYSEVEN mit Sitz in Baden. Vorsitz des Verwaltungsrates der Aktiengesellschaft, welche in 100% Besitz der Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden ist, hat René Kamer. Die Geschäftsführung obliegt Nina Suma, welche seit November 2019 in ihrer Funktion amtet.
Über die Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden:
Die 1957 gegründete Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden bezweckt den gemeinnützigen Betrieb von Rehabilitationskliniken, Ambulatorien und weiteren der Gesundheit und dem Wohlergehen dienenden Institutionen und Einrichtungen. Des Weiteren setzt sie sich für die Förderung der Kurorte Bad Zurzach und Baden ein. Zur Stiftungsgruppe gehören unter anderem die ZURZACH Care Gruppe, das Weiterbildungszentrum RehaStudy und Gastronomie-Betriebe, die Thermalbäder in Bad Zurzach und Bad Säckingen/D sowie die sich im Bau befindende Wellness-Therme FORTYSEVEN in Baden.
Jason Sudeikis als Ted Lasso in der gleichnamigen Serie (2021)
Ted Lasso, der amerikanische American-Football-Coach, der eine englische Fussballmannschaft trainiert, ist die Serienfigur der Stunde. Apple TV hat kürzlich die zweite Staffel der gleichnamigen Serie («Ted Lasso») geschaltet und hofft, damit den riesigen Rückstand auf Netflix wieder ein Stück verkleinern zu können.
Wahrscheinlich können sie bei Apple TV selbst nicht fassen, dass ihnen ausgerechnet mit Ted Lasso ein kleiner Welthit gelungen ist. Dieser durch und durch liebenswürdige Schnauzträger, fern von jeder Ironie und immer für einen saftigen Spruch im breitesten Kansas-Dialekt gut. Ted Lasso antwortet auf simple Fragen nicht mit simplen Antworten wie «Yes», er sagt lieber absurde Dinge wie «Exactamundo, Dikembe Motumbo» und nervt dabei nicht mal. Er trainiert also eine englische Fussballmannschaft in der Premier League, obwohl er keine Ahnung von Fussball hat. Irgendwann wird dann auch klar, wieso er das tut, aber eigentlich ist das Nebensache. Hauptsache, wir amüsieren uns, die Pandemie ist weit weg und Ted Lasso verbreitet gute Stimmung und die Geschichte um AFC Richmond, so heisst sein Team, plätschert fröhlich vor sich hin – hin und wieder arg überzeichnet, dann wieder mitten aus dem Leben und wirklich lustig. Jason Sudeikis hat dafür einen Golden Globe als bester Serien-Schauspieler gewonnen. Seine Figur Ted Lasso taucht mittlerweile in Meditations-Apps auf («Die Ted-Lasso-Challenge: So kultivieren Sie Ihre Herzensgüte»), und das Internet ist voll mit Best of Ted Lasso-Quotes. Wie hat er das geschafft? «Weniger Ironie, mehr Wärme», titelte «Das Magazin» kürzlich treffend in einer Kolumne. Wir sollten alle ein bisschen mehr Ted Lasso sein. Hilft auch gegen Pandemie-Wut.
2. «Das Kollegialitätsprinzip, das im Artikel 12 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes festgehalten ist, bedingt, dass die im Rahmen der Bundesratssitzungen geführten Diskussionen vertraulich bleiben und nicht an Dritte kommuniziert werden – im gleichen Geiste kommentiert der Bundesrat keine Äusserungen eines seiner Mitglieder in der Öffentlichkeit.»
Bundespräsident Guy Parmelin auf die neun Fragen der SP-Fraktion, wie der Gesamtbundesrat zu SVP-Bundesrat Ueli Maurers Aussagen an einer Rede in Wald ZH steht.
Nein, liebe Oltnerinnen, Ueli Maurer war nicht in Olten. Auch wenn es im Video so aussieht. Drei Tannen im Wappen gibt es auch anderswo. Nämlich in der zürcherischen Gemeinde Wald. Oder in Langnau im Emmental. Beide Gemeinden haben aber kein Stadtrecht, weshalb doch nur die Oltner Dreitannenstädter sind. Aber darum geht’s hier nicht. Hier geht’s um die bemerkenswerte Reaktion eines Bundesrats auf die bemerkenswerte Aktion eines anderen. Maurer war also in Wald und spielte dort Donald Trump. In einem Stall, nebenan grasen die Kühe, legen die Hühner Eier, und Magistrat Mauer schimpft eine Tirade gegen die Wissenschaft, gegen die Elite, gegen «all die Massnahmen, die in Bern beschlossen werden», gegen den machthungrigen Bundesrat (sic!), der in der Krise versagt, gegen die Medien natürlich.
Nun gibt es in der Schweizer Regierung das Kollegialitätsprinzip. Dass sich Ueli Maurer damit schwertut, ist nichts Neues. Dass er es ad absurdum führt, schon eher. Wirklich interessant finde ich aber die Reaktion des Gesamtbundesrats in Form einer Stellungnahme von Guy Parmelin. Die SP hatte im Rahmen der Fragestunde des Nationalrats neun Fragen eingereicht. Und als Antwort diesen einen Satz oben erhalten. Ist das jetzt eine unglaublich elegante Antwort, weil Parmelin nicht den gleichen Fehler wie sein Parteikollege machen will, nämlich das Kollegialitätsprinzip zu brechen? Oder ist es schlicht schweizerisch rückgratlos, im Sinn von: Wen interessieren politische und gesellschaftliche Werte, wenn wir Geld oder Diplomatie sprechen lassen können? Oder ist das Kollegialitätsprinzip einfach nicht mehr zeitgemäss und am Ende Maurer der Gewinner der Geschichte? Eindeutige Antworten gibt es selten, aber ich hoffe, in der Dreitannenstadt hat die neue Regierung in solchen Fragen etwas mehr Eier.
3. «Er machte halt das Maul auf und schwafelte los, egal bei welcher Gelegenheit, und so eben auch bei seiner Anfeuerungsrede auf der Ellipse am 6. Januar, einfach, um Raum und Zeit zu füllen, im ewig wiederholten Rückgriff auf seine Standardgedanken.»
Buchautor Michael Wolff in seinem neuen Trump-Buch «77 Tage»
Apropos Donald Trump: Das Jahr, das sich langsam schon wieder dem ersten Weihnachtsschmuck nähert, begann ja mit dem Sturm aufs Capitol, der das definitive Ende der irren Regentschaft von Trump einläuten sollte. Er war zu weit gegangen, Trump kassierte sein zweites Impeachment. Und wurde bekanntlich wieder freigesprochen. Nun sagt der amerikanische Starjournalist Michael Wolff, der mit «77 Tage» schon sein drittes Buch über Trump veröffentlicht und sich dabei nicht als Freund des abgewählten Präsidenten hervorgetan hat: zu Recht freigesprochen. Man könne Trump nämlich nicht vorwerfen, dass er diesen Angriff geplant habe. Denn das würde ja die Fähigkeit voraussetzen, Ursache und Wirkung aufeinander zu beziehen, «die Logik eines Plans zu entwickeln, und niemand, der Trump kannte oder für ihn gearbeitet hatte, schrieb ihm diese Fähigkeit zu.» Wolff kennt sehr viele Leute in Washington, das sind dann manchmal etwas viele Namen auf den 410 Seiten, aber die Lektüre gibt faszinierende Einblicke und macht deutlich: Während der Trump-Amtszeit war im Weissen Haus tatsächlich alles noch viel schlimmer als gemeint. Und etwas war noch schlimmer als Trump selbst: der stets betrunkene und furzende Rudy Giuliani.
Akronym-Bandname des schottischen Musikers Tom Bauchop
Ich bin im Spotify-Loop gefangen. Obwohl mir mehr oder weniger die ganze Musik der Welt auf meinem kleinen Telefon zur Verfügung steht, fällt es mir zunehmend schwer, neue Musik zu finden, die mich packt. Obwohl mir (und ganz vielen anderen) der Spotify-Algorithmus zweimal die Woche eine neue personalisierte Liste präsentiert, immer montags («Mix der Woche») und freitags («Release Radar»). Obwohl ich viel Musik höre. Ich weiss nicht, woran das liegt, aber ich glaube nicht, dass heute schlechtere Musik gemacht wird als vor 15 Jahren. Ich glaube, Spotify ist mitschuldig, und Shuffle, die aufregende Funktion von einst, ist zur ungeduldigen Achtlosigkeit verkommen. Ein Song hat 15 Sekunden Zeit, sich zu beweisen, sonst next, Jetzt-alles-sofort-Mentalität, eine Milliarde andere wartet auf ihre Chance und fast alle erfahren dann das gleiche Schicksal: next. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt auch beim Musikhören. Das Album als Gesamtkunstwerk, wie bitte? Nächster Interpret, nächster Song, nächstes Genre, next. Alles verschwimmt ineinander zu einer grellen Menge, als würde jeder Song gleichzeitig spielen. Ich könnte schreien vor Sehnsucht nach Stille. Wie schwer wiegen alle Spotify-Songs der Welt zusammen?
Doch dann, hie und da, magische Momente: Hörliebe auf den ersten Bass, ein Lied packt mich, schenkt Energie und Emotion. Zum Beispiel «Here on my own» von U.n.p.o.c. Ich könnte mitschreien. U.n.p.o.c. steht für «unable to navigate, probably on course», wie auf der fantastisch banalen Website zu lesen ist. Unfähig zu navigieren, wie ich auf Spotify. Wahrscheinlich trotzdem auf Kurs? Ich nehme mir vor, wieder mehr ganze Alben zu hören. Das kann man ja auch auf Spotify.
* Pierre Hagmann war erster Chefredaktor von KOLT, stammt aus Olten und blickt heute von Bern auf die schöne, komische Welt.
«Der Hochmuth seinen Meister fand die Herrenburg vom Boden schwand Es schuf zu ewigem Bestand das Volk sein freies Vaterland»
Wer zum ersten Mal über den Oltner Klosterplatz auf die ehemalige Ringmauer zugeht, staunt über die Bildgewalt an der Fassade von Gebäude Nummer 5. Eingerahmt von blauen und goldenen Ornamenten und stilisiertem griechischen Säulenschmuck spielt sich auf einem auffällig bunten Fresko Dramatisches ab: Soeben hat ein Ritter die Alte Brücke in Olten passiert, als sein Schimmel scheut und ein Blitz vom Himmel herunterfährt. Selbst sein Harnisch schützt den Grafen nicht. Es ist «der letzte Frohburger», so tut es eine von einer Ziege und einem Äffchen entrollte Banderole kund, der da von der Naturgewalt erschlagen wird. Im Vordergrund trägt derweil eine Frau in einem Arm ein Kleinkind und hebt die andere Hand zum Schwur. Der zitierte Spruch nimmt Bezug auf den Oltner Gründungsmythos, an deren Ursprung das Adelsgeschlecht der Frohburger gestanden haben soll. Der unglücklich Getroffene war, der Sage nach, 1367 der Letzte seiner Art.
80 Prozent sind Stammgäste
Seit bald 120 Jahren prangt das Wandgemälde am Rand der Altstadt. Angebracht wurde es im Hinblick auf das kantonale Schützenfest von 1905 durch den Luzerner Kunstmaler Emil Kniep im Auftrag des damaligen Besitzers Werner Lang. Dieser hatte 1901 die Witwe Josephina Bürgi-Berger geheiratet und kam so in den Besitz der Trinkstube, die vormals Baselbieter hiess und dann in Rathskeller umgetauft wurde – wobei das Wirtshaus unter diesem Namen kaum jemandem geläufig ist. Bekannt ist es allenthalben als «Chöbu», wie ein Kübel in der hiesigen Mundart unweit des Aargauischen und Luzernischen heisst.
Der eingangs erwähnte Freiheitsbegriff wohnt dem Ort und seiner Besitzerfamilie noch immer inne. Vor dem Buffet mit den eingelassenen Solothurner- und Oltnerwappen sitzt der Urenkel von Werner Lang mit dem Rücken zum Tresen auf einem mit Schnitzereien verzierten Holzstuhl und erzählt von der reichen Geschichte des Lokals. Von den eigenen Biermünzen, mit denen die Gäste einst bezahlten, von der Falltür hinter der Theke, durch die man in den Keller stieg, um den hier gekelterten Wein aus Fässern zu zapfen, von den gläsernen, personalisierten Halbliterkrügen mit Zinndeckeln, in denen das Bier serviert wurde – eben den «Kübeln».
Plötzlich springt der Mann auf und eilt davon. Trotz seiner mächtigen Statur, die dem Bild eines klassischen Gastronomen alle Ehre macht, ist Roger Lang im Nu von der Gaststube hinter den Tresen geschlüpft und nimmt drei Teller in Empfang, die der Koch durch eine kleine Öffnung in der Wand reicht. Ohne hinzuschauen hat der Chef registriert, dass Servierkraft Fränzi gerade anderswo im Lokal beschäftigt ist. Schliesslich sollen die Hamburger heiss serviert werden. Sie sind die Spezialität des Hauses, der «Signature Dish», wie Roger Lang mit Kaugummi im Mundwinkel und angehaucht-amerikanischem Akzent wohl sagen würde. Für diese Mahlzeit ist der Chöbu weit herum bekannt, dafür macht ein Gast aus Basel alle zwei Wochen einen Abstecher in die Oltner Altstadt. 80 Prozent hier sind Stammgäste. Es ist nicht das letzte Mal während des Gesprächs, dass Roger Lang selber anpackt. Einmal nimmt er hinter dem Buffet das Telefon entgegen, ein anderes Mal serviert er die Hamburger. Sich auf den Stabellen zurückzulehnen, den schmucken Bauernstühlen, ist seine Sache nicht. «Die Präsenzzeiten sind lang und mit einem Familienleben nur schwer zu vereinbaren», sagt der Vater einer 19-jährigen Tochter. «Wer das Gefühl hat, er könne hier von 8 bis 17 Uhr arbeiten, ist in der Gastronomie am falschen Ort.» Inzwischen sitzt er nach dem Feierabend aber nur noch selten lange fest. «Für so etwas bin ich zu alt.»
Die typische Oltner Mischung
Wer in Olten Wurzeln geschlagen hat, der kennt den Chöbu und den kennt Roger Lang. Zum Beispiel Benno Mattarel, Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei auf der anderen Seite der Holzbrücke. Seit über 50 Jahren geht der elegante Herr mit dem weissen Schnauz und dem gelbem Poschettli im Jackett hier mehrmals pro Woche ein und aus. Sei es für «erspriessliche Gespräche» (und manchmal wohl auch weniger konstruktive Dialoge) beim Feierabendbier am Stammtisch oder, wie an diesem Tag, zum Mittagessen. «Seit meinen Tagen in der Studentenverbindung bin ich hier hängengeblieben», erzählt der 68-Jährige. Drei Generationen Lang habe er miterlebt. Ein Auf und Ab sei es gewesen, nicht ohne Tiefpunkte. Ende der 1960er-, Anfang der 70er-Jahre sei es wirtschaftlich nicht rundgelaufen. «Damit es überhaupt Licht gab, musste man einen Fünfliber einwerfen», erinnert er sich. Als die Eltern von Roger Lang den Betrieb übernommen hatten, ging es aufwärts. «Der Chöbu steht für eine offene Gesellschaft», sagt Mattarel. «So wie Olten, das als Knotenpunkt der Schweiz viele Zugezogene aufgenommen hat. Wer sich anständig verhält, ist am Stammtisch willkommen.»
Dieses Unprätentiöse unterscheide Olten vom elitäreren Solothurn, wo über Jahrhunderte die Patrizier regierten. Hier kämen alle Schichten zusammen, vom Eisenbahner bis zur Ärztin, vom Plattenleger über den Anwalt bis zur pensionierten Unternehmerin. «Eben eine typische Oltner Mischung», beschreibt Mattarel die Klientel im Chöbu. Oder, wie Roger Lang es ausdrückt, «vom Neugeborenen bis zur Scheintoten». Hier verkehrten alle Berufsgattungen, Arbeiter wie Bundesräte. «Rote, Gelbe, Schwarze, Grüne», zählt er die historischen und jüngeren politischen Gesinnungen der grössten Stadt im Kanton auf. Dazu kämen diverse Vereine und Fasnachtszünfte. Lange war es etwa die Heimstatt der Stadtschützen. «Bis ich einen verärgert habe», sagt der Patron. Jetzt träfen diese sich anderswo und das sei auch nicht weiter schlimm. Die freimütige Art sei typisch für Roger Lang, den er seit dessen Jugendjahren kenne, sagt Benno Mattarel. Er sei manchmal ein «Polteri», aber im Innersten ein «lieber Cheib», dem seine Stadt am Herzen liege. Und der mit seiner innovativen und zupackenden Art vieles bewegt habe.
Als Knirps in die USA ausgewandert
Beinahe unbeweglich ist im Rathskeller das Interieur; dunkles Täfer, Butzenscheiben, bunt bemalte, historisierende Lampenschirme, dazu an der Wand ein Arsenal mit Dutzenden Pistolen und Gewehren verleihen dem Ort eine rustikale Atmosphäre. Ein bisschen wie in einer Piratenkajüte, nur dass hier statt Freibeuter eben Rathsherren über das Parkett wankten. Auch aufgrund der Innenausstattung fühlen sich im denkmalgeschützten Lokal so viele geborgen. Ein Schmuckstück ist der Kachelofen von 1910. «Die Einrichtung hat sich seit damals kaum verändert», blickt der Eigentümer stolz zurück.
Immerhin gut halb so alt wie der Ofen ist seine eigene Geschichte. Zur Welt kam Roger Lang im Februar 1962 in Luzern. Dorthin waren seine Eltern gezügelt, nachdem im eigenen Restaurant im Basler Bruderholzquartier die Kinderlähmung ausgebrochen war, von der auch seine Mutter Heidi nicht verschont blieb. Als der Bub eineinhalbjährig war, wanderte die Familie in die USA aus. Im texanischen Houston erhielt der Vater die Möglichkeit, ein Hotel zu eröffnen. Dort kam Rogers jüngerer Bruder John zur Welt, mit dem er den Chöbu heute führt. Die beiden Schwestern leben immer noch in den USA.
Gleich beim Hinterausgang des Johnson Space Center, des Kontrollzentrums der US-amerikanischen Weltraumbehörde, besuchte Roger Lang zusammen mit Kindern von NASA-Angestellten die High School. Nicht weit davon entfernt, im «Old Swiss House» seiner Eltern, gingen die Astronauten ein und aus. Langs Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit in Übersee sind höchst lebendig. Er erzählt von der Apollo-Sojus-Mission 1975, als ein US-amerikanisches und ein sowjetisches Raumschiff in der Erdumlaufbahn aneinanderkoppelten und seine Eltern zur Feier des historischen Moments mitten im Kalten Krieg ein Bankett ausrichteten. Über 17 Jahre in den USA, das ist unüberhörbar, haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht bloss im Akzent. Dinge geradeheraus zu benennen und das Pochen auf die individuelle und wirtschaftliche Freiheit sind Eigenschaften, die man Amerikanern gemeinhin zuschreibt, zumindest als Stereotyp.
«Wenn etwas passiert, geht in den Chöbu!»
1979 starb Roger Langs Grossvater Hugo und der texanische Zweig der Familie kehrte zurück, um das Lokal zu übernehmen. Der junge Mann absolvierte die Rekruten- und Unteroffiziersschule, später zog er nach Bern. «Dort verbrachte ich meine schönste Zeit.» Im Schweizerhof und im Bellevue Palace bewirtete er Staatsoberhäupter. «Indira Gandhi zum Beispiel, Prinz Philip von England, viele Angehörige des diplomatischen Korps und natürlich die Bundesräte.» Wenn Hans Hürlimann und Fritz Honegger im Bellevue logierten, bediente er die Magistraten jeweils am Sonntagabend an der Bar. «Sie tranken Sodawasser mit Kirsch und Grenadine und sassen fast wie ganz normale Bürger da.» Das «Kleinräumige, Romantische und Historische» der Schweiz habe ihn fasziniert, schwärmt Lang. Dennoch kehrte er mit dem Diplom der Zürcher Hotelfachschule in der Tasche in die USA zurück, wenn auch nur kurzfristig. Bald erkrankte sein Vater Urs an Krebs, Roger überquerte erneut den Atlantik und liess sich in Olten nieder. Im Aarhof und der damaligen Walliserkanne, dieseine Eltern ebenfalls in Pacht führten, half er aus. Nach dem Tod des Vaters 1992 und der Rückkehr der Mutter aus gesundheitlichen Gründen drei Jahre später in die USA übernahmen die Brüder Roger und John 1996 den Chöbu. Je hälftig teilen sie sich noch immer die Rathskeller Olten AG.
Eine zentrale Rolle spielt die Gaststätte für die Oltner Fasnacht. Bevor die fünfte Jahreszeit jeweils am Donnerstag anbricht, wird der Obernarr im ersten Stock des Chöbu eingekleidet, wo auch das Abendessen mit den Ehrenmitgliedern des FUKO, des lokalen Fasnachtskomitees, stattfindet. So will es die Tradition. Aufbewahrt wird dort auch die Plakettensammlung des Komitees. Verantwortlich für die Kollektion ist Christian Wüthrich. Seit einiger Zeit könne man die Sitzungen zwar nicht mehr hier abhalten. Für das Lokal und dessen Besitzer findet er aber nur gute Worte. «Roger Lang pflegt manchmal einen etwas rauen Umgangston. Aber sein Herz schlägt für unsere Stadt und für die Menschen, die in ihr unterwegs sind.» Wüthrich erwähnt den Weihnachtsmarkt im Garten des Kapuzinerklosters, das Neujahrsapéro und weitere öffentliche Anlässe, die Lang initiiert habe. Manchmal sei er ein Draufgänger, wolle fast mehr, als in dieser Stadt möglich sei. Dennoch könne man stets auf ihn zählen. Wie gross das Vertrauen zu Lang ist, verdeutlicht eine Anekdote aus der Zeit, als Wüthrichs Kinder noch klein waren. «Ist etwas passiert und ich konnte nicht gleich zur Stelle sein, war der Chöbu für sie die erste Anlaufstelle. Das Personal nahm die Kinder in Empfang, sie assen einen Hamburger, später erhielt ich die Rechnung. Ich wusste: Im Chöbu sind meine Kinder gut aufgehoben.» Der Ort gebe ihm das Gefühl, zu Hause zu sein, sagt Christian Wüthrich. Das sehen offenbar auch viele von Langs Angestellten so. Der Küchenchef arbeitet seit 26 Jahren hier, der Sous-Chef seit rund 10 Jahren, ebenso Fränzi, die Servierkraft. Der Rathskeller, sagt Wüthrich, schafft in Olten soziale Bindungen.
Frontalkritik an den Behörden
Diese Funktion hat in jüngster Zeit gelitten. Sei es während der bundesrätlich verordneten Schliessung der Restaurants im vergangenen Winter, sei es aufgrund der Trennwände aus Plexiglas, die in der Gaststube stehen und ihr den trauten Charme rauben. Ein «Seich» sei das, findet Roger Lang, selbst wenn er dank Härtefallgeldern und Kurzarbeit die Krise besser bewältigt habe als erwartet. Er habe grossen Respekt vor dem Virus, ein Verwandter sei daran gestorben, Bekannte litten unter den Spätfolgen. Doch statt Covid-Zertifikate einzuführen – sie schaffen seines Erachtens in einem «freien Land wie der Schweiz eine Zweiklassengesellschaft» – müsse man «viel rigoroser die Grenzen kontrollieren oder gleich ganz schliessen». Lang graut davor, dass die Anzahl Gäste pro Tische wieder beschränkt werden könnte. Denn wer den Chöbu besucht, ist gezwungen, sich an den Achter- oder Zehnertafeln dazuzusetzen und gegebenenfalls mit Unbekannten zu diskutieren. Intimsphäre muss man woanders suchen.
Roger Lang verhehlt nicht seine Kritik an der Landesregierung. Aber auch die kantonalen und lokalen Behörden verschont er nicht. «Ich sitze nicht aufs Maul. Ich sage den Leuten direkt, was ich denke. Was sie damit anfangen, ist dann ihre Sache.» Ein sehr gutes Verhältnis gepflegt habe er zu Ex-Stadtpräsident Martin Wey, dessen Amtsführung er insgesamt ein gutes Zeugnis attestiert. Schlechter weg kommen führende Köpfe in den Jahren zuvor. Am mangelnden politischen Willen habe es damals gelegen, dass das Velodrome, eine Radrennbahn mit internationaler Ausstrahlung, heute in Grenchen statt im Entwicklungsgebiet Olten SüdWest steht. Ebenfalls zu wenig die Zeichen der Zeit erkannt habe man beim Niedergang des Energiekonzerns Alpiq, der 2009 aus der Atel und der Energie Ouest Suisse hervorgegangen war und jahrelang Millionen in die Stadtkasse lieferte. Die Verantwortlichen hätten zu spät auf die gravierenden Finanzprobleme der Stadt reagiert. Dies stellte später auch die städtische Geschäftsprüfungskommission fest.
Und wie schätzt er den Platz Olten als Wirtschaftsstandort ein? «Dazu sage ich lieber nichts», sagt Lang, macht eine kurze Pause – und holt dann doch aus. Den politischen Linksrutsch im Stadtrat, der sich seit einigen Jahren vollzieht und bei den jüngsten Wahlen im Frühling akzentuiert hat, goutiert er nicht. Olten sei weniger sicher und schmutzig geworden, insbesondere seit 2016 die Stadtpolizei abgeschafft wurde. Er verweist auf die Randständigen vor der Stadtkirche, über deren Situation er als Mitglied des Kirchgemeinderats der christkatholischen Kirche Bescheid wisse, auf rasende Velofahrer in der Altstadt, auf die «missglückte» Attraktivierung der Kirchgasse, die vor einigen Jahren vom motorisierten Verkehr befreit wurde. Dass führende Verwaltungsposten zunehmend mit Personen ohne Lokalbezug besetzt würden, gereiche Olten nicht zum Vorteil. «Früher war der Zusammenhalt im Stadthaus besser», mutmasst Lang. Der 59-Jährige scheint Bescheid zu wissen über die Vorgänge in der Stadt. Manchmal, so erzählen Beobachter, gehe er durch die Gassen und zähle die Gäste bei der Konkurrenz. Will er mit seinem Wissen und Engagement nicht in die Politik gehen? Roger Lang weicht zurück. «Auf keinen Fall.» Entweder sei man Beizer oder Politiker. Beides zusammen vertrage sich nicht.
«Er soll mir den Zins zahlen, dann bin ich zufrieden»
Wobei diese Überzeugung den Weg in die Politik nicht verbarrikadieren würde. Denn Beizer wird er in absehbarer Zeit nicht mehr sein. Das Ende der Ära Lang im Chöbu naht. «Ich möchte nicht als 65-Jähriger hier sitzen und mir überlegen müssen, wie es mit dem Lokal weitergeht.» Eine Nachfolge habe er in Aussicht, diese gelte es sukzessive einzuarbeiten. Um seine Tochter handle es sich dabei nicht. Sie werde sich allenfalls um Langs wachsendes Immobilienbusiness kümmern. Vor einigen Jahren kaufte er das benachbarte «Hotel Taverne zum Kreuz», dazu besitzt er weitere Liegenschaften, unter anderem etwas weiter oben in der Altstadt ein Haus, das er demnächst umbauen will. Wird Roger Lang, der diesen Ort so lange im Griff hatte, sich tatsächlich zurückziehen und seinen Nachfolger gewähren lassen? Daran hegt er keinen Zweifel. «Er soll mir den Zins bezahlen, dann bin ich zufrieden. Als Gast könnte ich den Chöbu ja weiterhin besuchen.» Und am Stammtisch seine Meinung sagen.
Ganz verschwinden werden Langs dennoch nicht von der Bildfläche. Wer den Chöbu durch den Südausgang auf die Fröscheweid hinaus verlässt und auf der anderen Seite der Ringmauer hochblickt, sieht ein weiteres Fresko von Emil Kniep. Es steht jenem auf dem Klosterplatz punkto Farbpalette in nichts nach. Dargestellt ist der «Auszug der Oltner in den Bauernkrieg 1653». Interessanterweise zeigen die Porträts der mit Hellebarden und dem Dreitannen-Banner bewehrten Leute aber nicht Zeitgenossen aus der Frühen Neuzeit, die damals bis aufs Blut für mehr wirtschaftliche Freiheit und politische Teilhabe kämpften, sondern Oltner Bürger im Jahr 1905. Der Knabe zuunterst ist Hugo Lang, an der Hand hält ihn sein Onkel, der Möbelhändler Jules Lang. Abgebildet sind ebenfalls Hugos Vater Werner und Mutter Josephina in der Oltnertracht, dahinter Grossvater Julius Lang, Grossvater Berger mütterlicherseits sowie Architekt Walter Belart, der 1902/1903 die Liegenschaft umbaute. Zuhinterst ist Hugos Urgrossvater als Metzgermeister dargestellt. Die Familientradition, sie lebt an der Fassade des Chöbu weiter.
Philipp Künzli rahmt gerade die letzten Fotos für seine Ausstellung «Cultural Relevance» im ehemaligen Atelier des Oltner Fotografen Werner Rubin. Durch die milchglasige Fensterfront, die dem Raum den Charme eines Pariser Altstadt-Loft verleiht, züngeln die letzten Strahlen der Oltner Mittagssonne. Der leicht süssliche Duft von frisch aufgetragener Wandfarbe liegt in der Luft. Künzli ist der erste Künstler, der im «RiO – Raum in Olten» seine Werke ausstellen darf.
Philipp Künzli, wie hast du die letzten anderthalb Jahre erlebt?
Als in Berlin lebender Filmschaffender war ich selber auch von den Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen. Von einem Tag auf den andern wurde entschieden, welche Berufe in Deutschland systemrelevant sind und welche nicht. Kitas waren fortan nur noch für Familien mit systemrelevanten Berufen zugänglich. Kulturschaffende wie meine Frau Anna Bucher und ich gehörten nicht dazu. Für uns hiess das, jemand musste die Familie ernähren und jemand für unseren 3-jährigen Sohn Janosch schauen.
Nach kurzer Zeit erhielt meine Frau einen Job als Art Direktorin bei einer Netflix-Produktion. Von da an war eigentlich klar, dass ich die nächsten elf Monate auf den Kleinen schauen werde. Finanziell half uns neben der Netflix-Produktion auch der Solothurner «Preis für Film», den ich letzten Herbst erhalten habe. Von daher hatten wir wirklich Glück.
Du wurdest von einem Tag auf den anderen als «nicht systemrelevant» abgestempelt. Was hat das mit dir gemacht?
Der Begriff an sich war nicht entscheidend. Aber ich hatte schon sehr Angst, was jetzt passiert. Kontakte, die ich über Jahre aufgebaut hatte, konnte ich plötzlich nicht mehr pflegen. So kam es auch, dass zwei Projekte, bei denen sich etwas entwickelte, einfach hops gegangen sind. Das hat dann schon zu einer extremen Unsicherheit geführt. Als freischaffende Künstler sind wir ja in der privilegierten Situation, dass wir unsere grosse Leidenschaft im Beruf ausüben dürfen. Unsere Arbeit ist immer auch eine Art Identifikation. Plötzlich nicht mehr arbeiten zu dürfen, hat mir dann auch meine Identifikation genommen. Damit hatte ich schon sehr Mühe. Dennoch hat sich mit der Zeit ein gewisser Fatalismus entwickelt und man sagt sich selber, dass alles gut kommt, und man versucht tapfer zu sein.
Hat dir «Cultural Relevance» auch geholfen, diese Zeit zu verarbeiten?
Zum einen gab mir diese Katharsis die Möglichkeit, herauszufinden, was ich wirklich will. Gleichzeitig kehrte auch nie wirklich Ruhe ein, weil ein kleines Kind natürlich viel Aufmerksamkeit braucht. So kam es, dass ich tagsüber Daddy war und am Abend von halb neun bis zehn Uhr Gespräche mit Kulturschaffenden führte.
Die Arbeit an «Cultural Relevance» hatte insofern etwas Heilendes, dass ich gesehen habe, dass es eigentlich allen gleich ergangen ist.
Mir ist bewusst, dass das auch etwas Klagen auf hohem Niveau ist. Ich habe immerhin die Möglichkeit, meiner Leidenschaft nachzugehen, aber viele Familien haben keine Eltern, die sich schnell zweieinhalb Wochen Zeit nehmen können, um auf den Enkel aufzupassen.
Du hast vorhin die Identifikation mit der Arbeit angesprochen. Kehrte diese in den letzten Wochen vor der kommenden Vernissage wieder etwas zurück?
Diese Möglichkeit gab mir tatsächlich etwas das Gefühl, dass diese Identifikation wieder zurückkommt. Das war wirklich super. Dennoch: Ohne meine Schwiegermutter, die nach Berlin gereist ist, um während dieser Zeit auf unseren Sohn zu schauen, wäre all das gar nicht möglich gewesen.
Sah der erste Sommer nach Ausbruch der Pandemie ähnlich aus für dich?
Es war schon auch eine Möglichkeit, um mal durchzuatmen und nicht ständig dem Druck ausgesetzt zu sein. Natürlich hatte ich im Gegensatz zu Beat Schlatter und Lisa Christ immer noch den Kleinen an der Seite, der mich täglich auf Trab hielt, dennoch hatte der Sommer 2020 auch für mich etwas sehr Befreiendes.
Welche Parallelen zwischen den Porträtierten und dir sind dir bei den Gesprächen aufgefallen?
Die grosse Auseinandersetzung mit der Pandemie und was jetzt aus einem wird mit all den existenziellen Fragen wie «Wer braucht denn meine Kunst überhaupt?» habe ich bei vielen Kulturschaffenden wie auch bei mir selber gefunden. Die Schwierigkeiten werden momentan etwas verdrängt. Wenn ich Kolleg:innen versuche telefonisch zu erreichen, sind viele in Proben oder grad anderweitig beschäftigt. Während ich für diese Ausstellung gearbeitet habe, habe ich auch gemerkt, dass wir eigentlich ein Verdrängungstier sind. Wir verdrängen die schwierigen Erlebnisse, wo man dachte «what the fuck?». Als Entschädigung für diese Momente laben wir uns an der Freude der Leute an unserer Kunst.
Was bedeutet für dich «Cultural Relevance»?
«Cultural Relevance» ist ja eigentlich ein Wortspiel in Anlehnung an den Begriff Systemrelevanz, den ich wahnsinnig anstrengend finde. Mir fehlt bei dem Begriff der Dialog über den Stellenwert von Kunst und Kultur. Systemrelevanz ist definiert durch ein kapitalistisches System, in dem grosse Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, in denen Künstler florieren können. Dabei sollte man doch über Gesellschaftssysteme diskutieren, die künstlerische Entfaltung auch ausserhalb davon ermöglichen.
Ich wollte mit «Cultural Relevance» einen Schritt weitergehen und fragte mich: «Was ist die Relevanz für die Kulturschaffenden?». So ist der Begriff eigentlich entstanden.
«Ich wünsche mir vielmehr einen gesellschaftlichen Dialog darüber, was und wohin wir als Gesellschaft wollen.»
Wenn du einen Wunsch frei hättest, was wäre das?
In meinen Gesprächen kam oft der Satz auf: «Kunst und Kultur sind systemrelevant». Ich würde jetzt nicht per se so weit gehen. Es kommt darauf an, von welchem System man ausgeht. Ich wünsche mir vielmehr einen gesellschaftlichen Dialog darüber, was und wohin wir als Gesellschaft wollen. Vielleicht drückt grad der Sozi bei mir ein bisschen durch. Wir hatten jetzt anderthalb Jahre Zeit für eine Reflexion. Ist dieses ständige Vorantreiben tatsächlich das, was uns guttut? Ich bin mir nicht sicher.
Worauf freust du dich am meisten an der Vernissage?
Schauspielerin Milva Stark und Kabarettist Diego Valsecci werden die erste Folge ihres Podcasts «Neulich bei den Schauspielers» vortragen. Dabei nehmen sie den Blick von heute und reisen zurück in die Zeit zu Beginn des Lockdowns mit all seiner Naivität. Das wird sehr lustig und darauf freue ich mich.
«Cultural Relevance»: vom 10. September bis 13. November im RiO / Mokka Rubin
Egal, ob Frohheim, Hübeli, Chübeli (Schule für Hamburger-Köche), Fachhochschule oder die Metzgerausbildungsstätte Beef-ang – Olten hat eine hohe Schulhausdichte (was nicht heisst, dass hier Lehrpersonen oft betrunken sind). Videokolumnist und Klassenfünftbester Kilian Ziegler bietet einen Überblick über die hiesige Schullandschaft und zeigt nie dagewesene Einsichten in Kuchenverkäufe, Teacher-idoos und Guet-Gmacht-Chläberli.
Der Labor Day gilt in den USA allgemein als Ende des Sommers, die Ferienkolonien leeren sich, die Kinder müssen zurück in die Schule und die Reichen kommen von ihren Sommerhäusern in den Hamptons zurück. Klar, auch anderswo assoziiert man Weiss mit Sommer, aber diese ganz harte Deadline für den saisonalen Garderobenwechsel schien mir doch etwas extrem – zumal es oft bis Mitte Oktober sommerlich warm ist und der Indian Sommer (oder bei uns: Altweibersommer) doch jetzt gerade erst anfängt. Etwas verunsichert beobachtete ich letztes Jahr die Outfits der New Yorker ab Anfang September und tatsächlich: Nur ganz wenige wagten noch den weissen Auftritt.
Ein Jahr ist rum und es ist wieder Labor Day. Ans Ende des Sommers will ich gar nicht denken (vor allem, weil ich einen Grossteil davon in der Schweiz verbracht hatte), aber letzte Woche riss ich nochmals alle weissen Kleider aus dem Schrank.
An absurden Kleidungsvorschriften mangelt es tatsächlich nicht in den USA, wie die immer grösser diskutierten frauenfeindlichen Vorfälle von aufgrund «unangemessener» Kleidung suspendierter Schülerinnen zeigen. Die Labor-Day-Regel scheint gesellschaftlich weniger mit Sexismus als mit Pragmatismus und sehr wohl Standesdünkel zu tun zu haben. Eine der gängigsten Erklärungen ist, dass es schon seit Jahrhunderten üblich ist, im Sommer Weiss zu tragen, da weisse Kleidung kühler hält. Im oftmals regnerischen Herbst aber wollten die New Yorker das Risiko nicht eingehen, ihre weisse Kleidung mit Schlamm und Schmutz zu verdrecken. Im frühen 20. Jahrhundert reflektierten Hochglanzmagazine wie Vogue und Harper’s Bazaar diese Gepflogenheit.
Die meisten Historikerinnen sind sich aber einig, dass es bei dieser wie auch anderen Regeln eher darum ging, den sozialen Status zu markieren. Denn im frühen 20. Jahrhundert war weisse Kleidung die Wahluniform der gut betuchten Amerikaner, die es sich leisten konnten, über die Sommermonate aus den dreckigen Städten zu fliehen, wo sich der arbeitende Stadtpöbel grundsätzlich dunkel kleidete. Weisse Kleidung verkörperte Freizeit, Urlaub und Wohlstand. Am Ende des Sommers jeweils symbolisierte der pünktliche Wechsel zu dunkleren Herbsttönen die Rückkehr in die Stadt und die urbane Gesellschaft.
In den 50ern, so die Theorie, hatte die wachsende Mittelschicht die Sitte übernommen. Zusammen mit einer Reihe an weiteren Insider-Etikettenregeln wurde die «No White After Labor Day»-Regel zu einem Bollwerk der alteingesessenen Eliten gegenüber den sozialen Aufsteigern.
Seit jeher gab es aber natürlich Leute, die diese Regel ignorierten. Nicht nur Coco Chanel trug bereits in den 20er-Jahren das ganze Jahr über Weiss, Elvis rockte seine legendären weissen Anzüge auch nach September, Michelle Obama tanzte im tiefsten Winter in ihrem berühmten weissen Kleid auf den Eröffnungsbällen nach der Wahl ihres Mannes und die feierlichen weissen Outfits vieler Politikerinnen in Anlehnung an die Suffragettenbewegung haben eine wichtige Tragweite.
Kleidung und Kleidungsregeln sind politisch – aber vielleicht nicht immer nur eindeutig zu verstehen. Ich werde auf jeden Fall nicht bis zum 30. Mai 2022 warten, um meine weissen Kleider wieder zu tragen. Dann ist nämlich Memorial Day, ein weiterer amerikanischer Feiertag und laut ungeschriebenen Regeln der Beginn des Sommers und somit der Startschuss für die weisse Saisongarderobe.
*Anna-Lena Schluchter (31) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit zwei Jahren in New York, wo sie als Peacebuilding Officer für die UNO arbeitet.
“Charles! Look here! Look what our friend the postman has brought today!” If you ever need pieces of paper waved in your face, Boxer’s the one to call. “Boxer! You’re positively overworking that postman. Are you trying to keep him away from your cousin Mina?” “No, no. He said it was no extra effort going from your letterbox to mine. Really, Charles, you exaggerate.” “So, what did he bring this time, eh?” “Something rather intriguing, I would say. And I need your knowledge to help figure it out.”
“I’m waiting, Boxer. Shall I read it for you?”
“No!” He pulled the paper back from my reach. “I am perfectly capable of reading it. Although the handwriting is rather loopy. It says –
“Boxer! You bought that house? I thought you were renting.”
“Please be quiet, Charles. It is all part of the story I am telling you. Listen –
“No, Charles, not what you are thinking.”
“Confident enough, Charles, not to give me her address or telephone number.”
Boxer waited silently for my reaction. I was trying not to laugh.
“Well, Charles? Say something!”
“Preposterous! I came here ten years ago and never saw any old Italian gentleman. He must have been kept well hidden. And as for a housekeeper or niece, I really couldn’t say. What did you do, buy all the contents of the house as well?”
“It went all as one lot at the auction. Some attempt had been made at clearing it out, but there was still enough left that I could move in right away.”
“And the desk?”
“Is still there. I think it was probably too big to get it out of the door. It must have been built right in the room itself. You have not seen it? Let us go over to look at it.”
“This house was rented for the last few years, I know, Boxer. Students, I think. Sort of a commune.”
“Hippies?”
“Ha ha! There aren’t hippies anymore, Boxer. No, but they might have used drugs. Lots of people of all ages coming and going. Used to fly propaganda banners from the balcony. Then about six months before you came here, they all got evicted.”
“Ah! Charles, that explains the smell. So — here is the desk. I have not yet looked too carefully at it. Wait, I shall turn on a lamp. Beautiful, I must say!”
“The top – it’s all parquetry!”
“Marquetry, Charles. There is a difference. Yes, each of these larger squares has been made from smaller pieces, and they from yet even smaller pieces. The squares are fitted in so well with all the curves matching, you do not even see the — Wait! Look here.”
“What is it?”
“This square just at the back corner – here. Is it put in wrong? Or is it just the light? The wood pattern does not quite match. You see?”
“Ah, yes. It must have got loose at one time and fallen out. Then someone put it back wrong. Still, it’s a nearly perfect fit.”
“So, this is the desk at which our Miss Dora wants to sit to commune with Uncle Vito. Hmm. I wonder. Charles – open that drawer on this side. Take it all the way out. Nothing inside? Good. What do you see behind it?”
“Just the back panel of the desk.”
“Put the drawer on top of the desk. All right. All the way to the front.”
“Boxer!”
“Yes, I see. That wrongly laid square at the back is not covered by the drawer. That is a good, oh, twenty centimetres, I would say. Get that walking stick there in the corner. Measure the space inside. Now the drawer.”
“Boxer!”
“Yes, I know. Give me that letter opener over there. I shall just pry up this square. It is quite tight, but not glued. There! Now, what is underneath? Wood.”
“Boxer!”
“Yes. Now what is it, Charles?”
“Keep going! Pry up the wood underneath. I’ll bet that it’s just another square.”
Surprisingly, Boxer obeyed without a word. He hummed as he worked, getting the letter opener wedged into a crack in the underlying panel. With a deft twist, he popped the lower square out – then stopped.
“Charles, this may be booby-trapped!” I thought he was joking. “No, do not laugh, please, Charles. I have a torch in the kitchen on the shelf. Could you bring it, please?”
To keep silent was hard enough until I got to the kitchen, but then I burst out laughing, trying to disguise the noise from Boxer by scuffling my feet. I brought back the torch. Boxer gingerly shone the lamp into the hole in the desktop, then stuck in one end of the walking stick and rattled it along the sides. No hidden darts, poisoned with curare, sprang out. We both were secretly rather disappointed, I imagine.
Next in went Boxer’s hand. He dramatically pulled up one, two, three, four bars of something wrapped in metal foil. Each was about the size and shape of a large box of toothpaste, or denture adhesive, if that’s your age group.
“They are heavy, Charles – about the weight of a tube of – uh – shaving cream? No, heavier. I had better be careful, eh, my friend?”
“Smell it.”
“Ahh! Oh! Very pungent, like mustard or horseradish. Or cordite.”
He unwrapped a corner and examined the substance. Then he scraped off the tiniest of slivers from the block with the nail of his little finger and tasted it.
“Smash. About as pure as can be, I would say. Must be a kilo of it here. Worth at least, oh, a good — “
“What’s smash, Boxer? A drug? An explosive?”
“It is both, actually. Very, very dangerous.”
“So this is what Dora is really after, do you think?”
“Of course. Yes. Charles – I have an idea. Measure these blocks and weigh them. Then we buy boxes of harissa or anchovy paste or whatever matches in size and weight and shape. We wrap them in metal foil, replace them here, and let Miss Dora think she has tricked us.”
“Meanwhile, we must turn these over to the police, Boxer. Especially if it’s so dangerous. I assume possession of smash is illegal?”
“You are right, Charles, on all counts. So, we have until next Friday. In that time we should check the rest of the desk for other secrets.”
Our plan was to admit Dora into Boxer’s house, whilst I was to hide behind the curtain in the room with the desk. Boxer would leave her alone to await her uncle’s spirit.
As she walked up the front path, I was watching her. I recognised her as one of the tenants of the house before Boxer bought it. I scurried down to my hiding spot. Boxer had told me to expect a slight change in the scenario.
He showed Dora into the study, soundly patting the desk to demonstrate its presence, then he spoke. “Miss Spinelli, I leave you here alone in hopes that your uncle will manifest himself in some way. Be careful, though. The spirits can be deceptive. I shall be in the kitchen when you need to find me. There is the chair.”
The woman did not move until Boxer had shut the door. She did not sit, but went directly to the corner of the desk which had contained the smash. I decided to change the scenario a bit myself. I let out a low, nearly inaudible moan, slowly increasing in volume and pitch. Then I stopped. The woman had been startled and gave a quiet hiccoughing sound. She looked around the room, then returned to her task. Boxer had left the letter opener conveniently within reach, and she used it to pry up the two layers of wood.
She bent her head to the hole, then hesitated. She stuck her hand in, moving her fingers around, making a scrabbling noise. Then she gave a sound of frustration and shock. I moaned again, and at the same time Boxer opened the study door.
“Ah, Miss Spinelli, perhaps you are looking for these?” He held out the four foil-wrapped boxes of dental adhesive. “I found them quite by accident.”
“Give me those! They’re mine!”
“Of course! I meant only to keep them safe for you. I have no idea what they are, but surely they are not mine.”
Boxer gave the woman the four bars, and she put them into her handbag. Then he motioned to me to emerge from where I had been watching her.
“This man has observed that you went directly to the spot where these had been hidden, am I correct, Mr Ross? Yes. Therefore, these must be yours, must belong to you.”
“I – I knew about them from Uncle. That was his message from beyond. Yes, they are mine, because of that. His message was quite clear, you see.”
“Certainly. A clear case of delayed possession. Now, are you leaving without saying goodbye to Uncle Vito? Perhaps he is waiting for you outside.”
The woman looked puzzled but allowed Boxer to show her out. An undercover policeman was waiting to follow her home. I only wish we could have seen her face when she discovered the Kuki-Dent.
“Well, Charles, I suppose the police will need to search the house for any more drug caches now. Still, it is a small price we pay for security and peace of mind. Always keep a clean house, Charles. Always keep a clean house.”
David Pearce ist ein Schweizer Schriftsteller, wohnt seit 2000 in Olten und hat amerikanische, englische und französische Wurzeln. Er schreibt auf Englisch Kurzgeschichten, Romane und Theaterstücke.
Marc Vonlanthen, die Schweizer Städte werden heisser – können wir die nicht einfach alle komplett weiss anmalen, um sie abzukühlen?
Das würde tatsächlich etwas bringen, ein Teil der Hitze würde so zurück in die Atmosphäre geworfen. In Sion hat man hellere Materialien für Bodenbeläge entwickelt, um das zu überprüfen. Dieser Effekt ist bereits messbar bei Flächen, die nur leicht heller sind als andere. Das ist aber nicht überall einfach so machbar.
Welche Massnahmen haben sich denn bisher bewährt im Kampf gegen Hitzeinseln?
Schatten ist absolut entscheidend. Projekte wie die bunten Regenschirme in Olten – hier in Fribourg wurde etwas Ähnliches vorgeschlagen – können etwas bringen, wenn es den ganzen Tag lang heiss ist. Grünflächen sind ebenfalls sehr wichtig. Aber Grün allein reicht nicht, die Qualität zählt. Eine Wiese mit nur wenige Zentimeter tiefem Erdreich bringt wenig.
Warum? Solange da immerhin eine Wiese ist …
Wichtig ist, dass der Boden Wasser aufnehmen kann, dass das Wasser also im Boden bleibt. So kann es verdunsten und die Umgebung abkühlen. Pflastersteine statt Asphalt machen bereits einen Unterschied, weil sie wasserdurchlässiger sind. Auch ein Kiesboden mit Erde darunter ist beispielsweise besser als eine herkömmlich asphaltierte Fläche. Aber für die Stadt ist das natürlich aufwändiger im Unterhalt.
Städte haben oft das Problem, dass der Untergrund verbaut ist, etwa mit Rohren und Leitungen. Bepflanzungen, die einen kühlenden Effekt haben, können dort nicht umgesetzt werden.
Man muss realistisch sein: Nicht überall kann etwas gemacht werden. In Fribourg haben wir die Stadt anhand der Temperatur kartografiert und ein Temperaturmodell entwickelt, das die Hitzesituation bis ins Jahr 2050 simuliert. Dabei haben wir festgestellt, dass hitzemindernde Massnahmen als zusammenhängendes Netz entwickelt werden müssen. Es reicht nicht, nur an einem Ort möglichst viele Bäume zu pflanzen.
Welche Massnahmen eignen sich dafür?
Wenn sich ein Ort nicht für Bäume eignet, kann beispielsweise mit Wasser gearbeitet werden. Es gibt Städte, die kleine Wasserkanäle auf den Strassen angelegt haben. Ein Problem in der Schweiz ist sowieso, dass das Regenwasser generell schnellstmöglich in den Untergrund geleitet wird. Das ist einfach blöd. Wir sollten versuchen, an der Oberfläche etwas aus dem Regenwasser zu machen. Denn in Fribourg haben wir errechnet, dass der klimawandelgetriebene Temperaturanstieg in der Stadt fast doppelt so schnell passiert wie im Durchschnitt auf der Erdoberfläche, also ungefähr 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt statt 0,1.
Eine Zwischenfrage: Warum interessiert die Hitze in den Städten – scheinbar – plötzlich? Auf einmal gebrauchen alle den Ausdruck «Hitzeinsel» völlig selbstverständlich.
Hitzeinseln sind an sich kein neues Phänomen. Bereits in den 1980er-Jahren wurden an der Uni Fribourg Artikel dazu verfasst. Aber der Klimawandel hat die Auswirkungen von Hitze verstärkt. Seit etwa 2010 sehen wir einen klaren Unterschied zu vorher, seither ist es ein öffentliches Thema. Sensibilisiert hatte zudem bereits der Rekordsommer 2004. Damals sind Menschen in der Schweiz gestorben – vor allem in den Städten.
Sie haben einen Klima-Pavillon mitentwickelt, mit dem Sie Technologien zur Abkühlung von Strassen erforschen (siehe unten). Lassen sich die Ergebnisse aus einer nur 36 Quadratmeter grossen Testfläche einfach so heraufskalieren?
Der Pavillon ist natürlich nur ein Prototyp. Er soll Antworten liefern auf Probleme, auf die die Raumplanung immer wieder stösst: Man möchte etwas gegen die Hitze in der Stadt unternehmen, wird dabei aber beispielsweise vom Denkmalschutz eingeschränkt – obwohl der politische Wille eigentlich da wäre. Mit dem Pavillon erforschen wir nicht-invasive Massnahmen zur Abkühlung der Stadt. Bei Temperaturmessungen haben wir teils massive Unterschiede festgestellt: Ausserhalb des Pavillons war es an einem Sommertag schon mal 30, 35 Grad heiss, im Pavillon haben wir dann knapp 20 Grad gemessen.
Wie sähe eine Adaption des Pavillonprojekts auf eine richtige Strasse in der Stadt aus?
Denkbar wären etwa begrünte temporäre Bauten, die nach dem Sommer wieder abgebaut werden. In jeder Stadt gibt es ausserdem einen Haufen Infrastruktur, der nicht genutzt wird, Haltestellendächer etwa. Viele Menschen verbringen viel Zeit an Haltestellen, trotzdem sind sie nicht begrünt. Die Infrastruktur wäre bereits da, es müsste nicht extra noch etwas gebaut werden. Ein anderes Beispiel sind Geländer. Es gibt auch die Idee, Kabel über die Strassen zu spannen und daran entlang Pflanzen wachsen zu lassen.
Reichen solche oberflächlichen Anpassungen, um die Städte nachhaltig abzukühlen?
Wir müssen anfangen, geeignetere Materialien zu verbauen. Nach unseren Simulationen – und im Rahmen der Unsicherheiten – könnten wir mit den richtigen Materialien die Temperatur im Jahr 2050 fast auf dem heutigen Stand halten – zumindest in Fribourg. Dieses Szenario setzt eine massive Begrünung und eine allgemeine Durchlässigkeit des Bodens voraus und hat daher seine eigenen Grenzen. Aber Holz ist beispielsweise viel besser als Stein, weil es viel weniger Hitze speichert. Beton und Stein speichern tagsüber thermische Energie; sobald die Lufttemperatur unter die Temperatur des Materials fällt, also in der Nacht, geben sie sie wieder ab – das führt zu mehr und mehr Tropennächten.
Ist das der Grund, warum Städte heisser sind als das Land?
Ja, den grössten Einfluss haben die verbauten Materialien. Dazu herrscht in Städten schlicht mehr Betrieb: Maschinen, Verbrennungsmotoren, Klimaanlagen – das alles produziert Hitze. Generell hat es auch weniger Grünflächen. Die Geometrie der Stadt spielt ebenfalls eine Rolle: Strassen sollten beispielsweise parallel zu den stärksten Windströmen gebaut werden. So kann der Wind durch die Stadt ziehen und die Hitze wegfegen.
Mehr Grün, mehr Wasser, mehr Durchzug: Die Erkenntnisse, die Ihr Forschungszweig postuliert, scheinen seit Jahren die gleichen zu sein. Geht es für Sie nur noch darum, die richtigen Stakeholder von geeigneten Massnahmen zu überzeugen?
Das ist leider die ganze Geschichte des Klimawandels: Seit 30, 40 Jahren ist klar, was getan werden müsste – aber es wird einfach nicht gemacht. In meinem Forschungszweig gibt es, glaube ich, tatsächlich nicht mehr viel Neues zu entdecken. Einige der Technologien, die wir einsetzten, werden vom Prinzip her bereits seit 2000 Jahren verwendet; die wassergefüllten Keramikbehälter etwa. Was wir aber noch tun können, ist, konkret zu messen, welche Temperaturunterschiede mit welchen Massnahmen wir erreichen können. Je genauer wir argumentieren können, desto einfacher können wir überzeugen. Wir sind dem Klimawandel nicht schutzlos ausgeliefert, mit den richtigen Massnahmen erreichen wir etwas. Aber all das entbindet uns natürlich nicht davon, unsere Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren.
Der 36 Quadratmeter grosse Pavillon «DEMO-MI2» (mobiler Demonstrator zur mikroklimatischen sommerlichen Folgenminderung im Strassenbereich) vereint verschiedene Technologien zur Kühlung der Umgebung: Pflanzen auf dem Dach und an den Seitenwänden, ein Wasserzerstäubungssystem, das bei Temperaturen ab 30 Grad Celsius Wassernebel versprüht, Phasenwechselmaterial, das beim Sichverflüssigen thermische Energie aus der Umgebung entzieht, und mit Wasser gefüllte Keramikkörper, die sich durch Verdunstung abkühlen. Mit dem Pavillon soll erforscht werden, wie Umgebungen abgekühlt werden können, ohne invasiv in die Bausubstanz einzugreifen.
Marc Vonlanthen (41) ist Physiker und Professor an der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg. Er erforscht Hitzeinseln in Städten und entwickelt Technologien, um ihnen entgegenzuwirken. Vonlanthen ist Präsident des Vorstands von Pro Natura Freiburg und Mitglied der SP.
Fahren Sie Velo in Olten? Dann ist Ihre Meinung gefragt! Nehmen Sie sich einige Minuten Zeit und füllen Sie auf www.prixvelo.ch die nationale Umfrage von Pro Velo aus. Beantworten Sie bis spätestens am 30. November Fragen zu Sicherheit, Komfort und Stellenwert des Velos in Olten. Unter den Teilnehmenden werden ein E-Bike im Wert von 5000 Franken und weitere Preise verlost.
Die Ergebnisse der Umfrage werden Olten wichtige Informationen liefern, wo velomässig der Schuh drückt und was es braucht, damit Velofahren angenehmer und sicherer wird und sich mehr Menschen auf das Velo wagen.
Im Frühling 2022 wird Pro Velo auf der Basis dieser Befragung die velofreundlichsten Schweizer Städte und Gemeinden mit dem «Prix Velo Städte» auszeichnen. Pro Velo Schweiz vergibt diese Auszeichnung alle 4 Jahre. Weitere Informationen und Fragebogen unter www.prixvelo.ch.
Bei diesem Anlass handelt es sich um eine mittlerweile zur Tradition gewordene Veranstaltung. «Ziel ist das gemütliche Beisammensein und dass wir gemeinsam gute Gespräche führen dürfen», erwähnte OK-Präsident Franco Giori einleitend. Er warnte eingangs auch, man solle Sorge tragen, «denn Corona ist noch nicht vorbei». Giori begrüsste auch die Neuzuzüger sowie die Vertreterinnen vom «Quartierverein rechtes Aareufer», die das Quartierfest mit einem niederschwelligen dreistelligen Betrag unterstützen, die Anwohnerschaft selbst trug mit einem kleinen Beitrag den Rest der Kosten.
Dass der Anlass beliebt ist, zeigt alleine schon die Teilnehmerzahl: Rund 60 Personen vom Grossvater bis zur Enkelin waren anwesend, zirka 90 Prozent der Quartierbewohnerinnen und -bewohner hatten sich angemeldet. Wie jedes Jahr, trugen sie selbst Speis und Trank zur Veranstaltung bei: Apéro, Grilladen, diverse Salate sowie selbstgemachte Desserts wussten die Gaumen der Anwesenden nebst Mineralwasser und einer guten Flasche Wein zu erfreuen. Und speziell konnte Peter Ernst aus Boningen, der einst an jener Strasse aufgewachsen war, mit seinen «Skelters»-Tretfahrzeugen die Herzen der Jüngsten zu gewinnen. Die Tische und Bänke wiederum hatte der Oltner Werkhof zur Verfügung gestellt.
«Wir freuen uns stets über neue Gesichter und speziell erstmals teilnehmende Familien», meinte Giori, und die Neuzuzügerinnen und -zuzüger bedankten sich herzlich für die unkomplizierte und freundliche Aufnahme in die Reihen der Anwohnerinnen und Anwohner. Es war ein Anlass, der bis in die späten Nachtstunden dauerte und hielt, was der OK-Präsident eingangs als Ziel formuliert hatte: Es war eine gesellige Veranstaltung, an dem die Teilnehmenden spürbar mit grosser Freude nach dem langen, Corona-bedingten «Lockdown» teilnahmen und damit wenigstens wieder ein Stück weit so etwas wie Normalität geniessen durften.
Die Oltner Bevölkerung lehnte in einer Volkabstimmung am 24. März 2019 das Budget 2019 ab – gegen den Willen des Stadtrats und der damaligen Parlamentsmehrheit. Das «Komitee für solide Stadtfinanzen» hatte den Widerstand gegen eine Finanzpolitik koordiniert, welchen Steuern und Verschuldung erhöhen und gleichzeitig die Verwaltung ausbauen wollte.
Aufgeschreckt durch die vom Stadtrat im April 2021 kommunizierten Finanzaussichten hat das «Komitee für solide Stadtfinanzen» seine Arbeiten wieder aufgenommen. Im Komitee engagieren sich Oltnerinnen und Oltner sowie Personen aus den Parteien CVP, GLP, FDP und SVP und aus Wirtschaft und Gewerbe.
Der Stadtrat zeigte in seinen Vorgaben für Budget und Finanzplan, dass die Stadt Olten mit einer ausgabenorientierten Finanzpolitik in kurzer Zeit in eine sehr hohe Verschuldung fällt – trotz geplanten massiven Steuererhöhungen. Es droht sogar eine finanzielle Bevormundung durch den Kanton. Die ausgabenorientierte Finanzpolitik macht Olten im Vergleich zu Nachbarstädten im Mittelland als Lebens-, Arbeits- und Einkaufsort deutlich weniger attraktiv.
Das «Komitee für solide Stadtfinanzen» will eine solche Abwärtsspirale frühzeitig verhindern. Das Komitee fordert den Stadtrat konkret auf, im Budget 2022 und im Finanzplan bis 2028 die Ausgaben nach den vorhandenen Möglichkeiten auszurichten. Eine solche massvolle Politik erfordert eine klare Fokussierung auf Tätigkeiten und Investitionen, welche Olten nachweisbar attraktiver machen. Zusatzausgaben für neue Projekte sind andernorts zu kompensieren. Oder es sind alternative Finanzierungsmodelle anzuwenden, welche die Steuerzahlenden – natürliche und juristische Personen – nicht zusätzlich belasten.
Das Parlament wird im Herbst 2021 über das Budget für 2022 entscheiden (vorbehältlich einer Referendumsabstimmung) und es wird den vom Stadtrat erarbeiteten Finanzplan diskutieren.
Das Gemeindeparlament der Stadt Olten hatte im September 2020 mit 37:0 Stimmen beschlossen, dass das Kunstmuseum an der Kirchgasse bleiben, aber von der stark sanierungsbedürftigen Nummer 8 ins Nachbarhaus Kirchgasse 10, das ehemalige Naturmuseum, wechseln soll. Als Raumbedarf wurden 1600 m2 Nutzfläche definiert. Anfang 2021 wurde in der Folge ein einstufiger Projektwettbewerb nach SIA 142 in einem selektiven Verfahren öffentlich ausgeschrieben. In der ersten Phase konnten sich Teams im Rahmen einer Präqualifikation bewerben, in der sie ihre Eignung für die Bewältigung der Aufgabe nachweisen mussten. Dabei ging es insbesondere um ihre Qualifikation in den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Baumanagement, Gebäudetechnik und Nachhaltigkeit sowie ihre personelle und organisatorische Leistungsfähigkeit.
Wie sich herausgestellt hat, ist die aufgezeigte Aufgabenstellung im Zentrum der Stadt Olten attraktiv: Insgesamt 98 Teams hatten ihre Bewerbung eingereicht, um einen Projektvorschlag auszuarbeiten und einzureichen. Die Palette der internationalen Bewerber reichte von wie Antwerpen über Berlin, Florenz und London bis Sevilla; hinzu kamen sieben Büros mit kantonal-lokalem Bezug, rund ein Dutzend Newcomer und der Rest bewährte Büros verschiedenster Grösse aus der Schweiz.
Alle eingeladenen Büros gaben Projekt ein
Im vergangenen März hatte die eingesetzte Jury 14 Teams ausgelesen, welche bis Mitte Juni einen Wettbewerbsbeitrag eingeben konnten: je zwei Teams aus den Bereichen «Nachwuchs», «kantonal-lokal» und «international» sowie acht weitere Büros aus der Schweiz. Fristgerecht sind von allen eingeladenen Büros Pläne und Modelle mit ganz unterschiedlichen Ansätzen eingereicht worden. Die neun Personen der Jury, zusammengesetzt aus ausgewiesenen Fachleuten als Fachpreisrichterinnen und -richtern sowie Vertretungen der Stadt als Bestellerin, haben diese Woche zusammen mit weiteren Expertinnen und Experten die Beurteilung aufgenommen. In einem ersten Rundgang wurden nach eingehenden Diskussionen zu breitgefächerten Kriterien – unter anderem Städtebau und Architektur, Denkmalpflege, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sowie «Betriebstauglichkeit» – diejenigen Eingaben bestimmt, aus denen kommende Woche in einem zweiten Rundgang das Projekt ausgewählt wird, das zur Umsetzung empfohlen werden soll.
Bereits am kommenden Mittwoch, 25. August, wird das Geheimnis gelüftet. Ab 19.30 Uhr können das Siegerprojekt, aber auch die anderen Wettbewerbseingaben im Kunstmuseum besichtigt werden. Dies im Rahmen der Eröffnung von gleich drei Ausstellungen zum Themenkreis Architektur, Kunst und Fotografie. Neben den Wettbewerbsergebnissen, die bis 19. September (bis 5. September bei freiem Eintritt) zu sehen sein werden, umfassen diese – präsentiert bis 14. November – auch die erste Schweizer Einzelausstellung des Holländers Iwan Baan, eines der weltbesten Architekturfotografen, zum Thema «Momentum of Light» sowie drei raumgreifende Foto-Installationen der Schweizer Meret-Oppenheim-Preisträgerin Daniela Keiser mit dem Titel «London – Being in the Library» – auch dies ein Thema auf dem Platz Olten und vielleicht Inhalt eines nächsten städtischen Projekts…
Medienmitteilung der Stadt Olten vom 18. August 2021
Der Bauzonenplan und das Zonenreglement der Stadt Olten stammen von 2002 resp. 2006 und wurden vom Regierungsrat am 1. Juli 2008 genehmigt. Die Grundlagen wurden 1999 verabschiedet. Damals wurden wichtige Themen wie Abstimmung Siedlung/Verkehr, Innenentwicklung, Umgang mit dem Ortsbild, Freiraum und Klima noch kaum diskutiert. Das Baureglement stammt ebenfalls von 1999. In der aktuellen Fassung bestehen Ungereimtheiten mit den übergeordneten Bestimmungen, daraus können Rechtsunsicherheiten entstehen.
2013 traten die umfassende Teilrevision der kantonalen Bauverordnung (KBV), 2014 die RPG-Revision 1 und 2019 die Richtplanrevision in Kraft. Diese Änderungen machen eine Gesamtrevision des Zonenplans unabdingbar. Der Stadtrat gab deshalb am 26. August 2019 die Auslösung der Projektphase Räumliches Leitbild in Auftrag. Gestützt auf Einladungsverfahren wurden die Planungsarbeiten mit Beschluss des Stadtrates vom 15. Juni 2020 an die Firma Metron Raumentwicklung AG vergeben. Die Erarbeitung erfolgt unter dem Lead der Direktion Bau in Zusammenarbeit mit der Direktion Präsidium.
Die Mitwirkung der weiteren Kreise musste der Pandemie angepasst werden. So wurde eine breit zusammengesetzte Echogruppe eingesetzt. Als Plattform wurden zwei Online-Konferenzen, die erste am 4. November 2020 zu den Grundlagen und Stossrichtungen, die zweite vom 7. April 2021 zum Leitbild-Entwurf durchgeführt. Die Reaktionen und Stellungnahmen zu beiden Sitzungen waren überwiegend zustimmend. Diverse Detailbemerkungen und Hinweise konnten im vorliegenden Entwurf aufgenommen werden.
Weichen für die Zukunft
Das räumliche Leitbild der Stadt Olten stellt die Weichen für die Zukunft. Auf den Horizont von ca. 2045 ausgerichtet, soll es eine breit abgestützte nachhaltige und zukunftsweisende Entwicklung von Siedlung, Mobilität, Landschaft und Umwelt gewährleisten. Es ist nicht eigentümerverbindlich, sondern dient der kommunalen Planungsbehörde als Grundlage für die anstehende Nutzungsplanung sowie für weitere raumrelevante Planungen oder Vorhaben.
Olten wächst weiter. Im Vordergrund steht ein qualitatives Wachstum, das auf die Weiterentwicklung der Stärken und Behebung von Defiziten abstützt. Fünf Leitsätze fassen die generellen räumlichen Entwicklungsziele zusammen:
Generelle Positionierung: Olten ist im Fluss und positioniert sich als wachsendes Zentrum
Siedlungsraum: Olten ist vielfältig und entwickelt sein Stadtbild behutsam weiter
Mobilität: Olten ist beweglich und setzt auf eine stadtverträgliche Mobilität
Freiraum & Landschaft: Olten ist durchgrünt und pflegt seine vielfältigen Lebensräume
Klima: Olten ist dem Klimaschutz verpflichtet und gestaltet seine Entwicklung umweltverträglich
Zu jedem Leitsatz werden räumliche Strategien definiert. Bestimmte Themen und Fokusgebiete werden vertieft behandelt: Hochhäuser / höhere Häuser, Schützenmatt / Stationsstrasse, Neuhard, Bifang, Chlos und die Hauptachsen.
Das Leitbild wird um einen Grundlagenbericht und die Quartiersteckbriefe ergänzt.
Öffentliche Mitwirkung
In § 9 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Solothurn ist festgelegt, dass die Einwohnergemeinden ihrer Bevölkerung Gelegenheit geben, sich zum räumlichen Leitbild zu äussern. In diesem Sinne führt die Stadt Olten vom 23. August bis 30. September 2021 eine öffentliche Mitwirkung durch. Parallel dazu werden die Unterlagen auch für eine Vorprüfung beim Kanton eingereicht.
Da die aktuelle Corona-Situation noch keine physischen Mitwirkungsanlässe im ursprünglich geplanten Sinne erlaubt, wird die Mitwirkung zum Leitbild auf «E-Mitwirkung», einem elektronischen Portal, durchgeführt. Die Plattform bietet vielfältige Möglichkeiten für direkte und gezielte Kommentare und Anträge zum aufgeschalteten Text- und Planmaterial. Für die Organisationen besteht die Möglichkeit zum gemeinsamen Arbeiten an einer Eingabe. Die teilautomatisierte Auswertung bietet sodann Effizienzgewinne in der Nachbearbeitung. Konventionelle schriftliche Eingaben sind aber weiterhin möglich.
Medienberichte, Plakate und Inserate werden während der Mitwirkungsphase auf die Möglichkeit, sich unter www.ortsplanrevision.olten.ch zum räumlichen Leitbild einzubringen, hinweisen. Dort finden sich unter anderem auch Videos, welche einerseits die Nutzung der elektronischen Mitwirkung erklären, anderseits den Inhalt des räumlichen Leitbildes in geraffter Form präsentieren.
Im Anschluss an die Mitwirkung werden deren Ergebnisse und – sobald vorliegend – die Resultate der kantonalen Vorprüfung ausgewertet und das Leitbild entsprechend überarbeitet und allenfalls ergänzt. Parallel dazu wird ein Vorgehenskonzept für die darauffolgende Ortsplanung erstellt. Ziel ist, dem Gemeindeparlament im ersten Halbjahr 2022 das Leitbild und die Vorlage zur Genehmigung des Vorgehens und Planungskredits für die Ortsplanung zu unterbreiten.
Dann folgt Nutzungsplanrevision
Anschliessend beginnt ab Mitte 2022 die Erarbeitung der Grundlagen für die Nutzungsplanrevision. Dabei sind verschiedene themenbezogene Konzepte und gebietsbezogene Masterpläne zu erarbeiten, u.a. ein städtisches Freiraum- und Klimakonzept, ein Parkraumkonzept, ein Hochhauskonzept und ein Bauinventar zur Bestimmung der erhaltenswerten Bauzeugen in der Stadt Olten.
In teilweise parallelen und nachfolgenden Schritten werden die grundeigentümerverbindlichen Nutzungspläne inklusive Bau- und Zonenreglement überarbeitet und die altrechtlichen Gestaltungspläne auf ihre Aktualität hin überprüft. Die Bewilligungs- und allfällige Rechtsmittelverfahren können weitere Jahre in Anspruch nehmen.
Diese Rüebli wachsen bei der Familie Jäissli, bis sie auf dem Gemüsetisch der Marktecke landen. Dort gibt’s unverpackte Rüebli in allen Grössen und Formen – egal, ob (zu) krumm, gross oder klein. Ein Tipp, damit sie schön knackig bleiben: Bewahre die Rüebli in einem angefeuchteten Stoffsack oder Geschirrtuch im Kühlschrank auf.
Öffnungszeiten
Di, Mi und Fr: 9:30 bis 13 Uhr und 14 bis 18:30 Uhr
Do: 9 bis 13 Uhr und 14 bis 19 Uhr, Sa: 9 bis 17 Uhr
Konditionen
10% für alle Kolt-Mitglieder
Gültig bis 28. Februar 2022
Vom Rabatt ausgenommen sind Gutscheine
Der Rabatt ist nicht kumulierbar mit anderen Gutscheinen
Der Rabatt ist ausschliesslich für diese Person gültig, an welche die aktuellste Kolt-Zeitung adressiert ist
Der Rabatt wird nur gewährt gegen Vorweisen der aktuellsten, personalisierten Kolt-Zeitung
Wir treffen uns wieder in Olten! Zum fünften Kolt-Treffen laden wir dich ein, mit uns einen Abend im Zeichen der Mode(-Fotografie) zu verbringen und in geselliger Runde zu kühlen Getränken Schweizer Musik zu lauschen.
Die Plätze sind auf 30 Personen beschränkt. Hast du Lust und Zeit mitzukommen? Melde dich bitte via concierge@kolt.ch an. De schneller esch de gschwinder. Wir freuen uns auf dich! Du darfst gerne auch eine Begleitung anmelden.
FREITAG, 27. August
16.30 Uhr, Treffpunkt Modehaus Bernheim
Dachterrassen-Apéro imModehaus Bernheim und Vortrag von Alain Bernheim zur Geschichte der Mode in Olten in der Filiale an der Kirchgasse.
18.00 Uhr, Kirchgasse
Bei gutem Wetter: Konzert des Wandelbar Festivals auf der Kirchgasse mit der Schweizer Band “Ellas”.
19.00 Uhr, Stadttheater Olten
Fashion-Vorträge des IPFO – International Photo Festival Olten mit dem Fotografen Erik Madigan Heck und der Fotografin Brigitte Lacombe im Oltner Stadttheater.
Die Pedro Lenz Tour mit acht Hörstationen, gesprochen in Mundart und Hochdeutsch, begeistert seit der Eröffnung die Gäste aus Nah und Fern. Nun führt er persönlich an seine Schauplätze! Die Rundgänge finden
um 16.00 Uhr und 17.15 Uhr statt und starten ab dem Stadtturm auf dem Ildefonsplatz.
Abendprogramm mit Patti Basler, Christof Gasser und Kilian Ziegler
Patti Basler tourt als Kabarettistin mit abendfüllendem Programm, hostet und moderiert Shows auf Bühne, im Radio und Fernsehen, schreibt und spricht im ganzen deutschsprachigen Raum. Sie ist Trägerin des Salzburger Stiers 2019 und Preisträgerin des 45. PRIX WALO 2020 in der Sparte Kabarett/Comedy.
Mit «Solothurn trägt Schwarz» erschien im Jahr 2016 Christof Gassers erster Kriminalroman. Sämtliche von Gasser bisher veröffentlichten Titel figurierten in der Kategorie «Taschenbuch» während mehreren Wochen auf den Bestsellerlisten des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes SBVV.
Kilian Ziegler aus Olten gehört zu den erfolgreichsten Slam Poeten der Schweiz. Der Wortakrobat und Kaba-rettist begeistert das Publikum mit unverkennbaren Wortspielen, intelligentem Humor sowie bestechender Bühnenpräsenz. Ziegler wurde 2018 doppelter Poetry-Slam-Schweizermeister.
Weitere Gäste ergänzen das kurzweilige Programm, welches um 19.30 Uhr beginnt und im Oberen Graben in Olten stattfinden wird.
Letzte Plätze jetzt im Vorverkauf
Alle detaillierten Angaben und letzte Plätze zu den öffentlichen Führungen und zum Abendprogramm gibt es auf www.eventfrog.ch oder im Tourist Center.
Entlang der Bahnstrecke Aarau-Olten gibt es so etliche nicht mehr genutzte Industriebauten und Werkstätten. Was, wenn die Mitte diese Reste alter Zeiten nutzen würde, um an der Zukunft zu arbeiten? Sie könnte diese Bauten und Brachen zu Zukunftslaboren umfunktionieren – und für die vorbeifahrenden Passagiere auf Plakaten und mit riesigen QR-Codes illustrieren, woran man gerade tüftelt. Zum Beispiel an Pflanzenzukünften, also an Zukünften, für die und in denen die Pflanzen eine zentrale Rolle spielen. Es handelt sich eigentlich um Retrozukünfte. Angesichts der erwarteten Bevölkerungsexplosion machte man sich bereits in den 1950er Jahren intensiv Gedanken darüber, welche Rolle die Pflanzen und die sie umgebenden Pilze als Textilien, Nahrungsquelle und Grundlage von neuen Medikamenten einst spielen könnten. Freilich wurden diese Zukünfte der Lebensreformerinnen und Botaniker vom viel mächtigeren Atomzeitalter der Physikerinnen überdeckt.
Algen stopfen den Bauch
Die Futuristen der 1950er erkannten das Potenzial der 4000 Algenarten, um die Bäuche einer global wachsenden Bevölkerung zu stopfen. Mit Chlorella, einer Gattung von Süsswasseralgen, erhoffte man sich, – gerade im Vergleich zur Sojabohne – zahlreiche Menschen ernähren und dabei noch viel mehr Proteine ernten zu können. Denn Algen wachsen zehnmal schneller als andere Nutzpflanzen, zudem binden sie dreimal so viel CO2. Die Mitte könnte also in, auf und unter ihren leerstehenden Fabrik- und Werkstattgebäuden riesige Algentanks aufstellen. Dabei geht es nicht nur darum, an Algen und mit ihnen an Algensnacks, Algensirup, Algengemüse und Algendesserts zu pröbeln. Genauso wichtig ist die Diskussion, wie wir uns in Zukunft ernähren. Uns weiterhin mit so viel tierischen Proteinen zu ernähren, ist aufgrund der Treibhausgas-Emissionen, der Gefahr von neuen Zoonosen und der Abholzung von Regenwäldern – vor allem für die Produktion von Tierfutter – keine Option.
Löwenzahn gibt Gummi ohne Erdöl
Eine zweite Pflanze, die für die Zukunft der Mitte interessant sein könnte, ist der Löwenzahn. In den 1950er Jahren wollte man wissen, ob man – wie die Russen aus der Wurzel des russischen Löwenzahns Taraxacum Kok Saghyz – Kautschuk herstellen konnte. Hintergrund waren die in den Weltkriegen aufgetretenen Lieferengpässe von Kautschuk beziehungsweise die sichtbar gewordenen Abhängigkeiten von asiatischen Ländern. Damals gab man die Pläne auf. Heute könnte der Löwenzahngummi deshalb wieder zum Thema werden, weil er einen Beitrag zum postkarbonischen Zeitalter leisten würde. In diesem verabschieden wir uns vom Erdöl, verzichten auf Plastik, vermeiden Mikroplastik und suchen nach Alternativen, die kreislaufgerechter sind. Aus den Löwenzahnfeldern auf den Dächern und Brachen der Industriebauten könnte man zudem Tierfutter und Salat und aus überschüssigen Wurzeln Kaffee herstellen.
Bäume als Wunderwaffe der Zukunft
Retromässig klingt auch die letzte Idee, um die Industriehallen, deren Brachen und Gärten entlang der Zugstrecken Aarau-Olten, Olten-Zofingen oder Olten-Liestal für Innovationsleuchttürme der Mitte zu nutzen. Man könnte ganz einfach möglichst viele Bäume pflanzen. Diese leisten nicht nur einen Beitrag, um CO2 zu binden, über die Zeit generieren sie auch einen sehr wertvollen Rohstoff: Holz. Trendforscherinnen werden nicht müde, darüber zu berichten, warum wir in Zukunft wieder mehr mit Holz bauen werden. Beim Wohnen und Arbeiten vermittelt es uns ein Gefühl der Geborgenheit und es ist umweltfreundlicher als Zement. Zudem umgeht es die Knappheit von Sand. Gegenwärtig konsumiert die Welt jährlich 50 Milliarden Tonnen davon, wobei Wüstensand die falsche Konsistenz zum Bauen hat. Auch das örtliche AKW und seine Sicherheitszone könnten wir mit Bäumen ersetzen. Ingenieurinnen tüfteln daran, einst mit den im Wind schwingenden Bäumen Strom zu produzieren.
Die Mitte – was meine ich damit? Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.
Deshalb führen die Nationalstrassen Nordwestschweiz (NSNW AG) und die IG saubere Umwelt (IGSU) auch dieses Jahr gemeinsame Anti-Littering-Aktionen durch. Heute und morgen sensibilisieren die IGSU-Botschafter-Teams an der Raststätte Gunzgen für die Littering-Problematik.
Zu den Take-away-Verpackungen und Zigarettenstummeln, die auf der Autobahn auf den Fahrzeugen geworfen werden, gesellen sich seit Pandemiebeginn auch Hygienemasken und Desinfektionsmittelbehälter. «Die Littering-Situation hat sich auch auf den Autobahnen deutlich verschlimmert», findet Thomas Leuzinger, Leiter Betrieb bei der NSNW AG. «Es wird Zeit, dass auch die Autofahrenden wieder vermehrt auf die Umwelt achten.» Um ihnen die Problematik vor Augen zu führen, führen die Nationalstrassen Nordwestschweiz (NSNW AG) und die IG saubere Umwelt (IGSU) dieses Jahr bereits zum sechsten Mal gemeinsame Anti-Littering-Aktionen an Raststätten durch.
Damit der Abfall nicht auf der Strecke bleibt
Heute, 13. und morgen, 14. August 2021 sind die IGSU-Botschafter-Teams auf der Nordseite der Raststätte Gunzgen anzutreffen. Dort sprechen sie die Autofahrerinnen und Autofahrer auf ihr Abfallverhalten an. «Ich weiss, dass es nicht richtig ist», gibt eine junge Frau schuldbewusst zu. «Aber ich habe letzte Woche auch ein Dönerpapier, das mit Sauce beschmiert war, aus dem Autofenster geworfen, weil ich nicht wollte, dass mein Auto dreckig wird.» Da sie nicht die Einzige ist, die nicht weiss, wo sie den Abfall im Auto deponieren soll, verteilen die IGSU-Botschafter handliche «Abfallsäckli-Boxen». Zudem ermuntern sie die Autofahrenden dazu, sich mit einer Unterschrift, einem Comic oder einem Spruch auf einem Plakat gegen Littering und zum korrekten Entsorgen zu bekennen.
Bewährte Sensibilisierungsmassnahme
Die IGSU-Botschafter-Teams gehören zu den ältesten und bewährtesten Sensibilisierungsmassnahmen der IGSU. Sie ziehen seit 2007 jedes Jahr von April bis September durch über 50 Schweizer Städte und Gemeinden und sprechen mit Passantinnen und Passanten über Littering und Recycling. Die IGSU unterstützt Städte, Gemeinden und Schulen mit vielen weiteren Anti-Littering-Massnahmen. So zum Beispiel mit dem nationalen Clean-Up-Day, der vom Bundesamt für Umwelt BAFU, dem Schweizerischen Verband für Kommunale Infrastruktur SVKI und der Stiftung Pusch unterstützt wird. Dieses Jahr findet der Clean-Up-Day am 17. und 18. September statt. Ausserdem vergibt die IGSU das No-Littering-Label an Städte, Gemeinden und Schulen, die sich aktiv gegen Littering engagieren, und unterstützt Institutionen bei der Umsetzung von Raumpatenschafts-Projekten.
Nach dem erfolgreich durchgeführten Dog-Day starteten die Vorbereitungs- und Bauarbeiten zur Sanierung und Aufwertung der Aarbiger Badi pünktlich und gemäss Planung am Montag, 26. Juli. Die Baustelleninstallation, Aufräum- / Entsorgungs- und Rückbauarbeiten sind zügig vorangegangen. Die nächsten Arbeitsschritte sind jetzt durch den nach wie vor hohen und nur sehr langsam sinkenden Grundwasserspiegel blockiert.
Rückgang des Grundwasserspiegels muss abgewartet werden
Der Abbruch des alten Pumpenhauses wie auch die Aushub- und Baumeisterarbeiten für das neue Technikgebäude bedingen Eingriffe unterhalb des aktuellen Grundwasserspiegels. Auch die Baumeisterarbeiten am Bassin können nicht in Angriff genommen werden, weil wegen des Auftriebs des Grundwassers das Becken nicht geleert werden darf. Die Gemeinde liess eine Grundwasserhaltung vorsehen, so dass der Neubau des Technikgebäudes nach Plan gebaut werden könnte. Die Bewilligung des Kantons liegt vor, die Offerten werden geprüft. Es ist jedoch eine Abwägung der Kosten zum Ertrag vorzunehmen. Der Endtermin bzw. die Badi-Wiedereröffnung im Frühsommer 2022 ist deswegen nicht gefährdet.
Submissionsbeschwerde verhindert den Vertragsabschluss
Mit dem Baubeginn des neuen Technikgebäudes muss im Moment leider auch noch aus einem anderen Grund zugewartet werden, und zwar infolge der Submissionsbeschwerde zur Vergabe der Badewasseraufbereitungsanlage. Der Lieferant bzw. das Produkt muss bekannt sein, da dies Einfluss auf die Betonierarbeiten hat. Der Ball liegt beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, welches über das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erteilung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden hat.
„E Seich“ für die Badibesucher
Dass bei den treuen Badibesuchern Wehmut aufkommt, weil jetzt endlich das heisse Badiwetter da ist und die Badi im Bauzustand ruht, ist verständlich und wird seitens Planer und Gemeinde bedauert. Wir alle hoffen, dass der Unterbruch nur kurz andauert. Die Bedingungen der Natur sind aber zu akzeptieren. Das Hochwasser hat einmal mehr gezeigt, wer stärker ist.
Trotz eines sehr herausfordernden Jahres (Corona) konnten im Januar 2021 erfolgreiche 56. Solothurner Filmtage durchgeführt werden. Dies dank eines ausserordentlichen Einsatzes seitens der Direktorin, des Teams der Geschäftsstelle, der Geschäftsleitung sowie allen weiteren Beteiligten.
Die positive Entwicklung der Solothurner Filmtage in der jüngeren Vergangenheit hat aber auch Reformbedarf aufgezeigt. Nach längeren Gesprächen und Anhörungen hat der Vorstand die Einführung eines dualen Modells der Verantwortung – Künstlerische Leitung / Administrative Leitung – beschlossen. Dazu wird ein Ausschuss des Vorstandes die Corporate Governance der Solothurner Filmtage neu aufstellen.
Die Einführung dieses dualen Modells mit einer künstlerischen und einer administrativen Leitung erfolgt per sofort, als Co-Leitung der Solothurner Filmtage.
Die jetzige Direktorin Anita Hugi ist seit längerer Zeit krankgeschrieben und wird nicht in ihre Funktion bei den Solothurner Filmtagen zurückkehren. Der Vorstand dankt Anita Hugi für ihren grossen Einsatz zugunsten der Solothurner Filmtage, insbesondere für die erfolgreiche Online Edition im letzten Januar. Er wünscht ihr auf dem weiteren beruflichen Weg und privat alles Gute.
Veronika Roos wird ab sofort und interimistisch administrative Leiterin der Solothurner Filmtage, Marianne Wirth und David Wegmüller werden interimistisch die künstlerische Leitung der 57. Solothurner Filmtage übernehmen.
Die beiden Stellen der künstlerischen Leitung und der administrativen Leitung werden öffentlich ausgeschrieben.
Die Premierenreden von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Nationalratspräsident Andreas Aebi und Ständerätin und Hommage 2021-Vorstandspräsidentin Marina Carobbio können Sie auf unserer Website nachlesen.
Bis am 13. August findet Hommage 2021 noch acht Mal statt – jeweils täglich um 21.15 und 22 Uhr. Es sind genug Plätze vorhanden. Wer von weit herreist, sollte eine Ankunft um 20.45h in Bern einplanen.
Im Rahmen eines Pilotprojekts wurden ein Teil der Kundenbetreuerfahrzeuge sowie in der Region Luzern alle Servicebusse durch E-Autos ersetzt. Dadurch ist der Betrieb in Luzern und Umgebung nun klimafreundlicher, sauberer und leise und spart insgesamt 120 Tonnen CO2 und über 45‘000 Liter Diesel. Der Strom für die jährlich gefahrenen 560‘000 km wird zu 100 Prozent aus zertifizierten erneuerbaren Energiequellen (Ökostrom) bezogen.
Ein erster grosser Meilenstein für Griesser
„In Luzern wollten wir wissen, ob es möglich ist, unseren Service und unsere Montage noch umweltfreundlicher zu gestalten“, erklärt Urs Neuhauser, CEO Griesser, „Wir haben uns zum Ziel gesetzt bis 2030 100 Prozent emissionsfrei zu werden und als Unternehmen komplett klimaneutral bis 2050. Den ersten Schritt in Richtung ökologisch sinnvolle E-Mobilität haben wir geschafft – auch dank des grossartigen Engagements unserer motivierten Mitarbeitenden, die das Projekt von Anfang an vorangetrieben haben.» Bis spätestens 2030 werden alle 400 Firmenfahrzeuge auf Elektrobetrieb umgestellt. Ab 2022 wird Griesser den Strom für die in Aadorf stationierten Kundenbetreuerahrzeuge nachhaltig selbst produzieren.
Die Kurzfilmnacht gastiert zum 19. Mal in 12 Städten der Deutschschweiz und bespielt jeweils die ganze Nacht deren Kinosäle. In jeder Stadt wird eine lokale Premiere präsentiert, bei dem im Anschluss während eines Q&A der Austausch zwischen den Filmschaffenden und dem Publikum ermöglicht wird. Die vier kuratierte Programmen, mit insgesamt 18 Kurzfilmen, gehen in alle 12 Städte auf Tour und zeigen einen aktuellen Blick auf das weltweite Kurzfilmschaffen. Das Publikum darf sich dabei auf eine ganze Reihe Kurzfilmperlen freuen: Eine Auswahl der beliebtesten Schweizer Kurzfilme des letzten Jahres, die heissesten aktuelle Kurzfilme im Programm «Hot Shorts», ein Programm den Höhen und Tiefen des Datings gewidmet und spätnachts zum Abschluss zwei awardworthy Kurzfilme, die uns zeigen, wie nahe Menschen sich trotz der Ferne fühlen können.
Start in Zürich und Basel Start der Kurzfilmnacht-Tour ist am 27. August Zürich im Kosmos (ab 20:15) und in Basel im kult.kino atelier (ab 20:45). In Zürich wird die Nacht eröffnet mit dem Animationsfilm «Signs» von Zürcher Filmemacher Dustin Rees. Auf wunderbare Weise wird der Alltag eines Elektrikers illustriert, der Nacht für Nacht Leuchtreklamen in der Stadt montiert. Unbeachtet und unachtsam geht er durchs Leben. Bis er plötzlich merkt, welchen Zeichen und Signalen er Beachtung schenken muss. In Basel wird die lange Nacht des kurzen Films mit der lokalen Premiere von «Grüner Panther» des Baslers Marcel Scheible eröffnet. Im Dokumentarfilm begleiten wir Dominik, der seit der Kindheit Zweiräder umbaut. Immer auf der Suche nach dem perfekten ‘shape’. «Grüner Panther» erzählt vom Kind in uns, versetzt uns in die Gedankenwelt eines Tüftlers und in die Klangwelt seines kreativen Tuns. Dustin Rees wird an der Kurzfilmnacht in Zürich anwesend sein, Marcel Scheible in Basel um ihre Filme vorzustellen und dem Publikum spannende Einblicke in ihre Arbeit zu geben.
Neue Kurzfilme aus der Schweiz Das Programm SWISS SHORTS vereint eine abwechslungsreiche, aktuelle Auswahl der Schweizer Filmszene. Die Auswahl vereint verschiedenste Arten von Kurzfilmen, die sich alle auf besonderer Weise mit dem Alltag beschäftigen. Eine Besonderheit des Kurzfilms ist das Einfangen einer Momentaufnahme: Eine Rolltreppenfahrt, ein Fussballspiel, ein Matratzenkauf, ein Tag im Altersheim. Die hier gezeigten Schweizer Kurzfilme widmen sich raffiniert vermeintlich simplen Situationen. Und schon öffnet uns etwas Unscheinbares die Augen für wundersame Geschichten und kritische Haltungen. Im animierten Dokumentartfilm «Ecorce» von Silvain Monney, Samuel Patthey erwachen in einem Altersheim die gezeichneten Bewohner zum Leben und wir erhalten einen Blick in diesen Mikrokosmos. Im Dokumentarfilm «Das Spiel» von Roman Hodel erhalten wir einen einzigartigen Einblick in die Welt des Fussballs, aus der Perspektive des Schiedsrichters. In Chiens Endormis von Sarah Rathgeb, wirft die banale Situation des Matratzenkaufs mehr Fragen auf, als man sich vorstellen kann. Zuletzt nimmt uns der Animationsfilm «Megamall» von Aline Schoch auf eine visuelle Reise durch die vermeintlich unscheinbare Rolltreppenfahrt.
Hot Shorts, Crazy (in) Love & Going the Distance Weitere drei kurzfilmprogramme widmen sich aktuellen Kurzfilmen und universellen Themen. In HOT SHORTS steht für eine lebhafte Auswahl glänzender Kurzfilme, die vor Kreativität sprudeln, faszinierende Geschichten erzählen oder auch einfach Spass machen. Das Programm wirft absurde Fragen auf und geht diesen auf den Grund. Was macht ein Auftragskiller im Ruhestand? Erklärt «The Last Ferry from Grass Island» von Linhan Zhang. Wieso sind gewisse Menschen immer so laut? Fragt sich «Horacio» im gleichnamigen Film von Caroline Cherrier. Wo stählen die härtesten Männer der Ukraine ihre Körper? Darauf hat «Kachalka» von Gar O’Rourke die Antwort.
Das Programm CRAZY (IN) LOVE zeigt uns in aktuellen Kurzfilmen, wie auch in älteren Kurzfilmperlen, dass die Dating-Welt schon immer ein brisantes Thema war. Schmetterlinge im Bauch führen zu Lachs-Wettrennen um die Fruchtbarkeit im Schweizer Animationsfilm Lachsmänner von Manuela Leuenberger, Joel Hofmann, Veronica L. Montaño. Gutes Aussehen führt zu Verhängnisvollen Situationen in «Toomas teispool metsikute huntide orgu» von Chintis Lundgren Herr und Frau Schweizer suchen auf einem Partyschiff den Menschen fürs Leben in «Single Schifffahrt» aus dem SRF Archiv. Die «Traumfrau» findet man in ungewohnten Formen im gleichnamigen Film von Oliver Schwarz oder die Suche nach der Liebe führt dazu sich mit der Spiritualität auseinanderzusetzen in «O mistério da carne» von Rafaela Camelo.
Das Abschluss-Programm «Going the Distance» zeigt spätnachts, dass Verbundenheit nichts mit geografischer Nähe zu tun hat – oder jedenfalls nicht zwingend. Menschen können sich nah fühlen, wenn sie weit weg voneinander sind – wobei das nicht immer gut sein muss. Gerade in der Familie kann Zusammenhalt auch ein Stolperstein sein zeigt sich im Animationsfilm und Publikumsliebling des Fantoches «Ties» von Dina Velikovskaya. Ein Gefängismitarbeiter bildet eine Beziehung zu Personen, denen er gar nie begegnet ist im oscarnominierten Kurzfilm «The Letter Room» von Elvira Lind.
Alle Informationen auf www.kurzfilmnacht.ch Tickets für die Kurzfilmnacht Zürich sind erhältlich unter www.kosmos.ch oder an den Abendkassen. Tickets für die Kurzfilmnacht Basel sind erhältlich unter www.kultkino.ch oder an den Abendkassen.
Alle Stopps der Kurzfilmnacht-Tour 2021 BASEL • kult.kino atelier, 27. August ZÜRICH • Kino Kosmos, 27. August CHUR • Kino Apollo, 3. September WINTERTHUR • Kiwi Loge, 10. September BERN • cineBubenberg & Cinématte, 10. September BIEL • Kino Rex, 11. September SCHAFFHAUSEN • Kiwi Scala, 11. September LUZERN • Bourbaki & stattkino, 17. September USTER • qtopia Kino+Bar, 18. September ST. GALLEN • Kinok – Cinema in der Lokremise 24./25. September BADEN-WETTINGEN • Kino Orient, 1. Oktober AARAU • Kino Schloss, 2. Oktober
Im November 1991 – just vor 30 Jahren – starb FREDDIE MERCURY im Alter von 45 Jahren an Aids. Rund um den Planeten waren die Musikfans geschockt und bis heute wird der Ausnahmesänger schmerzlich vermisst. Denn mit Freddies Tod verlor die Musikwelt nicht nur die unverkennbare Stimme der Kultband QUEEN sondern auch einen der bedeutendsten Rocksänger der Musikgeschichte.
2017 hat das SECONDHAND ORCHESTRA mit einer gewagten Mischung aus eigenen Songs und witzigen, schweizerdeutschen Versionen der Beatles-Klassiker die hochgelobte Produktion «SGT. PEPPER – Ein Mundartabend» auf die Bühne gebracht. Nun präsentiert die Crossover-Truppe mit Riklin & Schaub (ehemals Mitglieder von «Heinz de Specht»), Adrian Stern, Frölein Da Capo und Radiolegende FM François Mürner das Werk von Freddie Mercury in neuem Gewand.
Der multimediale Theaterabend lässt Leben und Werk von Freddie Mercury neu aufleben durch die wichtigsten Queen-Songs in parodistischen Mundart-Versionen und überraschenden Arrangements. Dabei werden neue Eigenkompositionen hemmungslos mit Gassenhauern wie «Bohemian Rhapsody» und «The show must go on» verwoben. Radiolegende Mürner steuert dem Spektakel audiovisuelle Beiträge bei.
FREDDIE ist eine unterhaltsame Hommage an den sagenumwobenen Rocksänger mit der einzigartigen Stimme und ermöglicht neue Perspektiven auf das vielschichtige Musikerbe von Freddie Mercury. Das Secondhand Orchestra stellt unter Beweis, dass Freddies Songs keineswegs Staub angesetzt haben und sein Werk und die Legenden, die sich um seine Person ranken, für immer unsterblich bleiben werden.
Spielplan
22. September bis 23. Oktober 2021(22./23. September. Vorpremieren / 24. September: Premiere)
Getreu der Vision Schweizer Klassik bekannt zu machen, stehen neben bekannten Werken von Felix Mendelssohn und Richard Wagner Neuentdeckungen der Schweizer Komponisten August Walter und Joseph Joachim Raff auf dem Programm. Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis begleitet die Tour als Solistin.
Das Swiss Orchestra spielt zwischen dem 27. August und 16. Oktober in Bern, St. Gallen und Zürich sowie neu auch in Davos und Muri. Das Programm widmet sich vier Tonschöpfern, deren Biografien eng miteinander verwoben sind. Mendelssohn, Raff, Wagner und Walter. Die Schweiz war für die vier Komponisten Heimat, Zufluchtsort, Reiseland oder Inspirationsquelle.
Vergessene Schweizer Klassik
Der Konzertabend wird mit Felix Mendelssohns Ouvertüre zum «Märchen von der schönen Melusine» eröffnet. Mendelssohn besuchte die Schweiz erstmals als 13-jähriger mit seinen Eltern, 1831 bewanderte er das Land dann auf eigene Faust. Und 1843 wurde er von einem jungen Schweizer Komponisten gebeten, dessen Werke zu begutachten. Es handelte sich um den 22-jährigen Joseph Joachim Raff aus Lachen (Kanton Schwyz). Mendelssohn war von den Kompositionen so angetan, dass er sie beim renommierten Verlag Breitkopf & Härtel empfahl und damit der Laufbahn des jungen Raff Auftrieb verlieh. Music Director Lena-Lisa Wüstendörfer hat zwei seiner Schätze aufgestöbert: die Orchesterlieder «Zwei Scenen» sowie «Traumkönig und sein Lieb» sind wahre Trouvaillen, die in der Schweiz wohl zum ersten Mal überhaupt aufgeführt werden. Den Gesangspart übernimmt die Fribourger Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis.
In regem Austausch mit Joachim Raff stand auch Richard Wagner. Als politischer Flüchtling mit falschem Pass eingereist, liess Wagner sich – anfänglich in Zürich, dann in Luzern – für insgesamt mehr als 15 Jahre in der Schweiz nieder. Das Swiss Orchestra spielt sein in Zürich komponiertes Werk «Träume» aus den Wesendonck-Liedern. Mit einem Schlüsselwerk von August Walter klingt der Konzertabend aus. Der gebürtige Deutsche kam als 25-jähriger für ein Engagement als Dirigent nach Basel, und blieb. 1884 wurde er «in Anerkennung seiner Leistungen auf dem Gebiete der Tonkunst in ehrenvoller Weise» eingebürgert und offiziell zum Schweizer. Seine Sinfonie in Es-Dur gilt zwar als eines seiner Hauptwerke, ist aber heute gänzlich aus den Konzertsälen verschwunden. Ein weiterer Schatz der Schweizer Sinfonik, den das Swiss Orchestra für fünf Abende wieder aufleben lässt.
1. «Wisst ihr, was Mäusebussard auf Französisch heisst?»
Romanfigur Filipp in Max Küngs neuem Buch «Fremde Freunde», 2021
Als ich KOLT-Chefredaktor war, hatten wir im monatlichen Heft jeweils eine Gastkolumne. Einmal fragte ich Max Küng an, den bekannten und langjährigen Kolumnisten des Magazins vom «Tages-Anzeiger», ob er einen Beitrag zum Thema Olten beisteuern möge. Seine Absage war so erfrischend, dass ich sie in meinem digitalen Notizbuch aufbewahrt habe. Er antwortete mir: «Ich würde gerne für das sympathische Kolt schreiben, aber leider ist es so, dass ich zurzeit sehr, sehr faul bin.»
Küng ist immer noch Magazin-Kolumnist, seit 1998 schreibt er schon für die wöchentliche Beilage, und seit einer Weile schreibt er auch Bücher. Kürzlich erschienen: «Fremde Freunde». Drei Paare, drei Kinder, ein Ferienhaus in Frankreich. Die Kinder sind beste Freunde, die Eltern sollens in den Ferien werden. Wobei die Gastgeber Jean und Jacqueline mit der Einladung in erster Linie ein anderes Ziel verfolgen. Schon der Klappentext verrät: «Doch leider kommt es dann, wie es oft kommt: Ganz, ganz anders.» Das Buch aber ist, wie man es von Küng erwartet: schön in der Sprache, leger im Stil und freundlich-subtil in der Gesellschaftskritik, was in der Summe herrlich präzise Profile der verschiedenen Personen und ihrer Beziehungen ergibt. Man wähnt sich regelmässig in einem (guten) Woody-Allen-Film. Dem Witz frönt Küng auch ganz explizit: Als ein Mäusebussard über ihren Obstgarten fliegt, fragt Filipp, ein mässig erfolgreicher Schauspieler und der Vorlaute der Ferienrunde, ob jemand wisse, wie dieser Vogel auf Französisch heisse. Und löst dann selbst auf: «Le Musée des Beaux-Arts».
Die 430 Seiten sind dann aber plötzlich etwas viel, zumal das letzte Kapitel inhaltlich und formal abfällt. Vermutlich wurde Max Küng nach so viel Arbeit etwas faul.
2. «Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!»
Alle Schweizerinnen und Schweizer beim Tor von Mario Gavranovic, 89. Minute
Auf einen Schlag war die Corona-Pandemie weit weg. Tausende Menschen im Stadion, Public Viewings, Jubelgesänge, Umarmungen mit wildfremden Menschen, die ganz grossen Emotionen. Das Timing der Fussball-EM war irgendwie surreal. Epidemiologen fanden den Zeitpunkt fürchterlich, für ganz viele Menschen kam die Euro gerade recht. Nach bald anderthalb Jahren Pandemie, nach einem harten Winter mit langen Monaten des Lockdowns war das menschliche Bedürfnis nach dieser Ausgelassenheit rund um den Kontinent und auch in der Schweiz enorm. Was hatte sich da alles aufgestaut in den letzten Monaten, und dann schiesst Mario Gavranovic in dieser 89. Minute dieses Tor gegen Frankreich und ein Land explodiert. Die kollektive Ektase als exaktes Gegenteil zum Lockdown. Dokumentiert in zahlreichen Videos, die für Ausserirdische wohl schwierig zu verstehen wären. Man kann beim Betrachten dieser Bilder zum Schluss kommen, dass der Mensch ein sonderbares Wesen ist: Ein Ball fliegt in ein Netz, und alle drehen durch. Doch die vermeintliche Nebensächlichkeit macht die Sache für mich noch schöner. Das Wunderbare ist die Echtheit und Intensität der Emotion. In einer zivilisierten Welt voller Kalkül, Konvention und Kontrolle tut es irgendwie gut, den Menschen in diesem unverfälschten Zustand zu sehen. Kontrollierter Kontrollverlust nennt das die Wissenschaft. Man kann die Videos dreissig Mal schauen und entdeckt jedes Mal aufs Neue urkomische Reaktionen. Jede und jeder für sich im eigentlich intimen Moment des Gefühlsausbruchs und doch alle zusammen, vereint in der kollektiven Ekstase: «Jaaaaaaaaaaaa!» Besonders intensiv gehen bekanntlich die Engländer mit. Im Guten wie im Schlechten.
3. «Wenn es eine Antwort auf das Problem der Kontrolle gibt, wird es noch mehr Kontrolle sein.»
Journalistin Elizabeth Kolbert im Buch: Under a white sky: The nature of the future, 2021
Die Amerikanerin Elizabeth Kolbert schreibt seit Jahrzehnten Texte über die Natur und den Menschen und hat damit auch den einen oder anderen Pulitzerpreis gewonnen. In ihrem neusten Buch geht es um Kontrolle: Der Mensch manipuliert die Umwelt, um sie zu kontrollieren, erschrickt ob der ungewollten Konsequenzen, versucht dann diese krampfhaft unter Kontrolle zu bringen, es folgen weitere Katastrophen, der Mensch verliert die Kontrolle vollends. Ein besonders frappantes Beispiel aus Chicago: Damit der Müll und das Abwasser nicht in ihren geliebten Lake Michigan flossen, planten die Chicagoer 1892 ein Jahrhundertprojekt: Sie gruben monströse Kerben durch die Landschaft und kehrten den Fluss um, so dass er den ganzen Dreck der Grossstadt statt in den See neu nach Süden transportierte und schlussendlich im Mississippi-Delta ins Meer ergoss. Nur stellten sie damit das ganze hydrologische Profil der USA auf den Kopf, mit Folgen bis heute. Aktuell kämpfen sie mit einer Invasion von gefrässigen Karpfen, die etliche andere Fischarten im Lake Michigan auszurotten droht – und die ohne die Umkehrung des Flusses nie den Weg nach Norden gefunden hätten. Die Lösung? Mehr Kontrolle. So pumpen sie hunderte Millionen Dollar in Barrieren – aus Gift, aus Strom, aus Lärm, aus Luftblasen. «Disco-Barrier», sagen die Chicagoer. Und in fünfzig Jahren darf die nächste Generation dann die ungewollten Folgen der Disco-Barriere ausbaden. But the show must go on!
4. «Wenn ich Berichte über mich lese, denk ich oft: ‹Wow, wer ist das, diese Frau ist mega toll – ich bins nicht.›»
Radrennprofi Marlen Reusser im Podcast Fokus von SRF 3, 10. Mai 2021
Marlen Reusser aus dem Emmental, die Wunderfrau, 29 Jahre alt. Diese Woche gewann sie in Tokyo Olympiasilber im Rad-Zeitfahren, bei Olympia vor fünf Jahren in Rio de Janeiro war sie noch nicht mal Radrennfahrerin. Zuvor war sie Chirurgin am Spital Langnau, Präsidentin der Jungen Grünen im Kanton Bern und noch früher ein grosses Geigentalent. Die Olympiamedaille zeigt: Dieser Frau gelingt alles. Und wie sie danach zum Interview antritt – diese Lockerheit! Diese Lebensfreude! Das einstige Buremeitschi ist eine aussergewöhnliche Erscheinung und schreibt eine Märchengeschichte. Und weil die Medien Märchengeschichten lieben, blenden sie die Schattenseiten aus und vermitteln verzerrte Realitäten und den jungen Leuten, die nach Vorbildern dürsten, falsche Vorstellungen. Sagt Marlen Reusser selbst, in diesem sehr hörenswerten Podcast der Sendung Fokus von SRF 3. Darin geht es ihr vor allem darum, mit dieser perfekten Heldengeschichte aufzuräumen; ihr Leben als Teenie, sagt sie, war ein Knorz. Sie will nicht, dass die heutigen Jugendlichen das scheinbar einfache und erfolgreiche Leben einer Marlen Reusser, wie die Medien es erzählen, als Vorbild nehmen – denn genau dieser Druck führe zum Knorz. Das stündige Gespräch lässt mich fasziniert zurück: Da tritt jemand an, um den eigenen Heiligenschein zu demontieren und tut selbst das auf solch menschliche, selbstreflektierte und eloquente Weise, dass dieses Vorhaben ironischerweise gar nicht recht gelingen kann. Kurz: Marlen Reusser for President.
PS.
Das Bild zum Satz: «In den 90er-Jahren war das Leben bunt und sorglos und die Pandemie eine komische Übung.»
Kürzlich war ich in einem sogenannten GOPS, einer Geschützten Operationsstelle. Es ist eine Art unterirdisches Spital für den Krisenfall, ein Relikt aus früheren Krisenzeiten, heute existieren schweizweit nur noch einige wenige, in den Katakomben von regulären Spitälern. Der GOPS-Besuch ist eine Zeitreise. Die Geräte, die Einrichtung: Vintage pur. Auch diese Anschrift: «Pandemie». Einige Räume sind so angeschrieben, darin Betten für die möglichen Virus-Erkrankten. Das Schild selbst soll aus einer Übung aus den 90er-Jahren stammen. Word-Art in Rotorange für «Pandemie»? Die sorglosen Menschen in den 90er-Jahren hatten gut lachen.
* Pierre Hagmann war erster Chefredaktor von KOLT, stammt aus Olten und blickt heute von Bern auf die schöne, komische Welt.
Wer sein eigenes Ich neu erfindet, darf den beschwerlichen Weg nicht scheuen. Denn das räumliche Leitbild wird gewissermassen die Bedienungsanleitung sein, wenn die Kleinstadt ihre Ortsplanung revidiert. Beim Leitbild dürfen alle mitreden; der Kanton fordert von den Gemeinden eine offene Partizipation.
Nur verlief die Mitsprache in Olten wegen der Coronapandemie bis hierhin schleppend. Anstatt die breite Bevölkerung einzuladen, bildete die Stadt stellvertretend eine Echogruppe. Sie begleitet den Prozess wie auch die inhaltlichen Stossrichtungen, würdigt sie kritisch und bringt ihre Anliegen ein. Die Gruppe besteht aus Vertreterinnen der Behörden, der Kommissionen, der Vereine und des Gewerbes.
Eine erste Feedbackrunde mit der Echogruppe hat bereits stattgefunden. Über einen Fragekatalog holte die Stadt Stellungnahmen und Einschätzungen zu den festgelegten Stossrichtungen ab und erarbeitete auf dieser Basis einen Grundlagenbericht. Ein Verfahren, das üblich ist und in vielen anderen Städten und Dörfern vergleichbar aufgesetzt ist.
Den Grundlagenbericht hat die Stadt in Zusammenarbeit mit der Raumplanungsfirma Metron AG erarbeitet, die den Prozess begleitete. Im vorliegenden Bericht ist viel von der Siedlungsentwicklung an den Rändern, dem behutsamen Umgang mit Landwirtschaftsgebieten und städtischen Freiräumen die Rede. Eine Analyse (auf Seite 33) bringt als «Schwäche» zutage, dass die städtischen Siedlungsreserven nur an peripheren Lagen auszumachen sind. Das Stadtzentrum als Siedlungsraum wird nicht erkannt.
Wie steht es aber effektiv um die Siedlungsentwicklung nach innen, dem Thema der Stunde in der Raum- und Stadtentwicklung? Durch das 2014 revidierte Raumplanungsgesetz fordert der Bund ebendiese als oberste Prämisse.
Anders als in den grossen Zentren schlummert in Kleinstädten vielmals grosses Potential, was die Verdichtung an zentraler Lage angeht. So auch in Olten. Das Zentrum einer Stadt erzeugt die städtische Identität beziehungsweise das urbane Selbstverständnis – mit hochwertigen, klar definierten Plätzen und Bebauungen, die an das Wesen der Stadt angelehnt sind, mit Neubauten oder sorgfältig angepassten Bestandesbauten. Das Mehr an sozialer Dichte in der Innenstadt ist nicht nur notwendig, um dem viel beklagten Lädelisterben zu begegnen, sondern auch eine Pflicht, wenn die Gesellschaft über Mobilität, Dekarbonisierung oder klimaverträgliche Stadtentwicklung spricht. Einen ersten Vorschlag in diese Richtung hat das Studio Olten schon in seinem letzten Beitrag mit einem Neubau auf dem Munzingerplatz gemacht.
Daher erstaunt: Das Gebiet Schützenmatt/Rötzmatt taucht zwar im Grundlagenbericht auf. Jedoch gar kryptisch in der Legende des Stadtplans auf Seite 35 als Gebiet mit dem Handlungsansatz «transformieren und neue Identität schaffen». Seitens Stadt ist nicht wirklich zu spüren, inwiefern dieses Gebiet als wichtiger Baustein für die Entwicklung des Zentrums gesehen wird. Dabei hatte Stadtplaner Kurt Schneider in einem Interview mit Kolt die Schützi als interessantestes Entwicklungsgebiet bezeichnet. Vorgesehen ist das grosse Areal südlich der Dünnern notabene sogar als Freiraum, bezeichnet als «nutzungsoffen», ein Raum, der «aufgewertet» werden soll (Seiten 52 und 54). Ein Schelm, wer sich dabei denkt, dass es einzig um die Wahrung als Kilbi-Platz geht. Und um einen Parkplatz?
Das Potential dieses Freiraumes ist für das Olten der Zukunft gewaltig und augenscheinlich. Die Schützenmatt liegt an bester Lage, direkt ans Stadtzentrum angrenzend, unmittelbar an der Aare, dank der ERO am überregionalen Verkehr angeschlossen und in Gehdistanz zum Bahnhof. Soll ein Gebiet wie dieses längerfristig tatsächlich als Parkierungsfläche oder Freiraum – ohne offensichtlichen Nutzen – dienen? Dies ist aus heutiger Sicht stadtökonomisch betrachtet höchst fraglich, wenn die Kleinstadt ein Wachstum anstreben will. Zudem befindet sich das Areal im Besitz der Stadt, also der planenden und bewilligenden Instanz. Eine bessere Ausgangslage ist kaum denkbar, um aktiv Stadtentwicklung zu machen. Nirgends sonst in Olten könnten ohne grossen Aufwand städtebauliche Strukturen geschaffen werden, die Interaktion und Lebendigkeit erzeugen.
Aufgrund seiner Grösse könnte das Areal auch in Zukunft die (noch) wichtige Funktion als zentrumsnahe Parkierungsmöglichkeit erfüllen – etwa mit einem multifunktionalen Parkhaus, wie dieses Beispiel aus Aarhus zeigt. Das Areal könnte jedoch auch ganz anderen Ansprüchen gerecht werden.
Die oft geforderten bespielbaren öffentlichen Räume, die sich wandelnden Bedürfnissen anpassen, sind unter den hohen Platanen neben der Badi gut vorstellbar. Entlang der Dünnern wäre attraktives Wohnen möglich, ergänzt mit öffentlichen Nutzungen in den Erdgeschossen. Die Parkplatzwüste liesse sich entsiegeln und mit grosskronigen Bäumen bepflanzen. Visionäre Grundlagen für das Gebiet erarbeitete letztes Jahr die Hochschule Rapperswil.
Mit Blick auf den bisherigen Prozessverlauf der Ortsplanungsrevision von Olten und den generierten Resultaten stellen sich ein paar Fragen. Zum Beispiel zur Echogruppe: Wer hat dieses Gremium zusammengestellt? Mit welchen Auswahlkriterien? Sind die wirklich relevanten Stakeholder vertreten, um über die Zukunft der Stadt zu sprechen? Es scheint sich doch sehr um eine politische und verwaltungsinterne Gruppe zu handeln, die mit Vertretern des städtischen Alltags angereichert wurde. Insbesondere die Jugend, also diejenigen Menschen, die in naher Zukunft das Leben der Stadt prägen werden, ist kaum vertreten. So fehlen in der Echogruppe etwa Jugendorganisationen genauso wie die Schulen.
Zur Vision der Stadtentwicklung: Welche Vorstellungen haben die Stadtregierung und die Verwaltung eigentlich zu den Entwicklungsschwerpunkten ihrer Stadt? Im Leitbildprozess kommt bisher nicht zum Ausdruck, was unsere Regierung für Olten will. Eine Stadt mit kurzen Wegen, in der das Velo und die Fussgängerin Priorität haben? Ein starkes und gut erschlossenes Zentrum, das auch für Menschen aus dem «Umland» interessant ist? Ein Zentrum, in dem gewohnt und gearbeitet wird und sich die Leute treffen und verweilen? Wo durch Austausch Neues entsteht? Im ganzen Grundlagenbericht taucht nicht einmal das Wort «Vision» auf. Das muss auch nicht zwingend sein. Aber etwas mehr visionäre Ideen müssten drinstecken.
Studio Olten Das Studio Olten beobachtet (kritisch) die städtebauliche Entwicklung von Olten und erlaubt sich hie und da selber Vorschläge, welche als Anregung einer vitalen Diskussion dienen sollen. Das Studio setzt sich zusammen aus Michael Bertschmann (dipl. Architekt FH), Christian von Büren (M. Sc. Urban Management) und Matthias Sigrist (dipl. Ing. FH Bauprozessmanagement) und damit aus Fachleuten aus den Bereichen Architektur und Städtebau, Areal- und Immobilienentwicklung sowie Urban Management und der Stadtökonomie mit Erfahrungen aus Tätigkeiten bei der öffentlichen Hand, Bundesbetrieben und der Privatwirtschaft.
Das Fehlen einer Badi ist weniger ein Problem, wenn es wie in den vergangenen Wochen nur regnet. Aber wenn sich das Thermometer auf 40 Grad hochschraubt, so wie letzten Sommer, dann wird die Stadt mit ihren Backsteinhäusern zum Hitzegefängnis.
Wer’s nicht mehr aushält, kann sich dann in eines der runtergekühlten Museen verziehen, von denen es in Brüssel mit über 100 rekordverdächtig viele und zu den verschiedensten Themen gibt: René Magritte, Bier, Schokolade, Musikinstrumente, Dinosaurier, Comics, Trams und sogar ein Museum über Strassenlaternen steht in der Stadt.
Natürlich darf auch ein Museum über Viktor Horta nicht fehlen, den belgischen Jugendstil-Architekten, der Brüssel zum europäischen Art-Nouveau-Hotspot verwandelte. Leider sind viele der einzigartigen Horta-Häuser heute verschwunden, da sie der «Brüsselisierung» zum Opfer fielen. Darunter versteht man das unkontrollierte Einfügen von hässlichen Funktionsbauten in historische Quartiere, wie es die Stadtverwaltung in den 1960er und 70er Jahren mit Ambition betrieben hatte.
Nicht «brüsselisiert» wurde hingegen der Justizpalast, den der belgische König Leopold II. (sie nennen ihn auch den «Schlächter vom Kongo») Ende des 19. Jahrhunderts den aufmüpfigen Arbeitern im Marollenviertel vor die Nase gesetzt hatte. Seit 1984 ist das giganteske Gebäude mit seinen acht Innenhöfen, 27 Gerichtssälen und der 116 Meter hohen Goldkuppel in Dauerrenovation, sodass mittlerweile sogar das Baugerüst, das die Fassade ummantelt, renoviert werden musste. Für einen Zeitungsartikel habe ich mich mal hinein ins Labyrinth gewagt und traf am Ende eines Wirrwarrs aus Gängen, Treppen und Vorzimmern den ehemaligen Chef des belgischen Geheimdienstes, der mir Auskunft über Brüssel als «Stadt der Spione» geben sollte.
Vor allem China, Russland und die USA schicken Spione in die Hauptstadt der EU. Aber eigentlich soll mehr oder weniger jedes Land der Erde (auch die Schweiz?) hier nachrichtendienstlich tätig sein. Denn eines ist klar: Brüssel ist die Stadt, wo die Welt zuhause ist. 180 verschiedene Nationalitäten leben hier. Kosmopolitisch kann da wohl nur noch New York mithalten. Immer wieder trifft man in Brüssel auf interessante Menschen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden.
So wie gerade letzten Sonntag bei der Buvette im Park: Der unbekannte Tischnachbar trägt auf seinem rechten Arm ein buntes Tattoo, das deutsche Sturzkampfbomber, rote Sterne und den Schriftzug «Liberté» zeigt. Auf dem linken Arm prangt das Konterfei von Lenin und Marx. Angesprochen auf die Zeichnungen erklärt er, dass diese seine Vergangenheit als Aktivist für den kommunistischen Umsturz in Chile illustrieren. Vergangenheit deshalb, weil er nach einem mehrwöchigen Aufenthalt bei der kolumbianischen Farc-Guerilla allmählich ins Zweifeln kam, ob das mit der gewaltfreien Revolution doch noch klappen werde.
Bei einem Dschungel-Trip zum Ayahuasca-Schamanen erlebte er dann das Universum in seinem Inneren und seine spirituelle Wiedergeburt als – wie er es nannte – «Öko-Humanist». Nach einem Stage beim Europaparlament siedelt er in ein paar Tagen nach Südfrankreich über, um in einer alternativen Kommune der Permakultur nachzugehen. Brüssel hat viel zu bieten: Architektur, Kultur, eine reichhaltige Historie. Aber keine Badi.
*Remo Hess (35) lebt und arbeitet seit 2016 als Journalist in Brüssel.
In New York leben die Menschen bekannterweise in kleinen Wohnungen, oftmals in Wohngemeinschaften. Die Parks sind zwar grosszügig, aber richtige Natur sieht für mich etwas anders aus. Wo die deutsche Bulldogge oder der Bernhardiner Platz haben, war mir immer schleierhaft.
Wie auch in anderen Teilen der Welt haben die Stadtbewohnerinnen während der Pandemie tausende von Hunden (und wohl auch einige Katzen) gekauft und aus Tierheimen adoptiert. In meinem direkten Umfeld haben nun tatsächlich vier Leute einen Hund. Junge New Yorker in ihren Zwanzigern, die (in zwischenmenschlichen Beziehungen) möglichst ungebunden bleiben und die Welt bereisen wollen, haben Hunde. Diese Hunde geniessen das beste biologische, manchmal auch vegane Futter des neusten Hundestartups und werden vom Hundesitter zu Playdates auf den Hundespielplätzen und in die Hundekrippe geschleppt.
Die über 600’000 registrierten Hunde New Yorks zeigen sich in allen Grössen, Farben und Formen und sind mindestens genauso divers und vielfältig wie die menschlichen Einwohner der Stadt. Wie bei Restaurants, Kleidern, Haarschnitten und allem anderen beobachtet man aber auch bei den Hunden gewisse Trends. Corgis und Dachshunde scheinen neben dem Evergreen der französischen Bulldogge (die beliebteste Hunderasse der Stadt) das Hundeinventar zumindest in Manhattan und den hippen Teilen Brooklyns seit kurzem etwas aufzumischen.
Die Anzahl präsenter Hunde und die Dominanz gewisser Rassen dienen oftmals als Indikator, um die Gentrifizierung eines Quartiers zu verstehen oder vorherzusagen.
Wenn die Designerwelpen Einzug halten, sind die steigenden Wohnungspreise oftmals nicht mehr weit. Die Hunderassen werden Teil der Identität eines Viertels und sagen etwas über den Ort und die Menschen aus, die sie mit nach Hause nehmen.
Wenn die Immobilienpreise in einem Gebiet steigen, neigen Hunderassen dazu, kleiner und teurer zu werden. Laut dem städtischen Department für Gesundheit und Hygiene führt in den Quartieren Chelsea, East Village, Financial District, Tribeca und in Williamsburg die französische Bulldogge die Beliebtheitsliste an. Jack Russells, Corgis und Labradoodles (eine Kreuzung aus Labrador und Minipudel) sind der Bulldogge dicht auf den Fersen. Der Labrador Retriever dominiert in den familiären Nachbarschaften Park Slope und Upper East Side. Bestimmte traditionelle Rassen bleiben aber dominant, wie der Pitbull in bestimmten Teilen von Brooklyn und der Rottweiler in der Bronx.
Jetzt, nach dem Ende der Pandemie, scheinen aber doch einige neue Hundebesitzerinnen überfordert und die Anzahl Hunde in Tierheimen steigt wieder leicht an. Zu den No-Name-Strassenmischungen gesellen sich nun zunehmend auch kapriziöse Windhunde und traurige Bulldoggen.
Ob Designerrasse oder nicht, ich finde es spannend, die Beziehung zwischen New Yorkern und ihren Hunden zu beobachten. Vor meinem Umzug nach New York war ich von der Einteilung in Katzen- und Hundemenschen nicht überzeugt. Über die letzten Jahre hat sich aber meine Identität als Katzenmensch definitiv bestätigt. Während der Pandemie hatte ich sogar kurz überlegt, eine Katze zu adoptieren. Aber eine Katze ohne Auslauf scheint mir doch etwas unfair – und zu haarig. Vielleicht während der nächsten Pandemie.
*Anna-Lena Schluchter (31) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit zwei Jahren in New York, wo sie als Peacebuilding Officer für die UNO arbeitet.
Besonders spannend ist die Vergangenheit des Oltner Schloss Versailles, ja der frohsten Burg überhaupt: die Geschichte der Frohburg.
So gilt sie als Entdeckungsort des Fondues Frohbourg-uignonne, war die Geburtsstätte von Chris de Burg und ausserdem regierte dort der damalige König von Olten, der Ur-ur-ur-ur-ur-ur-[…]-ur-Grosskater von Altstadtkatze Toulouse. So war die Frohburg auch die erste Burg mit Katzentürchen und hörte auf den Namen «Fäli Schlössli».
Diese und viele weiteren hochkorrekten, profund recherchierten Informationen liefert Schloss-Boss Kilian Ziegler in seiner aktuellen Video-Kolumne.
Kultur ist, was die Maschine nicht kann. Kultur ist, was die Natur nicht ist. Kultur, das sind unsere Geschichten über unsere Zukunft und über unsere Vergangenheit. Wenn ich hier über Kulturförderung spreche, dann wünsche ich mir mehr Geschichten, vielfältigere Geschichten. Die Mitte könnte prüfen, wie sie diese Geschichten zugänglich machen will, analog und digital. Sie könnte uns helfen, ins Erzählen zu kommen. Denn uns das abstrakt Andere vorzustellen fällt uns schwer. Deshalb könnte die Mitte im Alltäglichen kleine Verrückungen zur Gegenwart pflegen – durch eine Ästhetisierung unserer Alltagskulissen, in der Architektur, in der Art und Weise, wie wir uns im öffentlichen Raum begegnen.
Zukunftskultur als Ästhetisierung des Alltags
Helfen veränderte Kulissen unseres Alltags zu erkennen, wie es einmal sein sollte? Das Impfzentrum böte zahlreiche Möglichkeiten, um mit dem Neuen zu experimentieren. Statt Farben und futuristische Formen dominieren Grau und Warnorange. Warum hat man keine Lichtkünstlerinnen eingeladen, um die Stadthalle zu beleuchten? Warum beharrte man auf Militärzelten, statt jedes Impfzimmer auf andere Art als futuristische medizinische Praxis zu inszenieren? Warum designten Schneider keine schicken Uniformen? Warum hat man nicht gewagt, das Ganze papierlos zu denken? Richtig, das sind keine Geschichten, sondern Kulissen. Aber warum nicht mal anders Zukunft denken, statt immer «form follows function» mal «function follows form»? Dann werden Kulissen zur Grundlage, um Abläufe, Spielregeln, Verwalten neu zu denken.
Zukunftskultur ist Architektur
Brauchen wir Statuen, die für alle sichtbar die Zukunft symbolisieren? Provokative Bauten könnten uns staunen lassen, sie könnten sichtbar machen, was wir fürchten und wonach wir uns sehnen. In Olten gibt es ein einziges Gebäude, das so etwas wie Zukunft ausstrahlt: das Haus mit dem Golddach. Sonst aber fehlen Formen und Farben, die grundlegend vom quadratisch, praktisch Guten der Gegenwart abweichen. Nichts ragt in den Himmel hoch, nichts verläuft diagonal, nichts wird neu gemischt. Zwei, drei radikale Bauten würden reichen, um Olten als Zukunftsstadt ins Gespräch zu bringen. Ein Holzhochhaus, ein Wolkenkratzer, der statt in die Höhe in die Tiefe ragt. Eine Siedlung auf der Aare mit schwimmenden Tinyhouses. Einfach bitte keine weiteren Betonklötze im quadratischen Einheitsmuster der 2010er-Jahre.
Zukunftskultur ist Begegnung
Die Pandemie zeigt eindrücklich, warum wir die Zukunft nicht alleine vor dem Bildschirm verbringen wollen. Wir vermissen die zufälligen, sinnlichen, unkontrollierbaren Begegnungen mit Mitmenschen. Sie bilden die Basis für ein glückliches Zusammenleben, sind Anlass, um uns Geschichten zu erzählen. Nein, analog muss das nicht immer sein. Aber noch immer scheint es am Konzert, in der Bar, im Club, im Park besser zu funktionieren, einen Menschen, seine Gefühle und Geschichten zu erfassen, als vor einem Bildschirm. Will die Mitte diese Begegnungen fördern, investiert sie in vitale Pop-up-Museen und -Restaurants, in Konzerte und Abenteuerspielplätze. Um niemanden auszuschliessen und den Zufall zu kultivieren, fördert sie Begegnungen ohne ökonomischen Hintergrund – auf der Aare, auf Dachgärten oder futuristischen öffentlichen Plätzen.
Die Mitte – was meine ich damit? Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.
Über ein Jahr Pandemie, eine Million Medienberichte und eine Milliarde Streitereien, knapp 11’000 Tote in der Schweiz und 3,5 Millionen Tote in der Welt, Lockdowns und Shutdowns, harte und weiche, 500’000 Jammerinterviews mit Casimir Platzer (den vor Sars-CoV-2 kein Schwein kannte), ebensoviele Bundesratspressekonferenzen (die vor Sars-CoV-2 kein Schwein schaute), ein ewig langer Winter namens Flockdown, ein Frühling, der keiner war, wie eine weitere Provokation der Natur, der kälteste seit 34 Jahren, Bibbern auf den Aussenterrassen, Bibbern über neue Mutationen, überforderte und abgewählte Populisten, tonnenweise systemrelevantes WC-Papier, zwei Meter Abstand, eineinhalb Meter Abstand, zwei Wochen Quarantäne, eine Woche Quarantäne, alles abgesagt, ganz viel Sorgen und Ängste und Hass und Liebe und Forschung, fantastisch schnelle Forschung, und dann sitze ich da, 5. Mai 2021, frage die Frau in Weiss «Wie lang dauert das?», und sie antwortet «Das geht ganz schnell», ich entblösse meinen Oberarm, sie setzt die Nadel an, und zwei Sekunden später strömen 0,5 ml mRNA-1273 durch meine Blutbahnen, Moderna gegen Corona, ein simpler Stich gegen die Katastrophe, ich bin gerührt und denke: «Danke.»
2. «Vielleicht ist dieser Mistkerl wirklich mal unersetzbar?»
Marina Maximilian Blumin als Hila in der Serie «Fauda» (2015 – heute)
«Fauda» ist Arabisch und bedeutet Chaos. Die gleichnamige Serie ist ein internationaler Erfolg, von der «New York Times» zur besten Serie 2017 erkoren. Es gibt drei Staffeln, die ersten beiden hab ich vor einiger Zeit geschaut, zunächst fasziniert von diesem bildstarken Einblick in den Nahost-Konflikt anhand einer israelischen Spezialeinheit mit seiner Hauptfigur Doron. Die Lust auf Staffel 3 verging mir dann, weil die Serie zur Aneinanderreihung von immer neuen, sich gleichenden blutrünstigen Einsätzen der Spezialeinheit verkommt. Als am 10. Mai der reale Israel-Gaza-Krieg entfachte, kam mir «Fauda» wieder in den Sinn und ich begann doch noch mit Staffel 3. Und wieder jagten die Israelis den gerade führenden palästinensischen Unruhestifter, bis dieser tot oder gefangen war – und der nächste Top-Terrorist seinen Platz einnahm. So erzählt die zermürbte Bürochefin Hila in Folge 4, in einer zweisamen Nacht mit Doron, wie sie sich manchmal fragt: «Vielleicht ist dieser Mistkerl wirklich mal unersetzbar?» Da realisierte ich: Die Wiederholung des immergleichen Grausamen muss keine Einfallslosigkeit der Serienmacher sein, es ist bittere Realität. Immer noch ein Hinterhalt, noch ein Angriff, noch ein paar Tote, noch ein Krieg. Ein Konflikt dreht sich im Kreis, wie die Ameisen in der Ameisenmühle, wenn der Anführer die Orientierung verloren hat und ihm doch alle blind folgen, obwohl er sich im grossen Kreis dreht, bis in den Erschöpfungstod. Die vierte Staffel von «Fauda» folgt voraussichtlich Anfang 2022.
3. «Weit weg»
Aus dem Titel der neuen Single von «Jeans for Jesus» (2021)
Es sind gerade etwas komplizierte Zeiten für Menschen, die gerne reisen. Gegen Fernweh oder die Sehnsucht nach dem aufregend Anderen, dem Exotischen hilft mir manchmal Musik. In der digitalen Welt gibt’s zwar auch Viren, aber keine Quarantänen, jedenfalls bietet das Internet wunderbar kuratierte Angebote für den gepflegten musikalischen Eskapismus. Lust auf Nicaragua in den 60er-Jahren oder das postmoderne Japan? Zeit- und Regionenreisen bietet zum Beispiel die Sammlung von radioooo.com an. Echtes Radio in Echtzeit gibt’s auf radio.garden, wo man sich auf so banale wie faszinierende Weise durch den Globus klickt, von Station zu Station. Mein vergleichsweise altmodischer Favorit ist und bleibt die tägliche Sendung von Couleur 3, die früher Tanger-Glasgow hiess und heute Brooklyn-Maputo. Tanger ist eine marokkanische Hafenstadt, Maputo die Hauptstadt von Moçambique, und die Sendung früher wie heute eine tägliche dreistündige Reise durch die Kontinente voller guter neuer und alter Musik. Wobei es selbstverständlich auch vorzügliche Musik von ganz nah gibt. Zum Beispiel von «Jeans for Jesus», die sind gar im gleichen Berner Quartier zuhause wie ich. Und scheinen allerdings auch an Fernweh zu leiden. Ihre neue Single heisst «Weit weg».
4. «Die einen fürchten sich vor Überfremdung, die anderen vor der Klimakatastrophe, die einen vor Pandemien, die anderen vor der Gesundheitsdiktatur: Fest steht, dass alle Angst haben und dabei meinen, dass nur die eigene Angst die richtige ist.»
Juli Zeh in ihrem neuen Roman «Über Menschen» (2021)
Die tolle deutsche Autorin Juli Zeh hat ein tolles neues Buch geschrieben. Der Roman handelt von der linksliberal sozialisierten Dora, die von Berlin nach Bracken zieht, mitten in die Provinz, mitten in der Pandemie. Corona ist in der Literatur angekommen, und das liest sich im ersten Moment etwas widerwillig – selbst in der Fiktion hat man also keine Ruhe mehr vor dem Thema. Doch dann erlebe ich dieses jubelnde Gefühl des Verstandenwerdens, das einen erfasst, wenn eine fremde Stimme eine eigene Haltung in so klare und schöne Worte fasst, wie man es selbst noch nicht geschafft hatte. Wobei die eigene Haltung in diesem Fall vor allem darin besteht, sich von zu eindeutigen Haltungen zu distanzieren. Doras neuer Nachbar ist ein Nazi, ihr Ex-Freund ein Klimaaktivist, die Pandemie treibt die Spaltung der Gesellschaft voran, und Dora wundert sich in ihrer Lethargie, wieso partout keiner den anderen verstehen will. Dabei wärs doch recht einfach: Die Welt ist komplex, es gibt keine eindimensionalen Zusammenhänge, Handlungen und Haltungen entstehen aus Gefühlen und Erfahrungen, und die eigenen sind nicht mehr wert als die anderen. Oder hat da jemand eine andere Haltung?
PS.
Newsmeldung des Monats, gelesen auf tagesanzeiger.ch «Emma Watson meldet sich auf Twitter zurück». Die Frage ist nur: Wo ist der Bus? Der mit den Menschen, die das interessiert?
* Pierre Hagmann war erster Chefredaktor von KOLT, stammt aus Olten und blickt heute von Bern auf die schöne, komische Welt.
Die europäische Überheblichkeit war vor einem Jahr auf einem Allzeithoch, als Trump trotz aller Krisen im Wahlkampf zumindest am Anfang doch verhältnismässig tapfer mitzog und das Land gleichzeitig im Covid-Chaos versank. Der Frühling 2020 war hart für New York City. Totaler Lockdown, beklemmende Stimmung, mehrere hundert Tote täglich, ein Spitalkriegsschiff angedockt in Manhattan, ein temporäres Zeltspital im Central Park und Kühltransporter für die Toten in der ganzen Stadt stationiert.
Ein Jahr danach sieht die Lage anders aus. Die Pandemie ist natürlich noch nicht vorbei und die sozioökonomischen Folgen werden noch lange zu spüren sein. Aber die Stadt strahlt einen neuen Optimismus aus. Das hat nicht zuletzt mit der rasanten Impfgeschwindigkeit zu tun. Ende März erhielt ich meine erste Dosis. Das ganze Erlebnis hob meine Stimmung für Tage: Die Registrierung für den ersten Impftermin kostete zwar einige Nerven und Zeit, aber als ich dann in der Subway unterwegs zu einer Highschool in der South Bronx war, wurde ich zunehmend neugierig und nervös. Kaum angekommen wurde ich von einem der unzähligen freundlichen Helfer in Empfang genommen, registriert und von sogenannten Flow Monitors an weiteren Checks und Desinfektionsstationen durchgewinkt. Dolmetscherinnen für zahlreiche Sprachen, inklusive Gebärdensprache, wie auch ein sogenannter Emotional-Support-Spezialist wuselten durch die Schlange und vergewisserten sich, dass alle Impfwilligen gut umsorgt waren. Nun sass ich an einer der vierzig Stationen in der umfunktionierten Cafeteria und Krankenschwester Noora stellte anhand eines letzten Checks sicher, dass ich impfbereit war. Nur wenige Sekunden und einen kurzen Pieks später war die Sache durch und ich wurde in die überdimensionale Turnhalle der Highschool weitergeleitet. Dort musste ich nun fünfzehn Minuten zur Beobachtung bleiben. Etwas in Gedanken verloren sah ich in die Gesichter der anderen Geimpften – unterschiedlichster Herkunft, alt und jung –, die ihre Zeit vor den Flaggen des Highschool-Basketballteams abwarteten, und ich fühlte das historische Gewicht dieses Moments.
Nicht, dass ich diesen hätte übersehen können, denn mehrere Helferinnen trugen gelbe Westen mit dem Schriftzug «Making History» und aus einer Musikanlage dröhnten dem Anlass entsprechend Hits von Tina Turner und Queen. Ja, ja, das mutet natürlich pathetisch an. Aber als ich meinen Aufkleber mit dem Aufdruck «I got the shot NYC» bei einer weiteren Helferin abholte, spürte ich ihn – diesen Optimismus – und das Gefühl, Teil von etwas Positivem zu sein, das man zusammen durchgestanden hat.
Wir Europäerinnen belächeln diesen uns oftmals übertrieben und naiv erscheinenden amerikanischen Enthusiasmus und uns wird etwas unwohl bei zu viel kollektiv zelebriertem Stolz. Auf dem Weg nach draussen gratulierten mir die restlichen Helfer mit strahlendem Lächeln zu meiner ersten Dosis – und ich war ehrlich gerührt.
Wir sind noch weit von einem normalen Alltag entfernt und nichts ist perfekt. Aber einen so wichtigen Schritt zu zelebrieren, tut gut. Warum auch nicht? Denn ab jetzt wird es nur noch besser, wir haben es fast geschafft! Und ich schneide mir eine kleine Scheibe des amerikanischen Optimismus ab.
*Anna-Lena Schluchter (31) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit zwei Jahren in New York, wo sie als Peacebuilding Officer für die UNO arbeitet.
1. «Sagen Sie all Ihren Freunden, und schreiben Sie es am besten auch in Ihren Artikel: Nie, unter keinen Umständen, soll jemand ein Mobiltelefon benutzen beim Autofahren.»
Thomas Vinterberg in der «Sonntagszeitung» vom 25.04.2021
So endet das Interview von Journalist Matthias Lerf mit dem dänischen Regisseur Thomas Vinterberg. Lerf tut also, was Vinterberg wünscht. Es kommt selten vor, dass ein Interviewer tut, was der Interviewte wünscht, aber es kommt auch selten vor, dass man einen solchen Mann mit einer solchen Geschichte interviewen kann. Eigentlich geht es um «Druk», den neuen Streifen von Vinterberg, der seit 1998 und dem Dogma-Wunder «Festen» auch ausserhalb seiner Heimat eine Filmgrösse ist. Die Dogma-Zeit ist um, doch Vinterberg bleibt ein Meister seines Fachs, mit «Druk» gewann er soeben den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Darin experimentieren vier Lehrer-Freunde (überragend wie immer: Mads Mikkelsen) mit Alkohol gegen die Mid-Life-Krise. Der Mensch, so die (echte) Theorie eines norwegischen Psychiaters, wäre mit einem Grundpegel von 0,5 Promille Alkohol im Blut besser dran. Das Experiment eskaliert, wen wunderts, doch was bleibt, ist die Wucht der Schlussszene. Die gewissermassen dasselbe sagt wie der Schluss des Interviews: Wir begegnen dem Leid mit Hoffnung und Kraft, Aufgeben ist keine Option. Was der Interviewer erst im Verlauf des Gesprächs erfährt: Vinterbergs 19-jährige Tochter ist kurz nach Beginn der «Druk»-Dreharbeiten bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein vom Handy abgelenkter Fahrer war in ihr Fahrzeug gekracht.
«Druk»: Ab 6. Mai im Kino
2. «Das Gehirn selber spürt keinen Schmerz.»
Neurochirurg Henry Marsh im Podcast «Confessions of a Brain Surgeon»
Der Mann weiss, wovon er spricht: Henry Marsh operiert seit vierzig Jahren menschliche Gehirne. In diesem englischen Podcast mit dem Titel «Geständnisse eines Neurochirurgen» gibt er eindrückliche Einblicke, die unter die Schädelhaut gehen. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Patienten heutzutage während der Hirnoperation wach sind? Damit kann der Operateur besser kontrollieren, was seine Eingriffe für Folgen haben. Zum Beispiel, indem er mit der Patientin spricht. Besonders faszinierend daran ist das Schmerzparadox: Das Gehirn kreiert Schmerz als Antwort auf Stimuli vom restlichen Körper. Wenn ich Schmerzen im Finger spüre, ist es eine Illusion, dass der Schmerz im Finger selbst ist. Das heisst, aller Schmerz ist im Gehirn, das Gehirn selber spürt aber keinen Schmerz. Fürs Öffnen der Schädeldecke verabreicht Marsh seinen Patienten dennoch gerne eine Vollnarkose, weil das Aufbohren extrem laut ist … Mir wärs übrigens lieber umgekehrt: dass das Gehirn selber zwar schmerzempfindlich wäre, aber kein Schmerzempfinden produziert. Dann würde ja auch der Gehirnschmerz nicht schmerzen. Und das ganze Leben wäre wunderbar schmerzlos. Und vielleicht aber, so ganz ohne Warnsignale, etwas kurz.
3. «Und denn isch irgendwenn Pause und dSpieler gönd id Kabine und mir schiffet as Gitter hinder dr Gegetribüne.»
Aus dem Song «S erscht Mol» von Manuel Stahlberger (2020)
Manuel Stahlberger ist ein bisschen der neue Mani Matter, nur dass er aus der Ostschweiz stammt, aber er schafft es sogar, dem St. Galler Dialekt einen sanften Klang zu verleihen. Auf seinem neuen Album «I däre Show» singt Stahlberger wie gewohnt über das scheinbar banale Alltägliche, dazu gehört ein Spielbericht als Song, 19. März 1983, FC St. Gallen gegen GC, sein erstes Mal am Match, mit dem Vater im Stadion Espenmoos und immer wieder seither. Es ist eine kleine Hymne fürs Fansein geworden, für dieses Ritual, wenn der Vater das Kind erstmals ans Spiel des geliebten Teams mitnimmt und für ewig mit dem Club-Virus ansteckt. Bei mir wars der 27. September 1988, Stadion Kleinholz. Der EHC Olten gegen Ambri, Nationalliga A, es fallen 14 Tore. 4050 Menschen im Publikum erleben, wie der EHCO 4:10 untergeht, zum ersten Mal bin ich einer von ihnen, ich schiffe nicht ans Gitter, aber fiebere mit, leide mit und lerne früh, dass das Leiden bei diesem Club zum Standardprogramm gehört. Stahlberger hatte mehr Glück, St. Gallen gewann 5:1.
4. «Aber dann, vor ungefähr 10’000 Jahren, lief es schief.»
Rutger Bregman im Sachbuch «Im Grunde gut – eine neue Geschichte der Menschheit» (2019)
Jeder Fortschritt hat seinen Haken, das ist nichts Neues. Die These des Niederländers Rutger Bregman geht aber viel weiter. Die Menschen waren keine Barbaren, bevor das Zeitalter der Zivilisation begann, sagt er, sie sind es seither. Wer auch immer vor rund 10’000 Jahren die Landwirtschaft erfand, ist fürchterlich falsch abgebogen. Homo sapiens, als Wesen im Grunde gut, verlor da seine Unschuld; Privatbesitz, Kriege, Unterdrückung, Zivilisationskrankheiten, das alles kannten die Jäger und Sammler nicht, und in der Kombination entpuppte es sich als pures Gift. Bregman ist mit seiner Überzeugung bei weitem nicht mehr alleine, unser gesamter Fortschritts- und Wachstumsglaube ist in Frage gestellt. Sind wir zivilisierten Wesen am Ende gar nicht die Gewinner der Geschichte? So schreibt er auch: «Wir können die Geschichte der Zivilisation als eine Geschichte zusammenfassen, in der die Machthaber ständig neue Gründe für ihre Privilegien erfinden.» Man kann davon halten, was man will, eins aber demonstriert die lesenswerte Lektüre in grosser Klarheit: Die Geschichte wird immer von den Gewinnerinnen geschrieben. Und muss daher immer kritisch hinterfragt werden.
PS.
Zum Schluss noch etwas Sinnloses: Wissen Sie, was ein Lipogramm ist? Dieser Satz zum Beispiel ist ein Lipogramm. Ein Lipogramm ist ein Text, in dem bewusst und konsequent ein bestimmter Buchstabe des Alphabets nicht verwendet wird. In diesem Abschnitt zum Beispiel f. Aber es gibt auch ein ganzes Buch, das ohne Buchstaben e auskommt. Ich weiss nicht, wieso man so etwas macht, aber ich glaube nicht, dass es lesenswert ist.
* Pierre Hagmann war erster Chefredaktor von KOLT, stammt aus Olten und blickt heute von Bern auf die schöne, komische Welt.
Ein anderes Mal war hier schon von Arno die Rede, dem belgischen Sänger, der Legende, dem König des «Eurorock». Arno lebt im Brüsseler Szeneviertel Dansaert, einem Künstlerquartier mit viel zugewanderten Bobos aus Flandern. Man lief ihm dort immer wieder mal über den Weg, in irgendeiner Beiz oder wenn er draussen auf dem Trottoir eine Zigarette rauchte. Eigentlich konnte man ihn jeden Tag dort antreffen, eigentlich war er ständig irgendwo am Rauchen. Weniger an den Wochenenden, wenn die Touristinnen unterwegs sind. Eher so mittwochs oder donnerstags oder dienstags.
In letzter Zeit jedoch ist es ruhig geworden um den 71-Jährigen. Anfang 2020 machte Arno öffentlich, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Eine Horrordiagnose. Ganz Belgien sorgte sich um ihn. Die gute Nachricht: Die Operation und die nachfolgende Therapie scheinen erfolgreich gewesen zu sein. Arno raucht und trinkt jetzt zwar nicht mehr. Aber vor einigen Tagen hat er zwei neue Songs veröffentlicht.
Arno 1995 – «Les yeux de ma mère»
In einem Interview hat Arno mal gesagt: «Wenn ich in Brüssel Pipi gegen Süden mach, wird Paris nass. Wenn ich gegen Norden mache, ist es Amsterdam. Und pinkle ich in die andere Richtung, trifft es London». Im Osten hätte er noch Köln hinzufügen können. Aber es stimmt: All diese Städte sind mit dem Zug von Brüssel in unter zwei Stunden erreichbar. Was nicht heisst, dass man dort auch hinfahren muss. Oltner kennen das: Wie oft fährt man schon nach Basel, Bern, Zürich oder Luzern? Was zählt, sind die Optionen. Insofern ist Brüssel sowas wie das Olten Europas.
Das klingt jetzt abwegig und es ist es natürlich auch. Brüssel ist eine Metropole mit gefühlt tausendmal so vielen Einwohnern wie Olten. Brüssel ist Weltstadt, nicht irgendein Kaff am Jurasüdfuss. Oder ist Brüssel auch nur tausendmal Olten aneinandergereiht, wie es in ähnlicher Form schon gesagt wurde? Wie dem auch sei: Brüssel wie Olten, manche Leute behaupten, es seien durchwegs hässliche Städte. Hässlicher jedenfalls als die jeweils grossen Schwestern Paris oder Solothurn. Das kann man so sehen. Muss man aber nicht. Was sicher ist: Brüsselerinnen wie auch die Oltner sind feine Menschen, weltoffen, unprätentiös und sicher nicht so versnobt wie in Paris oder eben … Aber lassen wir das. Um es in den Worten Arnos zu sagen: «On est moche, mais on s’amuse!»
*Remo Hess (35) lebt und arbeitet seit 2016 als Journalist in Brüssel.
1. «Man darf bezweifeln, dass jemand, der an seinem Arbeitsplatz Internetverbindung hat, gute Romane schreibt.»
Jonathan Franzen im Magazin der Süddeutschen Zeitung
Zufällig bin ich auf diese amüsante und aufschlussreiche Liste gestossen, die Ratschläge von sieben bekannten Autorinnen und Autoren über das Schreiben sammelt. Der Offline-Tipp des US-Amerikaners Franzen hat besondere Strahlkraft, weil a) man sich einen Arbeitsplatz ohne Internet nicht mehr vorstellen kann und b) Franzen gewiss ein bisschen recht hat, auch weil seine Aussage nicht nur fürs Schreiben gilt, sondern für jede kreative Tätigkeit. Letztlich ist auch das vermeintlich produktive Surfen wie die Ideensuche bei Twitter oder die Recherche bei Wikipedia oft nur Fake Work, um den Mühen der Kreation aus dem Weg zu gehen.
Bleibt die Frage: Wie hätte ich ohne Internet davon erfahren, dass ich mit Internet nicht konzentriert arbeiten kann?
2. «Veridis Quo»
Songtitel auf dem Album «Discovery» von Daft Punk (2001)
Daft Punk haben sich getrennt und das ist nicht gut; seit ungefähr zwanzig Jahren wollte ich sie live sehen, aber das französische Elektro-Duo mit den Roboterhelmen hat sich gerne rar gemacht. So simpel und doch so vielschichtig, das waren Daft Punk, das ist auch dieser Songtitel, der in meiner Playlist «Lieblingslieder des Monats» auftaucht. «Veridis Quo» kann laut Fangemeinde bedeutungsgleich mit dem lateinischem «Quo vadis» (wohin des Weges?) verstanden werden. Auf einer zweiten Ebene klingt die Musik schon mit: Very Disco! Und wer diese beiden Worte tauscht, macht eine weitere Entdeckung: «Discovery» – der Namen des Albums.
3. «Um den Zugang zu Ressourcen freizumachen, könnte aber zuallererst das Wort Orientierung selbst ernst genommen werden, denn es ist eine Ableitung von Orient, Orientis im Lateinischen, womit die Richtung bezeichnet wird, in der die Sonne aufgeht (von orior, aufgehen, sich erheben, aufsteigen).»
Ein Aha-Erlebnis! Ich liebe Aha-Erlebnisse, denn es ist ein befreiendes Gefühl, wenn Klarheit in ein Dunkel kommt, dessen Existenz einem gar nicht bewusst war. Man hatte es bloss erahnt und nimmt die Spannung erst wahr, wenn sie aufgelöst wird. Begleitet vom erlösenden Ahaaaa. Jedenfalls: «Orientierung» stammt von Orient! Wusstet ihr das? Ich nicht. Obwohl es so naheliegend ist. Obwohl ich das Wort Orientierung schon sehr lange kenne und das Wort Orient ebenso, und dass der Orient das Land der aufgehenden Sonne ist, das war mir auch bewusst, aber an diesen Zusammenhang hatte ich nie gedacht.
Da stellen sich auch ein paar Folgefragen: Gibt es (deshalb) im Westen mehr Orientierungslosigkeit als im Osten? Rennt man beim Orientierungslauf immer der Sonne nach? Ist es ein Symptom von Orientierungslosigkeit, wenn einem die naheliegendsten Dinge nicht auffallen?
Das Buch ist im Übrigen auch recht lesenswert, Schmid erzählt darin von seinen Erfahrungen und Begegnungen als philosophischer Seelsorger im Spital Affoltern am Albis.
4. «Älterwerden ist ein Privileg: Niemand sollte lamentieren, dass er wieder ein Jahr mehr auf dem Buckel, ein graues Haar oder eine neue Falte hat – sondern sich erfreuen, dass er es bis hierhin geschafft hat.»
Elliott Dallen in der Zeitung «The Guardian» (2020)
Perspektivenwechsel ermöglichen neue Haltungen, neue Haltungen ermöglichen neue (und positivere) Emotionen. Wie oft strampeln wir verzweifelt gegen das Älterwerden, gegen den nahenden Tod (denn nahend, das ist er immer)? Da tut es vielleicht gut, zu lesen, was ein 31-Jähriger zu sagen hat, dem nur noch wenige Wochen bleiben. Der Brite Elliott Dallen erkrankte an unheilbarem Krebs und schrieb während des Lockdowns für die renommierte Zeitung «The Guardian» über seinen erstaunlich positiven Umgang mit der Situation. Und gibt den Glücklicheren da draussen ein paar Gedanken mit auf den Weg. Du wirst bald 40 oder 70 oder 80? Denk an den 31-Jährigen. Alles eine Frage der Perspektive. Der Tag, an dem die Worte oben publiziert wurden, war sein letzter.
5. «Grossmutter riecht nach Korea»
Der 7-jährige David (gespielt von Alan S. Kim) im Film «Minari» (USA 2020)
Als letztmals die Oscars vergeben wurden, im Februar 2020, kommentierte der patriotische Präsident Trump: «Der Gewinner ist ein Film aus Südkorea, was zur Hölle soll das?» Parasite (unbedingt sehenswert!) war zum besten Film des Jahres gekürt worden; ein aussergewöhnliches Ereignis, weil in der Hauptkategorie normalerweise amerikanische Produktionen siegen. Ein Jahr später schielt nun «Minari» auf den Oscar, der voraussichtlich Ende April vergeben wird. Trump ist weg, aber könnte dieses Mal mit einem Triumph vielleicht besser leben. Regisseur Lee Isaac Chung ist nämlich Amerikaner; er wuchs als Sohn koreanischer Immigranten auf einer Farm in Arkansas auf. Genau darum geht es auch in seinem exzellenten Film: Wie eine koreanische Familie auf einem abgelegenen Stück Land in den Ozarks (hat nichts mit diesem Film zu tun, aber auch toll: die gleichnamige Netflix-Serie) im Süden der USA versucht, eine neue Existenz aufzubauen. Irgendwann in diesem Abnützungskampf stösst die südkoreanische Grossmutter dazu und pfeffert die Geschichte gehörig nach. Zuviel für den kleinen, schon recht amerikanischen David, der in der Grossmutter Heimat sucht und zunächst nur Befremden findet. Wurzeln schlagen geht langsam, sagt uns der Film, aber zumindest die Petersilie (koreanisch: Minari) gedeiht prächtig.
Filmstart Deutschschweiz: voraussichtlich 22. April 2021. Produziert von Brad Pitt, nominiert für 6 Oscars.
PS: Abschliessend noch ein Bild zum Monat und der Satz dazu.
«Es ist kalt und es ist nass und es ist alles zu und es ist Pandemie und wir wollen trotzdem zusammen ein Bier trinken.»
Pierre Hagmann
Bild von Pierre Hagmann
* Pierre Hagmann war erster Chefredaktor von KOLT, stammt aus Olten und blickt heute von Bern auf die schöne, komische Welt.
Nur wenige Wochen nach dem Einzug in meine schöne und damals helle Altbauwohnung in Manhattan wachte ich eines Morgens zu Lärm und unangenehm neugierigen Blicken von Bauarbeitern auf, die innerhalb eines Tages ein Gerüst an meinem Gebäude anbrachten. Das ist nun zwei Jahre her und das Gerüst ist trotz unzähliger Versprechen des Hauswarts und der Vermieter, dass es «nächsten Monat» wegkomme, immer noch da! Persönlich direkt betroffen, achte ich mich nun vermehrt, und tatsächlich ist fast jeder Block in der Stadt mit einem Gerüst eingekleidet. Eine Freundin, die vor kurzem zu Besuch war, meinte sogar, dass sie die Upper East Side nach einem kurzen Spaziergang schnell wieder verlassen musste, da die unzähligen Gerüste und deren Überdachungen sie deprimiert hätten.
Letztes Jahr zählte man über 8300 Gerüste in Manhattan und Brooklyn. Würde man die alle aneinanderreihen, ergäbe das eine Gesamtlänge von 442 Kilometern. Das entspricht der Distanz von Olten nach Genf und retour!
Was ist hier also los? Um von meiner Entrüstung etwas runterzukommen, habe ich ein wenig recherchiert: 1979 wurde eine junge Studentin auf dem Heimweg von einem Ziegel eines bröckelnden Gebäudes erschlagen. Darauf wurde Local Law 11 verabschiedet, und seither sind Eigentümer von Gebäuden mit einer Höhe von mehr als sechs Stockwerken verpflichtet, ihre Fassaden alle fünf Jahre auf lose Ziegel und brüchiges Mauerwerk überprüfen zu lassen. Das scheint in vielen Fällen vorhanden zu sein, und an diesem Punkt wird dann ein Gerüst errichtet. Das Auf- und Abbauen ist ziemlich teuer und viele Eigentümerinnen entscheiden sich, das Gerüst präventiv bis zur nächsten Inspektion stehen zu lassen. So werden diese monströsen Dinger permanenter Teil des Stadtbilds. Für verschiedene Akteure ist das Geschäft mit den Gerüsten lukrativ und anscheinend bleiben einige Gerüste bis vierzehn Jahre lang stehen! Innovative Unternehmerinnen beschäftigen sich ebenfalls mit diesen Gerüsten und seit kurzem bietet das Start-up Urban Umbrella Läden wie Louis Vuitton und Ralph Lauren stylische weisse Gerüste im gotischen Stil an.
Sucht man auf Google «what New Yorkers hate», folgt Scaffolding – der englische Begriff für Gerüstebauerei – gleich nach New Jersey (an erster Stelle), Touristen, Times Square und Florida.
Auf meiner persönlichen Hassliste sind diese Gerüste ganz oben und mit meiner Entrüstung fühle ich mich natürlich fast wie eine echte New Yorkerin. Aber die Bewohner der Stadt sind bekannterweise sehr kreativ und innovativ und schaffen es, sogar aus diesem Gerüstewald etwas Positives zu ziehen. Restaurantbesitzerinnen nutzen die Überdachungen und Stangen für saisonale Dekorationen, Jogger machen ihre Klimmzüge an den Rohren, Künstlerinnen nutzen die neuen Flächen als Leinwand und Basis für Skulpturen und den unzähligen Obdachlosen der Stadt bieten die Überdachungen Schutz vor dem manchmal miesen New Yorker Wetter, vor allem im Winter.
Nach genauerem Betrachten scheint es fast, als ob diese Gerüste genauso zu New York gehören wie die Freiheitsstatue und die gelben Taxis. Und so warte ich also naiv darauf, dass nun im April die Stangen und Holzplatten oben vor meinem Fenster entfernt werden, bin aber gleichzeitig etwas besorgt um die Spatzenfamilie, die sich seit zwei Wochen in der Konstruktion eingenistet hat.
*Anna-Lena Schluchter (31) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit zwei Jahren in New York, wo sie als Peacebuilding Officer für die UNO arbeitet.
Im letzten Gedankenspiel zur Zukunft habe ich über neue Märkte für die Mitte nachgedacht. Ebenso könnte man über das künftige Zusammenleben nachdenken. Ein wichtiger Aspekt dieser Perspektive ist die Frage, wie sich die Mitte gegen die Risiken der Zukunft absichert. Diese bedrohen unsere Körper, Unternehmen, Medien und Maschinen. Wie könnte die Mitte ihr gesellschaftliches Immunsystem stärken? Ich habe drei Vorschläge, die unser Zusammenleben und dadurch unsere Zuversicht verbessern könnten.
Menschen und ihre Ideen sichtbar machen
Wir schützen uns erstens vor sozialen Risiken, indem wir einander wahrnehmen und miteinander sprechen. Möglichst wenig Menschen sollen sich einsam fühlen, sich in Internetforen düsteren Verschwörungserzählungen hingeben. Das setzt einerseits attraktive und bezahlbare Treffpunkte voraus, wo wir gerne Zeit miteinander verbringen. Ein schönes Kaffee an der Aare – mit selbst gemachten Süssigkeiten. Ein attraktiver Spielplatz – ohne Plastik, ohne Red-Bull-Dosen am Boden. Hier lernen wir im Idealfall auch neue Leute kennen. Anderseits braucht es digitale Plattformen wie Kolt. Wenn wir sehen, wer in unserer Nähe lebt, schafft das Vertrauen und Gelegenheit, etwas gemeinsam zu unternehmen, etwas gemeinsam neu zu erfinden. Genauso könnte es an Bahnhöfen und Busstationen Bildschirme geben, wo Menschen aus der Stadtsich in ein paar Sätzen vorstellen. Ein QR-Code könnte zu ihrem Profil in den sozialen Medien führen.
Räume zwischennutzen, Abfälle verwerten
Wir schützen uns zweitens vor ökologischen Risiken, wenn wir unsere Ressourcen zusammen besser nutzen. Zwar gibt es globale Kräfte, die wir als Mitte nur wenig beeinflussen können. Aber wir alle können etwas dazu beitragen, dass es weniger leerstehende Fabriken und Häuser gibt, dass weniger Bohrer und Scanner ungenutzt rumstehen, dass weniger weggeworfen wird. Unser aller Ziel könnte es es sein, dass irgendwann nichts mehr verbrannt wird. Die Mitte sollte wöchentlich unser Altglas, -aluminium und -plastik einsammeln. Sie sollte eine Plattform haben, auf der wir unsere Räume zur Zwischennutzung anbieten können. KMUs vernetzt sie miteinander, um die Kreislaufwirtschaft in Gang zu bringen. Für das Café sind Orangenschalen Abfall, jemand anderes kann daraus Verpackungsmaterial herstellen. Genauso lässt sich aus Kaffeesatz Dünger produzieren. Gemeinsam genutzte Häuser und Ressourcen schaffen überraschende Anlässe, uns zu unterhalten.
Aus der Vergangenheit lernen
Zukunft hat viel mit Vergangenheit zu tun. Einerseits ist unsere Gegenwart durch die Ereignisse, Menschen und Ideen der Vergangenheit entstanden. Anderseits verbergen sich in unserer Geschichte ungenutzte Innovationspotenziale. Sie finden sich vor allem dort, wo frühere Ideen aus irgendwelchen Gründen verworfen wurden. Die Verwaltung, die Unternehmerinnen und Expertinnen der Mitte könnten deshalb prüfen, wie man sich vor 50, 100 oder 150 Jahren die Zukunft von Aarau, Olten, Zofingen und Däniken vorgestellt hat. Welche Visionen gab es für das Gastgewerbe, die Mobilität, die Museen? Wie dachte man, dass wir uns ernähren, übernachten, uns amüsieren würden? Um diese Vergangenheit sichtbar zu machen, könnten wir uns in Archiven umsehen und diese darin unterstützen, ihre Bestände in digitale Verzeichnisse zu bringen.
Die Mitte – was meine ich damit? Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.
Laut populärem Kolt-Input würden grosse Läden wie H&M, Zara oder Manor die Kundenfrequenz in der Stadt merklich erhöhen und Olten als Einkaufsort attraktiver machen. Alle unsere Probleme wären gelöst! Wenn wir beispielsweise einen H&M hätten, würde Deville über Olten sicher keine Witze mehr machen. Aber es ist ja nicht so, dass wir gar keine bekannten Geschäfte hätten. Man denke an den McDonald’s an bester Lage – dieser internationale Gourmet-Tempel verleiht unserer Stadt überregionalen Glanz!
Dass bekannte Läden Leute in die Stadt locken würden, scheint plausibel. «Laden» kommt schliesslich von «einladen». Aber ich frage mich, brauchen wir tatsächlich Shops, die es schon in buchstäblich jeder Einkaufspassage der Welt gibt? Ist irgendjemand überhaupt noch beeindruckt von H&M, Swarovski, Starbucks und wie sie alle heissen? Und machen die grossen Ketten dem Gewerbe nicht eh bereits das Leben schwer? Schon viele lokale Läden mussten in Betreibung gehen. (Fun Fact: Der schnellste Betreibungsbeamte der Welt heisst Michael Zumacher.) Ich meinerseits bin kein Fan grosser Ketten. Wenn ich eine Kette will, gehe ich zum Juwelier.
Übrigens habe ich mir auch schon überlegt, selbst einen Laden zu eröffnen. Und zwar hatte ich die innovative Idee einer Brockenstube, die aber nur neue Sachen verkauft. Dann jedoch bemerkte ich, dass es das schon gibt: Das ist ein ganz normaler Laden. Verdammt! Hier eine unvollständige Liste weiterer origineller Ladenideen für die Oltner Innenstadt: Ein Ramschladen, der aber auch Essen anbietet: «Ramschnitzel». Oder «Sims-alabim», der Fensterladen-Laden. Oder «Pöbel-Möbel», Mobiliar für Hooligans. Oder ein Geschäft mit Laufschuhen für Bündner: «Schnäue Ursli». Oder ein Musikgeschäft für spezielle Saiteninstrumente: «Wenn-scho, Banjo». Liste unvollständig.
Momentan ist wegen Corona manch Schaufenster finster, aber wenn der Lockdown vorbei sein wird, sollte man als Einkaufsbummlerin in die Stadt und nicht online gehen. Denn egal, ob mit H&M oder ohne, Fakt ist, Oltner Geschäfte sind mit Herzblut dabei und brauchen jegliche Oltner-stützung. Sonst heisst es bald Ladenschluss. Und zwar für immer. Und dann steht in deinem Lieblingsladen vielleicht schon bald der nächste Barbershop.
Lassen wir für einen kurzen Augenblick die Debatte, ob es in Olten ein (neues) Kunstmuseum braucht, ausser Acht. Nehmen wir gedanklich vorweg, dass wir uns in Olten ein zeitgemässes, neues Museum leisten möchten, und seien wir davon überzeugt, dass dieses sehr zentral liegen soll. Richten wir unseren Fokus daher auf die angedachte Umsetzung des Vorhabens. Anfang des Jahres hat die Stadt nun das Verfahren zum selektiven Architekturwettbewerb gestartet. Dies, nachdem das Parlament im letzten Jahr den entsprechenden Kredit gesprochen und damit der Verwaltung den Auftrag erteilt hat. Das neue Museum soll demnach an der Kirchgasse 10 Platz finden, im denkmalgeschützten Gebäude also, welches bisher als Naturmuseum diente. Damit das Raumprogramm fürs künftige Kunstmuseum untergebracht werden kann, muss das Gebäude aber mit einem Anbau hin zum Munzingerplatz beziehungsweise Platz der Begegnung erweitert werden. Das bisherige Gebäude des Kunstmuseums an der Kirchgasse 8 soll umgenutzt oder ersetzt werden. Was auf den ersten Blick naheliegend erscheint, nämlich den Anbau im «Hinterhof» beim Parkplatz zu setzen, kommt bei näherer Betrachtung vielleicht etwas «unmotiviert» daher und scheint eher von Opportunismus als von Strategie getrieben – unter dem Motto «da hat’s Platz, da kommt er hin».
Welches Potenzial bietet aber diese wichtige innerstädtische Lage? Erzielt die für Olten doch ansehnliche Investition von 14 Millionen Franken für das neue Kunstmuseum eine angemessene Wirkung?
Man darf sich zu Recht fragen, ob oder inwiefern mit dem bisher eingeschlagenen Weg die richtigen Weichen gestellt werden. Ist diese Art von Erweiterung mit dem Anbau auf dem Munzingerplatz städtebaulich wirklich schlüssig?
Projektvorhaben des ausgeschriebenen Wettbewerbs
Das Projekt Kunstmuseum sollte mehr als einen neuen Kunstraum schaffen. Dies ist nur schon angesichts der veranschlagten Investitionen in der Höhe von 14 Millionen Franken und den um ein Mehrfaches höheren Folgekosten für Betrieb und Unterhalt angezeigt. Solche Mittel «nur» für die Kunstvermittlung und -bewahrung auszugeben, ist in Anbetracht der Vielseitigkeit öffentlicher Aufgaben sowie den finanziellen Rahmenbedingungen der Stadt wenig nachhaltig und zu hinterfragen. In Olten bieten sich zudem wenig Gelegenheiten, innerstädtische Flächen zu entwickeln und damit den Forderungen des Bundes einer «Siedlungsentwicklung nach innen» nachzukommen. Der Munzingerplatz ist einer dieser wenigen Orte in Olten in städtischem Besitz. Dieser wird heute als versiegelter Parkplatz genutzt und ist aus ökonomischer Perspektive damit wenig effizient – und wenig attraktiv. Ein Politikum, welches seit ewiger Zeit der Klärung bedarf. Und mit dem geplanten Erweiterungsbau für das Kunstmuseum werden die städtebaulichen Weichen weiter gestellt, was die Entwicklungsmöglichkeiten dieser innerstädtischen Fläche betrifft.
Visualisierung der Idee «Neubau Kirchgasse 8 und Blockrand um den Munzingerplatz»
Eine Entwicklungsmöglichkeit, die sich anbietet, wäre ein L-förmiger Neubau, welcher den Block «Munzingerplatz» schliessen würde. EG und erstes OG könnten das neue «Haus der Kunst» beherbergen. Es gäbe Raum, in dem sich eine Museumsnutzung einfacher und damit günstiger als in einem Altbau realisieren liesse. Flexibel in der Raumeinteilung und betrieblich effizient. Das Volumen gäbe einerseits der Westseite der Stadtkirche ein starkes Gegenüber, andererseits würde zwischen Neubau und Wangner Vorstadt, Haus der Museen und Kirchgasse ein innerstädtischer Raum entstehen, der für mehr als nur Fasnacht und Chilbi dienen kann. Die Parkplätze würden geopfert; dies nimmt aber nur die Zukunft der autofreien Innenstadt vorweg, welche in ein paar wenigen Jahrzehnten sowieso Realität wird. In den Obergeschossen würde gewohnt. Wohnen im Stadtzentrum ist ein Konzept, das die Stadt bereits für das Gebäude an der Kirchgasse 8 ins Auge gefasst hat und dem sowieso mehr Fläche zugesprochen werden sollte. Die Ansiedlung von Wohnen ist eine wirksame Massnahme, um eine (Innen)Stadt zu beleben, und steht dabei ganz im Zeichen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklungspolitik (kurze Wege, hohe soziale Dichte, gemischt genutzte Innenstadt). Hierzu trägt auch der öffentlich zugängliche Innenhof bei. Dieser ist begrünt, nicht versiegelt und mit grosskronigen Bäumen versehen – eine innerstädtische Oase, welche auch einen Beitrag zu einem guten Stadtklima leistet.
Durch diesen Neubau würden die Gebäude an der Kirchgasse 8 und 10 nicht für ein neues Kunstmuseum gebraucht und könnten so anders genutzt werden. Auch hier könnte in den Obergeschossen gewohnt werden, dadurch liessen sich die Erdgeschosse durch Mieteinnahmen quersubventionieren und als multifunktionale öffentliche Räume nutzen, betrieben durch die Stadt. Es könnten aber auch die Bibliotheken oder ein Kindergarten einziehen. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig.
Visualisierung der Idee «Blockrand um Munzingerplatz» Ansicht Richtung Stadtkirche, links das Haus der Museen
Sicherlich wären die Investitionen in diesen Neubau deutlich höher als 14 Millionen Franken. Nur würden diesen Investitionen Erträge in Form von Mieteinnahmen gegenüberstehen. Diese könnten wiederum in Form von Betriebsbeiträgen an das «Haus der Kunst» oder andere öffentliche Aufgaben und Angebote in der Innenstadt verwendet werden. Und wenn die Stadt lieber keine Wohnungen an guten Lagen selber erschaffen und besitzen möchte, bietet sich die Möglichkeit eines Baurechts an einen Investor an; die Stadt behält den Boden und nimmt auf Jahrzehnte Zinsen ein. Man muss nur wollen.
Sollte das neue Kunstmuseum jedoch wie jetzt vorgesehen in der Kirchgasse 10 untergebracht werden, sollten zumindest die zusätzlich notwendigen Räume in einem attraktiven Ersatzneubau am Standort des heutigen Kunstmuseums geschaffen werden. Beispielsweise mit einem multifunktionalen Foyer auf Strassenniveau (was hier im Gegensatz zur Hausnummer 10 möglich wäre), welches sich sowohl zur Kirchgasse wie auch dem neuen Platz hin öffnet und diese zwei Bereiche stärker verbindet. Und nebst der zentralen Adresse des Museums wäre auch dies ein vielseitig bespielbarer Raum zur Unterstützung von Anlässen in der Innenstadt. Auch dadurch könnte der städtebaulich fragwürdige Anbau vermieden werden.
Altbau versus Neubaubei Museen von Michael Bertschmann
Museen in Altbauten sind geschichtlich bedingt an der Tagesordnung; meist sind die Häuser der Institutionen bereits mehrfach erneuert oder erweitert worden. Üblicherweise treten die oft tiefschürfenden bautechnischen Klimmzüge dank ansprechender Architektur in den Hintergrund. Im Falle eines Museums fordert alleine der hohe Öffentlichkeitsgrad und damit die Personenbelegung kompromisslose Entfluchtungskonzepte, andererseits volle Behindertengerechtigkeit. Für eine zukunftsfähige, flexible Bespielung sind Strukturen hilfreich, welche veränderbare Räume und passende Erschliessungswege zulassen. Schwere Exponate erfordern von der Gebäudestatik hohe Einzellasten und durchgehende Logistikwege. Bei einem Kunstmuseum wird aus konservatorischen Gründen eine hohe Klimastabilität sowie ein optimal kontrollierbarer Tageslichteinfall angestrebt, was entsprechende Anforderungen an Gebäudetechnik, aber auch Fassaden stellt. Es mangelt nicht an guten Beispielen, wie sämtliche Anforderungen jeweils überzeugend umgesetzt werden konnten. Doch die Frage nach der Verhältnismässigkeit sollte immer gestellt werden, gerade wenn sich durchaus auch die Option eines Neubaus anbieten könnte.
Michael Bertschmann war zuständig für die Ausführungsplanung des Erweiterungsbaus des Kunstmuseums Basel und involviert in die Sanierung des Landesmuseums Zürich.
Studio Olten Das Studio Olten beobachtet (kritisch) die städtebauliche Entwicklung von Olten und erlaubt sich hie und da selber Vorschläge, welche als Anregung einer vitalen Diskussion dienen sollen. Das Studio setzt sich zusammen aus Michael Bertschmann (dipl. Architekt FH), Christian von Büren (M. Sc. Urban Management) und Matthias Sigrist (dipl. Ing. FH Bauprozessmanagement) und damit aus Fachleuten aus den Bereichen Architektur und Städtebau, Areal- und Immobilienentwicklung sowie Urban Management und der Stadtökonomie mit Erfahrungen aus Tätigkeiten bei der öffentlichen Hand, Bundesbetrieben und der Privatwirtschaft.
Nach zweijährigem Bestehen hat sich das Momentum als sympathische kleine Boulder- und Skatehalle etabliert und ist zu einem sportlichen Treffpunkt in der Region Olten geworden. Bewegungsbegeisterte Kinder und Jugendliche, Familien, aber auch ambitionierte KletterInnen und SkaterInnen schätzen die Oltner Trendsporthalle.
Weiterentwicklung des Angebots
Das Momentum möchte Kinder und Jugendliche für den Kletter- und Skatesport begeistern und Erwachsenen ein vielfältiges Kursangebot bieten können. Im Boulder- und Kletterbereich kommt das Momentum mit der jetzigen Wandfläche an seine Grenzen. Gerade Kindern und AnfängerInnen stehen mit den aktuellen Wandstrukturen zu wenig geeignete Flächen und Routen zur Verfügung. Deshalb ist die Realisierung eines zusätzlichen Boulder-Blocks und einer zweite Kletterwand geplant, welche speziell für das Kurswesen ausgelegt ist. Dieser Ausbau wird in die bestehende Anlage integriert, um damit ein vielfältigeres Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu ermöglichen. Insbesondere werden der Ferienpass, der Oltner Schulsport, die Kursangebote und alle Kletterbegeisterten der Region profitieren.
Finanzierung
Der Ausbau wird rund 68’000 Franken kosten. Dies beinhaltet die Planung, den Wandbau, die Erweiterung der Matten und eine Erweiterung des Griff-Volumen-Sortiments. Von diesen Kosten soll mindestens ein Drittel via Crowdfunding finanziert werden, um das Projekt starten zu können. Die weiteren Finanzierungsbestandteile sind Eigenleistungen (Arbeitsstunden beim Aufbau), kantonale Sportförderbeiträge, sowie Eigenkapital aus der Genossenschaft.
Crowdfunding und Zeitplan
Um aus den Plänen Realität werden zu lassen, benötigt das Momentum im ersten Schritt CHF 20’000.- aus dem Crowdfunding. Dazu wurde ein Projekt auf der Plattform http://www.lokalhelden.ch/momentum gestartet. Dort kann das Projekt mit Spenden oder dem Kauf einer Auswahl an Mercis – von der Einladung zum Eröffnungs-Aperó, über die Teilnahme an einem Routen-Schraub-Kurs bis hin zu einem Drei-Jahres-Abo – unterstützt werden. Die Realisierung des Projektes ist für Anfang April geplant. Je nach Corona Situation wird die Eröffnung des Ausbaus der Kletterwand mit einem Aperó Mitte April gefeiert.
Öffnungszeiten und aktuelle Informationen zur Momentum Halle
Nicht einmal Trendforscherinnen besitzen eine Glaskugel, in denen sie die Zukunft klarsehen könnten. Ich bin kein Medium und habe weder Pendel noch Karten. Meine Zunft bemüht sich aber darum, genau zu beobachten. Wir übersetzen «schwache Signale» der Zukunft in Trends. Wir beschreiben, was in den nächsten Jahrzehnten zu- und abnehmen könnte. Die Märkte der Zukunft entwickeln sich dort, wo durch ökologische, wirtschaftliche, medizinische, gesellschaftliche und politische Trends neue Bedürfnisse entstehen beziehungsweise sich bestehende verstärken. Die drei hier besprochenen Märkte der Zukunft befinden sich nicht nur in der Mitte. Die künftige Mitte ist vernetzt und sie produziert für die ganze Schweiz, für Europa, Tokyo und New York. Die Mitte muss gross denken, will sie ihre Potenziale entfalten.
Vegan – Pflanzen statt Tiere
Tierische Produkte geraten aus drei Gründen unter Druck: Erstens zeigt uns die gegenwärtige Pandemie auf dramatische Weise, dass an den Schnittstellen der Lebensräume von Mensch und Tier Gefahren lauern – im gerodeten Dschungel genauso wie im landwirtschaftlichen Grossbetrieb. Zweitens ist Fleisch extrem ressourcenintensiv. Die Fleischproduktion braucht sehr viel Wasser und belastet das Klima durch CO2-Aussstoss. Schliesslich stören sich immer mehr Menschen am Leid der Tiere und fordern Rechte für diese ein. Die Zukunft vegan zu denken, heisst, die Landwirtschaft kleiner und pflanzenorientierter zu denken. Pflanzliche Varianten für Milchprodukte und Fleisch sind gefragt. Das Leder der Zukunft stammt von Pilzen. Die Mitte könnte eine Vorreiterrolle einnehmen und an diesen Zukunftsprodukten forschen – und damit frühzeitig den hohen Steuern aus dem Weg gehen, die einst auf Fleisch und CO2-Ausstoss erhoben werden.
Neue Interfaces – Die Zukunft des Internets
Die Digitalisierung wird weitergehen – auch in und für die Mitte. Durch die Corona-Hygienemassnahmen wie Contact-Tracing und QR-Codes, aber auch durch die «Sehnsucht» nach neuen Daten, die sich zum Beispiel in unserer Stimme und unserem Gesicht verstecken, entsteht ein Bedürfnis nach neuen Interfaces. In Zukunft greifen wir nicht mehr nur mit unserem Smartphone auf das Internet und seine Informationen zu. Es werden Geräte und Anwendungen wichtiger, bei denen wir mit unserer Stimme und Gesten durch das World Wide Web surfen. Podcasts gewinnen weiter an Bedeutung. Wird es schon bald Soziale Medien geben, die rein stimmbasiert funktionieren? Sollte die Mitte hierzu ein innovationsförderndes Laboratorium gründen? Ebenso vielsprechend sind Anwendungen der Augmented und Virtual Reality. Werden intelligente Brillen und Kontaktlinsen unser Leben verspielter, verrückter machen?
We Health – Die Gesundheit der Gesellschaft
Ein dritter Zukunftsmarkt ist die Gesundheit der Gesellschaft. Man kann sie sehr datenbasiert denken. Als Pionierin könnte die Mitte die Aare täglich auf mitschwimmende Medikamente, Drogen und Viren überprüfen. Im Bahnhof würde sie vermessen, wie schnell wir gehen, ob wir gestresst oder glücklich dreinschauen. Die Mitte könnte die Gesundheit der Gesellschaftaber auch ganz anders angehen und in ihre Parks und Schwimmbäder investieren – damit wir draussen gratis an Fitnessgeräten unseren Rücken stärken und für wenig Geld am Sonntag in eine schöne Saunalandschaft gehen können. Zur Gesundheit gehört gute, frische Ernährung. Warum kann man am Bahnhof Olten kein frisches Gemüse von den Bäuerinnen aus der Region kaufen, warum kein Gipfeli geniessen, das nicht von einer riesigen Kette angeboten wird? Vermutlich ist eine solche Präsenz am Bahnhof nur möglich, wenn sich viele kleine Anbieter zusammenschliessen. Wer initiiert und moderiert dieses Zusammenkommen?
Auch in Olten ist Littering ein Diskussionsthema – das zeigt ein viel gelikter Kolt-Input. Aber heisst das, Olten ist «nid ganz putzt»? Sind Oltner Dreckspatzen? Und ist das Littering-Konzept der Stadt für den Eimer?
Doch zuerst zur Theorie: Littering stammt vom Wort Litter, was aber nicht etwa englisch ist, sondern eine Frage auf Mundart: «Liit er?» Es geht also darum, ob Müll herumliegt. Und ja, das tut er, wenn er achtlos weggeworfen und liegengelassen wird. Und natürlich irritiert der Abfall, er stört, bewegt sich nicht und liegt bloss herum – man könnte meinen, er sei Student. Etwas liegen zu lassen, ist nicht per se schlecht. Zum Beispiel kann es durchaus Spass machen, Geld im Casino liegen zu lassen. Oder es ist eine super Sache, die Freundin am Morgen im Bett liegen zu lassen, damit sie ausschlafen kann, während man den Haushalt erledigt. Aber Abfall liegen zu lassen, das liegt nicht drin. Erst, wenn der Abfall vom Boden aufgehoben wird, ist er gut aufgehoben.
Eindeutig nimmt man das Problem Littering zu wenig ernst. Nicht selten hört man billige Ausreden: «Littering schafft Arbeitsplätze», «Ich bin allergisch gegen Abfalleimer», «Mein Glaube verbietet mir, richtig zu entsorgen» oder «Im Internet steht, Littering sei gut für die Umwelt». Das ist natürlich völliger Müll. Ich glaube, in allen von uns steckt ein Anti-Litter-Ritter.
Aber wie kann man denn konkret gegen Littering vorgehen? Nachfolgend eine Auswahl opportuner Ideen: Die Stadt könnte grössere Abfalleimer aufstellen, die man gar nicht verfehlen kann (selbst, wenn man will). Oder man könnte für korrektes Wegwerfen Anreize schaffen. Ich denke an Steuererleichterungen oder Cumuluspunkte. Ein nicht selten geäusserter Vorschlag lautet: Bussen verteilen. Dieser Ansatz ist jedoch weniger geeignet. Die Gefahr ist gross, dass Abfallsünderinnen, die eine Busse erhalten, jene gleich wieder auf den Boden schmeissen. Die vielleicht beste Vorgehensweise, Littering zu verhindern, ist Prävention. Gerade junge Menschen sind sehr manipu… empfänglich für entsprechende Kampagnen. Es wäre eine Überlegung wert, mit prominenten Littering-Gegnern zusammenzuarbeiten, mit solchen, die Teenager kennen und schätzen. Man denke an Güsel Bündchen, Kehricht Clapton oder Ferdy Küder-Kübler. Wichtig sind dabei gute Werbeslogans wie «Meh Dräck? Ehnder weniger», «Trash gehört nicht auf die Strasse, sondern auf RTL 2» oder «Du kannst dein Leben wegschmeissen, aber Abfall nicht». Catchy!
Egal, welchen Weg wir Oltnerinnen wählen, behandeln wir Abfall nicht abfällig, sondern kümmern wir uns um ihn. Machen wir uns um das Entsorgen Sorgen. Geben wir Abfall einen Korb und verpassen wir Schmutzfinken eine Abfuhr. Reduzieren wir Littering auf ein Minimum – auf Milli-Littering. Die Ideen sind da. Also sorgen wir dafür, dass Olten vor allem etwas ist: E suberi Sach.
Wir stellen unser Team und unsere Zeitung vor. Die Kolt-Leserschaft hat im Live Stream ihre Fragen via Whats-App oder Telefon gestellt.
Mit Finja Basan (Moderation), Yves Stuber, Yann Schlegel, Adrian Portmann, Timo Orubolo, Andrea Hänggli, DJ Adrian Rich und Special Guest Kolt-Kolumnist Kilian Ziegler
Felix Wettstein, Nationalrat und Oltner Gemeindeparlamentarier der Grünen sowie Vorstandsmitglied von Pro Kultur Olten, möchte keine Grundsatzdiskussion über das Kunstmuseum führen und sagte in diesem Medium:« …ein Kunstmuseum besteht nicht bloss aus aktuellen Ausstellungen. Es hat eine wichtige Funktion zum Erhalt des kulturellen Erbes. Das ist viel Arbeit und benötigt Platz.» Und Wettstein beendete die Diskussion mit «Überdies hat die politische Debatte stattgefunden. Wir wollen die drei kommunalen Museen in unmittelbarer Nachbarschaft, weil sie voneinander profitieren.»
Meine Frage lautet: Hat die Diskussion in der Öffentlichkeit wirklich stattgefunden? Und wer ist «wir»? Ich persönlich habe nie über das Kunstmuseum diskutiert. Du wahrscheinlich auch nicht. Ausser du bist Parlamentarier oder Stadträtin. Neun von zehn Oltner Menschen, die ich nach ihrem persönlichen Bedürfnis nach einem Kunstmuseum in unserer Stadt und nach dessen Notwendigkeit gefragt habe, würden auf das Museum verzichten. «Wir» dürfen und müssen also fragen, ob diese Gemeinde überhaupt ein Kunstmuseum will und, falls ja, wie ein solches in Olten gestaltet werden sollte. Wie ist die Nachfrage der Bevölkerung? Wird diese Nachfrage auch ohne Kunstmuseum befriedigt? Ist ein Kunstmuseum die einzig denkbare Art, wie Kunst in Olten vermittelt werden kann? Die Diskussion soll sich aber nicht um die Qualität der Museumsleitung drehen.
Wie ist die Nachfrage der Bevölkerung? Wird diese Nachfrage auch ohne Kunstmuseum befriedigt?
Der aktuelle Standort an der Kirchgasse 8 ist offenbar nicht mehr geeignet und stark renovationsbedürftig. Die Politik hat eine halbe Million gesprochen und im Februar den noch laufenden Auftrag vergeben, unter anderem ein Raumprogramm auszuarbeiten und einen Architekturwettbewerb vorzubereiten. Was das neue Kunstmuseum sein und beinhalten soll, haben die Verantwortlichen des Kunstmuseums erarbeitet. Die Stimmberechtigten werden in absehbarer Zeit darüber beschliessen dürfen, ob sie der Renovation des Gebäudes an der Kirchgasse 10 (Ex-Naturmuseum) und dem neuen Anbau für die künftige Nutzung als Kunstmuseum zustimmen. Die Investition dafür beträgt gemäss offiziellen Schätzungen zwischen 10 bis 14 Millionen Franken. Der laufende jährliche Aufwand für das Kunstmuseum macht netto und abgerundet ungefähr 600’000 Franken aus. Erwähnenswert sind die hohen Sponsoringeinnahmen (zwischen 200’000 bis 300’000 Franken jährlich), die in dieser Zahl bereits abgezogen wurden. Sie stehen relativ bescheidenen Publikumserträgen (zwischen 30’000 bis 40’000 Franken jährlich) gegenüber. Der Betrieb zählt jährlich ungefähr 8000 Besuche. Unbekannt ist, wie viele verschiedene Besucherinnen diese pro Jahr ausmachen.
Ist dieser Vergleich fair? Ja. Denn der kunstinteressierte Mensch besucht punktuell nach Geschmack und Interesse. Ob der Hopper nun in Riehen oder in Olten ausgestellt wird, ist ihm egal.
Der folgende Vergleich soll keine Polemik sein und nicht absurd wirken:Die Oltner Politik hat im September beschlossen, das städtische Krematorium zu schliessen mit der Argumentation, es sei hochgradig sanierungsbedürftig und eine Sanierung sei nicht angezeigt, weil es in naher Umgebung zur Stadt genügend Krematorien gebe. Diese hätten die Kapazitäten, die Aufgabe situationsgerecht und umweltfreundlich erfüllen zu können. Und schliesslich komme die Subventionierung von Kremationen städtischer Einwohner nicht selten auch auswärtigen Angehörigen zugute. Diese Subventionierungsei nicht Aufgabe der Stadt. Folgen «wir» beim Kunstmuseum derselben Logik, lassen sich in Pendeldistanz (öV) zur Stadt «Kapazitäten» ausmachen, welche die Aufgabe «situationsgerecht» erfüllen: Das Kunstmuseum Basel (38 Minuten, aktuell: Rembrandt), Kunstmuseum Bern (34 Minuten, Marina Abramovic, Martin Disler), Beyeler Riehen (65 Minuten, Matisse, Giacometti, Kandinski, Klee, van Gogh, Cézanne, Hopper), Kunsthaus Aargau (15 Minuten, Julian Charrière), Kunsthaus Zürich (47 Minuten, Caspar Friedrich, William Turner). Ist dieser Vergleich fair? Ja. Denn der kunstinteressierte Mensch besucht punktuell nach Geschmack und Interesse. Ob der Hopper nun in Riehen oder in Olten ausgestellt wird, ist ihm egal.
Wettstein führt aus, dass es eben nicht nur um die aktuellen Ausstellungen gehe, sondern auch um den Erhalt des kulturellen Erbes. Was heisst das genau?
Wettstein führt aus, dass es eben nicht nur um die aktuellen Ausstellungen gehe, sondern auch um den Erhalt des kulturellen Erbes. Was heisst das genau? Geht es darum, die lokale Kunstszene zu zeigen und deren Werke punktuell anzukaufen, um sie regelmässig aus dem Depot zu holen, zu präsentieren und für die Nachwelt zu erhalten? Geht es darum, dass man das lokale Aushängeschild Martin Disteli immer mal wieder zeigt und seine Werke behütet? Das wäre dann eine komplett andere Diskussion. Sollte die Gemeinde als Grundlage zur Entscheidungsfindung neben der Offerte für einen neuen Museumsstandort dann nicht auch eine Offerte einholen für die Archivierung und Digitalisierung der gesammelten Werke? So dass zum Beispiel ein Ausstellungsmacher sie jederzeit finden, ausleihen und ausstellen kann – wo auch immer. Dafür benötigte Olten keine zusätzliche Ausstellungsfläche. Denn es bestehen bereits das Depot des Historischen Museums und des Stadtarchivs. Sind diese zu klein? Dann diskutierten «wir» darüber, ob Olten grössere Archive benötigt. Wenn «wir» die lokale Gegenwartskunst zeigen, erhalten und archivieren möchten, dann geht es um die lokale Kunstszene mit Andrea Nottaris, Christoph Schelbert, Thomas Droll, Enzo Cosentino, Marcel Peltier, Christoph Aerni, Jürg Binz, Regina Graber, Franz Anatol Wyss und sehr viele weitere Namen, welche andernorts ihre Werke ausstellen.
Worauf würden «wir» verzichten? Was könnte mit dem Geld anderes gemacht werden? Oder: Welche Chancen sind mit der Investition in das Kunstmuseum verbunden?
Um einen Entscheid zu fällen, müssten «wir» wissen, was eine Auflösung des Kunstmuseums Olten bedeuten würde bezüglich des Angebots, der Räumlichkeiten und Kosten. Worauf würden «wir» verzichten? Was könnte mit dem Geld anderes gemacht werden? Welche Projekte könnten mehr Nutzen für eine breite Bevölkerung stiften und mit den Investitionsmitteln sowie den resultierenden wiederkehrenden Kosten umgesetzt werden? Und aus einer anderen Perspektive: Wie wichtig ist uns diese Institution? Welche Chancen sind mit der Investition in das Kunstmuseum verbunden? Was bewahren «wir» ganz genau? Und auch: Wie hoch wird ein Eintritt durch die Steuerzahlerin subventioniert? Sollte auf den Eintritt verzichtet werden, um die Arbeit zugänglicher zu machen? Braucht es für die städtische Sammlung ein Museum oder kann diese auch anders gezeigt werden?
«Wir» leisten uns die Institution, die «wir» uns wünschen und für die «wir» bereit sind, im Notfall eine Steuererhöhung in Kauf zu nehmen.
Diese Diskussion sollten «wir» nicht nur über das Kunstmuseum führen, sondern über jeden Entscheid, der derart grosse Konsequenzen hat für die Allgemeinheit. Denn in der Summe bezahlen «wir» für das Angebot, das «wir» uns wünschen. «Wir» leisten uns das Kunstmuseum alle gemeinsam. «Wir» leisten uns die Institution, die «wir» uns wünschen und für die «wir» bereit sind, im Notfall eine Steuererhöhung in Kauf zu nehmen. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist die Tatsache, derer «wir» uns bewusst sein sollten. Persönlich bin ich der Meinung, dass eine solche Investition und die damit verbundenen Konsequenzen diese Diskussion verdienen. Auch finde ich, dass sie stattfinden sollte, bevor ein Auftrag in der Höhe einer halben Million Franken vergeben wird, um ein Projekt zu entwickeln und einen Architekturwettbewerb vorzubereiten. Von der Bevölkerung lässt sich ein Grundsatzentscheid einholen. Wenn in der Zukunft an der Urne das vorgesehene Projekt nicht angenommen würde, dann bewahren «wir» nicht nur den unerwünschten Status quo, sondern haben eine halbe Million Franken verloren und zeitliche, personelle und ideelle Ressourcen verschwendet.
Sollte aber eine solche Diskussion zeigen, dass die Bevölkerung ein Kunstmuseum in der bisherigen Form an einem neuen Standort ausdrücklich wünscht, dann geht diese Institution gestärkt in die Zukunft und «wir» reden nicht hauptsächlich über das Geld, sondern über das Wie, Wo und Wann.
Die gestellte Aufgabe ist nicht einfach. Bereits die Definition meines Themas stellt mich vor Schwierigkeiten. Wer bist du, Mitte?
Die mathematische Mitte
Vielleicht hilft mir die Mathematik, dich zu finden. Sie war in der Schule immer mein Lieblingsfach. Nehmen wir zum Beispiel die Zahlen 3, 3, 3, 4, 10, 50. Egal, ob diese Zahlen für das Sackgeld von 15-Jährigen, für die Covid-19-Fälle in Olten oder für die Anzahl Katzen in einem Haushalt stehen – die Antwort auf die Frage nach der Mitte ist uneindeutig. Sollen wir sie bei 3 Katzen festlegen, weil in dieser Zahlenreihe am meisten Haushalte 3 Katzen haben? Oder liegt die Mitte bei 12.17, beim arithmetischen Mittel? Oder doch bei 3.5, einem Wert, der zwar in der Reihe gar nicht vorkommt, aber die Zahlen in zwei gleich grosse Gruppen mit kleinen und grossen Werten aufteilt?
Die geographische Mitte
Gleich schwierig ist das Rätsel um die Mitte der Schweiz. Wie soll ich über deinen künftigen Zeitgeist, deine Unternehmen, Wohnformen und Verkehrsmittel nachdenken, wenn ich nicht einmal weiss, wer du bist. Sollten wir dich mit Olten gleichsetzen – dem vermeintlichenEisenbahnkreuz der Schweiz? Allerdings fällt die Anzahl der Reisenden, die über den Bahnhof Olten fahren, deutlich gegenüber Zürich ab (gerade mal 80’000 Passagiere im Vergleich zu 440’000 in Zürich, 105’000 in Basel oder 85’000 in Luzern). Die geographische Mitte wiederum liegt in Obwalden – auf einer kleinen Alp mit den Koordinaten 46° 48′ 4″ N, 8° 13′ 36″ E. Man könnte die Sache auch ganz anders angehen und die Mitte der Schweiz dorthin verlegen, wo am meisten Durchschnittsschweizerinnen leben, mit mittlerem Geschmack, mittlerem Einkommen und in mittlerer Grösse.
Die gefühlte Mitte
Das alles sind wenig befriedigende Zahlenspiele. Sie helfen mir nicht, dich zu finden. Vielleicht sollte ich auf Gefühle und meine Intuition hören, um dich zu entdecken und über dich schreiben zu können. Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört eben doch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche. In diesem Zwischenraum beginnen und beenden wir Einwohner der Mitte unsere Tage. Für die anderen ist er nicht mehr als eine Transitzone.
Die Fragen für diese Serie
Indem ich hier über deine Zukunft nachdenke, will ich dich besser kennenlernen. Noch habe ich keine Ahnung, was passieren wird, wenn ich über deine künftigen Märkte, deine Innovationspotenziale, deine Mentalität und deine Logistik schreiben werde. Fragen an deine Zukunft werden mich beim Fantasieren leiten. Was könnte deine Wirtschaft stark machen und wie machst du das Zusammenleben von uns Mittigen stark? Nach was sehnst du dich und was macht dir Angst? Wie sehr willst du mit jenen vernetzt sein, die dich nur als Transitzone denken? Was könnten Visionen sein, die dich in der ganzen Schweiz zum Strahlen bringen? Vielleicht werde ich mich in dich verlieben, vielleicht deine Mängel unerträglich finden. Wir könnten uns näherkommen oder uns für immer fernbleiben. So oder so: Liebe Mitte, ich freu mich auf dich!
Was bewegt Olten? Olten bewegt: die Bewegung. Die Mobilität. Dafür ist die Stadt schliesslich bekannt. Man denke an die Eisenbahn, oder auch an… ähm… okay, vor allem an die Eisenbahn.
Die Inputs der Kolt-Leserinnen zeigen, in Sachen Mobilität herrscht Unsicherheit. Wie kriegt man den Quartierverkehr in den Griff? Ist man in Olten als Fussgänger Blindgänger? Und ist die Stadt für das Fahrrad parat? So viele Fragen. Kolt liefert Antworten. Vielleicht.
Konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf das Fahrrad. Kein Zweifel, Olten hat das Potential, Fahrradstadt zu werden. Aber wie gestaltet man den Ort velofreundlicher? Generell sicher, indem man die Velos freundlich grüsst.
Das Fahrrad hat gegenüber dem Automobil (wie das Auto in der Fachsprache genannt wird) zahlreiche Vorteile. Es ist leiser, günstiger und umweltverträglicher, der CO2-Ausstoss von Velos befindet sich im tiefen nullstelligen Bereich. Das ist ziemlich wenig. Immerhin fällt Autos weniger oft die Kette raus. Gewisse Autofans mögen argumentieren, Fahrräder werden öfter geklaut als Autos. Das stimmt. Aber das ist eigentlich ein Argument für Fahrräder: Velos sind einfach begehrter.
Ein grosses Problem des Automobilverkehrs ist Stau. Was kann man dagegen tun? Ich wäre ja für Rettungsgassen für Personenfahrzeuge: «Lasst den Mann durch, er ist im Stress, er muss zum Power-Pilates-KiTa-Brunch – Rettungsgasse, sofort!»
Der vielleicht bekannteste Autogegner ist Roger Göppel, Zitat: «Brumm ist dumm», Autogegner findet man aber sonst vor allem bei den Grünen. (Übrigens: Was ist die Gemeinsamkeit der Grünen und einem Anhalter am Strassenrand? Beides sind Autostopper. Haha!) Fakt ist, manchmal ergeben Autos einfach keinen Sinn: Wieso heisst zum Beispiel ein ziemlich teures Auto Jeep, ausgesprochen: cheap?!
Leider ist Fahrradfahren gefährlich, nicht selten wird es zur todesmutigen Mission: «Ich geh mal kurz raus mit meinem Maschinengewehr spielen.» «Super, schönen Tag.» «Und dann provoziere ich ein paar Nazis.» «Alles klar, bis später.» «Und ich nehme das Fahrrad.» «Neeeein! Das ist viel zu riskant!» Die BfU, die Beratungsstelle für Unfallverhütung, hat genau aus diesem Grund eine Präventionskampagne für Fahrradfahrerinnen lanciert, ihr Slogan: «Es ist schlecht für die Kopfhaut, wenn es dich auf den Kopf haut.» Oder etwas poetischer formuliert: «Legg e Höum a, du Dotsch!»
Im Moment haben es Velofahrer in unserer Stadt nicht einfach. Aber langfristig gesehen ist deren Siegeszug unaufhaltbar! Die Autolobby will sich jedenfalls nicht so schnell geschlagen geben, man munkelt, sie will am Bahnhof bei den Fahrrädern lüftelngehen. (Kolt hält dich auf dem Laufenden. Oder sagen wir besser: Fahrenden.)
Velostadt Olten – abgefahrene Utopie, oder bald schon Gegenwart? Was kaum ein Zufall ist: Geschwindigkeit heisst auf Englisch Velocity. Velocity! Velostadt! In einer Velostadt herrscht also mehr Geschwindigkeit, man kommt schneller vorwärts. Also fahren wir vorwärts! Lösen wir die Bremse, treten wir in Pedale, und fahren wir in die Zukunft. Oder zumindest bis nach Aarburg.
Ich bin der Meinung, man müsste unbedingt den Ladenmix in der Stadt verbessern, attraktiver gestalten, Firmen wie Manor, H&M, Zara anziehen, damit es mehr Kundenfrequenz gibt. Dies sind nur Beispiele. Nur wenn es mehr spannende Einkaufsmöglichkeiten gibt, ist der Standort Olten langfristig gesichert.
Als neue Nutzung für die Kunstmuseums-Räume stelle ich mir eine kleine Markthalle vor, analog der grossen Markthallen in südlichen Städten wie zum Beispiel Barcelona, aber halt einfach auf kleinerem Raum. Mir schwebt auch vor, dass die Räumlichkeiten gegen den Munzingerplatz und die Kirchgasse mittels leichten Glasanbauten vergrössert werden sollten.
Das Oltner Kulturpublikum darf sich freuen: Der beliebte Oltner Kulturadventskalender 23 Sternschnuppen wird auch im kommenden Dezember wieder stattfinden. Mit Ausnahme von einem Abend im Stadttheater gehen die Anlässe wie im letzten Jahr im Kulturzentrum Schützi und in der Stadtkirche über die Bühne. Zur Zeit ist das Programm am Entstehen und erste Zusagen von Künstlerinnen und Künstlern wurden bestätigt. Gleichzeitig wird ein Schutzkonzept erarbeitet, damit das Publikum den Anlass weiterhin möglichst einfach und sicher besuchen kann.
Die 23 Sternschnuppen finden vom 1.-23. Dezember jeweils um 18.15 Uhr statt. Organisiert wird der Anlass von über 20 Oltner Kulturinstitutionen und engagierten Leuten, die im Hintergrund ehrenamtlich mitarbeiten. Dank der äusserst lebhaften Oltner Kulturszene dürfen die Sternschnuppen immer wieder neue Veranstalter*innen in ihren Reihen begrüssen. So sind neu auch das Wandelbar Festival, Open Stage Olten und APA (Aktion Platz für Alle) mit dabei.
Im Kernteam der 23 Sternschnuppen gibt es diverse Wechsel. Viele junge und neue Leute übernehmen Verantwortung. Luca Cavandoli koordiniert den Helfereinsatz, Finja Basan und Tabea Glinz sind fürs Sponsoring verantwortlich und der neue Technikverantwortliche heisst Stefan von Burg. Die langjährige Präsidentin Daniela Hurni hat im Sommer ihr Amt abgegeben. Sie ist massgeblich an der erfolgreichen Entwicklung des Projekts beteiligt und der Verein bedankt sich ganz herzlich für die grosse geleistete Arbeit. Neu wird der Verein durch das Co-Präsidium Stefan von Burg (Open Stage Olten) und Matthias Kunz (Strohmann-Kauz) geleitet.
Christina Schumacher, zuerst müssen Sie uns erklären: Was macht eine Soziologin am Architekturinstitut?
Das ist tatsächlich auch vielen ArchitektInnen und PlanerInnen nicht so klar. Aber es macht Sinn: Die Zeiten, in denen man einfach auf der grünen Wiese oder einem grossen Industrieareal bauen konnte, sind vorbei. Unsere Gesetze verlangen, Dörfer und Städte nach innen zu entwickeln. Und je mehr Menschen auf gleichem Raum leben, desto mehr kann die Soziologie mithelfen, das Zusammenleben gewinnbringend zu gestalten.
Gewinnbringend?
Nicht im monetären Sinn. Was ich meine: Heute plant man praktisch immer in einem vorhandenen Bestand. Und Bestand ist nie nur räumlicher Bestand, sondern auch gesellschaftlicher, kulturellerer, historischer. Da braucht es Sorgfalt und jemanden, der die Interessen auseinanderdröselt; jemanden, der schaut, wie man die verschiedenen Interessen abholen und einbeziehen kann.
Dass es Sie braucht, bedeutet im Umkehrschluss, dass unsere ArchitektInnen zu wenig sozial denken?
Die ArchitektInnen, denen ich begegne, verfügen sehr oft über eine hohe Sensibilität für Sozialverträglichkeit – aber diese ist nicht ihr primäres Interesse. Raum- und Bauplanung sind längst interdisziplinäre Fachgebiete geworden. Aber was man noch zu selten fragt: Wer kann was genau beitragen? Dies finde ich aus der Perspektive der Soziologie gerade heraus.
Sie haben unter anderem zur Nutzung von Erdgeschossen geforscht. Welche Bedeutung hat das Erdgeschoss in einem Dorf- oder Stadtzentrum?
Plakativ gesagt: Das Erdgeschoss ist die grundlegende Ebene. Es befindet sich auf unserer Sichthöhe. Dementsprechend hat es eine sehr grosse Bedeutung. Und es ist sehr variabel einsetzbar: es kann öffentlich – etwa als Bibliothek –, halböffentlich – als Café oder Laden – oder auch privat genutzt werden.
Warum ist es für uns eine emotionale Angelegenheit, wenn ein Ladengeschäft im EG leer steht?
Das EG ist sozusagen unser aller Stadtparterre. Es ist ein Raum, in dem die Übergänge von öffentlich zu privat oft fliessend sind. Veränderungen nehmen wir sofort wahr. Zudem wurde an den Architekturschulen jahrelang gepredigt, halböffentliche und öffentliche EG seien die einzige Möglichkeit, um für ein attraktives Stadtleben zu sorgen. Daran haben wir uns gewöhnt.
Und heute?
Heute macht das nur noch bedingt Sinn. Lange war es Standard, im gleichen Haus zu wohnen und zu arbeiten. Heute sind die Belebung der Erdgeschosse und jene der oberen Etagen zwei verschiedene Angelegenheiten. Und wir können nicht mehr jedes EG öffentlich beleben.
«Nicht jede Ladennutzung im EG ist automatisch eine, die eine angenehme Öffentlichkeit schafft. Es gibt auch viele gesichtslose Geschäfte.»
Können Sie das näher ausführen?
Häufig reicht es, wenn an der Ecke einer Bebauung ein Kiosk, eine Beiz oder eine Bäckerei einquartiert sind. Was darüber hinaus geht, funktioniert wirtschaftlich in den meisten Fällen nicht mehr. Das hat es aber auch früher nicht: Es waren immer die Liegenschaften an Strassenecken, die ein öffentliches EG hatten. Das lückenlose Öffentlichmachen des EG wäre hingegen eine undifferenzierte, nutzlose Geste.
Was braucht es denn wirklich, damit man sich wohlfühlt in einer Innenstadt?
Das Leben muss spürbar sein, wenn man langsam verkehrt. Ich bin gerne dort, wo ich etwas Spannendes sehen, hören, riechen kann. Das ist auch der Grund, warum man die Frage nach der EG-Nutzung trennen sollte vom Problem des Lädelisterbens.
Das müssen Sie erklären.
Nicht jede Ladennutzung im EG ist automatisch eine, die eine angenehme Öffentlichkeit schafft. Es gibt auch viele gesichtslose, unlebendige Geschäfte. Mit Aufenthalts- oder Transitqualität hat das nicht immer so viel zu tun.
Und doch ist das Lädelisterben ein akutes Problem, auch in Olten. Aktuell sind es im Kern der Innenstadt handgezählt sechs leerstehende Lokale, zwei weitere werden für eine neue Nutzung umgebaut.
Das Lädelisterben zeigt: Was wir brauchen, sind Passantenströme. Diese müssen wir irgendwie wiederherstellen. Die Leute sollen sagen können: Ich gehe lieber in die Stadt, die mir eine Qualität bietet, welche ich beim Online-Shoppen daheim nicht erhalte. Und das können wir nicht allein durch öffentliche Erdgeschosse erreichen, sondern durch die Gestaltung der Zwischenräume.
Also ist nichts Falsches dabei, wenn ich in einem Schaufenster eine Wohnung einrichte?
Nicht, wenn Sie sich der Konsequenzen bewusst sind. Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass PassantInnen hineinschauen wollen und dürfen damit kein Problem haben. Ziehen Sie dann einfach immer den Vorhang zu, entstünde bloss ein weiteres unattraktives EG. Aber eine Wohnung ist sicher die viel bessere Nutzung, als wenn die Fläche leer stünde.
Welche Effekte löst ein leeres Schaufenster aus?
In erster Linie macht uns das Sorgen. Denn wir wissen genau: Das zweite und das dritte leere Lokal folgt sofort. Deshalb muss man ganz schnell reagieren. Die LiegenschaftsbesitzerInnen können das mit Solidarisierung erreichen, indem sie sich zusammenschliessen.
In Olten passiert genau das: «Gewerbe Olten» hat die Initiative «Olten GO» gegründet, unter anderem mit dem Ziel, ein übergeordnetes Ladenflächenmanagement einzuführen. Was halten Sie davon?
Das halte ich für eine gescheite Massnahme. Denn schon lange ist klar, dass das EG keine Cash Cow mehr ist, sondern es an vielen Lagen quersubventioniert werden muss. Gleichzeitig muss man Leerstände sofort beheben, etwa mit kreativen Zwischennutzungen oder Pop-up-Gastronomie. Es braucht schnelle Reaktion – und halt auch den langen Atem. Und das geht besser zusammen statt alleine.
«Schon lange ist klar, dass das EG keine Cash Cow mehr ist, sondern oft quersubventioniert werden muss.»
Worauf achten Sie, wenn Sie durch eine Stadt wie Olten gehen?
Schon zuerst auf die Erdgeschosse. Wie gross ist in den Erdgeschossen der Anteil an öffentlicher Nutzung? Und dann auf den Verkehr. Ich bin mit öV und zu Fuss unterwegs. Muss ich ständig aufpassen, oder kann ich mich frei bewegen? Gibt es öffentliche Plätze oder Grünflächen? Wo kann ich draussen ohne Konsumationszwang verweilen? In den Ferien schaue ich mir auch immer die Aussenquartiere einer Stadt an.
Wimmelt es dann vor Verbesserungsideen in Ihrem Kopf, oder beobachten Sie die Umgebung wertfrei?
Die Architektur begutachte ich durchaus, aber eher nebenbei. Ikonische Bauten etwa interessieren mich überhaupt nicht. Vielmehr, ob die Räume den Menschen entsprechen oder nicht, und ob es genügend Pufferzonen gibt.
Was sind Pufferzonen?
Räume, die abgrenzen: Das, was zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum ist. Sie sind essenziell für unser Wohlbefinden in einer Stadt. Das kann zum Beispiel ein Vorgarten sein oder ein möbliertes Trottoir. Dabei geht es gar nicht um die reellen Besitzverhältnisse.
Sondern?
Um das Empfinden, um die Wahrnehmung des Stadtparterres als halböffentlichen Raum. Nehmen wir das Hochparterre als Beispiel. Das private Wohnen, das nicht ganz bis auf die EG-Ebene hinuntergeht, sondern leicht erhöht bleibt und so nicht von Blicken der Öffentlichkeit tyrannisiert wird. Das lässt ebenfalls sehr angenehme Räume entstehen.Die Häuser müssen einander genügend Freiraum lassen. Ich nenne das «Platz zum Atmen». Das kann auch mit Details erreicht werden, etwa einer schönen Uhr an der Fassade, Blumenkästen unter dem Fenster oder Fensterläden statt Rollladen. Das sind schöne Gesten, die ein Haus der Öffentlichkeit schenken kann.
Wie sorge ich für Attraktivität, wenn ich nicht viel Geld habe?
Einfach gesagt: Indem Sie dem Raum einfach Sorge tragen und ihn über Ihre eigene Fassade hinaus wertschätzen.
Und wie, wenn ich Geld beiseite gelegt habe und investieren will?
Das ist eine Aufgabe, die man im Kollektiv lösen muss. Die InvestorInnen müssen zur Gestaltung des öffentlichen Raums beitragen, weil sie selber davon profitieren. Als Beispiel kann man die zwei grössten Neubauprojekte nehmen: Auf der Website von «Olten SüdWest» lese ich von einer «lebendigen Vielfalt», beim «Aarepark» heisst es, man befinde sich «mitten in der pulsierenden Stadt». InvestorInnen, die solche Worte benutzen, müssen sich bewusst sein, dass sie eine Mitverantwortung tragen, die Stadt zu dem zu machen, was sie beschreiben.
Kennen Sie positive Beispiele aus anderen Schweizer Städten?
Bei aller Kritik, die man an der Zürcher Europaallee üben darf: Der Mix wurde dort sehr gut gelöst. Die SBB haben eine Firma angestellt, die das Angebot im EG kuratiert. Die Mietflächen wurden also nicht einfach ausgeschrieben, sondern die Firma ging aktiv auf interessante Kleingewerbe und ProduzentInnen zu. Den SBB war auch bewusst, dass diese zu normalen Mietpreisen nicht zusagen würden, deshalb setzten sie ein abgestuftes Mietzinsmodell ein. Tiefe Einstiegsmieten, später zahlt man mehr. Zudem wurden viele kleine Lokale gebaut statt nur sehr grosse, die sich nur die grossen Ketten leisten könnten. Und zuletzt gibt es Pop-up-Flächen, in denen das Angebot stetig wechselt. Da bleibt man als PassantIn auch über längere Zeit neugierig und schaut immer wieder einmal rein.
Was machen die Kleinen besser als die grossen Ladenketten?
Sie kreieren ein persönliches Erlebnis. Früher hat man mit der Marktfrau einen Schwatz abgehalten. Wenn ich mein Stammgeschäft gehe, spreche ich manchmal auch über anderes als über das, was ich einkaufen will. Das Internet kann dies nicht ersetzen. Und gleichzeitig hat man doch eine angenehme Unverbindlichkeit: Die Geschäftsführerin im Buchladen ist ja nicht meine Freundin, ich muss nicht zu ihr gehen, aber wenn ich möchte, erhalte ich dadurch eine persönliche Verortung in meiner Stadt. Daran muss das Gewerbe ein Interesse haben: den Menschen ein Stück Identität zu geben.
Und was ist der Part der Stadtverwaltung? Wie sehr soll sie sich in die gewerbliche Stadtgestaltung einmischen?
Meiner Meinung nach sehr. Nicht, um mühsam zu regulieren, sondern um die grosse Chance zu nutzen, die gerade Olten hätte: Es ist kleinräumig, hat eine Eisenbahner- und Arbeitertradition. Man kennt sich, mag den direkten Draht zueinander und kann so eher unkompliziert gemeinsam an einen Tisch sitzen und kreative Ideen diskutieren als beispielsweise in Zürich.
Welche Branchen haben Zukunft im Stadtzentrum?
Alles, was man vor Ort besuchen muss. Personenbezogene Dienstleistungen wie Optiker, Hörgerätespezialist, Yogastudios. Sport generell, der wird sich nie digitalisieren lassen. Oder auch ein Schmuckgeschäft, das individuell berät.
Ist das nicht etwas monoton? In Olten gibt es schon heute drei Optiker auf engstem Raum.
Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wer belebt in einer Stadt die Strassenräume? Es sind jene Menschen, die Zeit haben: SeniorInnen und Kinder. Für sie muss man mehr Angebote und Räume schaffen. Etwa mit betreutem Wohnen oder Alters-WGs im Zentrum, mit Tagesschulen und Kindertagesstätten. Auch das Gewerbe hat seine Chancen. Bei mir in der Nachbarschaft hat gerade eine Stiftung ein Gebäude bezogen, in dessen Erdgeschoss man durch grosse Fenster den Mitarbeitenden bei der Produktion von Esswaren zusehen kann. Das wird insgesamt eine völlig neue, spannende Durchmischung ergeben.
Und was ist die grosse Frage, auf die man die Antwort noch sucht?
Wie wir sogenannte Mehrfachnutzungen gut organisieren können. Was passiert mit Räumen, die eigentlich nur am Tag gebraucht werden, wenn es Abend wird? Da gibt es noch viel ungenutztes Potential.
Christina Schumacher (52) wuchs in Olten unterhalb des Hardwalds auf, absolvierte das Gymnasium an der nur wenige Schritte entfernten Kantonsschule und studierte später an Universität Zürich Soziologie. Seit 2010 ist sie als Dozentin für Sozialwissenschaften, seit 2014 als Leiterin Forschung am Institut Architektur der FHNW in Muttenz tätig. Ihre Fachgebiete sind die Architektur-, Wohn- und Siedlungssoziologie. Daneben wirkt sie in Jurys mit. Sie besuchte in ihrer Studienzeit auch einzelne Architekturvorlesungen – und Vater Philipp Schumacher war Oltens Baudirektor sowie von 1984 bis 1997 dessen Stadtpräsident. Obschon Olten einen festen Platz in ihrem Herzen hat, ist sie seit über 30 Jahren in Zürich zu Hause, heute mit Mann und drei Kindern.
Angefangen hat alles mit ein paar OltnerInnen, die sich zwar politisch engagieren, sich aber keiner der bestehenden Parteien anschliessen wollten – und darum Olten jetzt! gründeten. Als einzige Gruppierung stellte Olten jetzt! für die Gemeindeparlamentswahlen 2017 eine volle Liste mit 20 Kandidierenden zusammen. Finanziert wurde die Kampagne durch Spenden und Mitgliederbeiträge, vor allem aber mit Geld aus der eigenen Tasche. Ausser des im Wahlslogan formulierten Kernanliegens – «Für ein lebendiges und attraktives Olten!» – war wenig über die Positionen von Olten jetzt! bekannt. Das hinderte die WählerInnen aber nicht daran, der Partei ihre Stimmen zu geben: Mit einem Wähleranteil von 12 Prozent gelang es Olten jetzt!, auf Anhieb vier Sitze zu erobern – dies, ohne eine Listenverbindung mit einer etablierten Partei eingegangen zu sein und trotz der Tatsache, dass nach der 2016 beschlossenen Verkleinerung des Parlaments nur noch 40 statt 50 Sitze zu verteilen waren. Selbst Spitzenkandidat Daniel Kissling zeigte sich nach der Wahl in einem Interview überrascht von dem Ergebnis. Der Geschäftsführer des Kulturlokals Coq d’Or und Vorstandsmitglied des Vereins Pro Kultur Olten hat durch seine Verbindungen zur Oltner Kulturszene einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt, was einen Teil des Wahlerfolgs erklären dürfte. Mit 1526 Stimmen hat er ähnlich gut oder gar besser abgeschnitten, als manch etablierte Oltner PolitikerInnen. Auch die anderen drei Kandidierenden, die für Olten jetzt! den Sprung ins Parlament geschafft haben, können ein langjähriges Engagement im Oltner Stadtleben vorweisen: Laura Schöni ist als Fasnächtlerin in der Säli-Zunft aktiv, Denise Spirig ist Mitglied im Sportverein Olten und Tobias Oetiker amtiert unter anderem als Stiftungsratspräsident des Cevi Olten und ist Mit-Organisator des Oltner 2-Stunden-Laufs.
Dieser Artikel erschien im Kolt-Magazin Nr. 104 (Juni 2019)
Die gute Vernetzung war sicher ein wichtiger, aber nicht der alles entscheidende Faktor. Denn die Wahlen 2017 wiesen eine auffällige Besonderheit auf: Sieben der neun KandidatInnen, die neu ins Parlament gewählt wurden, waren jünger als 33 Jahre. Sie stammen aus den Reihen der FDP, von Olten jetzt! und der Jungen SP. Letzterer gelang es gar, zwei neue Sitze zu erobern. Wahlsiegerin war also nicht bloss Olten jetzt!, sondern der Politiknachwuchs insgesamt. Offenbar wünschte sich ein Teil der Oltner Stimmbevölkerung frische Köpfe ohne politisch vorbelastete Vergangenheit.
Dazu passt, dass Olten jetzt! punkto Kommunikation neue Wege gegangen ist. Die Partei hat im Wahlkampf stark auf die sozialen Medien gesetzt und damit womöglich auch jüngere WählerInnen angesprochen. Im Unterschied zu den anderen Parteien hat Olten jetzt! zudem ihre Facebook-Seite nicht nur dazu genutzt, Stellungnahmen zu publizieren oder Veranstaltungen anzukünden, sondern auch um Diskussionen anzuregen. Immer wieder wurde ihre Anhängerschaft dazu aufgerufen, Ideen und Visionen zum Oltner Stadtleben einzubringen und darüber zu debattieren. Auch heute ist die Facebook-Seite von Olten jetzt! diejenige mit den meisten Likes aller Parteien.
Mitwirkung ist bei Olten jetzt! nicht nur ein politisches Verfahren, sondern Kern des politischen Programms: Inhaltlich fokussiert die Partei auf den Abbau administrativer Hürden, die eine unbürokratische Nutzung des öffentlicher Raums und eine partizipative Gestaltung der städtischen Infrastruktur verhindern. Während die anderen Oltner Parteien als Lokalsektionen grosser Mutterparteien die ganze Bandbreite der politischen Themen abdecken, kann Olten jetzt! es sich leisten, einen engen thematischen Schwerpunkt zu setzen. Dieses Konzept verfängt nicht nur in Olten. Auch in anderen Schweizer Städten gibt es politische Gruppierungen, die sich ausschliesslich in der kommunalen Politik betätigen. Ein Blick in die jüngste Erhebung des Bundesamtes für Statistik zur Sitzverteilung in den städtischen Volksvertretungen zeigt: In drei von fünf Städten mit einem Gemeindeparlament sitzen ungebundene Parteigruppierungen oder Parteilose in der kommunalen Legislative. Professor Andreas Ladner von der Universität Lausanne hat bereits in den 1990er Jahren zur Bedeutung von Lokalparteien geforscht. Seiner Ansicht nach tragen zwei Faktoren zum Erfolg solcher Gruppierungen bei: Zum einen hätten die traditionellen Parteien heute generell etwas Mühe, in den Gemeinden zu mobilisieren, weil die «grosse» Politik zu weit entfernt sei. Zum anderen könnten lokale Gruppierungen spezifischer auf die Herausforderungen der Lokalpolitik eingehen. «Oft versprechen sie – zumindest anfangs – neue und bessere Lösungen.»
Auch Olten jetzt! hat im Wahlkampf versprochen, nach neuen Lösungen zu suchen – und zwar gemeinsam mit den anderen Parteien. Was ist aus diesem Versprechen geworden?
Im Gespräch geben die ParlamentarierInnen von Olten jetzt! ihrem Bedauern Ausdruck: Man sei nach der Wahl auf die VertreterInnen der anderen Parteien zugegangen und habe den Kontakt gesucht, aber daraus sei nur ansatzweise eine parteienübergreifende Zusammenarbeit entstanden, erklärt Laura Schöni. Am ehesten funktioniere die Kooperation mit der SP, der Jungen SP und den Grünen. Florian Eberhard, Co-Präsident der Fraktion SP / Junge SP, bestätigt, dass man sich mit Olten jetzt! vor den Parlamentssitzungen auszutauschen pflege. Von Seiten der Grünen heisst es, man schätze die Zusammenarbeit mit Olten jetzt!. Es sei durchaus schon vorgekommen, dass man Vorstösse gemeinsam ausgearbeitet oder mitunterzeichnet habe, so Fraktionspräsident Raphael Schär-Sommer. Die bürgerlichen Parteien dagegen spüren von der lösungsorientierten, parteienübergreifenden Politik, die Olten jetzt! im Wahlkampf angekündigt hat, eher wenig. «Meiner Ansicht nach hat Olten jetzt! eine klare politische Linie eingeschlagen, von der die Partei kaum abrückt», meint zum Beispiel Urs Knapp, Fraktionspräsident der FDP. Er verortet Olten jetzt! eindeutig auf der linken Hälfte des Parteienspektrums. Ähnlich sieht das der Präsident der SVP-Fraktion, Matthias Borner: «Olten jetzt! hat sich nach den Wahlen als eine weitere linke Bewegung entpuppt – ja, mit Olten jetzt! sitzt eigentlich eine zweite SP im Parlament.»
Tatsächlich hatte es Olten jetzt! im Wahlkampf tunlichst vermieden, sich politisch eindeutig zu positionieren und verkündete auf Facebook, «frei vom ideologischen Ballast klassischer, nationaler Parteien» zu sein. Vermutlich gelang es Olten jetzt! dadurch, auch StimmbürgerInnen abzuholen, die üblicherweise nicht links wählen. Das Abstimmungsverhalten, das Olten jetzt! heute im Parlament an den Tag legt, zeigt aber eine deutliche Tendenz – die auch der Partei selbst nicht entgangen ist. So schreibt sie in einem Kommentar zur Session von vergangenem März auf ihrer Homepage: «Ansonsten verliefen die Grenzen von Ja und Nein leider exakt so wie allzu oft in letzter Zeit. Links, Grün und Olten jetzt! sagen Ja und die andern Nein.» Ist Olten jetzt! also eine linke Partei? «Ich selbst würde mich schon als Linken bezeichnen, aber das trifft nicht auf alle VertreterInnen von Olten jetzt! zu», lautet Daniel Kisslings ausweichende Antwort. Tobias Oetiker erklärt, man orientiere sich bei den Abstimmungen nicht an der Position linker Parteien, sondern entscheide von Fall zu Fall, ob man einen Vorstoss unterstützen wolle oder nicht. Und Daniel Kissling ergänzt: «Die Themen, mit denen es die kommunale Politik zu tun hat, lassen sich nur schlecht im klassischen Links-Rechts-Schema verorten.» Deshalb habe er Mühe mit der Behauptung, Olten jetzt! setze sich für typisch linke Anliegen ein.
Dieser Artikel erschien im Kolt-Magazin Nr. 104 (Juni 2019)
Tatsache ist, dass sich seit den letzten Wahlen die Kräfteverhältnisse im Parlament verschoben haben. Das liegt aber nicht nur an Olten jetzt!, sondern auch an den Sitzgewinnen der Jungen SP. Die bürgerlichen Parteien verfügen nicht mehr wie bis anhin über eine bequeme Mehrheit. Je nachdem, wie sich die Fraktion CVP/EVP/GLP im Einzelfall positioniert, können Parlamentsbeschlüsse knapp ausfallen. Wie sich die neue Konstellation im Detail auf die Oltner Politik auswirkt, wird noch genauer zu untersuchen sein: die zweite Hälfte der Legislatur läuft gerade erst an. Die vergangenen Volksabstimmungen haben allerdings die Frage aufgeworfen, ob das Parlament die Oltner Stimmbevölkerung noch angemessen repräsentiert. Dreimal nämlich ergriffen bürgerliche Kräfte das Referendum gegen einen Parlamentsbeschluss – und trugen anschliessend an der Urne den Sieg davon: beim Parkierungsreglement, bei der Vorlage zur Schaffung einer neuen Verwaltungsstelle in der Abteilung Hochbau und beim Budget 2019.
Sollte ein Repräsentationsproblem vorliegen, kann die Stimmbevölkerung dies an den nächsten Wahlen korrigieren, denn Olten jetzt! wird nach Aussage der ParteivertreterInnen wieder antreten. 2021 nicht mehr nur aufs Parlament abzielen, sondern auch die Exekutive ins Auge fassen – Olten jetzt! plant nämlich, auch für den Stadtrat KandidatInnen zu nominieren. Daniel Kissling: «Damit wollen wir beweisen, dass wir nicht bloss eine Protestpartei sind, sondern wirklich Verantwortung übernehmen wollen.»
Für Olten jetzt! wird es nicht einfach sein, den Wahlerfolg von 2017 zu wiederholen. Da die Partei unterdessen Teil des parlamentarischen Betriebes ist, kann sie nicht mehr auf den Bonus setzen, frei von politischen Verstrickungen zu sein. Sitze verteidigen statt erobern, erfordert eine neue Wahlkampfstrategie. Ausserdem wird sich Olten jetzt! nicht mehr vor einer klaren Positionierung drücken können: Die Zugehörigkeit zum links-grünen Flügel ist schon heute offenkundig. Gleichzeitig wird sich Olten jetzt! ein klareres politisches Profil zulegen müssen, um sich von thematisch ähnlich ausgerichteten Parteien wie der Jungen SP abzuheben. Da zu erwarten ist, dass die anderen Parteien bezüglich Kommunikation nachziehen und vermehrt auf die sozialen Medien setzen werden, wird sich Olten jetzt! auch in der Mobilisierung Neues einfallen lassen müssen. Und nicht zuletzt muss Olten jetzt! bis zu den Wahlen 2021 beweisen, dass der angekündigte «frische Wind» nicht bloss ein laues Lüftchen ist.
* Statements oder Abstimmungsempfehlungen von Olten jetzt! in Sitzungsprotokollen und auf Social Media
Sie ist 25 Jahre alt und heisst Dora, das ist ihr richtiger Name, und Dora hat kein Problem damit, über ihren Beruf zu sprechen. Dora ist gross, stammt aus Deutschland und arbeitet als Prostituierte. Seit zehn Jahren ist sie im Sexgewerbe tätig, seit kurzem auch am Oltner Strassenstrich, angefangen hat alles als Gogo-Tänzerin in Diskotheken; mit dem Milieu kam sie schon als Kind in Berührung – im Gespräch mit unserer Journalistin Franziska Monnerat sagt Dora: „Meine Freundinnen waren die One-Night-Stands von meinem Vater und sie waren alle Prostituierte“.
Monnerat hat für ihre Titelgeschichte auch in die jüngere Vergangenheit und mögliche Zukunft des Oltner Strassenstrichs geblickt, der seit 2005 zwar nicht mehr der längste des Landes ist, der aber von seiner Bedeutung in der Schweizer Szene nur wenig eingebüsst hat. Was die Zukunft bringt, ist höchst ungewiss: Zurzeit steckt ein neues, kantonales Volkswirtschaftsgesetz in der Vernehmlassung, das die Basis für massive Veränderungen bis hin zur Totalschliessung des Strichs sein könnte.
Diese Titelgeschichte dokumentiert jedoch einmal mehr, dass das Leben sich nicht in Paragraphen abspielt, sondern „da draussen“. Um es sichtbar zu machen, das Leben, um Menschen, Geschichten, Szenen abzubilden und damit die Welt ein bisschen zu erklären – und das ist die Aufgabe des Journalismus’ – muss man selbst nach draussen, vor Ort gehen und genau hinschauen.
So ging Monnerat an einem Mittwochabend hinaus, vor Ort und lernte Dora kennen, die ihrerseits auf Freier wartete und stattdessen auf eine Journalistin mit vielen Fragen stiess. Das brachte Dora zwar kein Geld, aber vielleicht trägt die aussergewöhnliche Offenheit, die sie im Gespräch an den Tag legte, dazu bei, dass Sexarbeiterinnen wie Dora genauso als Menschen wahrgenommen werden wie alle anderen, die irgendwie ihr Geld verdienen müssen. An dieser Stelle eine kleine Warnung: Dora spricht die Dinge an, wie sie sind. Wir haben ihre Sprache in die Schriftform übernommen, weil auch die Sprache Ausdruck wie Teil dieser Realität an der Haslistrasse in Olten ist und überall sonst, wo sich das Sexmilieu eingenistet hat; am Strich wird nunmal nicht Liebe gemacht, sondern gefickt.
Auszug aus dem Editorial im Juni 2013 von Pierre Hagmann
Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Sommer 2013
Pinke Spitzenunterwäsche, halterlose Strümpfe und String, Glitzergürtel, Hot Pants und Minikleider: Die Frauen, die in Olten an der Haslistrasse stehen, zeigen viel nackte Haut. Es ist ein Mittwochabend, kurz vor dem Eindunkeln, der Duft von Schokolade liegt in der Luft. Rund zwanzig Prostituierte bieten sich den Freiern, die in ihren Autos auf- und abfahren, an. Autokennzeichen von Aargau bis Zug und aus dem angrenzenden Ausland sind auszumachen. „Im Sommer hat es erfahrungsgemäss mehr Sexarbeiterinnen am Strassenstrich Olten, im Durchschnitt sind es etwa 35 bis 50 Frauen, seit der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten hauptsächlich aus Ungarn“, sagt Melanie Muñoz, Koordinatorin des Vereins Lysistrada, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen im Kanton Solothurn einsetzt. Ein Mal pro Woche besucht Melanie Muñoz zusammen mit einer Mediatorin, die die sprachlichen Barrieren überbrückt, die Frauen am Strassenstrich. Das Präventionsangebot im Sexgewerbe wurde Anfang der 1990er Jahre, zur Zeit der offenen Drogenszene, ins Leben gerufen. Mit einem Bus fuhr die Gassenarbeit auf den Drogenstrich, damals noch an der Industriestrasse, und deckte die Sexarbeiterinnen mit Kondomen und sauberen Spritzen ein. Der Drogenstrich wandelte sich zum längsten Strassenstrich der Schweiz. Daniel Vögeli von der FdP/JL-Fraktion verlangte Ende 2004, dass der Strassenstrich Olten geschlossen wird, eine rechtsfreie Zone wie die an der Industriestrasse dulde er und – wie er in Bezug auf das positive Echo auf die von seiner Partei lancierten Petition „Für eine sichere Stadt Olten“ postulierte – die Bevölkerung der Stadt Olten, nicht. Um dem Begehren sowie dem Gewerbe und den Investoren Rechnung zu tragen, hob der Stadtrat die örtliche Zuweisung der Strassenprostitution im Gebiet Industriestrasse per 1. Januar 2005 vollständig auf. Seit diesem Zeitpunkt gilt für die Industriestrasse zwischen Dampfhammer und SBB-Unterführung ein Nachtfahrverbot von 20 bis 5 Uhr. Der Strassenstrich verlagerte sich daraufhin an die Haslistrasse.
“Es ist eine Daueraufgabe der öffentlichen Sicherheit, dass wir – das heisst, die Stadtpolizei in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei – die Szene sehr genau beobachten“, sagt Iris Schelbert-Widmer, Stadträtin und Sicherheitsdirektorin von Olten und fügt an: „Wir achten darauf, dass wir nicht nur die Sexarbeiterinnen kontrollieren, sondern auch die Freier. Bei den Freiern können wir lediglich schauen, dass sie die Verkehrsregeln einhalten.“ Vor zwei Jahren wurden Strassenverkehrsmassnahmen zur Beruhigung der Situation beschlossen und umgesetzt: Schranken an den Wendekreiseln Ost und West wurden installiert und die Tannwaldstrasse mit einem Nachtfahrverbot belegt. Vor kurzem verbot der Stadtrat – vorläufig für ein Jahr – die Strassenprostitution von morgens 5 bis abends 20 Uhr. Melanie Muñoz, Koordinatorin des Vereins Lysistrada meint zu den repressiven Massnahmen: „In der ganzen Schweiz ist eine Tendenz festzustellen, dass vor allem die Strassenprostitution reglementiert wird. Die Strassenprostitution ist der kleinste Teil der Sexarbeit. Aber sie ist sichtbar, darum ist sie in den Augen von Politik und Polizei einfach zu bekämpfen.“
Eine der Frauen, die an diesem Mittwochabend am Oltner Strassenstrich stehen, ist die 25-jährige Dora. Sie ist gross, trägt eine Brille, ihr Körper ist mit etlichen Tattoos verziert. Seit zehn Jahren ist sie im Sexgewerbe tätig, seit kurzem auch in Olten.
Dora, warum arbeitest Du als Prostituierte?
Es hat mich gereizt, es hat mich immer schon gereizt. Dieses Milieu, dieses Nacktsein, dieses Regieren, dieses Geld zu haben, einfach die Männer zu behandeln wie ein Stück Scheisse. Wenn man eine Vergangenheit hat, in der man selber behandelt wurde wie ein Stück Scheisse, ändert sich das im Leben.
Wie meinst Du das?
Ich habe 20 Jahre lange in Spanien gelebt, ich bin halb Deutsche, halb Spanierin. Meine Eltern hatten nie Zeit für mich. Es ist nicht die Schuld meiner Mutter, sondern die meines Vaters. Er war oder ist, das weiss ich ehrlich gesagt nicht, im Milieu tätig.
Meine Freundinnen waren die One-Night-Stands von meinem Vater und sie waren alle Prostituierte.
Womit hast Du angefangen?
Mit Strippen, davor habe ich als Gogo-Tänzerin in Diskotheken gearbeitet. Dann wurde mir angeboten: Hey, du hast einen bomben Körper, du hast einen Charakter, du lässt dich nicht unterwerfen. Hast du nicht mal Lust, auf der Strasse anzufangen? Mit fünfzehn Jahren darfst du das eigentlich nicht, aber in Spanien ist das ein bisschen anders (Anmerkung der Redaktion: Prostitution ist in Spanien weder legal, noch ist sie illegal. Im Gesetz kommt sie ganz einfach nicht vor. Das Schutzalter für sexuelle Handlungen liegt bei 13 Jahren).
Erzähl von Deinen ersten Erfahrungen als Prostituierte.
Ich weiss noch, das waren drei Negermamas, ich war die einzige kleine Weisse. Alle haben auf mich aufgepasst. Auf der Strasse ist es nicht wie hier. Hier sind die Strassen in der Industrie, bei uns sind die Strassen Hauptstrassen, Kreisel, gegenüber von Einkaufszentren. Jede hat ihre Ecke und da stehst du dann. Dann habe ich angefangen mit Club, später eine Lehre gemacht drei Jahre lang als Domina. Seitdem sind die Jahre so schnell vergangen, dass ich mir denke: Oh, es sind ja schon zehn Jahre (lacht).
Was hast Du in diesen zehn Jahren alles erlebt?
Viele Sachen: Von gut bis böse, von lustig bis scheisse. Das Milieu ist eine eigene Welt.
Konkret: Was ist Dir speziell in Erinnerung geblieben?
Kurz nachdem ich von Spanien nach Deutschland gezogen bin, wurde ich in ein Laufhaus reingesetzt. Mein erster Kunde war auch mein letzter Kunde für diese Nacht. Er hat mir 7000 Euro gegeben, dafür, dass ich ihn wie einen Hund an die Leine genommen und ihn nackt vom Hauptbahnhof Frankfurt bis zur Diskothek Cocoon geführt habe. Ich dachte echt, der will mich verarschen. Aber nein, er wollte, dass ich ihn vor allen Leuten erniedrige. Und ich so: Gern, ich bin Domina, bei mir bist du an der richtigen Adresse. Dann sind wir zum VIP Eingang rein.
Der Typ hat die Schuhe geleckt von allen Leuten. Das war für mich das lustigste Erlebnis in den zehn Jahren.
Verrückte Sachen gibt es ganz viele, zum Beispiel Kunden, die wollen, dass ich ihnen die Eier aufschlitze mit Rasierklingen, zunähe und wieder aufschlitze. Also es gibt schon kranke Leute.
Was sind die Nachteile des Berufs?
Du hast Nervenzusammenbrüche. Du hast keine anständige Beziehung zu deinem Partner. Du musst einen Partner finden, der das Milieu akzeptiert oder besser gesagt in dem Milieu drin ist. Eigentlich hast du nur Probleme. Auch mit dem Geld. Weil du dich an das Geld gewöhnst, das du kriegst und das mehr ist als du mit sonstiger Arbeit verdienen würdest. Es ist ein anderer Lebensstil. Wenn du einmal in dem Milieu drin bist, bleibst du drin. Da kann jede Frau sagen, sie komme raus, sie geht vielleicht raus, aber sie kommt auch wieder rein.
Hat dieser Job – ausser dem Geld – seine positiven Seiten?
Eigentlich geht es nur ums Geld. Es gibt Frauen, die machen es, weil sie Spass daran haben. Klar, warum nicht? Ich würde gerne mit meinem Job aufhören, momentan kann ich aber nicht, weil ich ein Haus gekauft habe zusammen mit meinem Mann. Ich will Luxus haben, ich will nicht solche Betten haben (deutet auf das Bett im Zimmer), sondern Betten, die drei Mille kosten. Deswegen arbeite ich noch.
Wie viel verdienst Du?
In der Schweiz verdienst du das Doppelte von dem, was du in Deutschland verdienst. In Deutschland sind 50 halbe Stunde, Blasen ohne, Küssen Muss, Französisch natur gegenseitig Muss, Ficken mit. Hier sind 50 Franken ein Witz. Oder einen Blasen mit Gummi. Sechs Wochen war ich hier, vier Wochen davon in Olten. Da ich nicht mehr als 10 000 Franken über die Grenze nehmen kann, habe ich einen Teil des Geldes verschickt. Das darf man, ich habe nachgefragt, nicht, dass ich Probleme mit der Polizei kriege.
Dir ist es also wichtig, dass Du rechtmässig handelst, wenn du in der Schweiz als Sexarbeiterin tätig bist?
Ja. Wenn dir in der Schweiz etwas passiert oder du etwas verbrichst, steckst du hier fest. Deswegen ist es immer besser für uns Deutsche, ein gutes Bild abzugeben. Gerade, weil im Moment so viel Ostblock unterwegs ist, Ungarinnen, Rumäninnen, also die, die unser Gewerbe kaputt und alles unter Preis gemacht haben. Klar, gibt es auch gute rumänische und ungarische Frauen. Aber das Problem ist, dass viele mittlerweile schon für 50 beides machen oder Ficken ohne Gummi. Da stehen wir Deutschen nicht dahinter, wir bieten das nicht an.
Welche Folgen hat das?
Die Männer, wo wollen die hin? Die wollen dahin, wo sie kein Latex drauf haben. Die gibt’s für 50, sieht zwar scheisse aus, scheiss drauf, ich denk mir was anderes, hab aber nur 50 Franken ausgegeben. Die Frau, zum Beispiel die Deutsche, sieht geil aus, die will mehr, aber nee, keinen Bock, ich geh zu der, die macht’s billiger, die macht’s sogar umsonst, die macht’s auch ohne Gummi, die macht’s für Drogen. Ich bleibe bei meinen Preisen und das ist 50, 80, 100 aufwärts. Ich kann mich nicht unter meinem Wert verkaufen.
Welche Grenzen setzt Du bei deinem Service?
Was machst Du nicht? Mein Mund, meine Liebe, meine Zärtlichkeit sind meinem Mann vorbehalten. Ich könnte einem Freier nie im Leben Zärtlichkeit geben, auch wenn er mir dafür 10 000 Franken bezahlen würde. Ich kann ihn nicht küssen, das geht nicht. Weil ich nur meinen Mann liebe und ich mich selber anlügen würde. Ich mache schon etwas Ehrliches.
Bei welchen Freiern sagst Du nein?
Ich nehme keine Dunkelhäutigen, keine Iraner, keine Afghanen und keine Pakistani.
Warum nicht?
Meistens ist der Penis sehr gross. Sie sind sehr aggressiv, dominant, unterwerfen die Frauen, Kopftuch und so. Mit dieser Art komme ich nicht klar, weil ich selber sehr dominant bin. Sonst schaukeln wir uns in der Diskussion hoch bis ich ausraste und ihn rausschmeisse. Wenn sie dich verbal nicht unterwerfen können, versuchen sie es handgreiflich und dann gibt’s die Faust. Denen ist es egal, ob du eine Frau bist oder ob es hier Kameras hat. Aber das funktioniert bei mir nicht.
Warum arbeitest Du hier in Olten?
Olten ist der beste Strassenstrich, den es gibt.
Basel ist scheisse, das sind nicht mal hundert Meter an Strasse, die Frauen stehen aneinander gereiht. Hier hast du mehr Platz zum Laufen und die Autos können bei einer Frau stehen bleiben. Wenn du in Basel stehen bleibst, hast du direkt vier Frauen vor dem Auto. Die Männer sind nicht alle Machos, es gibt auch Männer, die sind schüchtern. Ich habe gehört, es läuft gut hier in Olten, also habe ich mir gedacht, ich komme mal her. Von der Strasse kann ich nichts Schlechtes sagen, im Gegenteil: Ich komme wieder.
Welche Vorteile hat der Strassenstrich gegenüber einem Etablissement?
Strasse ist schnell. Du kannst deine Extras nehmen wie du willst. Es gibt welche, die machen anal für 50, bei mir kostet anal 250 für eine halbe Stunde. Es gibt welche, die zahlen es, es gibt welche, die zahlen es nicht. In den Clubs kriegst du heute nicht mehr so viel Geld wie früher. Früher habe ich im Globe in Zürich für 250 Franken eine Viertelstunde gearbeitet, mittlerweile sind es 50 Franken für eine halbe Stunde. Also, was läuft besser in der Schweiz? Die Strasse.
Wie ist der Strassenstrich in Olten im Vergleich zum Beispiel zu Hamburg?
Das hier in Olten ist kein Milieu, das ist ein Zirkus, ein Kindergarten, eine Jugendherberge. Mit dem Unterschied, dass ich halbnackt rausgehe.
Milieu sind für mich Strassen wie in Hamburg. Da geht es richtig ab. Ich war zwei Jahre lang in Hamburg. Da wird zum Beispiel nicht gefickt, also es gibt keinen Verkehr. Es gibt Fickfalle, Blasefalle, Arschfalle. Das heisst: Will jemand anal, du kriegst anal, du fickst meinen Finger, meinst aber, dass du meinen Arsch fickst. Wenn du wirklich mit jemandem bumst in Hamburg, kriegst du aufs Maul. Ohne Zuhälter kommst du nicht in Hamburg auf die Strasse. Da sind mehrere Gruppierungen: Die Engel, die Black Jackets, die Mareks aus Mannheim und die Hooligans. Jede Strasse, jede Ecke, jede Frau gehört irgendjemandem.
Wie nimmst Du die Repression seitens der Polizei am Strassenstrich Olten wahr?
Ich find’s einerseits scheisse, dass die Polizei die ganze Zeit vorbeifährt, andererseits gut wegen dem anderen Haus, weil die Mädels viel Theater machen, die Beine für ein bisschen Koks breitmachen und uns die Kunden wegnehmen. Aber dass die Bullen jeden Tag vorbeikommen muss nicht sein. Ich habe auch gehört, dass sie den Strassenstrich zu machen wollen hier in Olten. Das wird nichts bringen, wir werden uns eine andere Strasse suchen und dann wird es wieder Politik geben. Ich finde, sie sollten es einfach so lassen. Sie haben ja schon verkürzt auf 20 Uhr am Abend bis 5 Uhr am Morgen. Die sollen doch froh sein, dass wir nicht tagsüber an der Haslistrasse stehen, wenn Familien mit Kindern vorbeifahren. Wenn wir Prostituierten nicht wären, glaub mir, es wären viel mehr Vergewaltiger und Kinderschänder unterwegs.
Welche Rolle spielt Gewalt im Milieu?
Eine sehr grosse. Ich will jetzt nicht schlecht reden über… oh, Gott, wie fange ich bloss an, was sage ich nur, damit es nicht falsch kommt? Gewalt, Drogen, Waffen – das ist alles im Milieu. Ich sag’s mal so:
Jede vierte Hure hat eine Schiesserei gesehen, Drogen siehst du jeden Tag, nein, jede Stunde. Hast du einen Zuhälter, hast du jeden Tag Gewalt.
Wenn du nicht die Summe nach Hause bringst, kriegst du entweder aufs Maul oder du wirst weiter verkauft. Hast du keinen Zuhälter, hast du nur die Gewalt zwischen Frau und Kunde.
Wie stehst Du zu Drogen? Bist Du nüchtern, wenn Du arbeitest?
Ich war koks- und heroinabhängig. Gott sei Dank bin ich’s nicht mehr. Ja, ich konsumiere Drogen. Ich konsumiere Koks, Gras, Alkohol. Ich nehme Drogen, wenn ich auf der Arbeit bin. Wenn ich einen Gast habe wie vorgestern, der sagt: Hey, ich habe 50 Gramm, ich bezahle dir 3, 4, 5, bleibst die Nacht mit mir? Klar. Why not? Bin ich halt zwei Tage danach verkorkst, trotzdem gehe ich auf die Strasse. Wer Party machen kann, kann auch arbeiten. Hier im Haus saufen alle Alkohol, nebenan im Haus nehmen alle Pillen, Koks, Amphetamine, was es so gibt. Jeder muss selber wissen, was er mit seinem Körper macht. Ich komme hier her, mache mein Geld. Was ich hier mache mit Drogen muss mein Mann ja nicht wissen, wenn ich nach Hause komme, bin ich ein sauberes Mädchen.
Wie grenzt Du dein Privatleben von Deiner Arbeit ab?
Arbeit ist Arbeit, privat ist privat. Klar ist es schwer, wenn ich nach Hause komme. Dann bin ich ein bisschen kälter und egoistischer als sonst.
Ich muss schauen, dass ich meinen Mann nicht behandle wie einen Kunden, weil das bleibt wie eine Routine. Er bringt mich wieder in eine normale Schiene.
Nicht nur Prostitution, Drogen und Party, sondern setz dich mal hin, Familie, Haus und so. Ich bin echt froh, dass ich ihn kennengelernt habe. Er zieht mir nicht den Boden unter den Füssen weg, im Gegenteil, er schubst mir den Boden unter die Füsse und sagt so und so. Deswegen ist dieses Jahr auch das letzte Jahr für mich zum Arbeiten.
Du willst raus?
Ja, das Milieu macht dich kaputt im Kopf. Wir möchten eine Familie gründen. Sobald ich weiss, ich bin schwanger, höre ich auf, definitiv. Solange ich kein Kind habe, höre ich im Dezember auf, wie lange, weiss ich nicht. Aber ich brauche auf jeden Fall eine Pause.
Was möchtest Du nachher arbeiten?
Ich möchte etwas machen, bei dem ich mit den Leuten kommunizieren kann. Von 2004 bis 2006 habe ich in Ibiza gelebt und viele Events gemacht für die Diskotheken Amnesia und Space. Ich bin kein dummes Mädchen, spreche mehrere Sprachen und habe ein Diplom als Dolmetscherin in deutsch, englisch und spanisch. Events machen mir Spass, Parties sowieso und neue Leute kennen lernen auch. Oder ich mache meine eigene Bar auf. Eine etepetete Cocktailbar für berühmte Leute in Frankfurt. Eine Jazz und Blues-Bar. Das ist so mein Stil. Jemand spielt Klavier, ein schöner Cocktail, gute Küche, so stelle ich mir das vor.
Grosse Veränderungen kommen nicht nur auf Dora zu, sondern auch auf das Sexgewerbe im Kanton Solothurn. Ein neues Volkswirtschaftsgesetz ist zurzeit in der Vernehmlassung. Der Absatz „Sexarbeit“ erkennt die Prostitution, die seit 1942 in der Schweiz legal, aber nach wie vor sittenwidrig ist, an und stellt sie anderen Arbeiten gleich. Fachorganisationen wie Lysistrada zweifeln am Nutzen der geplanten Neuerung. „Wenn das Gesetz so angenommen wird, bedeutet es vor allem grösseren bürokratischen Aufwand für die Sexarbeiterinnen und die Betreibenden von Etablissements“, fasst Fiona Gunst, Vorstandsmitglied und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, zusammen. Die Koordinatorin Melanie Muñoz ergänzt: „Für Schweizerinnen und Frauen mit einer C-Niederlassung verändert sich nicht viel. Die Auflagen betreffen vor allem die ausländischen Sexarbeiterinnen. Das Gesetz, das unter dem Vorwand des besseren Schutzes für die Frauen eingeführt werden soll, ist in Wahrheit knallharte Migrationspolitik.“ Neue Hürden bedeuteten vermehrte Kontrollen, Bussen und damit auch die Gefahr, in die Illegalität gedrängt und Opfer von Mittelsmännern, sprich Zuhältern, zu werden. „Je mehr Regelungen, desto schwieriger wird es für die Frauen, selbständig und unabhängig zu arbeiten.“
Um eine Berufsausübungsbewilligung zu erhalten, müssen die Frauen volljährig sein, einen Krankenkassennachweis liefern und eine Arbeitsbewilligung für die Schweiz besitzen.Während dies den Aufenthalt und die Ausübung der Sexarbeit für Gastarbeiterinnen komplizierter macht, zwingt es die Schweizer Frauen sich zur Sexarbeit zu bekennen. „Wenn du dich als Prostituierte registrieren musst, bist du abgestempelt“, äussert sich dazu eine Sexarbeiterin, die mehrere Jahre am Oltner Strassenstrich tätig ist. Den Kondomzwang für Freier wie er im Entwurf für das neue Wirtschaftsgesetz des Kantons Solothurn vorgesehen ist, hält sie für realitätsfremd, weil nicht überprüfbar. Auch Iris Schelbert, Stadträtin und Sicherheitsdirektorin von Olten, beurteilt die Umsetzbarkeit des neuen Gesetzes kritisch: „Die Regeln, die irgendwo an einem Schreibtisch gemacht werden, müssen von der Polizei kontrollierbar sein. Gerade im Sexgewerbe ist es schwierig, Regeln zu formulieren, zu kontrollieren und einzuhalten.“ Das neue Gesetz sieht vor, dass die Autonomie der Gemeinden, zu entscheiden, wo die offene Prostitution ausgeübt werden darf, grösser wird. Melanie Muñoz bringt es auf den Punkt: „Olten müsste dann trotz Handels- und Gewerbefreiheit nicht mehr begründen, warum die Stadt den Strassenstrich nicht mehr möchte, sondern kann einfach sagen: Wir wollen ihn nicht mehr. Aber: Es wird diese Form von Sexarbeit, auch wenn sie verboten ist, immer geben, weil die Nachfrage da ist.“
Stephan Künzli aus Olten flog ab 1983 als Linienpilot bei der Swissair, ab 95 als Captain. Am 11. September 2001 war er in Manhattan und sah zu, wie die Twin Towers brannten. Und wie die Türme zu Boden gingen und der Staub der Katastrophe aufstieg, da wusste er, dass dies der Todesstoss für die bereits arg angeschlagene Swissair sein sollte. Drei Wochen später ging die Swissair unter, aus der Crossair wurde die Swiss International Airlines, 400 Piloten wurden entlassen, nicht aber Stephan Künzli. Mittlerweile kommt er auf weit über 16’000 Flugstunden und fliegt die zwei grössten Flugzeuge der Swiss-Flotte, die beiden Airbusse A330 und A340 von Zürich nach Hongkong, San Francisco, Johannesburg, überall hin auf der Welt.
Sein Vater war Militärpilot während des 2. Weltkrieges. Simone, seine Frau, war früher Stewardess bei der Swissair. Sein Sohn Jonas fliegt Segelflugzeuge. Und seine beiden Töchter, die Zwillinge Meret und Laura, arbeiten wie er bei der Swiss, wie ihre Mutter früher als Flight Attendants. Vor kurzem haben die beiden ihr Studium begonnen, Laura und Meret arbeiten deshalb nun als Freelancer im Nebenjob, nachdem sie zuvor im 100%-Pensum um die Welt geflogen waren.
Das ist die Familie Künzli, wohnhaft im Schöngrund in Olten.
Wir haben Stephan und die Zwillinge Meret und Laura bei sich zu Hause getroffen. Ein Gespräch über betrunkene Passagiere, Wasserlandungen und Lieblingsdestinationen.
Stephan, Meret, Laura, wie muss man sich bei euch den Familientisch beim Abendessen vorstellen? Werden da nur Aviatiker-Witze gerissen und Anekdoten aus der Luft erzählt?
Meret: Nein, nein. Aber wir sprechen schon auch über die Arbeit. Und es gibt gute Geschichten zu erzählen, es passiert schliesslich Einiges in der Luft.
Stephan: Das Thema ist immer aktuell, allerdings nicht in erster Linie das Fliegen an sich, sondern die Umstände, wie etwa die unregelmässigen Arbeitszeiten. Das erfordert eine gewisse Organisation, darüber wird oft geredet. Dann war natürlich das Grounding ein Wahnsinnsthema, denn da ging es um die Existenz.
Ist Fliegen aber mehr als ein Job, eine Passion?
Laura: Passion würde ich es nicht nennen. Ich mache den Job sehr gerne, aber wenn es wirklich eine Passion wäre, hätte ich die 100%- Stelle nach 1 ½ Jahren wohl nicht aufgegeben, um mit dem Studium in Ethnologie zu beginnen.
Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Juni 2011
Wieso hast du dich überhaupt für den Job als Flight Attendant entschieden?
Laura: Es war irgendwie schon immer klar, dass ich nach der Matura zur Swiss gehen würde.
Stephan: Ihr beiden habt ja schon als 3-Jährige Air Hostess gespielt…
Meret: …wir gingen oft mit unserem Vater auf Rotationen mit früher, und daher wusste ich schon immer, dass mir das sehr gefällt. Es ist ein toller Job, aber es ist nicht die Arbeit, die ich die nächsten 20 Jahre machen möchte. Es ist ja nicht die Arbeit an sich, die den Job so speziell macht…
…sondern das Land am Ende der Reise?
Meret: Ja, genau…
Stephan: …Es ist der ganze Lifestyle, der den speziellen Reiz dieser Arbeit ausmacht.
Ist vom Glamour der einstigen Fliegerhelden nicht Vieles verloren gegangen?
Stephan: Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Mit dem Lifestyle meine ich eher, dass wir ständig irgendwo unterwegs sind und dass nie die Routine aufkommen kann, wie wenn man normal von Montag bis Freitag arbeitet.
Wie sieht denn eine „normale“ Woche bei dir aus?
Stephan: Als Beispiel: Ich bin am letzten Sonntag nach Tokio geflogen, ein 12-Stunden-Flug, und gestern (Mittwoch, die Red.) wieder heimgekehrt. Nach der Rückkehr habe ich vier Tag frei, und schon ist eine Woche um. In diesem Monat ist die Situation etwas speziell, weil ich auf Abruf arbeite. Ab Sonntag kann jederzeit ein Telefon kommen und dann bleibt mir gerade Zeit, um ins Auto zu steigen, nach Kloten zu fahren und 2 Stunden später bin ich wieder in der Luft in einem Langstreckenflugzeug, unterwegs nach irgendwohin.
Wieviel Zeit vor Ort bleibt den Flight Attendants normalerweise?
Meret: Weniger als früher. In New York etwa haben wir 24 Stunden.
Laura: In den meisten Städten hat man einen Aufenthalt von 24 Stunden vor dem Rückflug.
Da bleibt nicht allzu viel Zeit, schlafen muss man ja auch noch.
Laura: Mit gutem Time-Management kann man da schon das Optimum herausholen (lacht). Ich hab mich da nie abhalten lassen. Das ist schon ein grosser Anreiz an diesem Job.
Stephan: Wenn man als Pilot beginnt, gibt es diesen Anreiz natürlich noch nicht, weil es kaum Night-Stops gibt. Dann ist das Fliegen der Antrieb. Als Kurzstreckenpilot hast du pro Tag vier Flüge, vier Starts und vier Landungen, da kannst du dein Handwerk machen und üben.
Meret: Wir sind die ersten 9 Monate auch Kurzstrecke in Europa geflogen, bevor wir umgeschult wurden für die Langstrecke.
Stephan, wie viele Flüge machst du monatlich als Langstreckenpilot?
Etwa 5.
Ist man als Pilot nach so vielen Jahren noch fasziniert, wenn diese Riesenvögel in die Luft abheben?
Stephan: Ja, eine Faszination bleibt, es ist immer wieder lässig.
Kann man bei aller Alltäglichkeit, die das Fliegen für euch ist, noch nachvollziehen, wieso Menschen unter Flugangst leiden?
Laura: Ja, sicher. Das Hauptproblem ist der Kontrollverlust. Wir versuchen als Flight Attendants natürlich darauf einzugehen, wo möglich. Oft sind aber jene Passagiere, die uns über ihre Angst informieren, nicht diejenigen mit dem grössten Leiden.
Stephan: Auch für uns Piloten ist das ein zentrales Thema. Es gehört zu unserem Job, dem entgegenzuwirken, wobei die Mittel eingeschränkt sind. Das Mindeste ist, dass wir mittels Ansage ein Vertrauensklima schaffen. Meistens erzähle ich in der ersten Ansage vor dem Start schon von der Landung, damit die Passagiere, die Flugangst haben, das Gefühl erhalten, das Ende sei schon wieder absehbar. Piloten werden auch in der Kommunikation geschult, vor allem für sogenannte „abnormals“, also ungeplante Ereignisse, wie etwa technische Störungen. Es ist anspruchsvoll, in diesen Fällen richtig zu kommunizieren. Du musst bei der Wahrheit bleiben – was nicht heisst, dass du alles im Detail preisgeben musst – und gleichzeitig musst du dafür sorgen, dass die Passagiere das Vertrauen nicht verlieren.
Habt ihr denn schon solche “abnormals“ erlebt?
Stephan: Ich hatte noch nie einen technischen Notfall mit einem Flugzeug. Es gibt aber immer wieder Situationen, die wirklich sehr anspruchsvoll sind, vor allem wettermässig. Es gibt zum Beispiel beim Landeanflug offizielle Limiten, was die Windstärke angeht. Wenn nun aber zusätzlich die Landebahn noch nass ist oder Böen wehen, kann es auch kritisch werden, obwohl die Limiten noch nicht erreicht sind. Ausserplanmässige Landungen gab es in ein paar Fällen, etwa wegen medizinischen Problemen an Bord.
Meret: Ein grosses Problem können „unruly passengers“ sein, Passagiere, die Anweisungen nicht befolgen und aggressiv werden. Oft spielt da Alkohol eine Rolle.
Gibt es klare Anweisungen an die Flight Attendants, wie viel Alkohol ausgeschenkt werden darf ?
Laura: Nein, es gibt keine offiziellen Regeln. Wenn aber jemand offensichtlich viel zu viel getrunken hat, müssen wir ihm schonend beibringen, dass er nichts mehr kriegt. Ich bin aber relativ grosszügig (lacht).
Stephan: Der grösste Auslöser von Aggressionen ist die Flugangst, das ist ein Riesenproblem. Die Leute geben nicht zu, dass sie Angst haben, trinken vielleicht zu viel oder nehmen Medikamente und die daraus entstehende Aggressivität ist letztlich bloss eine Ausdrucksform der Angst.
Moderne Passagierjets lassen sich ja nicht mehr mit mechanischer Steuerung fliegen, alles ist mittlerweile elektronisch. Wieviel Macht darf ein Bordrechner über eine Maschine haben? Es häufen sich ja die Ereignisse, in denen eine austickende Elektronik zu massiven Problemen führt.
Stephan: Airbus hat ein an sich geniales System entwickelt, das die Steuerung eines Flugzeugs soweit einschränkt, dass etwa ein Abschmieren gar nicht mehr möglich ist, weil der Computer automatisch interveniert. Probleme entstehen aber dann, wenn dieser Computer falsche Messdaten erhält und fälschlicherweise interveniert. Wie das womöglich beim Absturz der Air France über dem Atlantik vor 2 Jahren der Fall war.
Die Auswertung der eben gefundenen Blackboxes wird hier hoffentlich Klarheit bringen.
Und der Pilot hat in solchen Fällen keine Möglichkeit, die Vollmacht vom Computer zurückzuerobern?
Stephan: In letzter Konsequenz ist das möglich, aber in dem Fall würde das Steuern eines Flugzeugs enorm schwierig. Auf Reiseflughöhe sind die modernen Jets enorm labil und bei heftigen Turbulenzen kann von Hand eigentlich gar nicht mehr geflogen werden – wenn dort oben alle Unterstützung auf einen Schlag wegfällt, kann schon der geringste Ausschlag zu viel sein. Bei älteren Flugzeugen wie der MD-11 konnte man theoretisch im Reiseflug mit aller Gewalt den Steuerknüppel voll nach hinten ziehen, worauf so viele g (Belastung durch Beschleunigung, die Red.) entstanden wären, dass es die Flügel einfach abgerissen hätte. Das ist heute nicht mehr möglich.
Wie ist die Leistung des Piloten Sullenberg einzuschätzen, der sein Flugzeug auf dem Hudson River in Manhatten notwassern musste und alle Passagiere gerettet wurden?
Stephan: Das war eine absolute Meisterleistung. Eine solche Wasserlandung gelingt aber auch dem besten Piloten der Welt nur mit enorm viel Glück. In 99 von 100 Fällen geht das schief, weil alles perfekt passen muss, damit es den Flieger beim Aufsetzen nicht zerreisst.
Was habt ihr am 2. Oktober 2001 gemacht, dem Tag des Swissair-Groundings?
Meret: Wir waren zusammen am Segeln in Italien.
Stephan: Die Folgen des Groundings habe ich erst später zu spüren gekriegt.
Was hat sich denn verändert, ausser dem Namen?
Stephan: Mit der Swissair habe ich mich viel mehr identifiziert, es war ein bestimmtes, spezielles Gefühl.
Laura: Also ich finde das Arbeitsklima bei der Swiss toll.
Meret: Geht mir genau so, wir haben immer eine tolle Stimmung in der Bordcrew.
Stephan: Man muss unterscheiden zwischen der Ambiance innerhalb der Crews, und die ist in der Tat toll, und auf der anderen Seite dem Geschäftsklima in der Gesamtfirma. Hier ist nach dem Untergang der Swissair etwas verlorengegangen. Immerhin kann die Swiss nach den ersten völlig missratenen Jahren unter André Dosé, dessen Führungsteam komplett inkompetent war, nun erfolgreich wirtschaften.
Und wie gross sind die Lohnunterschiede im Vergleich zu früher?
Stephan: Ich verdiene 30 Prozent weniger als zu Swissair-Zeiten.
Zurück zur Swiss der Gegenwart: Wohin fliegt ihr am liebsten?
Meret: Bangkok und Hongkong!
Laura: Das sind auch meine Lieblingsdestinationen, Bangkok und Hongkong.
Stephan: San Francisco oder LA zum Beispiel sind auch grandios, aber mir sind die Flüge in den fernen Osten ebenfalls lieber, einfach weil in diese Richtung die Zeitanpassung besser gelingt und man weniger erschöpft ist.
Schlussfrage: Ist es schon vorgekommen, dass ihr alle drei zusammen auf demselben Flug gearbeitet habt – ein Swiss-Flug als Künzli-Familienunternehmen quasi?
Meret: Ja, einmal. Das war nicht nur Zufall, wir haben das so eingegeben. So kam es, dass wir alle drei zusammen nach Hongkong geflogen sind. Laura und ich dagegen sind schon ein paar Mal zufälligerweise für denselben Flug eingeteilt worden.
Dieser Kolt-Beitrag stammt von Juni 2011. Gut neun Jahre später, am 21. Oktober 2020 um 15.46 Uhr stieg die “Maiden” zum ersten Mal in die Luft.
Draussen im Weiher quaken die Frösche und drinnen in der Garage trällert Büne Huber „I ha’s scho denn gwüsst / irgendeinisch gahn I o / Bälpmoos, schick mi furt vo hier“.
Irgendwann wird es soweit sein. Alles wird fertiggezimmert und geschweisst und gedacht und zusammengebaut sein und dann wird Isidor von Arx auf irgendeiner Flugpiste in seiner Nieuport 23C-1 sitzen, Gas geben, bis die Rotoren rotieren und das Flugzeug abhebt, hoffentlich. Seit mittlerweile 11 Jahren bauen von Arx, Kurt Schaub und Geri Mäder, drei Piloten aus dem Gäu, an ihrer Maschine, die 1917 entworfen worden war. Und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis alles bereit ist für den Jungfernflug. Aber das macht nichts. Es gibt keinen Zeitdruck, es gibt gar keinen Druck. Der Weg ist das Ziel; so abgedroschen die Floskel klingen mag, wenn sie irgendwo passt, dann hier. Hier ist in diesem Fall eine graue Garage in Neuendorf.
Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Juni 2011
Die Gruppe hat von einem Freunden eine CD nur mit Fliegersongs geschenkt gekriegt, eine von 1000 kleinen Gaben, und die hören Kurt Schaub und Isidor von Arx an diesem Mittwochabend während ihrer Arbeit an der Nieuport in der Garage von Schaub. Während Patent Ochsner vom Traum des Fliegens singt, wird in der Garage daran gearbeitet, ihn zu erfüllen. Wer fliegen will, braucht Flügel und daran schleifen sie heute. Pro Flügel etwa 2 Monate, rechnet die Gruppe.
Geri Mäder ist diesmal nicht dabei, dafür ist Christian Staudacher da, sein Spezialgebiet sind die Motoren. „100 Leute“ schätzt Schaub, „haben bisher in irgendeiner Art mitgeholfen“. Die Arbeitsteilung ist auch innerhalb des Kernteams der entscheidende Faktor. Schaub ist im richtigen Leben Geigenbauer und daher der Holzexperte im Team. Geri Mäder ist Maschinentechniker und von Arx, der als Verkäufer von Dienstleistungen bei der Post arbeitet, hat eine mechanische Grundausbildung.
Kuno Schaub (links) und Christian Schaudacher (rechts)
5000 Arbeitsstunden
Die Nieuport 23 C-1 war ein Jagdflugzeug im Ersten Weltkrieg. Die Schweizer Armee besass fünf Exemplare davon. Es war auch das Lieblingsflugzeug des legendären Langenbruckers Flugpioniers Oskar Bider, den bei einem Absturz der frühe Fliegertod heimsuchte. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Nieuport innert vier Jahren 18’000 Mal gebaut. „Damals musste es so schnell wie möglich gehen“, sagt Isidor von Arx, „heute soll es möglichst schön werden“. Ihre Nieuport werde deshalb eine veredelte Version sein. Ungefähr 5’000 Arbeitsstunden hat das Kernteam um Schaub und Von Arx bereits ins Projekt investiert. Wieso eigentlich? Von Arx, amtierender und mehrfacher Schweizermeister im Kunstflug in der zweithöchsten Kategorie, überlegt kurz und sagt schliesslich schmunzelnd: „Das hab ich vergessen. Kuno, wieso machen wir das?“
Früher hatte sich eine Gruppe passionierter Flieger jeden Freitag im Kreuz zu Egerkingen am Stammtisch getroffen, geredet und Bier getrunken. Eines Tages kamen Schaub und von Arx zum Schluss, dass sie diese Zeit auch anders nutzen könnten. Sie rechneten hoch, wie viele Stunden sie in der Beiz in acht Jahren verbringen würden und kamen zum Schluss, dass man in dieser Zeitspanne stattdessen auch ein Flugzeug bauen könnte. Also beschlossen die Freunde, ein Flugzeug zu bauen. „Wir haben uns nicht viel überlegt am Anfang, sonst hätten wir bestimmt nicht damit angefangen“, sagt Isidor von Arx. Denn es gab sie, die Krisen, die Probleme, die der Gruppe, die möglichst alles selber herstellen will, unfassbar viel Geduld abverlangten. An einem kleinen Aluprofil fürs Fahrwerk etwa haben sie gesamthaft 5 Jahre getüftelt. Jetzt aber, so nennt es Schaub, der die Nieuport mangels Training selber nicht fliegen wird, „sind wir über den Berg, die grössten Hürden sind genommen.“ Alle Materialien sind beisammen, darunter Baumwolltücher, ein vorgefertigter Öl-Tank, die Motoren – die Motoren, die eine Geschichte für sich sind. Sie sind praktisch das Einzige, was sie nicht nachbauen, das hätte den Rahmen gesprengt. So ging die Suche los nach den Originalmotoren, gebaut in den 10er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fündig wurden sie schliesslich in Rom, Boston, Fribourg und Langenthal, billig war das natürlich nicht. Ein Motor hätte nicht gereicht, denn die drei Freunde bauen gleich drei Flugzeuge. „Damit jeder eins hat“, wie von Arx meint. Schliesslich hat es in jedem Flugzeug nur einen Sitz, ein Holzstuhl, „wie ein Gartenstuhl mit Löchern“, jedes Detail dem Original nachempfunden – so auch das eigens modifizierte Maschinengewehr MG11, das am Schluss montiert werden wird.
Jedes Detail, jede Schraube wird dokumentiert, jede Arbeitsstunde der Gruppe festgehalten. Und kontrolliert wird das Ganze vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Denn: Isidor von Arx will seine Nieuport, wenn sie dann soweit ist, fliegen. Und dazu braucht es eine Bewilligung des Bazl, wie bei jedem anderen Flugzeug auch. So kommt etwa all zwei Jahre einer vom Bundesamt vorbei und wirft ein paar prüfende Blicke auf ihr Projekt, kontrolliert Schweissarbeiten und Schraubengrössen. 10’000 Einzelteile werden am Schluss in der Nieuport C23-1 stecken, und einiges an Geld. Budgetiert sind pro Flugzeug Kosten von knapp 90’000 Franken. Sponsoren und Gönner helfen mit, das Projekt zu realisieren.
Jungfernflug in Payerne ?
Die nächsten Termine, auf die die Flugzeugbauer schielen, sind 2013 und 2015. Dann finden Flugfeste statt, vielleicht reicht es bis dann, vielleicht auch nicht. Als möglichen Ort für den Jungfernflug sei der Flugplatz Payerne im Waadtland im Gespräch, sagt Schaub, doch da sei noch alles offen. Irgendwann, irgendwo wird es aber soweit sein und Isidor von Arx wird mit seinem Oldtimer-Baby abheben, wie dazumal Oskar Bider im Ersten Weltkrieg, und mit 172 Kilometern pro Stunde die maximal 575 Kilo, die er selber zusammengebaut hat, durch die Luft navigieren.
Und dann? Zurück nach Egerkingen an den Stammtisch im Kreuz?
Natürlich nicht. Von Arx träumt schon vom nächsten Bauprojekt: Das Ding heisst SIG Demoiselle, ein Zivilflugzeug aus dem Jahr 1909, hergestellt aus Bambusholz. Denn eben, ja genau: Das Ziel ist der Weg.
Sie wurden im Jahr 1996 Schweizermeister, 1997, 1998, 1999 und 2000 ebenso: Fünfmal in Serie wurden sie Schweizermeister im Segelfliegen, die Gebrüder Thomas und Daniel Frey aus Olten. Dann hörten sie auf, Spitzensport zu betreiben und sich in Wettkämpfen zu messen, denn die Zeit wurde knapp – Familie, Beruf und die sonstigen üblichen Verpflichtungen – und Segelfliegen als Spitzensport zu betreiben, das kostet viel Zeit. Der Druck, Meisterschaften zu gewinnen ist weg, geblieben ist die Passion. Thomas und Daniel Frey gehen noch heute, 31 beziehungsweise 29 Jahre nach ihrem allerersten Segelflug, immer wieder in die Luft. „Es ist wie eine Sucht“ sagt Thomas Frey.
Ortstermin Gheid, Flugplatz Olten, beim Klubhaus der Segelfluggruppe Olten. Es ist Mittwochnachmittag, der Himmel blau und freundlich und die Bedingungen zum Segelflug sind ordentlich. Der Parkplatz ist gut gefüllt, viele ältere Herren haben sich getroffen, um abzuheben – über der Stadt Olten kreisen wieder die Segelflugzeuge. Start mit Hilfe der Seilwinde, bis auf eine Ausgangshöhe von 300 bis 400 Metern, dann wird ausgeklinkt: das Kunststoffseil fällt sanft – gebremst mittels kleinem Fallschirm am oberen Ende – wieder zu Boden. Der Pilot und sein Segelflugzeug dagegen werden sich selbst und den Launen der Lüfte überlassen. Nun muss der Pilot auch Meteorologe sein.
Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Juni 2011
Das Gute am Segelfliegen ist, dass man keinen Motorschaden erleiden kann. Ausserdem: Kein Kerosin, das explodieren kann, keinen CO2-Ausstoss, der die Klimaerwärmung vorantreibt. Stattdessen: Ein Mensch und eine Hülle mit Flügeln, hier passt die viel bemühte Analogie vom Flugzeug und dem Vogel. Der Segelflieger kreist wie der Adler, um die Thermik zum Steigflug zu nutzen, er hält Ausschau nach den kreisenden Greifvögeln, denn dort wo sie sind, dort sind die Aufwinde. Wenn aber an schlechten Tagen weder Vögel noch Thermik anzutreffen sind, bedeutet das noch lange keinen Absturz. 1:50 lautet die magische Formel, die durchschnittliche Gleitzahl bei modernen Segelfliegern: Aus einer Höhe von einem Kilometer fliegt das Segelflugzeug ohne Aufwinde etwa 50 Kilometer bis der Boden in die Quere kommt. Mit Thermik oder ohne: Irgendwann dann landet es wieder, Flugpiste Gheid, die Bremsklappen sind ausgefahren und der Rasen ist ein wenig holprig.
Thomas Frey sitzt neben seinem Bruder Daniel beim Klubhaus und schaut einem Segelflugzeug nach, das gerade zur Landung ansetzt. „Vielleicht ist das auch zu krass ausgedrückt, wenn ich von Sucht spreche“, sagt er nun. „Nennen wir es Psychohygiene“.
Wie meinen Sie das genau?
Thomas: Ich brauche das Segelfliegen für meine innere Balance, als Erholung, zum Abschalten. Das schönste und Essentielle am Segelfliegen für mich ist, dass es keinen Zweck hat. Man macht Segelflüge, weil es schön nutzlos ist, nicht weil es etwas bringt. Das hat doch etwas Befreiendes.
«Das Schönste und Essentielle am Segelfliegen für mich ist, dass es keinen Zweck hat. Man macht Segelflüge, weil es schön nutzlos ist, nicht weil es etwas bringt. Das hat doch etwas Befreiendes.»
Thomas Frey
Daniel: Früher sind wir viel geflogen. Heute ist Zeit Mangelware, man hat selten ein paar Stunden für sich alleine, ist eingebunden in Job und Familie. Dazu ist man natürlich stark von den Wetterbedingungen abhängig. Wenn es dann wieder mal klappt mit einem Flug, bieten diese Stunden für mich sehr viel Erholung, weil man für sich alleine ist, ganz alleine im dreidimensionalen Raum.
Thomas: Es geht auch ums Naturerlebnis, beim Fliegen verschmelze ich mit der Natur, das Gefühl ist unbeschreiblich. Mein Antrieb zum Segelfliegen war schon immer mehr die Natur und weniger die Technik. Man geniesst von da oben halt einfach die beste Aussicht.
Bei aller Erholung, die das Fliegen Euch bietet: Ist es nicht auch anstrengend? Es wird ja immerhin als „Sport“ bezeichnet.
Thomas: Schach wird ja auch als Sport bezeichnet. Man braucht jedenfalls nicht die Athletik eines durchtrainierten 25-Jährigen zu haben, um bei Schweizermeisterschaften mitzuhalten. Theoretisch könnten wir beide wieder national Erfolg haben, obwohl wir ja auch nicht mehr die Jüngsten sind.
Daniel: Grundsätzlich verlangt ein Segelflug eher kognitive als körperliche Fähigkeiten. Wenn man aber morgens um 11 Uhr abhebt, Hunderte Kilometer bis in die französische Haute Provence fliegt und retour und am Abend um 19 Uhr wieder im Gheid landet, dann ist man definitiv auch körperlich erschöpft.
Kriegt man es nicht mit Platzangst zu tun, während 7 Stunden nonstop eingepfercht in diesen engen Cockpits?
Daniel: Nein, man hat ja einen Rundumblick, kann auch nach oben schauen, das wirkt dem Eingeengtsein entgegen. Ausserdem vergisst man mit der Zeit, dass man in einem Flugzeug sitzt. Ich werde dann eins mit dem Fluggerät, die Flügel werden zu Verlängerungen meines Körpers und der ewige Traum des Menschen, zu fliegen, wird wahr. So fühlt sich das zumindest an, oben in der Luft.
«Ich werde dann eins mit dem Fluggerät, die Flügel werden zu Verlängerungen meines Körpers und der ewige Traum des Menschen, zu fliegen, wird wahr. So fühlt sich das zumindest an, oben in der Luft.»
Daniel Frey
Thomas: Segelfliegen wird so zum Multiplikator des körperlich Möglichen, das ist der spezielle Reiz daran. Das will und muss man immer wieder erleben. Vielleicht ist es doch eine Sucht (lacht).
Seit dem 28. Mai und noch bis am 5. Juni finden die diesjährigen Schweizermeisterschaften im Segelfliegen statt. Swiss Gliding Nationals heisst der Anlass, und wer auf dessen Homepage die Teilnehmerliste durchstöbert, der findet Piloten aus Dittingen, Bex, Bern, Winterthur und vielen anderen Orten, nicht vertreten aber ist die Segelfluggruppe Olten. Die fetten Jahre sind vorbei, seit dem Rücktritt der Gebrüder Frey bleiben Erfolge der Segelfluggruppe an nationalen Wettkämpfen aus. Da erstaunt es, wenn Daniel Frey heute von einer gesunden Nachwuchsstruktur spricht, von einer insgesamt erfolgreichen Segelfluggruppe Olten. „Erfolgreich heisst in diesem Fall, dass die Jungen gerne hierher kommen, um zu fliegen.“ Die Gruppe schaffe es, die nötigen Strukturen zu schaffen, die es dazu benötige. Es könne im Moment nicht die Ambition des Vereins sein, Schweizermeisterschaften zu gewinnen; der Aufwand, Segelfliegen als Spitzensport zu betreiben, sei enorm, für den Einzelnen, aber auch für eine ganze Crew, die involviert sein müsse. „Im Vordergrund“, so Daniel Frey, „steht die gemeinsame Passion fürs Fliegen, wesentlich ist der Genuss.“ Bruder Thomas pflichtet bei. Was die Oltner Segelfluggruppe zu einem erfolgreichen Verein mache, sei einerseits die soziale Komponente eines funktionierenden Vereinslebens und andererseits der Ausbildungsfaktor. „Gute Leute kommen von hier“, sagt Thomas, „und diese Leute kommen immer wieder gerne zurück.“ So sei der Flugplatz Gheid Ausgangsort von etlichen erfolgreichen Berufskarrieren in der Aviatik. Heute ist der Verein im Besitz von acht Segelflugzeugen, ein jedes ungefähr 250 Kilo schwer und ungefähr 125000 Franken teuer. Knapp 70 Mitglieder zählt die Gruppe – etwa 50 davon sind aktiv, der Älteste, der noch in die Luft steigt, ist 80 Jahre alt. Die ganze Szene sei ein wenig am überaltern, so Thomas Frey: „Man sieht das ja ganz gut an uns beiden“, sagt der 46-Jährige und lacht. Dabei lässt man die Jungen schon sehr jung ran: ab 15 darf gesegelt werden.
Autofahren ab 18, Segelfliegen ab 15: Ist Segelfliegen so einfach und ungefährlich?
Thomas: In 98,5 Prozent aller Unfälle ist der Pilot selber schuld, wenn etwas schief geht. Und vor allem: Wenn etwas schief geht, dann gefährdet er im Normalfall niemanden ausser sich selbst. Da sind die Bedingungen auf der Strasse natürlich ganz anders. Ausserdem werden die Jungen in Theorie und Praxis von der Gruppe sehr nah begleitet und kontrolliert.
Haben Sie selbst schon brenzlige Situationen erlebt?
Thomas: Nicht wirklich. Ein guter Pilot ist der, der Situationen vermeidet, in denen sein ganzes Können verlangt würde.
Daniel: Früher war die Kollisionsgefahr das grösste Risiko, dem man ausgesetzt war. Heute hat der Pilot dank verbesserter Elektronik ein Warnsystem an Bord, das die Gefahr eines Zusammenstosses minimiert. Auch ich hab in meinen bisher über 2’500 Stunden in der Luft noch nichts Gravierendes erlebt. Aussenlandungen können aber immer vorkommen, wenn es an Aufwinden mangelt und man es nicht zum Heimatflugplatz zurückschafft.
Und wie kehren Sie in einem solchen Fall nach Olten zurück?
Daniel: Da braucht’s ein Telefon und eine gute Seele, die dich mit dem Auto inklusive entsprechendem Anhänger abholen kommt.
Zurück zum Gheid: Gibt es so etwas wie eine „Oltner Luft“ – spezifische Bedingungen, die unter Segelflugpiloten als Charakteristikum gelten?
Thomas: Speziell ist sicher die Situation mit dem Born, der zuverlässig für Aufwinde sorgt. Generell ist die topographische Lage nicht schlecht, auch dank dem Jurasüdfuss. Der Flugplatz Gheid hat daher einen relativ hohen Stellenwert in der Szene. Nicht viele Städte von dieser Grösse haben so etwas zu bieten.
«Der Flugplatz Gheid hat daher einen relativ hohen Stellenwert in der Szene. Nicht viele Städte von dieser Grösse haben so etwas zu bieten.»
Thomas Frey
Viele Menschen träumen davon, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Wieso arbeiten Sie beide als Architekten?
Daniel: Die Architektur ist ebenfalls ein Gebiet, das mich fasziniert. Ausserdem ist es eine Familienangelegenheit, unser Vater hat das Architekturbüro zuvor geleitet.
Thomas: Ich habe zwar als Militärpilot Superpumas geflogen und als Chef-Fluglehrer Segelflugpiloten in Olten ausgebildet, ich habe aber nie davon geträumt, die Fliegerei zu meinem Beruf zu machen, weil ich nicht wollte, dass die Leidenschaft erlöscht. Denn eben: Das Schöne am Segelfliegen ist, dass es schön nutzlos ist (schmunzelt).
Der Vogel heisst auf Lateinisch avis. Vögel fliegen, Menschen nicht. Menschen wollen aber auch fliegen, wie die Vögel, schon immer wollten sie das, also haben sie den Vögel beim Fliegen zugeschaut und versucht, sie zu kopieren. In der Antike galt das Fliegen als Privileg der Götter – das zeigt, welche Bedeutung der Fliegerei schon damals beigemessen wurde. So stürzte das erste prominente Flugopfer Ikarus der Sage nach deshalb ins Meer, weil er sich zu sehr der Sonne und dem Hoheitsgebiet der Götter genähert hatte. Diese Sünde wurde prompt bestraft, indem das Wachs an seinen Flügeln schmolz. Leonardo Da Vinci war zu Beginn des 16. Jahrhunderts einer der Ersten, der sich genauer mit den Grundlagen der Fliegerei auseinandersetzte; er gilt heute als geistiger Vater des Helikopters. Bald wurde aber klar, dass die menschliche Muskelkraft als Antrieb nie ausreichen würde, um ein Fluggerät in die Lüfte zu bringen. Viele Menschen mussten sterben, weil Zeit und Technik noch nicht reif waren für die bemannte Luftfahrt. Der Traum vom Fliegen war damit aber nicht ausgeträumt. Er ging erst richtig los.
Dieser Beitrag stammt aus der Kolt-Ausgabe Juni 2011
Die Aviatik hat seinen Namen vom lateinischen Vogel abgeleitet und bedeutet schlicht: Die Flugkunst. Die Geschichte der Flugkunst ist eine Geschichte der Fluggeräte, denn ohne diese wird der Mensch (voraussichtlich) nie fliegen können. Am 17. Dezember 1903 gelang den Gebrüdern Wright, was niemand vor ihnen schaffte: Ihr Motorflugzeug namens Flyer flog durch die Luft. Es war das erste Mal, „dass eine Maschine mit einem Menschen sich selbst durch ihre eigene Kraft im freien Flug in die Luft erhoben hatte, in waagrechter Bahn vorwärts geflogen und schliesslich gelandet war, ohne zum Wrack zu werden“, wie die beiden Brüder später sagten. Was mit diesem Flug, 12 Sekunden lang und 37 Meter weit, seinen Anfang nahm, hat mit dem Airbus A380 den vorläufigen Höhepunkt erreicht – Erstflug gut 100 Jahre nach jenem der Wright-Brüder im Jahr 2005.
Mit einer Länge von 72 Metern und einem Startgewicht von 570 Tonnen das grösste Passagierflugzeug der Welt, kann die A380 mit bis zu 850 Passagiere an Bord bis zu 15’200 Kilometer weit fliegen. Der Airbus braucht auch auf 12’000 Meter Flughöhe den Zorn der Götter nicht zu fürchten.
Das Flugzeug ist dermassen gross, dass die Infrastruktur der Flughäfen angepasst werden musste, etwa in Zürich-Kloten.
Eines steht fest: In Olten wird die A380 nie landen.
Olten hat auch keinen Flughafen, aber immerhin hat Olten einen Flugplatz, und wo ein Flugplatz steht, da wird gestartet und gelandet, da verwirklichen die Menschen den uralten Traum vom Fliegen. Und deshalb gibt es auch eine Oltner Aviatik. Davon handelt diese Geschichte.
Glur und sein Rekord für die Ewigkeit
Der Flugplatz Gheid. Das Zentrum der Oltner Aviatik wurde am 28. August 1921 offiziell in Betrieb genommen. 1931, zehn Jahre später, war es, als sich die Mitglieder des damaligen Faltbootklubs Mittelland nach den Worten der Vereins-Chronik entschlossen, „mangels Begeisterung ihre Aktivitäten in die Luft zu verschieben“. Ein Jahr später, 1932, gründete die verbliebene Gemeinschaft die Segelfluggruppe Olten (SGO). Eines der Gründungsmitglieder hiess Fritz Glur und Fritz Glur hatte nur eines im Sinn: Fliegen. Hinderlich dabei war, dass die junge SGO über gar kein leistungsfähiges Segelflugzeug verfügte. Also baute sich Pionier Glur ein eigenes. Er war es schliesslich, der entdeckte, dass „der Ostwind am Born nach oben abgelenkt wird und man diesen Hangaufwind segeln kann“, wie es im Jubiläumsbuch der SGO zum 75. Jubiläum im Jahr 2007 steht. Glur war es auch, der sich vornahm, diese Aufwinde zu nutzen, um so lange oben zu bleiben, wie es eben ging. 1938 hielt er sein Flugzeug während 28 Stunden und 6 Minuten in der Luft und stellte damit einen neuen Schweizer Rekord im Dauersegelflug auf. Der Rekord ist bis heute ungebrochen.
Max Cartier: Vom Höhenflug bis zum bitteren Ende
Fritz Glur ist nicht der einzige Oltner, der es in die Geschichtsbücher der Aviatik geschafft hat. Neben dem Klubhaus der Segelflieger auf dem Gheid steht ein Denkmal, das dem ersten Oltner Aviatiker gewidmet ist. Max Cartier war sein Name, geboren 1896, und seine Zeit als Flieger, die abrupt enden sollte, begann im Ersten Weltkrieg. 1917 brevierte er zum Militärflieger, bald wurde er Leutnant der Fliegertruppe. Seiner Heimatstadt bewies er „grosse Anhänglichkeit“, und „immer wieder besuchte er sie auf dem Luftwege“, schreibt Eugen Dietschi in den Oltner Neujahrsblättern anno 1979. Was die Oltner Bevölkerung stets begeisterte, schliesslich war Fluglärm damals noch kein Politikum, sondern imposant, und wenn ein Flugzeug am Himmel auftauchte, galt das als Ereignis. Gross war Cartiers Talent wie auch dessen Mut, und als 1918 in Bern beschlossen wurde, die Luftpost einzuführen, wurde der Mann mit dem wohlklingenden Namen der erste Postflieger der Schweiz: Zürich (Dübendorf)-Bern(Kirchlindach)-Lausanne-Genf hiess die tägliche Strecke, nur am Sonntag ruhte er, und manchmal wurden auf dem Beobachtersitz auch erste Passagiere befördert. Cartiers „imponierende Beherrschung der damals recht primitiven Flugapparate“ (Dietschi) zeichnete schliesslich die Sicherheit der ersten fahrplanmässigen Verkehrsflüge aus.
Max Cartier landete daraufhin als Einflieger bei den Eidgenössischen Konstruktionswerkstätten in Thun, wo der Armee neue Militärflugzeuge beschafft werden sollten – eine ehrenhafte, doch gefährliche Arbeit, war es ja seine Aufgabe, neuartige Flugzeuge, die „frisch gezimmert waren, erstmals in die Lüfte zu steuern“, wie Eugen Dietschi schreibt. Der grosse Ruhm und die tödliche Gefahr flogen mit. Ruhm und Ehre erlangte der junge Oltner Pilot am 23. April 1925 im ganzen Land, als er mit einem Jagdflugzeug M7 eine schweizweit bis dato unerreichte Höhe von 9’800 Metern schaffte, ein Höhenrekord, der international homologiert wurde.
Als er aber am Vormittag des 24. Januar 1928 mit einem neuen Flugzeug, Typ M8, mehrere Probeflüge ausführte, wurde ihm sein Beruf zum Verhängnis. In einer Höhe von 500 Metern zerbrach bei einer Akrobatikfigur der rechte Flügel. Das Flugzeug fiel senkrecht vom Himmel und mit ihm Max Cartier, der erste Oltner Aviatiker. Er war auf der Stelle tot.
Der Eindringling, der nicht landen wollte
11 Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus, der zivile Flugbetrieb auf dem Flugplatz Gheid wurde vorübergehend eingestellt. 1940 stationierte die Schweizer Armee auf dem Gheid eine Messerschmitt-Staffel mit fünf Flugzeugen. 495 Mal ertönte in Olten gemäss Gemeindechronik der Fliegeralarm, doch Olten blieb verschont – eng wurde es allerdings am 17. Februar 1945. Als um 14:19 Uhr die Sirenen losheulten, tauchte am Himmel ein B-17 Bomber auf, der von drei Schweizer Jagdflugzeugen verfolgt wurde. Da der Eindringling auf Landebefehle partout nicht reagieren wollte, kam der Befehl, ihn abzuschiessen. „Der rechte Flügel fing Feuer und das Bombenflugzeug verlor immer mehr an Höhe“, heisst es im Trimbacher Dorfbuch von 1975. Schwankend flog das Flugzeug über das Spitalareal, weiter bis Trimbach, wo es schliesslich abstürzte und völlig zerstört wurde. Opfer waren keine zu beklagen, weder am Boden, noch im Wrack – das Flugzeug war bereits führerlos über die Grenze geflogen. Es handelte sich um einen amerikanischen Bomber der 15th Air Force, 97th Bomb Group mit dem Übernamen Dottie, der bei einem Einsatz über Augsburg getroffen wurde. Der Pilot hatte daraufhin den Autopiloten eingeschaltet und mit der gesamten Crew das „sinkende Schiff“ verlassen. Die Crew landete als Kriegsgefangene im Feindesland, das Flugzeug eben im Trimbacher Acker. Noch 20 Minuten nach dem Aufprall explodierten die Geschosse an der Absturzstelle.
„Ein extremer Eingriff in die Oltner Aviatik“
Der Flugplatz Gheid. Die grüne Piste ist heute 900 Meter lang, 30 Meter breit. Seit einigen Jahren ist das Areal auch raumplanerisch klar definiert als Flugplatz-Zone und schaut damit einer gesicherten Zukunft entgegen. In den letzten Jahren hat das Gheid auch als Naherholungszone für die Oltnerinnen und Oltner an Bedeutung gewonnen.
Hier ist die Segelfluggruppe Olten (SGO) zu Hause und bis 1978 war das auch die Oltner Motorfluggruppe (MFGO). Weil dann aus verschiedenen Gründen auf dem Flugplatz Gheid keine Motorflugzeuge mehr zugelassen wurden, mussten die Segelflieger in eine Seilwinde investieren, um weiterhin starten zu können, da sie nicht mehr von Motorfliegern in die Luft gezogen werden konnten. Weitreichender waren die Konsequenzen wenig überraschend für die Motorflieger. Sie mussten das Gheid und damit ihren Heimatflugplatz verlassen – für den Oltner Flugpionier Charles Bachmann „ein extremer Eingriff in die Oltner Aviatik“, wie er in einem Zeitungsinterview sagte. Weil gleichzeitig das Projekt eines neuen Flugplatzes in Kestenholz scheiterte, kam es, dass die Motorfluggruppe Olten heute in Grenchen zu Hause ist. Beide Vereine, die Segelflieger und die Motorflieger, sind Untergruppen des Regionalverbands Olten innerhalb des Aeroclub der Schweiz. Sie bilden das Herzstück der Oltner Aviatikszene. Diesen Regionalverband Olten komplettiert als dritter Verein die Ballongruppe Vordemwald, präsidiert wird der Oltner Verband vom zitierten Aviatiker Bachmann.
Während die Segelfluggruppe einen konstanten Mitgliederbestand und eine moderne Flotte aufweist, leidet die Motorfluggruppe seit dem Umzug nach Grenchen unter Mitgliederschwund. Heute zählt die Gruppe, die 1956 gegründet wurde, gemäss ihrer Homepage ungefähr 90 aktive und 50 passive Mitglieder. „Trotz intensiver Werbung und
Schnupperflugtagen“, schreibt Charles Bachmann in einem Verbandsbericht 2010, „konnte die MFGO keine Interessenten für ihre Sportart gewinnen“. Die unschöne Konsequenz dessen: Ein „dramatisches Absacken der Flugstunden und Nichtauslastung der Flugschule“, wie es in seinem Bericht weiter heisst. Dies wiederum würde dazu führen, dass es unumgänglich sei, die Flotte anzupassen oder zu reduzieren. Die Segelfluggruppe dagegen fliegt munter weiter.